Maurus Jókai
Schwarze Diamanten
Maurus Jókai

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Iwans Vorlesung »Der letzte Weltteil.«

Fünf Weltteile kennen wir bereits, vom sechsten erfahren wir erst jetzt, daß ein solcher existiert.

Aber daß er existiert, das wissen wir schon bestimmt.

Wo er ist?

Am Nordpol.

Ein ganzer Weltteil, voll mit unbekannten Pflanzen, unbekannten Tieren und daher gewiß auch mit Menschen.

Die gefeiertsten Gelehrten beweisen die Existenz dieses Weltteils, und kühne Seefahrer streben schon seit mehr als einem Jahrhundert, durch die schwimmenden Berge des Eismeeres vorzudringen, um in diesen sechsten Weltteil zu gelangen.

Möglich, daß es am Südpol auch noch einen siebenten gibt. Kapitän Maury forderte die englische Regierung auf, eine Expedition hinzusenden, und mit wissenschaftlichen Gründen konstatierte er, daß nach dem Stand des Barometers, welcher bei dem fortwährenden Regen in der südlichen Polargegend sich nicht verändert, dort die Luft dünner sein müsse und daß der Druck der oberen, dichteren Luft auf die untere, dünnere Schicht eine hohe Temperatur verursacht, unter deren Einfluß jenseits der Eisberge ein neues Leben entstehen müsse. Aber das ist bloß eine Ahnung. Von der nördlichen Welt haben wir bereits positive Kenntnisse.

Im Aufsuchen dieses sechsten Weltteils gingen Franklin und seine heldenmütigen Gefährten zugrunde. Ihr Beispiel wirkte nicht abschreckend, fand vielmehr noch Nachahmer; Männer mit Eisenherzen und feurigem Willen strebten ihren Spuren nach, auf den endlosen Eisfeldern, die Leichen der Verlorenen und den Schatz ihrer Aufzeichnungen suchend.

Sie drangen bis in das nur von Eskimojägern betretene Reich des ewigen Winters vor.

Zwei irische Schiffer fanden den Wellington-Kanal, welcher zwischen den Eisbergen des Meeres frei fließt, und nannten die äußerste der dortigen Inseln »das Auge Irlands.« Die Russen nennen jenen Kanal »Polinia«, was in unserer Sprache »Wasserstraße« bedeutet.

Dieser Kanal befindet sich unter dem 77° 49' nördlicher Breite und dem 115° 35' westlicher Länge.

Die meisten Reisenden waren mit ihren Schiffen zwischen den ewigen Kolossen des Eismeeres festgefroren und retteten sich auf Schlitten, alles im Stich lassend und nur ihre Aufzeichnungen mit sich nehmend.

1852 war auf diese Art Kapitän Belcher gezwungen, seine vier Schiffe in der Barrow-Straße zurückzulassen, wo dieselben zwischen Eismassen eingekeilt waren, die man auf dem Festlande Berge nennen würde.

Eines dieser vier Schiffe, der »Resolute«, entfloh im nächsten Frühling seinen Gefährten. Es ging auf eigne Faust auf Reisen. Und sechzehn Monate lang schwamm es ohne Segel, ohne Steuermann, ohne Kapitän, ohne einen einzigen Matrosen, bloß von der geheimnisvollen Strömung des Meeres geführt, bis es endlich zwölfhundert Seemeilen von der Barrow-Straße entfernt, im Hogarth-Sund, fast auf der anderen Seite des Erdballs, durch den amerikanischen Schiffskapitän Buddington eingefangen wurde.

Also dieses vernunftlose Schiff hat selbst den Weg gefunden, welcher auf das offene Meer führt, und ohne Zweifel mußte es über einen großen Teil des »warmen Meeres« schwimmen.

Wenn dieses Schiff sprechen könnte!

Aber etwas konnte es doch sagen.

Die linke Seite des Schiffes war ganz mit Muscheln behangen. Wahrscheinlich war es für eine Weile auf eine Sandbank geraten, und bis es von dort durch die Flut wieder befreit wurde, saugten sich die Muscheln an seine Seitenplanken. Es waren Murex-Arten. Diese aber nähren sich von Seepflanzen. Also auf dem Weg, welchen dieses Schiff zurücklegte, gibt es Muscheln und Seepflanzen. Dort friert also das Meer nie zu.

Und noch einen Zeugen brachte das Schiff mit, ein Vogelnest, auf welchem eine Störchin mit zwei Jungen saß. Diese Störche unterschieden sich von den unsrigen durch ihr hellblaues Gefieder und einen Schopf; eine von allen bisher bekannten abweichende Gattung.

Als die Störchin die fremden Männer auf das Deck des Schiffes kommen sah, nahm sie plötzlich eines der beiden Jungen in den Schnabel und flog damit fort. Der Kapitän erlaubte nicht, sie herabzuschießen. Der Flug dieses Vogels war schneller als der des gewöhnlichen Storchs; er durchschnitt die Luft mit einer Geschwindigkeit von dreißig Klaftern in der Sekunde, was siebenundzwanzig Meilen in der Stunde macht.

Das zurückgelassene Junge nahmen die Schiffer in Pflege, aber es aß nichts. Nach dreißig Stunden kehrte die Mutter zurück. Damals hatte das Schiff mit dem Dampfer, welcher es ins Schlepptau genommen, bereits ebenso lange Zeit seinen Weg nach Süden fortgesetzt. Der Vogel hatte also, den Weg des Schiffes abgerechnet, eine Strecke von siebenhundertundachtzig Meilen durchfliegen müssen, bis er vom nächsten Festlande zurückkehrte.

Daß er dort gewesen sein mußte, bewies der Frosch, welchen er im Schnabel mitbrachte und den er für sein Junges im Flug aus der Luft auf das Deck des Schiffes herabfallen ließ. Einen Frosch von dieser Gestalt hatte man bis dahin noch gar nicht gekannt. Auf dem Rücken hatte er Schuppen gleich dem Chiton squamosus.

Der junge Vogel verschlang den Frosch mit großer Gier.

Nach vierzig Stunden kehrte die Mutter noch einmal zurück und brachte ein ähnliches Amphibium für das Junge, doch dieses hatte bereits aufgehört zu leben. Die Schiffer stopften den verendeten Vogel aus, den Frosch legten sie in Spiritus, und beides schenkten sie dem Neuyorker Museum. Alle Naturforscher, die beide Tiere gesehen haben, erklären, daß es ganz unbekannte Tiergattungen seien, so seltsam, wie die australische Fauna im Vergleich mit der europäischen.

Das Festland, das dieselben hervorbringt, muß nach dem Fluge des Vogels gerechnet, beim 85. Grad der nördlichen Breite, das dorthin führende offene Meer einige Grade näher beginnen, und das Klima muß dort warm sein!

Aber was gibt jenem Himmelsstrich die Wärme, da doch schon beim 72. Grad das Quecksilber gefriert und gleich anderem Metall geschmiedet werden kann?

Die Widerwärtigkeiten der Nordpolfahrer sind die schrecklichsten und werden immer größer, je mehr sie sich dem Pol nähern.

Der kühnste und glücklichste Nordpolfahrer, der aber auch am meisten ausgestanden hat, war Kapitän Kane.

Was er unter dem 80. Grad nördlicher Breite erlebt hat, scheint ins Reich phantastischer Unmöglichkeiten zu gehören, ist ein Wundertraum der eingeschlafenen Natur.

Dort ist der Winter von ewiger Dauer, der Sommer nur ein milder Winter.

