Maurus Jókai
Schwarze Diamanten
Maurus Jókai

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Die beiden Anbeter

Am andern Tage um elf Uhr lud Abt Samuel seine Getreuen wieder in Fiaker und führte sie zur letzten Instanz, zu der einflußreichen Dame, von der ein Wort bei der maßgebenden Exzellenz mehr gilt als die noch so wohlgesetzten Reden aller Geistlichen und Oratoren.

Die Wagen hielten vor einem prächtigen Palais. Ein Portier in einem langen scharlachroten Rock und mit einer Bärenpelzmütze zog vor ihnen die Glocke, und zwischen einer doppelten Marmorsäulenreihe schritten sie zur Treppe. Auch diese war aus Marmor und mit doppelten Teppichen belegt. Wie glücklich wäre der Schulmeister zu Hause, wenn er ein Stück dieses schönen dicken Kotzens zu einem Winterrock bekäme!

Auf den Brustlehnen der Treppe sind so schöne Statuen aufgestellt, daß die armen Leute diesen fast die Hand küssen möchten.

Das ganze mit Glas gedeckte Treppenhaus ist geheizt, damit die schönen Blumen in den kostbaren Porzellangeschirren keinen Frost leiden.

Im Vorzimmer empfangen Diener mit silbernen Achselbändern die Aufwartenden, denen der Atem stockt, als sie in den Empfangssalon eingelassen werden.

Hier ist keine Wand zu sehen; die Wände sind alle mit kostbarer geblümter Seide überzogen, die Vorhänge werden von reich vergoldeten Spangen zusammengehalten und über die Seidentapeten sind prächtige Gemälde in vergoldeten Rahmen aufgehängt. Der obere Teil der Fenster besteht aus Glasgemälden, wie in reichen Kirchen, und den Fenstern gegenüber befindet sich ein großer Kamin aus weißem Marmor, auf dessen Gesimse eine wunderbare Uhr mit einer zauberhaften beweglichen Figur auf dem Gehäuse ihr regelmäßiges Ticken hören läßt. Die Möbel sind aus Mahagoniholz; vom Plafond, auf welchen hinaufzuschauen es eine Pracht ist, so schöne vergoldete Fresken sind dort hingemalt, hängt ein hundertarmiger Lüster mit Tausenden von gläsernen Prismen herab. Was muß das für ein Glanz sein, wenn da alle Kerzen angezündet werden.

Die guten Bondataler hatten noch kaum Zeit gehabt, sich recht umzusehen, als aus dem andern Salon ein Herr in einem feinen schwarzen Frack und in weißer Krawatte herauskam, der wenn nicht der gnädige Herr selbst, so doch wenigstens der Kammerdiener ist; dieser sagte den Herrschaften, sie mögen in den andern Salon eintreten, die gnädige Frau sei bereit, sie zu empfangen.

Eine Tür war da in keinem Zimmer, nur Vorhänge aus schwerem Damast, wie der, aus welchem zu Hause die Kirchenfahnen gemacht sind.

Der zweite Salon war noch wunderbarer. Die Wände sind mit taubengrauer Seide tapeziert, die vom Plafond bis zum Fußboden herabreichenden Spiegel in blumige Porzellanrahmen gefaßt, und zwischen den Spiegeln stehen auf geschnitzten Konsolen weiße Marmorstatuetten, tanzende Nymphen darstellend; der Estrich ist mit weichen Teppichen belegt, worauf man wie auf weichem Rasen wandelt; der Kamin ist aus schwarzem Marmor und mit einem silbernen Gitter versehen; die Möbel sind nach dem Versailler Muster, Stühle und Tische aus Sevresporzellan, die Armlehnen und Füße derselben mit zarten Blumengewinden und reizenden Frauenköpfen geschmückt, jedes Stück ein Meisterwerk; und auf den Mittel- und Seitentischen stehen bunte japanische Vasen von den verschiedensten Formen. In einer der Fensternischen steht ein Aquarium mit wunderbaren Seegewächsen und Goldfischen.