An einem Herbstabend geht die Sonne zum letztenmal am Horizont unter, und dann kommt sie ein halbes Jahr lang nicht wieder zum Vorschein. Die Nacht tritt ein, die ein halbes Jahr dauert. Nur die fernhin sich ausdehnende Schneefläche und der Mond verbreiten einige Helle, und an besonders feierlichen Tagen leuchtet das geheimnisvolle Nordlicht.

Der Thermometer zeigt 40 Grad F unter Null.

Kein Tier, keine Pflanze kann hier bestehen, selbst der letzte Eisvogel ist aus der Luft, das letzte Walroß aus dem Wasser und die Pflanze mit dem zähesten Leben, die Flechte, von den Felsen verschwunden. Der Mensch allein ist geblieben.

Aber so schrecklich allein ist er geblieben, daß Kane, als ihn einmal ein Haar am Hals zu kitzeln begann, mit Freuden danach griff; er glaubte es sei ein Floh. Er freute sich, daß es in diesem Reich des Nichts außer ihm noch ein Tier gebe. Eitle Freude! Selbst dieser letzte treue Busenfreund hat den Menschen hier verlassen. Hier wohnt nur das Nichts.

Und was für wunderliche Gebilde schafft das Nichts aus dem Etwas, welches kühne Menschen hierher gebracht haben!

Was wird aus den Nahrungsmitteln?

Aus gedörrten Aepfeln werden Chalcedonschnitte. Man könnte sie ganz zu Steinen für Siegelringe gestalten und schleifen. Das Sauerkraut im Faß bildet eine Art neuen Metalles, das sich in Blätter spalten läßt wie Glimmerschiefer; der Bruch ist perlmutterglänzend. Der Zucker hingegen, der hier in Kristallform bekannt ist, ist dort wie gefrorener Kautschuk mit Sägespänen vermengt; man kann ihn nicht zerbrechen, zerschlagen, nur zersägen. Aus der Butter könnte man ganz gut Elfenbeinfiguren drechseln, ihr Bruch ist glimmerglänzend. Fleisch ist das schönste Marmormosaik, welches dem florentinischen an Schönheit nicht nachsteht; die Axt prallt ab davon, nur mit Stemmeisen kann es auseinandergebrochen werden. Ein Faß Lampenöl, von welchem die Dauben weggenommen wurden, damit man es mit dem Hammer zertrümmern könne, ist eine steinerne Walze nach Art derjenigen, mit welchen man auf makadamisierten Straßen den Kies glatt walzt. Und das ist in der Kajüte, wo man heizt und bei fortwährendem Feuer die Kälte auf 34 Grad herabgemindert hat.

Die Menschen, welche da im geheizten Zimmer sitzen, sind durch ihren eignen Atem von einem solchen Nebeldunst umgeben, daß sie nicht sechs Schritte weit sehen. Und wenn jemand auf einen Augenblick seine Kopfbedeckung abnimmt, so dampft diese, als ob es eine Schüssel mit gekochten Kartoffeln wäre. Wer laut schreit und nicht zwischen den Zähnen spricht, der stößt aus seinem Mund eine Dunstwolke aus, als wäre dieser eine Kanone, und wer irgendeine anstrengende Arbeit verrichtet, von dem steigt ein Dunst auf, als wäre er der Geysir. Messer, Gabeln sind so kalt, daß sie einem, wenn man beim Essen nicht acht gibt, an der Zunge oder an den Lippen hängen bleiben und davon die Haut herabziehen. Wer einschläft, ohne sich die Mütze über die Augen zu ziehen, der kann beim Erwachen die Augen nicht öffnen, weil ihm die Augenlider zusammengefroren sind.

Draußen in der Nacht, in der Eiswüste, ist die Temperatur noch um sechs Grad niedriger.

Und in diese fürchterliche Gegend, in diese schreckliche Nacht haben sich Menschen gewagt, um dem Nordpol näher zu kommen.

Ihre Schiffe froren fest, aber sie hatten für diesen Fall vorgesorgt. Sie brachten Schlitten mit sich, auf welchen Nachen aus Eisen und Kautschuk sich befanden, in welchen sechs Männer Platz haben. Sie waren entschlossen, wenn ihre Schiffe durch das Eis zurückgehalten würden, auf Schlitten weiterzureisen, und wo sie wieder offenes Meer fänden, sich in den Nachen zu werfen und bis zum Nordpol vorzudringen. Sie hatten sechzig sibirische Hunde mit, um sie an die Schlitten zu spannen. Allein schon beim 79. Grad bekamen alle Hunde den Kinnladenkrampf und gingen daran zugrunde. Es blieb den kühnen Reisenden nichts übrig, als selbst die Schlitten zu ziehen, und auch davor schraken sie nicht zurück. Zwei Wochen lang drangen sie bei vierzig Grad Kälte mühsam vorwärts. Sie kamen dem Nordpol um zwei Grade näher.

Und als sie den 82. Grad erreicht hatten, begann die Temperatur um zehn Grad zu steigen.

Das Vorgefühl des Triumphes gab ihnen neue Spannkraft. Sie gönnten sich keine Ruhe, sondern drangen weiter vorwärts, der Thermometer stieg immer mehr und erreichte endlich Null.

Da war es schon warm.

Der Felsen, auf welchem sie standen, ist noch Eis, aber was sich vor ihnen ausdehnt, das ist das offene Meer.

Und wie um die Mutigen zu begrüßen, erhebt sich am Himmel plötzlich die Purpurdämmerung des Nordens, das blitzumkränzte Nordlicht, rings um eine große, runde, dunkle Kuppel hervorschießende gelbe und rosafarbene Lichtgarben, als ob es aus einem großen schwarzen Rade ausstrahlende Speichen wären; hoch hinauf durchschneiden sie das Himmelsgewölbe und breiten vor den Reisenden das bezaubernde Schauspiel aus, nach welchem sie sich gesehnt, das sie sich aber nicht vorzustellen vermocht hatten. Vor ihnen dehnte sich ein dreitausend Quadratmeilen umfassendes Meer aus. So weit sie es überblicken können, ist es offen, rein, eisfrei; in der Mitte, wo es den dunklen inneren Kern des Nordlichts zurückspiegelt, ist es stahlblau, überall sonst schwimmt es in Rosaglanz.

Und in einem weithin sich dehnenden Kreise war dieses Meer von dem Eisufer umgrenzt, auf welchem Kane und dessen Gefährten standen. Ueberall fünfzig, sechzig Klafter hohe Eisfelsen, von dem wunderbaren Nordlicht vergoldet.

Sechsundfünfzig Stunden harrten die Reisenden auf diesem Eisufer aus, sechsundfünfzig Stunden fühlten sie den »warmen« Nordpolwind wehen, welcher die Eisfelsen langsam, aber unausgesetzt zurückzuweichen zwingt. Dieser lang anhaltende Wind trieb ihnen kein einziges Stück Eis von Norden her entgegen. Dort ist eine lebende Welt und eine warme Gegend.

Aber warum fuhren sie nicht mit ihren Kähnen in dieses lang gesuchte offene Meer hinaus? Warum steuerten sie nicht weiter auf den geahnten Weltteil los?

Das Meer verwehrte es ihnen.