Aber die armen Dorfbewohner sahen das nicht auf einen Blick, denn wegen der vielen Spiegel glaubten sie, daß noch drei andere Deputationen in Szürs mit ebenso vielen, mit dem goldenen Kreuz geschmückten Herren Aebten von den drei anderen Seiten in den Saal hereingedrungen seien.

Was jedoch die Verwunderung eines jeden einzelnen besonders auf sich zog, das war die ihnen entgegenkommende Frau des Hauses.

Es war eine phänomenale Schönheit. Ihr bis zum Hals hinauf geschlossenes violettes Seidenkleid war mit kostbaren Spitzen aufgeputzt, ihr reiches, schwarzes Haar floß in Locken auf ihren Nacken und ihre Schultern nieder; ihr Gesicht war so schön, so hinreißend, so würdevoll, daß es unmöglich war ihren Blick auszuhalten.

Aber Peter Saffran erkannte sie dennoch auch hier. Wieder sie! Auch hier sie! Seht, mit welchem ehrfurchtsvollen Bückling der Abt sich ihr nähert, wie er sich vor ihr verbeugt, mit wie ernster Miene er seine zierlich gesetzte Rede hersagt, in welcher er die Angelegenheit der Bondataler Bevölkerung dem Schutz der gnädigen Frau empfiehlt. Die gnädige Frau antwortet hierauf huldvoll und verspricht jede Intervention, die ihr nur möglich sein werde; an Eifer werde sie es nicht fehlen lassen. Zuletzt fügte sie hinzu: »Ich bin ja selbst ein Kind des Bondatales.«

Bei diesem Wort warf die Halinadeputation einen fragenden Blick auf sie und antwortete sich dann in Gedanken selbst: Gewiß ist sie die Tochter oder die Frau eines der Bondavárer Magnaten.

Nur Saffran dachte bei sich: Also, was bist du denn? Gestern abend hast du in einem Wolkenkleide gesungen, Sprünge gemacht, Possen getrieben, deine Schönheiten dem unzüchtigen, städtischen Gesindel gezeigt, das sogar mit Fernrohren auf dich schaut, während es den Hut vor die Augen halten sollte, um dich nicht zu sehen; heute empfängst du Deputationen, hörst eine ernste Bitte an und versprichst dem bittenden geistlichen Herrn deine Protektion. War das ernst, was du gestern spieltest? Oder ist das auch nur eine Komödie, die du jetzt mit dem Geistlichen und mit uns spielst?

Bei diesem Zweifel fielen Saffran die wilden Menschen auf den Fidschi-Inseln ein, die er, als er dort war, wegen ihrer Unwissenheit auslachte. Wie staunten die Wilden, als sie sahen, daß der weiße Mann die Haut von seiner Hand herabzieht und darunter noch eine andere Haut hat.

Ebenso dumm fühlte Saffran sich selbst.

Nur daß hier von der ganzen Haut die Rede ist.

Der Herr Abt, der allem Anschein nach mit dem Resultat der Mission sehr zufrieden war, gab den hinter ihm Stehenden ein Zeichen, hinauszugehen, und verbeugte sich ehrfurchtsvoll vor der Dame.

Die Dame flüsterte in diesem Augenblick dem Abt etwas zu und blieb zurück.

Der Abt ergriff Peter Saffran an der Hand und sagte ihm leise: »Hu, Peter, bleibe hier. Die gnädige Frau will mit dir ein paar Worte sprechen.«

Saffran glaubte, daß ihm das Blut zum Kopf herausschieße. Schwindelnd wandte er sich von der Tapetentür wieder um.

Eveline eilte auf ihn zu, nachdem die übrigen sich entfernt hatten. Sie hatte nicht mehr den ärgerlichen Handschuh an, Saffran konnte den Samt ihrer Hand fühlen, als sie ihm die rauhe Hand drückte, er konnte wieder ihre Stimme hören, die er so oft gehört hatte, die Stimme, mit der sie so mutwillig, so gemütlich plaudern konnte.

»Na, Peter! sagst du mir nicht einmal guten Tag?« sprach Eveline und puffte dem Staunenden zwei-, dreimal in den Rücken. »Bist du noch böse auf mich, Peter? Geh, sei nicht böse. Bleib bei mir zum Essen; dann trinken wir auf unsere Aussöhnung.«

Hiermit schlang sie ihren Arm in Peters Arm, tätschelte ihm die Wange mit dem feinen Händchen, dem man nicht ansah, daß es je von Arbeit rauh gewesen sei.

* * *

Eveline pflegte es ihrem Versprechen gemäß dem Fürsten Theobald stets zu sagen, wenn sie jemanden in ihrem Salon empfangen wollte.

Der Fürst sagte ihr dann immer, ob er etwas dagegen einzuwenden habe oder nicht.

Es gibt ja wahre Verehrer der Kunst und honette Gentlemen (wenigstens kann es deren geben), welche eine Dame, die nicht im Hause ihres Mannes wohnt, ohne Aussicht auf spätere Gefahr in ihrem Salon empfangen kann.

Der Fürst war selbst ein Freund heiterer Gesellschaft, und wenn sie nach seinem Geschmack zusammengesetzt war, so unterhielt er sich gut, wobei Eveline die Honneurs machte.

Für diesen Tag hatte Eveline dem Fürsten zwei Besuche angezeigt, die sie empfangen wollte.

Der eine war Peter Saffran.

Der Fürst lächelte.

»Gut. Armer Junge! Bewirten Sie ihn. Das wird ihm wohltun.«

Der ist nicht gefährlich.

Der andre ist die maßgebende Exzellenz.

Da warf der Fürst schon den Kopf auf.

»Wieso kommt Se. Exzellenz zu Ihnen?«

»Ist er vielleicht ein Weiberfeind?«

»Im Gegenteil! Se. Exzellenz ist ein großer Schelm, er zeigt es nur nicht gern öffentlich. Große Männer, welche das Rad des Schicksals drehen, dürfen solche Schwächen besitzen, aber sie dürfen es nicht verraten. Ein so hoher Herr kann sich nicht ohne jeden Vorwand in den Salon einer schönen Künstlerin einführen lassen wie ein Habitué des Jockeyklubs.«

»Er hat aber einen Vorwand. Ich habe ihn ja um das Rendezvous gebeten.«

»Sie haben es von ihm verlangt?«

»Das heißt, ich habe ihn gebeten, mir sagen zu lassen, wann er mich zur Audienz empfangen könne; und er ließ mir durch seinen Sekretär sagen, daß er lieber zu mir kommen werde.«

»Und was wollen Sie mit dieser Audienz?«

»Felix hat es befohlen.«

»So? Herr Kaulman? Und weshalb?«

»Wegen der Unterzeichnung dieses Dokuments.«

Eveline zeigte dem Fürsten eine zusammengefaltete Schrift.

Der Fürst blickte hinein und schüttelte staunend den Kopf.

»Und Se. Exzellenz weiß, daß Sie mit ihm von diesem Gegenstand sprechen wollen?«

»Kein Wort!« erwiderte Eveline mit schallendem Gelächter. »Als er sich durch seinen Sekretär bei mir erkundigen ließ, in welcher Angelegenheit ich mit ihm sprechen wolle, sagte ich, in Angelegenheit meines Engagements bei der Oper. Hierauf ließ er mir sogleich zurücksagen, daß er kommen werde. Von diesem Gegenstand, der hier in meiner Hand ist, weiß er nichts.«