Das ist kein solches Meer wie die übrigen, die eine nach je zwölf Stunden wiederkehrende Ebbe und Flut haben. Die Flut dieses Meeres wird durch eine andere Kraft geregelt als durch die Anziehungskraft des Mondes; hier wirkt eine mächtigere, gewaltigere Kraft ein. Die Wogen dieses Meeres fallen und steigen von Stunde zu Stunde mit einer Gewalt, die es nicht gestattet, sich ihnen in einem Kahn anzuvertrauen. Und wenn die Flut zurückkehrt, so stürzt sie mit einer plötzlichen Steigung von sechzehn Fuß vorwärts, und dann erklingt das ganze endlose Eisufer vom Anprall der Wogen. Es ist der Donner, der über eine Glasglocke hinrollt.

Es scheint, als ob dieses laue Meer fortwährend die Eisfelsen schmelzen und vor sich her zurückdrängen würde.

Nur Belchers Schiff vermöchte es zu sagen, wie es auf diesen ungebärdigen Ozean gekommen sei, wo es die Strömung gefunden habe, durch welche es bis zum anderen Eingang der Polinia kam, ohne an den Felsenufern zerschellt zu werden.

Kane mußte sich mit dem Anblick begnügen, der sich zum erstenmal vor einem Sterblichen ausbreitete, mit der Ueberzeugung, daß das, was er suchte, wirklich vorhanden sei, und mit den Muschelschalen und Bruchstücken fremder Pflanzen, welche das Meer auf das Ufer auswarf, gleichsam die Visitkarten einer unbekannten Welt am Tor der alten Welt abgeben. Ueber dem Meere flogen unbekannte Vögel in Schwärmen.

Diesen Meerbusen verzeichnen die Gelehrten auf der Landkarte als Peabody-Busen und den Kanal, welcher zu diesem Meerbusen führt, nennen sie Kennedy-Kanal. Der Punkt, wo Kane und seine Gefährten denselben entdeckten, liegt unter dem 82° 2' nördlicher Breite, nicht ganz acht Grad vom Nordpol der Erde entfernt. Und weil die Erde bei den Polen eingedrückt ist, so ist dort das Maß der Grade kleiner. Von dort wäre der Pol vielleicht in zehn Tagen zu erreichen!

* * *

Versetzen wir uns in die Lage eines Menschen, der von diesem Anblick hingerissen, im Fiebertraum der Einbildung sich dorthin versetzt, wohin nicht Ruder und Segel, noch der schwere Fuß ihn zu bringen vermochte.

Wie mag diese Nordpolarwelt aussehen?

* * *

Die Erde ist an beiden Polen eingedrückt.

Die raschere Schwingung des Perpendikels beweist dies mit mathematischer Gewißheit.

An den beiden Polen ist die Erde so flach wie eine Pomeranze an beiden Enden. Auch die übrigen Planeten sind so gestaltet. Sie haben diese Form in der Periode erhalten, in welcher sie sich noch in weichem Zustande befanden.

Daher breitet sich vor dem, der am Pol steht, ein sechsmal größerer Horizont aus als bei uns, denn die Oberfläche der Erde neigt sich dort nicht so bald nach abwärts. Stellen wir uns vor, wir hätten hier von Pest aus einen so weiten Ueberblick, daß wir westwärts Wien mit seinem Stefansturm, ostwärts Debrezin, gegen Norden Kaschau, gegen Süden Belgrad und alles sehen würden, was zwischen diesen Punkten liegt.

Und über diesen schwindelnd weiten Gesichtskreis halb emporgehoben, schimmert durch die dunkelblaue Atmosphäre eine glühende Kugel in rotem Schein. Das ist die Sonne!

Tagelang glüht sie dort über dem Horizont, sie steigt aber niemals ganz darüber empor, sondern wandelt um den ganzen Gesichtskreis herum. Und da der Gesichtskreis dort ungefähr zwanzigmal größer ist als bei uns, so kann man mit dem Auge wahrnehmen, wie die Sonne rasch ihren scheinbaren Kreislauf durchwandelt. Hie und da ist ihr ein Hügel im Wege und verdeckt sie, nach einer Minute kommt sie wieder zum Vorschein. Um Mitternacht befindet sie sich gerade der Stelle gegenüber, an welcher sie mittags glühte – und mittags, abends, nachts befindet sie sich immer in gleicher Höhe, immer mit dem halben Körper über dem Horizont. Das ist der Aequinoktialtag.

Während der Sommermonate erhebt sie sich mittags über den Horizont und sinkt mitternachts auf eine Stunde unter den Horizont; aber sie kommt nie so hoch hinauf, daß sie den Dunstkreis überschritte; Strahlen hat sie hier nie, und niemals ruft sie Wärme hervor. Größtenteils ist es auch nicht die Sonne selbst, was man hier sieht, es ist nur ihr durch die Strahlenbrechung hervorgebrachtes Spiegelbild. Die Welt des Nordpols ist ein riesiges Uhrwerk, dessen im Kreise sich bewegender Zeiger der Sonnenball ist.

Die Sonne ist hier nur ein glührotes Himmelswunder, ein Phänomen wie der Mond, aber nicht die schöpferische Seele der Welt, der belebende Geist der Erde. Hier ist die Erde selbst der Herr!

Es wäre eine grausame, gottesleugnerische Idee, wenn diese ganze Welt, welche unsere Welt ist, einen so mathematisch berechneten, erbarmungslosen Tod sterben müßte, wie er eintreten würde, wenn sonst nichts sie erwärmte als das abnehmende innere Feuer und der gleichgültige Sonnenstrahl, der nicht mehr erwärmt, wo das innere Feuer ausgegangen ist. Und wenn auch Millionen und Millionen Jahre vergehen müssen, bis dieses Erkalten eintritt, einmal muß es doch erfolgen! Ist es doch ausgerechnet, daß zur Zeit der Formation der Steinkohle die durchschnittliche Wärme der Erde sich bis zu 22 Grad erhoben haben muß, und jetzt beträgt die durchschnittliche Wärme nur 8 Grad. Aus der Auskühlung des geschmolzenen Basaltes ist berechnet, wie vieler Jahrhunderte es bedarf, daß die Temperatur noch um vierzehn Grad sinke. Und dann soll alles aus sein?

Soll die Erde sterben?

Die Erde sagt: »Nein! ich werde alle Zeiten hindurch fortleben!«

Die Erde hat ihre eigne Kraft, die sie weder von der Sonne noch vom Firmament entlehnt: den Magnetismus.

Das ist ihr Eigentum. Auch die übrigen Planeten haben es. Das eigne magnetische Licht des Jupiter, der Venus haben unsere Teleskope längst wahrgenommen, das Polaroskop hat es außer Zweifel gestellt.

Und diese Macht des Erdmagnetismus nimmt um so mehr zu, je mehr die Erde auskühlt. Das glühende Eisen hat keinen Magnetismus, sowie es kalt wird, wird es magnetisch.

Und im Magnetismus ist ein Feuer, welches stärker ist als das Feuer der Sonne. In den konzentrierten Sonnenstrahlen verbrennt der Diamant, aber im Feuer des Magnetismus wird der Diamant erzeugt. Das weiß man überall, wo man die elektromagnetische Beleuchtung verwendet. Die den Pol bildende Spitze der Lindenkohle wird in dem Feuer, welches durch die Voltaische Säule erzeugt wird, zu Diamant.

Das, was dem Reich des Nordpols Leben, Feuer gibt, ist der Magnetismus der Erde.

Der unendliche Horizont wird kaum durch einen hervorragenderen Hügel unterbrochen.

Gebirgsketten drängen sich da nicht vor. Eine wellenförmige Ebene dehnt sich weithin aus.

Mitten in dieser Ebene erhebt sich hoch eine riesige Gebirgsmasse, als ob eine Gruppe geschlossener Vulkane auf einen Ort zusammengedrängt wäre – steile, glatte, an den Seiten glänzende Gipfel von schwärzlicher, bräunlicher und rötlicher Farbe, an den Spitzen dunkelblau und violett emailliert. In einem großen Umkreis um dieses Gebirgsdiadem dehnt sich ein kahler, glatter Boden aus, als ob hier die Erde aus lauter Meteoreisen, bestünde; aber dann folgt ein See, der die ganze Gebirgsgruppe wie eine Insel umgibt. In diesen See münden von allen Seiten die von allen Gegenden der Ebene kommenden Flüsse und Bäche, ein Beweis, daß hier die Erde am tiefsten eingedrückt, daß hier der Nordpol ist.

Die abschüssigen Ufer des Sees bilden die Insel-Deltas, welche ringsherum durch die Mündungen der Flüsse gestaltet werden.

Hoch über dem Gebirgskranz leuchtet, am Zenit des Himmels einen runden Fleck von großem Umfang einnehmend, das ewige Nordlicht, ein Strahlenkranz aus tausend Regenbogen, mit bald stärkerem, bald sanfterem Schein. Das ist die Ausstrahlung des Erdmagnetismus, ein leuchtender, belebender, erwärmender Strahlenquell. Der so eingefaßte Raum ist schwarze, ewige Nacht, in welcher der Nordstern und die Sterne des großen Wagens funkeln; doch der äußere Raum strahlt in allen Farben des Glanzes, hellblau, gelb, grün, rosenfarben, die strichweise den Himmel durchschneiden und auf die Erde zurückstrahlen. Die glänzenden Sterne leuchten durch.

Die ganze Gegend bis zum fernen Horizont schwimmt darunter in einer Flut von Licht. Es ist das nicht das brennende, sengende Licht der Sonne, sondern die milde, erwärmende, abwechslungsreiche Ausstrahlung eines zaubervollen Himmels. Die Höhen der den Nordpol umgebenden Insel-Deltas sind mit blühenden Wäldern umkränzt. Alles Laub ist da heller grün als in der alten Welt; die Auen erhalten ihre Farben von den Blüten und Früchten der Bäume; ultramarinblaue Reviere wechseln mit rubinroten Auen ab, je nachdem blauer Wachholder oder rote Beeren vorherrschen; an anderen Stellen ist der Boden goldgelb von den zarten Schößlingen der Sträucher, und hie und da sind die Baumriesen schneeweiß, als wären sie von Schwärmen weißer Schmetterlinge bedeckt, es ist aber eine Flut von Blüten; und auf der fernen Ebene wo sich Hügel wölben, schmelzen die Farben grüngelber Felder, violetter Fluren, kupferbrauner Abhänge ineinander, durch welche sich den farbigen Himmel abspiegelnde, von silberweißen Sträuchern umsäumte Bäche schlängeln.

Hier ist der Winter nicht kalt, der Sommer nicht heiß; die aus Blüten und Früchten gewundenen Kränze des Frühlings und Herbstes berühren sich beinahe einander.

Die Wiesen und Felder sind von Tieren bevölkert, im Laub ertönt Vogelgezwitscher, in den Wassern plätschern Fische. In allen Elementen ist Leben.

Unter den Säugetieren herrscht nicht die fahle Einfarbigkeit, unter den Vögeln nicht die Farbenbuntheit der alten Welt. Jene sind bunt, unter diesen herrscht die weiße, graue oder blaue Farbe vor. Beide Umstände sind Zeichen der Zahmheit.

Und der Mensch?

Sollte das Reich, das so viele Leben nährt, keinen Menschen hervorgebracht haben?

Gewiß sind auch Menschen da, und wenn sie dasind, so sind sie vollkommener als wir.

Wie sie dahin gekommen sind?

Wer mir sagt, wie die Azteken, die Kupferfarbigen, die Hottentotten, die Indianer usw. auf ihre Wohnplätze gekommen sind, wer sie hingebracht hat, und von wo – dem sage ich, wie die dort wohnenden Menschen auf die Nordpol-Inseln gekommen sind; denn jedes Stück Erde auf diesem Planeten ist eine Insel. Das Wasser ist die Oberfläche dieses Erdballs.

Daß aber die dortigen Menschen vollkommener sind als wir, davon ist der Grund der, daß sie ein älteres Geschlecht sind.

Nach der gestaltenden Zerstörung der Pliozän muß der erste bewohnbare Fleck Erde am Pol gewesen sein; dort kühlte die Erde am frühesten aus, und als an der Stelle, wo Europa ist, noch der Vulkan mit dem Meer kämpfte, als die Schweiz noch eine Insel, die ganze russische Ebene Meeresboden und Italien ein Teil Afrikas war, damals war es die Polargegend, wo ein gemäßigtes Klima herrschte. Und als der pestilenzialische Sumpf, aus welchem das Land der Griechen und Assyrer emportauchte, noch von der Sonne ausgetrocknet wurde, welche jetzt die Savannen Südamerikas unbewohnbar macht, damals mögen die Gelehrten der Nordpolwelt schon berechnet haben, wie jetzt die unsrigen, was aus ihrer Welt werden wird, wenn die Erde von Jahrtausend zu Jahrtausend so auskühlt, die Winter immer länger, die Sommer immer kürzer werden und das Holz, das Heizmaterial, ausgeht.

Und sie rechneten zehn Jahrtausende hindurch.

Denn damals hatte auch der Nordpol seinen Sommer und seinen Winter.

Aber sowie die Erde am Pol auskühlte, begann dort gleich der Magnetismus, und das Nordlicht mit seiner Mutterwärme löste die Sonne ab.

Dies bestätigt auch die Neigung der Magnetnadel nach dem Horizont.

Die Menschen des Nordpols sind Zehntausende von Jahren früher entstanden als wir, sowie auch wir Zehntausende von Jahren den Inselbewohnern vorangegangen sind. Und in dem Maße, in welchem wir über diesen stehen, stehen die Nordpolbewohner über uns. Ihre erste Prärogative ist die Anziennität.

Ihr zweites Privilegium ist der Magnetismus.

Die Macht des Magnetismus, erstreckt sich über alles, über Pflanzen, Tiere und Luft. Er verleiht dem Eisen und auch dem mit dem Eisen wetteifernden menschlichen Herzen Wunderkraft.

Diese wahrscheinliche Wirkung wollen wir später näher beleuchten. Jetzt sehen wir, wie der Nordpolmensch beschaffen sein mag.

Er ist farblos.

Denn sein Gesicht wird nie von der sengenden Sonne beschienen, es ist weiß wie Alabaster. Seine Züge sind sehr fein; sein Haar ist von der in den Haarröhrchen enthaltenen großen Menge Eisenpigment beinahe stahlschwarz mit bläulichem Glanz, seine Augen und Augenbrauen ebenso. Sein Wuchs ist klein, aber schlank, nervig, kraftvoll. Er lebt von Pflanzenkost, vom Tier nimmt er nichts als die Milch; vor der Fleischnahrung hat er unter dem Einfluß des Magnetismus Abscheu. Darum sind seine Muskeln elastischer, sein Gemüt heiterer; krank ist er nie.

Seine Sprache ist vollkommener als die unsrige. Auf einem so großen Fleck Erde ist es unmöglich, daß sich nicht mehrere Sprachen entwickelt haben, aber in allen ist ein Wohllaut, durch welchen die dortigen Menschen einander verstehen wie die singenden Vögel.