»Hat Ihnen Kaulman diesen Rat gegeben?«

»Ja!«

»Gut. Herr Kaulman ist ein raffinierter Betrüger. Aber deshalb tun Sie nur, was er gesagt hat. Herr Kaulman täuscht sich, wenn er glaubt, daß man ein so großes Wild mit einem solchen Seidennetz fangen könne. Nun, nehmen Sie den hohen Besuch nur an. Jetzt erweckt Se. Exzellenz in mir keine Eifersucht mehr, wohl aber fürchte ich, daß Sie mit dieser Schrift nicht reüssieren werden.«

* * *

Also Eveline steckte ihre schöne weiße Hand unter Peter Saffrans Arm und führte ihn in ein anderes Zimmer, in dem viel Silber zu sehen war, und von da durch eine verschließbare Tür in ein viertes Zimmer, dessen Wände anstatt mit Tapeten mit künstlerisch geschnitztem Holzgetäfel bedeckt waren. Am Plafond sah man die kunstreich geschnitzten hölzernen Tragbalken, von denen spitze Muscheln herabhingen; die Fenstervorhänge wurden von geflügelten Amoretten zusammengehalten, die aus gleichem Holz wie das des Wandgetäfels geschnitzt waren; die Möbel sind Meisterwerke von antiker Form, mit klassischen Karyatiden – Wunder der Skulptur; die Uhr ist eine zweihundert Jahre alte Antiquität mit einem durchbrochenen Gehäuse, mit Sonne, Mond und Sternen. Der Düsterkeit, welche das Zimmer durch das Holzgetäfel erhält, wirken die in die Wände eingefügten, Landschaften darstellenden runden Porzellangemälde, erheiternd entgegen; auch die drei Fenster zeigen solche Landschaften, nur daß diese durchsichtig sind, und ein viertes Fenster mit einem Rahmen, der ebenso rund ist wie die Landschaftsgemälde, geht in den anstoßenden Garten hinaus; wer da durchsieht, glaubt eine japanesische blühende Flur voller Kamelien, Azaleen und Hortensien zu erblicken. Vom Gebälk hängt anstatt des Lüsters ein Blumengefäß herab, und von diesem laufen lebende Schlingpflanzen zu den Balken hinauf, von wo sie wieder herabhängen, und die phantastischen Rokokofiguren, mit denen die Balken verziert sind, Menschengestalten mit Hörnern und einem Fischschwanz, mit ihren grünen Blättern und roten Blütendolden kreuz und quer umschlingen.

Hier ließ Eveline Peter Saffran auf einem Diwan vor dem Tisch Platz nehmen. Sie selbst setzte sich neben ihm auf einen Fauteuil.

Niemand war im Zimmer, nur die beiden.

»Sieh, Peter!« sprach Eveline, ihre Hand auf den Arm des in grobes Halinatuch gekleideten Mannes legend. »Gott hat es so gewollt, daß ich damals von dir scheiden mußte. Es fiel mir schwer, das kannst du mir glauben, denn wir waren schon dreimal verkündigt. Aber du hättest mein armes Brüderchen nicht beleidigen sollen. Auch mich hast du geschlagen. Gut, davon sprechen wir nicht. Es hat mir nicht weh getan; ich war deshalb nicht böse auf dich. Du weißt auch nicht, daß ich dir, als du nicht zurückkamst, nachgegangen bin, daß ich dich in der Nacht im finstern Walde bis zur Waldschenke gesucht habe. Dort habe ich dich am Fenster belauscht. Ich habe gesehen, daß du mit der Czifra Manczi getanzt hast. Du hast sie auch geküßt. Damals war ich böse auf dich.«

Peter knirschte mit den Zähnen. Er fühlte sich gefangen, gebunden. Jetzt ist er der Schuldige. Er kann sich gar nicht verteidigen. Er kann nicht sagen, daß das, was dem Manne gestattet ist, der Frau nicht erlaubt sei! Wenn bei ihm zu Hause eine Frau einem Manne wegen derartiger Dinge Vorwürfe macht, so weiß dieser darauf zu antworten; er gibt ihr eine tüchtige Tracht Schläge, das ist die Antwort. Aber wie kann er eine so vornehme Frau widerlegen, die er nicht am Haar packen und so lange daran herumzerren kann, bis sie zugesteht, daß sie nicht recht habe?