Ihre Kleider sind leichter als die unsrigen; Tuch, Tierfelle brauchen sie nicht, die Jahreszeiten sind sich gleich. Bei ihnen gibt es keine Mode. Aus welchem Grunde? Auch darauf werde ich zurückkommen.

Der Planet ihres Himmels ist die Erde; die gute, unerschöpfliche, mütterlich liebevolle Erde ist ihr wahrer, herrschender Stern. Der Strahlenkranz, der ihren Himmel erhellt, ihre Luft erwärmt, ihren Boden befeuchtet, ist die mütterliche Liebe der Erde.

Und in den Wissenschaften sind sie weit vorgeschritten, weiter als wir, die wir noch im Finstern umhertappen. Sie wissen schon, daß die magnetische Kraft der Erde eine Macht ist, die nicht entlehnt wird, und mit deren Hilfe man alles zuwege bringen kann.

Soviel wissen auch wir schon, daß wenn man einen Drachen, durch dessen Schnur ein Metalldraht gezogen ist, aufsteigen läßt, aus der Schnur dieses Drachens eine halbe Klafter lange Blitzstrahlen hervorgelockt werden können. Das wußte auch schon Franklin.

Aber sie haben bereits erforscht, wie man diesen überall anwesenden Magnetismus des Himmels und der Erde an einer Stelle konzentrieren, wie man hier daraus eine Flamme hervorlocken kann, die Steinkolosse zu Glas schmilzt, dort damit Maschinen treibt, ohne Feuer und Dampf; wie man den Magnetismus im Fall der Not als Waffe benützen und damit in größerer Entfernung und sicherer treffen kann als mit Armstrongkanonen oder Congreveschen Raketen.

Diese Kenntnis hat sie über die Erde erhoben. Sie haben das Geheimnis des Fliegens entdeckt. Nicht im Luftschiff, sondern in der Bewegung ist dieses Geheimnis. Die Schwalbe hat kein Luftschiff auf dem Rücken. Sie haben Maschinen, welche die Elektrizität in Bewegung setzt, und diese Bewegung hebt sie in die Luft. Sie wissen das Glas als Metall und als Feder zu benützen. So weit haben wir es ja auch schon gebracht, daß wir das starre Glas, zu dünnen Fäden ausgesponnen, biegen und zu allerlei Geflechten verwenden können.

Und weil man in der Luft reisen und Lasten befördern kann, so geben sie sich nicht damit ab, den gesegneten Boden auf lange Strecken mit Steinhaufen zu belegen, was wir Straßen bauen nennen, sondern sie lassen jeden Fleck Erde grünen und Brot hervorbringen.

Mit der Erfindung des Fliegens wurde jeder Krieg unmöglich. Die Nordpolbewohner würden selbst das größte Heer, das von außen mit Kanonen und Monitors in ihr Land einbrechen würde, aus der Luft herab in die Flucht jagen, im Meer ersäufen, mit Blitzen zerschmettern, und das alles ohne regelmäßiges Militär zu halten; dort gibt es keinen Kriegsruhm, keinen Tod auf dem Schlachtfeld, keine Invaliden, keine Witwen und Waisen der Gefallenen.

Daraus folgt natürlich, daß es dort auch keine erobernden Tyrannen gibt. Wer vermöchte sich einem Volk auf den Nacken zu setzen, das fliegen kann?

Selbst die Knechtschaft des Zugviehs hat dort aufgehört. Der Elektromagnetismus treibt den Pflug, hilft die Garben einheimsen, dient als bewegende Kraft im kleinen und im großen; das Joch ist dort als ein Werkzeug unnützer Barbarei verworfen.

Auch gegen schädliche Tiere, gegen reißendes Wild braucht man keine Waffen. Was davon existiert hat, ist ausgerottet und von außen kann keins kommen. Das Land ist von einer sehr starken Mauer umgeben.

Schlechte Menschen, Diebe braucht man dort auch nicht zu verfolgen. Warum sollte dort jemand stehlen? einem andern schaden? Jedem gibt der Boden, was er braucht. Jedermann arbeitet und lebt davon.

Der Ackerbau ist kein Hasardspiel wie bei uns. Der Same, der gesät wird, geht sicher auf. Die Ernten sind dort in jedem Jahre gut.

Dort fleht man nicht, mit Kreuz und Fahne in Prozession gehend, um Regen, um Sonnenschein, sondern man legt Hand an, um sich Regen und Sonnenschein zu sichern.

Braucht man Regen, so wendet man mittels leitender Drähte den Erdmagnetismus gegen die Masse von Seen und Meeren, bringt daraus Wolken hervor, bewirkt mittels menschlicher Wissenschaft, daß elektrische Wolken dort zusammentreffen, wo man es braucht, und die dürre Gegend befeuchten. Braucht aber die Vegetation größere Wärme, so leitet man den Elektromagnetismus zum Zentralpunkt zurück, gibt demselben eine intensivere Zentralausstrahlung, und dann sieht der entferntere Bewohner der Erde das wunderbare Nordlicht zuweilen höher emporflammen, und er fragt sich: was bedeutet dies? – Was es bedeutet? daß man im Reiche des Nordpols jetzt an die Ernte, an die Weinlese geht.

So macht man auch Nacht, wenn die Pflanzen des Schlafes bedürfen. Der aus den Seen hervorgerufene Nebel verdeckt das himmlische Licht, und die Welt geht zur Ruhe.

Und weil dies das ganze Land auf einmal, mit einem Willen tun muß, so herrscht dort immer Eintracht. Dort gibt es keinen Nationalitätenhader, keine Grenzstreitigkeiten, keinen Kampf der Rechten und der Linken, sondern nur eine Gesinnung: Patriotismus.

Dort kann es keinen hohen Rang, keine Vorzüge der Geburt geben. Alles lebt von Arbeit und Intelligenz. Der Ackerbau ist eine Wissenschaft so gut wie die Astronomie.

Und die Regierung? O, auch eine Regierung gibt es dort. Und sie verdient dort wirklich den Titel Vorsehung. Denn sie gibt sich nicht damit ab, ihre Untertanen zu Soldaten zu drillen, von ihnen Steuern einzuheben, ihnen in die Töpfe zu gucken und zu sehen, was sie kochen, sie mit einer Flut von Vorschriften und Reglements zu überströmen, sie in Gefängnissen zu überwachen, ihren Geist durch Schulen eine Richtung zu geben, sie zum Kirchenbesuch anzuhalten, sie zu beeidigen, zu quälen, zu verurteilen, ihre Städte mit amtlichen Nichtstuern anzufüllen, die Unruhe stiften und in der großen Anzahl ihrer Angebereien, Verhaftungen und Schreibereien ein Verdienst suchen, ein Volk mit den Söhnen des anderen in Schach zu halten, Befehle auszuteilen, wann man arbeiten und wann man rasten soll, wann man sich unterhalten darf und wann nicht, den Leuten ihr Getreide, ihre Seide, ihre Metalle gegen papierne Zettel abzuschwindeln. Nein, hier gibt sich die Regierung nicht mit solchen Dingen ab, sondern sie hält die meteorologischen Beobachtung des ganzen Weltteils in ihrer Hand. Sie verschafft sich Kenntnis von den Erscheinungen der Luft und des Magnetismus, begleitet den sich erhebenden Wind mit Aufmerksamkeit und setzt das ganze Reich von ihren Beobachtungen in Kenntnis; ihre Schlösser sind keine Festungen, sondern Observatorien, sie stützt sich nicht auf eine Staatsreligion, sondern auf die Wissenschaft. Was sie in ihren Händen konzentriert, das ist die Forschung, die Vervollkommnung der Erfindungen, die Benützung sämtlicher Beobachtung und die rasche Verbreitung der Entdeckungen. Das ist viel, und dies allein verlangt die Bevölkerung des Nordpols von ihrer Regierung.

Wenn aber die Regierung keine Steuern einhebt, wovon erhält sie ihren ganzen Organismus, wovon bezahlt sie ihre Gelehrten, die nicht hinter dem Pflug einhergehen können, woher nimmt sie die Kosten des ungeheuren Apparates, des ganzen meteorologischen Netzes, der Experimente, der Erfindungen, der Erziehungsanstalten, der Akademien? Die Sache ist ganz einfach, der Staat treibt Handel. Sein sind die Kommunikationsmittel, durch welche die Produkte des Weltteils von einem Ende zum andern befördert werden. Der Handel steht im Dienst des Staates. Auch in der diesseits des magnetischen Gürtels liegenden neuen Welt kennt man dieses Gewerbe und die Regierungen treiben es mit Vorteil (siehe das Tabakmonopol) – nur mit dem Unterschied, daß die Regierung des magnetischen Reiches nicht Peter den auf seinem Felde gewachsenen Tabak um zehn Gulden abkauft, um ihn demselben Peter nach einer Stunde um fünfzig Gulden zu verkaufen – sondern daß sie ein Produkt dorthin befördert, wo es nicht vorkommt und dabei so viel gewinnt, daß sie kein Defizit hat.

Außerdem besitzt der Staat alle Fabriken, Bergwerke, alle eine größere konzentrierte Kraft erheischenden Werkstätten, von diesen lebt er, wird er reich und mächtig, wie bei uns die Rothschilds, ohne eine Zivilliste zu beziehen.

Hier gibt es keinen Börsenschwindel, keinen Bankrott, keine Millionäre, deren überflüssiges Kapital die Tugend zur Ware, die Frauen verschwenderisch, die Männer lüstern macht; aber es gibt da auch keine Bettler. Millionär ist nur der Staat und arm sind nur die Minister.

Und wie mögen ihre Häuser beschaffen sein? Oder bauen sie überhaupt?

Und wie! Unsere Architektur wäre dort lächerlich. Wir schleppen hunderterlei Materialien zusammen, stellen zehnerlei Handwerker hin, flicken Holz, Steine, Eisen, Sand, Glas zusammen – und dann haben wir finstere Zimmer, durch welche der Wind pfeift, und wenn ein Haus ein Jahrhundert stehen bleibt, so sagt man, daß es sehr alt sei. Im Reich des Magnetismus ist dies ganz anders, dort baut man ganz anders. Kies gibt es dort genug, denn man verwendet ihn ja nicht zu Straßen, die Teich- und Meeresufer geben Soda genug. Daher ist das Glas dort allgemein. Durch das mächtige elektromagnetische Feuer werden Kies und Soda zu einer Glasmasse verschmolzen, und aus dieser wird binnen zwei Stunden ein Haus gemacht. Wie? Wer hat nicht in seiner Jugend mit einem Strohhalm und Seifenwasser gespielt? Wir steckten den Strohhalm in das Seifenwasser und bliesen hinein, und sogleich erhob sich eine Gruppe farbiger Blasen aus der flüssigen Masse, die aneinander hingen, und von welchen die größte in der Mitte war. – Die Nordpolbewohner machen es auch so; sie führen einen großen Blasapparat in die flüssige Glasmasse ein, und bald darauf erhebt sich das Haus mit runden Glaswänden, Glasdächern, rund herum kleine Zimmerchen, in der Mitte die große Kuppel, die wahrscheinlich der Speisesaal der Familie ist. Und das ganze Haus ist fertig, der Baumeister braucht nur von einem durchsichtigen Zimmer ins andere Türen einzuschneiden. Da paßt dann alles genau zueinander, die Wände sind nicht feucht, bedürfen keiner Ausbesserung, die Zimmer sind nicht finster und keinem Luftzug offen, die Häuser brennen nicht ab und dauern ewig. Der Hauptvorzug ist für die Bewohner des magnetischen Reiches, daß das Glas als Isolator den vom äußern Magnetismus aufgeregten Nerven Ruhe gewährt.

So baut man auf dem Lande, was jedoch nicht so viel sagen will wie »im Dorf«. Von einem Dorf kann hier nicht die Rede sein, denn Straßen und Gassen gibt es da nicht, jedes Menschen Haus steht abgesondert in seinem Garten, wie bei uns die Villen in zum Sommeraufenthalt gewählten Gegenden.

Aber die Bauten der Hauptstadt sind kolossal. Auch dort ist Glas das vorherrschende Baumaterial; denn die elektrischen Maschinen der Fabriken und Observatorien müssen gegen den Einfluß der äußeren Elektrizität isoliert bleiben, und die Wände der ungeheuren Gebäude sind mit einer vulkanisierten Glasur überzogen.

Die Mitte der Hauptstadt nimmt ein riesiges rundes Gebäude mit zweihundert Türmen ein; das ist der Bahnhof der elektrischen Kommunikation, die Türme sind die Häfen für die ankommenden und abgehenden Luftschiffe, welche zuweilen zu Hunderten aneinander geschlossen wie ein Schwarm riesiger Wildgänse den fernen Weg antreten, mit ihren im Takt sich bewegenden biegsamen Segelschwingen durch die Luft sausend, die nicht so treulos ist wie das Meer. Die Nordpolregion hat keine Stürme, dort weht kein Monsun, kein Passatwind, kein Tornado, da verursacht weder Sonnenhitze, stürmisches Hagelwetter, noch die Ueberfülle der Luftelektrizität einen Wirbelwind; hier bringen nicht die Fröste des eisigen Nordens den Nemere, die Burana hervor, noch erhebt sich aus der Glut einer afrikanischen Wüste der Samum; es herrscht Ordnung in der Luft, und menschliche Wissenschaft regelt den Wind. An anderen Stellen ragen kolossale Türme gegen Himmel, das sind die Observatorien; auf großen Plätzen befinden sich riesige Glasdächer, die auf Tausenden gegossenen Basaltsäulen ruhen. Basare, Magazine, allerlei wunderliche Gebäude, Meisterwerke enkaustischer Kunst in titanischem Maß. Die Glaskuppeln der ganzen riesigen Stadt glänzen zauberhaft in den Regenbogenstrahlen des ewigen Nordlichts.

Und aus was für einem Stoff sind die Kleider der Nordpolbewohner? Auch der ist dem Klima angepaßt. Dort gehen alle Menschen in Seide. Jeder Baum hat seine Sorte Raupen, die Seide von verschiedenen Arten spinnen, feine, grobe, von allen Farben; und die Seide wirkt beruhigend gegen den Reiz des Elektromagnetismus. Sie ist leicht und in solcher Menge zu haben, daß sie alles ersetzt, was bei uns durch Hanf, Flachs, Schafwolle und Baumwolle hergestellt wird, selbst Papier.

Also dort schreibt und druckt man auch? Man schreibt und druckt. Aber darüber sind sie längst hinaus, daß das, was ein Mensch schreibt, von zehn anderen buchstabenweise gesetzt werden muß; sie verstehen es direkt vom geschriebenen Blatt weg zu drucken.