»Na, aber darüber sind wir nun hinaus,« fuhr Eveline heiter plaudernd fort. »Sieh, Gott hat die Sache zum Guten gewendet. Du hättest in ewigem Unfrieden mit mir gelebt, denn ich widerspreche gern, ich bin trotzig und eifersüchtig, und jetzt kannst du tun, was du willst. Und wie gut es mir geht, das siehst du. Ich kann so vielen Menschen Gutes tun; jeden Tag bekommen zwanzig arme Leute in meinem Hause zu essen. Vielen Leuten helfe ich damit, daß ich bei großen Herren ein gutes Wort für sie einlege. Eurem ganzen Tal kann ich eine Wohltäterin sein. Ich kann Dinge zuwege bringen, daß Tausende und Tausende mich dafür segnen müssen. Ist es nicht gut, daß es so ist?«

Eveline erwartete eine Antwort. Peter Saffran sah ein, er müsse zeigen, daß er nicht stumm geworden sei.

»Und all dieser große Reichtum kommt von der Bondavárer Steinkohle her?«

Eveline wurde purpurrot. Was sollte sie auf diese Frage antworten?

»Nicht ganz. Auch ich erwerbe mit meiner Kunst. Für jedes Auftreten auf der Bühne bekomme ich fünfhundert Gulden.«

Fünfhundert Gulden! dachte Peter bei sich, das ist wirklich ein schönes Geld. Das erklärt schon viel. Für dieses Geld könnte die Weibsperson aber etwas mehr Kleidung tragen; freilich das Residenzvolk liebt das wohl nicht! Das ist also doch eine Arbeit, und trägt auch mehr ein als das Kohlentragen. Auch dabei muß sie sich aufschürzen. Aber endlich ist das auch eine rechtschaffene Arbeit!

Peter Saffran fing an sich erleichtert zu fühlen.

»Na, mach' kein so böses Gesicht,« sprach Eveline beschwichtigend. »Wenn du nach Hause kommst, so sage den Leuten, daß du mit mir gesprochen hast, daß wir beisammen gewesen sind. Wenn jemanden zu Hause bei euch ein Unglück betroffen hat, so schreibt mir nur eine Zeile; wenn es nur irgendwie in meinen Kräften steht, so helfe ich gleich. Du aber heirate, wenn du es noch nicht getan hast; da ist die Panna, ein schönes, braves Mädchen, sie war eine gute Freundin von mir; oder die Anicza, sie ist dir immer nachgegangen und wird eine gute Ehefrau sein. Nur die Manczi nimm nicht, ich bitte dich darum, mit der wärest du nicht glücklich. Und für den Fall, daß du heiratest, gebe ich dir da als Brautgeschenk für deine künftige Braut ein Paar Ohrgehänge, eine Halskette und eine Brosche; und dir gebe ich diese Uhr zum Andenken; auf den Deckel ist, wie du siehst, mein Bild gemalt. Gedenket meiner, wenn ihr glücklich seid.«

Als Eveline dies sprach und die Geschenke in Peters Taschen stopfte, gingen ihr die Augen über und ihre Lippen zuckten krampfhaft; Peter entnahm daraus, daß sie bei all diesem Glanz nicht glücklich sei.

Ein Gedanke begann das Eis von seinem Herzen zu schmelzen. Er dachte nicht an die erhaltenen Kostbarkeiten, an die Brautgeschenke; – von diesen wird keine Braut etwas erhalten. Ob sie aus Gold sind oder aus Blei wären, das ist alles eins – niemand wird sie zu Gesicht bekommen. Er dachte, daß alles in Gottes Namen so sein möge, wie es ist.