Also haben sie auch Dichter, die Theaterstücke schreiben und Schauspieler, die sie aufführen? Auch das haben sie, aber die Schauspieler sind selbst die Dichter; sie sind über unsere Gepflogenheit hinaus, der gemäß ein Mensch ein Stück schreibt, und zehn andere es einstudieren und mit Hilfe des Souffleurs aufführen. Dort sagt der Direktor den Schauspielern die Fabel des Stückes, teilt jedem seine Rolle zu, und die Dichtung, das Drama entsteht vor den Augen des Zuschauers, nicht aus dem Munde des Souffleurs, sondern aus der Inspiration des dichtenden Schauspielers. Einstudierte Reden hält man dort nicht einmal auf dem Landtag.

Sind sie vielleicht auch Sänger? Und was für welche! Ihre Stimme hat einen Umfang von dritthalb Oktaven, ist metallen und klangvoll. Sie sind niemals heiser. Ihre Lieder sind voller Empfindung, ihr Gehör ist unfehlbar; und der Sänger ist hier auch zugleich Kompositeur, dem die Melodie von der Leidenschaft diktiert wird, nicht von den Noten. Ihre Glasinstrumente verleihen der Musik überirdischen Zauber.

Und wie weit müssen sie uns in der Wissenschaft der Weltkunde voraus sein! Während unsere Hüttenwerke bei unserem ohnmächtigen Kohlenfeuer nicht einmal einen solchen Refraktor herzustellen vermögen, welcher den nur fünfzigtausend Meilen entfernten Mond unserem Gesichtskreis so nahe brächte, daß man darauf Gegenstände von der Größe eines Menschen wahrnehmen könnte – haben sie mit dem einer unendlichen Steigerung fähigen elektrischen Feuer so riesige Vergrößerungsspiegel hergestellt, in welchen der Sirius so groß erscheint wie die Mittagssonne, die Sternnebelflecke sich in ein neues Weltsystem auflösen und die nächsten Planeten ihnen so nahe gerückt sind, als ob anstatt des Himmels eine neue Erdwölbung über ihnen schwebte. Und sie, welche in diesen riesigen Vergrößerungsspiegeln die benachbarten Planeten mit eben solchen menschlichen Gestalten bevölkert sehen wie wir sind, mit eben solchen Auen bedeckt wie die unsrigen, sie, die das Leben, welches wir hier begonnen haben, in den benachbarten Sternen je nach Verdienst und nach dem Grad der Vollkommenheit fortgesetzt sehen – brauchen sie Priester? brauchen sie eine Kirche, einen Glauben, eine Offenbarung?

Sie »glauben« nicht, daß es einen Gott gibt, eine unsterbliche Seele, ein Jenseits, ein ewiges Leben; sie »wissen«, daß es das alles gibt.

Braucht man dort Tugend, Fleiß, Treue, Güte zu »predigen«?

Nein. Am Nordpol gibt es keine Geistlichen.

Die Erde macht es ihnen ja selbst leicht, den Himmel zu verdienen.

So weit der Einfluß des Magnetismus reicht, erfüllt er nicht allein Himmel und Erde, sondern alles, was zwischen beiden wohnt, mit Wunderkraft. Auch das menschliche Herz ist von derselben durchdrungen.

Der vom Nordlicht erwärmte Mensch ist wahr und hält sein Wort, seine Heiterkeit ist von keinem Rausch getrübt, seine Leidenschaft hat nur eine Flamme ohne Ruß und Asche; er ist stolz auf seine Ehre, findet Wonne in der Arbeit, freut sich über die Wohlfahrt anderer, trauert mit den Trauernden, fühlt seinen Menschenwert, ehrt den, der ihm an Geist überlegen ist, er ist erregbar, nervös und darum mitteilsam; er kennt keinen anhaltenden Zorn, ist zum Scherz geneigt, geistreich, witzig, sucht seine verletzte Ehre nicht durch Rache herzustellen. Am Nordpol duelliert man nicht.

Schließlich liebt man am Nordpol wahrhaft. Wenn zwei Herzen sich gefunden haben, so fallen sie niemals voneinander ab, und nichts trennt sie jemals, nur der Tod. Wer von zwei Liebenden früher stirbt, der schwebt nicht fort in einen andern Stern, um ohne den andern neu geboren zu werden; er umschwebt ihn, lebt in seinem Herzen fort und wartet, bis auch der andere stirbt und sie miteinander in das gemeinschaftliche Vaterland entschweben können. Das ist die Liebe der Nordpolmenschen.

Dort gibt es weder Untreue noch die Verfassung der Untreue: die Mode. Niemand wünscht für jemand andern schön zu sein als für den Gegenstand seiner Liebe.

Die Nordpolmenschen leben daher lange, weil sie lange glücklich sind. Krankheiten, Epidemien richten unter ihnen keine Verheerungen an. Dort kann die Erde nicht krank sein wie bei uns in der Cholera, die Luft nicht ansteckend wie bei uns, wenn der Typhus herrscht; es gibt keine Erkältung, weil es keinen plötzlichen Wetterwechsel gibt; die Menschen sterben, wenn sie schon sehr alt sind. Diesen Vorzug haben ja auch die Vögel und Tiere des Waldes, daß sie niemals krank sind, sie leben, bis ihre Zeit um ist. Das Register der Krankheiten haben die Menschen unserer Welt durch eigne Schuld verlängert und vererbt.

Also dort ist auch kein Arzt.

Das Alter ist auch nicht so wie bei uns; Leidenschaft, Elend, Schmerzen, ausschweifende Genüsse sind unbekannte Dinge, und daher werden die Gesichter nicht so durchfurcht, die Haare nicht so gebleicht wie bei uns. Das Leben erlischt wie die Lampe, wenn das Oel aufgezehrt ist.

Aber wenn die Menschen so lange leben, wenn weder Seuchen noch Kriege ihre Zahl vermindern, werden ihrer nicht zu viel in dem abgegrenzten Raum?

Darauf ist erstens zu bemerken, daß ein edles Geschlecht nicht fruchtbar ist, ferner daß jener Weltteil sich immer mehr ausdehnt.

In dem Maße, in welchem die Oberfläche der Erde auskühlt, wächst die Ausstrahlung des Magnetismus, und durch diese Ausstrahlung zerschmilzt der den Nordpol umgebende Eisgürtel immer mehr.

Dieser Eisgürtel wird immer weiter, seine Ufer werden durch das warme Meer am Nordpol immer mehr ausgewaschen, und diese warme Flut weicht immer weiter zurück und überläßt dem magnetischen Reich immer mehr festes Land, das in Besitz genommen, bepflanzt, bevölkert wird.

Und der vorwärts gedrängte Eisgürtel nähert sich immer mehr den Zonen der bekannten Welt und drängt diese näher aneinander. Unser Boden sinkt immer tiefer. Mittelasien steht schon tief unter dem Niveau des stillen Ozeans, nur seine steilen Ufer bewahren es, und es ist berechnet, daß nach zehntausend Jahren die letzten Berge Frankreichs als Inseln aus dem Mittelmeer hervorragen werden.

Die unvollkommenen Menschengeschlechter der bekannten Welt werden sich immer mehr in der warmen Zone zusammendrängen, und wenn sie dann um das letzte Stück Erde kämpfen, werden sie sich gegenseitig vernichten.

Als Franklin, Kane, Makintosh, Kennedy und die übrigen kühnen Seefahrer ausgingen, um über den Eisgürtel in den geahnten, bewiesenen neuen Weltteil zu dringen, berechneten sie, daß der doppelte Eisgürtel uns, die dazwischen eingeklemmte, unvollkommene Menschheit, einst zusammenpressen und von der Erde wegdrängen werde, wie einst eine andere Katastrophe die Welt der Mammuts weggedrängt hat. Wir aber sind nicht imstande über den Eisgürtel hinweg in das magnetische Reich zu dringen.

Wissen die dortigen Bewohner etwas von uns?

Ich glaube, ja.

Wieso denn, wenn sie nie zu uns kommen?

Wieder durch den Elektromagnetismus.

Wenn vor dreißig Jahren jemand gesagt hätte, es werde eine Zeit kommen, in der man die Thronrede, welche die Königin von England mittags um zwölf Uhr in London hält, nachmittags um zwei Uhr von Wort zu Wort in Pest, St. Petersburg, Konstantinopel, und noch an demselben Tage jenseits des Ozeans, in Amerika, lesen werde, so hätte man ihm gesagt: »Du bist ein Poet!«

Und wenn jemand vor zwanzig Jahren gesagt hätte, es werde einen Apparat geben, in welchen man ein Kunstwerk hineinlegt, an dem Benvenuto Cellini ein halbes Jahr gearbeitet hat, und nach kurzer Zeit werde man aus dem Apparat eine Kopie herausnehmen, die dem Original so ähnlich sein wird, daß man beide nicht wird voneinander unterscheiden können – so hätte man darauf gesagt: »Du bist ein Pfuscher.«

Und das alles existiert heute. Der Elektromagnetismus verrichtet diese Wunder.

Wäre es nun nicht möglich, daß der Elektromagnetismus nach tausendjähriger Vervollkommnung in einem von seiner Kraft durchdrungenen menschlichen Gehirn dasselbe Wunder hervorbringe, welches er an Kupfer und Zink verrichtet, daß nämlich der Elektromagnetismus das Bewußtsein selbst von einem Weltteil in den andern befördern und im menschlichen Gehirn eine galvanoplastische Nachbildung zustande bringe?

»Du bist ein Poet!« – »Du bist ein Pfuscher!« Rufen Sie es nur, meine Herren und Damen. Wenn nun unsere Verwandten höherer Art uns so gut kennen, warum kommen sie nicht zu uns? Sie hindert ja der Eisgürtel nicht, sie können ja fliegen. Warum fliegen sie nicht hierher, warum bringen sie uns nicht unter ihre Botmäßigkeit?

Weil sie uns nicht brauchen können.

Was sollten sie mit uns machen? Was sollen sie mit unserem vergifteten Blut, das den Keim unserer Krankheiten in sich trägt, mit unseren verkehrten Begriffen, unserem widerlichen Rassenhaß, unserem gierigen Geldgeiz, unserer egoistischen Liebe, mit unserem lächerlichen Hochmut, unseren wahnsinnigen Moden, mit dem Fanatismus unserer mythologischen Glaubenslehren, mit dem Babel unserer Sprachverschiedenheiten, mit den Millionen privilegierter Mörder, unserer in Waffen stehenden Völker, mit unserem zähneklappernden Elend, unserem verschwenderischen Reichtum, mit unserem unwissenden Volk, unseren dünkelhaften Gelehrten, mit unseren blutigen Mahlzeiten, unseren betäubenden Getränken, mit unserem eitlen Ehrgeiz, mit unseren Streitigkeiten über »Mein und Dein«, mit unseren ungerechten Gesetzen, unseren parteiischen Richtern, mit unserer schwelgenden Jugend und unserem gichtgeplagten Alter, mit unserer tierquälerischen Landwirtschaft und unserer menschenquälenden Gerechtigkeit, mit unseren Gefängnissen, Galgen, um Geld erkauften Genüssen, falschhaarigen Modeschönheiten, mit unseren Geistlichen und Aerzten, mit unseren Advokaten und Generälen, mit unseren Zeitungsschreibern und Ministern, mit unseren Königen und Sklaven anfangen? Denn das sind ja unsere Vollkommenheiten!

Wozu könnten sie uns benützen?!

Wenn sie etwas von uns wissen, so bemitleiden sie uns und lassen in stiller Beschaulichkeit unser Geschick sich erfüllen.

Ihrer ist die Zukunft.

Das Reich des Nordpols dehnt sich immer mehr aus; der Glanz, die Wärme des Nordpols beleuchtet und erwärmt einen immer größeren Raum; die Eisgürtel des Nordpols und des Südpols weichen immer mehr von den Polen zurück. Die Erde erkaltet immer mehr, und die durchschnittliche Temperatur des Sommers nähert sich immer mehr dem Gefrierpunkt.

Einmal wird sie ihn erreichen. Die Steinkohle geht aus, die Wälder sind ausgerottet, kein künstliches Feuer gibt mehr Wärme.

Aber in demselben Maße, in welchem ihre inneren Schichten auskühlen, nimmt die elektromagnetische Kraft der Erde zu, und wenn die Stiefmutter, die Sonne, sie verläßt, die auch bis dahin sie so schlecht behandelt hat, dann wird sie in ihrem eignen Glanz strahlen, ringsum sich den Himmel mit ihrem Strahlenkranz umsäumen und die Atmosphäre über ewig glücklichen Völkern erwärmen, und dann ist die Menschheit: »eine Herde – die keines Hirten bedarf.«

Anmerkung.

Hier teilen wir die Uebersetzung der bei den Orgien in der Gruft des Schlosses Bondaváry aufgeführten Vesperparodie mit, wobei wir bemerken, daß der Text nicht vom Verfasser des Romans geschrieben, sondern einer alten Ueberlieferung entnommen ist.

Eine Stimme:

»Bacchus rüste dich zum Einschenken!«

Andere Stimme:

»Und eile zum Trinken!«

»Ruhm sei Bacchus und seinem Sohne dem Bier, und dem Weingeist, der in Bacchus geboren ist, jetzt und durch alle Becher. Stramen (Stroh)!«

Antiphonie:

»Gebet uns von eurem Bier,
Denn unsere Kehlen dürsten.«

Psalm:

»Es sprach der Bruder zum Bruder sein:
Sollten zwei Becher zu viel denn sein?
Zwei, drei, ja fünf der Becher
Genügen nicht mir durstigem Zecher.
Gesegnet sei Bacchus in der Beere,
Daß uns der Durst nicht grausam verzehre
Ich will trinken von Früh bis Nacht,
Mein Geld sei lustig durchgebracht.
Wer nicht trinkt, bis er niederfällt,
Sei nicht als Bruder uns zugesellt.
Wir trinken schon in aller Früh
Und trinken auch mittags noch dazu,
Um Bacchus angenehm zu sein.
Man nennt uns Saufbrüderlein,
Die Tag und Nacht sich schenken ein;
Drum, wer zu uns will kommen,
Dem muß, wie uns, das Zechen frommen.
Ruhm sei Bacchus!«

Kapitulum:

»Brüder, horchet auf und beeilet euch; wenn ihr aus der Schenke nach Hause kommt, so untersuchet alle Krüge, und was darin ist, trinket aus. Und das tut durch alle Becher. Stramen!«

Chor:

»Bacchus, der uns den Trunk gesandt,
Der Gott des Trinkens bis du genannt;
Bescheere uns in deiner Gnade
Zu trinken auf jedem Pfade,
Und trinkend zu allen Zeiten,
Wollen wir dein Lob verbreiten.
Ruhm sei dir, Bacchus!«

Stimme des Priesters:

»Bacchus mit euch!«

Chor:

»Und mit deinem Humpen.«

Oratio:

»Fressen wir! – Brechmächtiger Bacchus! Der du unseren Bund dir zu Ehre zu errichten gestattetest, gewähre, wir bitten dich, daß unser Bund, frei von jeder Verfolgung mit tapferen Zechern vermehrt werde. – Durch alle Becher. Stramen!



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