Saffran pflegte wenig laut zu sprechen, für sich sprach er um so mehr.

»Du hast ein gutes Herz, du bist freigebig. Du teilst das Gold mit vollen Händen aus. Wenn du wolltest, daß ich dich segnen soll, so brauchtest du dazu kein Gold. Du könntest mir einen Kuß geben. Was ist dir ein Kuß? Ein Almosen. Ein Kuß von so vielen, die du im Vorrat hast, und von welchen du auf der Bühne selbst dem Komödianten mit dem bemalten Gesicht gibst!«

Armer Narr! Er wußte nicht, daß die Küsse, die man auf der Bühne gibt, nur kaschierte Küsse sind, so wie die Torte, von der man dort ißt, nur eine kaschierte Torte ist.

Peter glaubte, daß durch diesen einen Kuß all sein Durst, all sein Hunger beschwichtigt würde. Und er hatte einen schrecklichen Appetit nach Menschenfleisch. Alle diejenigen, die ihm Toaste ins Gesicht ausbrachten, hinter ihm kicherten, mit ihren Schätzen prahlten, ihre Vorzüge herausstrichen, mit ihrem Ruhm paradierten, und alle, die bei den Reden derselben einschliefen, alle, welche Eveline im Theater begafften, den Geistlichen, der ihn und seine Gefährten hierher gebracht hat, seine Gefährten, die mit offenen Mäulern das neue Tor anstaunen – alle hätte er mit seinen Zähnen zermalmen mögen! So brannte in ihm der Blutdurst.

Alle diese Pein würde durch einen Kuß verschwinden.

Wir sind allein, wir waren einmal ein Liebespaar, was wäre daran Unmögliches? dachte er im stillen.

Aber er wußte nicht, wie er es anfangen, wie er es sagen sollte.

»Und jetzt werden wir zusammen essen, Peter!« sagte die Dame freundlich. »Ich kann mir denken, daß du das viele feine Gesudel, womit man euch in Wien alle Tage traktiert, satt bekommen hast. Nun warte, heute will ich für dich kochen – deine Lieblingsspeise, für die du mich so oft gelobt hast; du hast gesagt, niemand könne sie so gut bereiten wie ich. Ich werde dir Heidebrei machen.«

Peter Saffran war elektrisiert, ein Lächeln zuckte über sein Gesicht; – ob beim Nennen seiner Lieblingsspeise oder bei dem Gedanken, daß die gnädige Frau diese noch jetzt bereiten kann?

Aber wie wird sie es anfangen? Hier ist ja kein Herd, kein Kessel!

»Gleich wird alles dasein,« sprach Eveline mit kindischer Lebhaftigkeit; »ich will nur ein anderes Kleid nehmen, in diesem da kann ich nicht kochen.«

Hiermit entschlüpfte sie durch eine Tür, und nach zwei Minuten kam sie umgekleidet wieder heraus. (Die Schauspielerinnen müssen es ja verstehen, sich rasch umzukleiden.) Sie hatte ein weißes gesticktes Hauskleid an und eine Spitzenhaube auf dem Kopf.

Sie rief keine Magd herbei, sie selbst breitete das Tischtuch über den Eichentisch; dann stellte sie einen silbernen Kessel mit Wasser auf, unter dem in einem gleichfalls silbernen Gefäß Weingeist brannte; dann schürzte sie die weiten Aermel ihres Hauskleides bis zu den Ellbogen auf und schüttete mit ihrer zarten Hand das braune Heidemehl in das siedende Wasser, worauf sie mit einem großen silbernen Löffel die Mischung fleißig umrührte, bis diese dick wurde; dann ergriff sie den silbernen Kessel an den Henkeln, wendete ihn um und schüttete den kostbaren Brei in eine glasierte Tonschüssel – ja, in eine Tonschüssel, goß warme Sahne darauf und brachte zwei hölzerne Löffel herbei; einen gab sie Peter, den andern behielt sie selbst.

»Essen wir aus einer Schüssel, Peter!«

Und sie aßen Heidebrei aus einer Schüssel mit hölzernen Löffeln.

Peter bemerkte, daß ihm aus dem Auge etwas Heißes auf die Hand getropft sei. Vielleicht eine Träne!

Der Heidebrei war aber auch gar zu gut. Alle Köche der ganzen Stadt Wien zusammen könnten ihn nicht so gut bereiten.

Wein war nicht auf dem Tische, auch ein Glas war nicht da. Dorfleute trinken nicht während des Essens.

Aber nachdem sie genug gegessen hatten, holte Eveline einen Tonkrug herbei und bot Peter zu trinken an, nachdem sie vorher der Sitte gemäß einen Schluck daraus genommen hatte.

»Trink, Peter, du trinkst das gern!«

Es war Met im Krug, Peters Lieblingsgetränk, ein unschuldiges Abkühlungsmittel. Peter glaubte, es sei seine Pflicht, den Krug bis zum letzten Tropfen zu leeren.

Die ganze Hölle, die in seiner Brust flammte, löschte er damit aus.

Ja! So wird es sein! sagte er bei sich. Ich gehe in die Kirche zurück, wo ich das schreckliche Gelübde getan habe; ich erbete mir vom Heiligen den Eid zurück, den ich ihm geschworen habe. Ich will niemand etwas zuleid tun, ich will keine Rache nehmen. Möge das schöne Gras auf dem Felde weiter grünen! Du aber strahle weiter in Gold, in Silber, im Lächeln großer Herren; ich zürne dir nicht mehr. Für den Tag, an dem du mich hier empfangen hast, vergesse ich den Tag, an dem du mich verlassen hast. Aber gib mir jetzt einen Kuß, damit ich von nun an mich an nichts erinnere, als an diesen Kuß!

Das Gesicht der Dame strahlte so freundlich, ihre Lippen waren so rot, so einschmeichelnd, ihre Augen so schmachtend – sie war in dem weißen gestickten Kleide wie das liebende Verlangen selbst; und Peter wußte dennoch nicht, wie er es anfangen sollte, ihr das große Wort zu sagen: »Gib deinem verschmähten Bräutigam zum ersten und zum letzten Male einen Kuß!«

Und so lange dachte er darüber nach, wie er seinen Wunsch vorbringen solle, bis plötzlich die Tür rasch geöffnet wurde und ein Diener mit der Nachricht hereinstürzte, daß Se. Exzellenz dasei.

Na, jetzt, Peter, Gott mit dir! Eile von hier fort, du bekommst keinen Kuß mehr. Die gnädige Frau kann dich nicht hinausbegleiten, denn sie muß eilen, sich wieder umzukleiden. Der Kammerdiener schiebt dich durch die geheime Tür hinaus, dort führt dich ein Bedienter über die rückwärtige Treppe hinab, entläßt dich durch das kleine Tor in eine unbekannte Gasse, in welcher du noch niemals gewesen bist; bis du dich von dort nach Hause, in dein Hotel findest, kannst du darüber nachdenken, was du der schönen Frau sagen würdest, wenn du wieder in dem Zimmer mit dem runden Fenster eine Stunde lang mit ihr allein wärest.

Peter Saffran schlug sich mit der Faust auf die Stirne und knirschte mit den Zähnen, als er auf die Gasse hinab kam.

Die brennenden Flüsse der Hölle tobten in seinen Adern, die Schwefelströme, in denen die Seelen der Verdammten ewige Qualen erleiden!

Das Gras auf jenem Felde soll also nicht grünen!

Als er in dieses große Babel heraufkam, brachte er nur die Gefühle der Rache und der Eifersucht mit. Jetzt hatte er sich dazu noch den Haß, den Abscheu, den Neid, das Gefühl der Schmach und den politischen Fanatismus erworben. Eine schöne Gesellschaft, wenn sie an einem Ort beisammen ist.


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