Maurus Jókai
Schwarze Diamanten
Maurus Jókai

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Heureka!

Als Iwan nach fünftägiger Arbeit von dem zerstörten Bergwerk zurückkehrte, beeilte er sich, bevor er in sein Haus trat, nachzusehen, ob nicht in seinem eignen Bergwerk irgendein Unglück passiert sei.

Hunger, das Bedürfnis nach Schlaf, nach reinem Wasser quälten ihn nicht so sehr, wie die Begierde zu erfahren, was mit seinem Kohlenwerk geschehen sei.

Die Erschütterung muß ja auf das ganze Flötz hinausgewirkt haben.

In der Tat ist auch in seinem Bergwerk etwas zu bemerken.

Zunächst überraschte es ihn, daß das Wasserstoffgas hier kaum wahrzunehmen war; hingegen waren alle Stollen voll Wasser.

Die Zwischenwände waren hie und da gesprungen, aber den Einsturz drohten sie noch nicht. Er eilte, die Höhle mit dem unterirdischen Teich aufzusuchen.

In dieser Höhle war jetzt gar kein Wasser.

Er wartete, ob es nicht bald wiederkommen werde; an die Galerie gelehnt, harrte er dem wiederkehrenden Teich entgegen, aber drei Stunden waren bereits vergangen, und das unterirdische Wasser kam noch immer nicht zum Vorschein.

Jetzt ließ Iwan sich von einem seiner Arbeiter ablösen und befahl den übrigen, die ganze Nacht abwechselnd in der Teichhöhle zu wachen, und sobald das Wasser sich zeige, es ihm zu melden.

Hiermit ging er nach Hause, um sich zu waschen und niederzulegen.

Er versank nach der großen Anstrengung in so tiefen Schlaf, daß die Sonne hell auf sein Bett schien, als er zum erstenmal wieder erwachte.

Am meisten verwunderte er sich darüber, daß die Arbeiter ihn in der Nacht nicht aufgeweckt, wie er es ihnen befohlen hatte.

Möglich, daß auch sie eingeschlafen waren, die Armen; sie waren ja ebenfalls erschöpft.

Oder hatte er so tief geschlafen, daß er ihr Pochen nicht gehört hatte?

Er eilte sogleich in das Bergwerk hinab.

Die Wache stehenden Arbeiter meldeten ihm, daß der Teich die ganze Nacht nicht zum Vorschein gekommen sei.

Dann warteten sie noch vierundzwanzig Stunden. Das Wasser zeigte sich aber auch da noch nicht.

Iwan fand die Erklärung hiervon in der Theorie der periodischen Quellen.

Im Innern des Berges ist ein Becken, das gegen den Druck der äußern Luft durch die Bergwölbung oben luftdicht abgeschlossen ist. Dieses Wasserbecken wird durch die von den Felsen herabsickernde Feuchtigkeit genährt.

Ein Felsspalt, dessen obere Oeffnung sich über der Oberfläche des unterirdischen Wassers befindet, bringt dieses mit einer tiefer liegenden Höhle in Verbindung, zu der die äußere Luft Zutritt hat.

Auf den Druck der aus der unteren Höhle heraufdringenden äußeren Luft strömt das Wasser des obern Beckens zwischen den Felsspalten hinab, und so füllt sich die untere Höhle so lange mit Wasser, bis dieses die untere Mündung des kommunizierenden Felsspalts bedeckt hat; da hört auf einmal der Luftdruck aus der unteren Höhle auf das obere Becken auf und es fließt daraus kein Wasser mehr ab, so lange, bis nicht die im untern Becken angesammelte Wassermenge auf ihren unterirdischen Wegen versickert, dadurch der verbindende Felsspalt frei wird und der Luftdruck aufs neue beginnt.

Wenn also die periodische Quelle nicht zurückkehrt, so kann dies zweierlei Ursachen haben.

Entweder wurde die kommunizierende Röhre plötzlich verschlossen und das Wasser des obern Beckens war nicht mehr dem Druck der äußern Luft ausgesetzt, der es zum Abfluß nötigen würde; – oder die Wölbung über dem obern Becken hat irgendeinen kleinen Riß erhalten, durch den der Druck der äußern Luft einwirkte, und dann ist alles Wasser in eine noch tiefer stehende Höhle abgeflossen.

Ich bitte den Leser, hierauf zu achten! Denn es gibt uns dies einen Begriff von der an eine Versuchung Gottes grenzenden Tollkühnheit, die Iwan in seinem nunmehrigen Beginnen an den Tag legte.

Jetzt ist der Raum schon frei. Die schwarzen Zugänge des Totenreiches stehen offen vor ihm. Er kann in das dunkle Labyrinth hineingehen. Er kann suchen, wonach er so lange geforscht hat – die Verbindung zwischen dem obern und dem untern Wasserbecken.

Zu dieser Arbeit mußte er einen Mann mit sich nehmen.

Er forderte den alten Paul auf.

»Wie alt bist du, Paul?«

»Neunundsechzig Jahre.«

»Du möchtest wohl auch das siebzigste erleben, nicht wahr ?«

»Nur, um die goldene Hochzeit dieses Bergwerks feiern zu können. Denn nächstes Jahr werden es fünfzig Jahre, seit wir es eröffnet haben.«

»Und wenn du früher sterben müßtest?«

»Dann würde ich sagen: Der Name des Herrn sei gepriesen!«

»Sind deine Söhne schon erwachsene Leute?«

»Sogar auch mein Enkel erwirbt sich schon selbst sein Brot.«

»Wärest du bereit, mich an einen Ort zu begleiten, wo man leicht sterben kann?«

»Hm! war ich denn nicht schon mit Ihnen an einem solchen Ort?«

»Verstehe mich wohl, wohin ich dich mit rufe! Wir müssen das Wasser des verschwundenen Teiches aufsuchen. Es ist dies für uns und für viele Menschen, ja für diese ganze Gegend eine Lebensfrage. Darum glaube ich, daß Gott uns in dieser Sache beistehen wird. Wie aber, wenn er es nicht tut? Er könnte zu uns sagen: Wozu wollt ihr Würmer das Urteil verhindern, das ich über diese Gegend gesprochen habe? Ich habe das Flehen Lots nicht erhört, und jetzt liegt das tote Meer über den versunkenen Städten; ihr aber wart auch nicht besser als jene! Verstehe mich wohl! Ich habe oft in den finstern, gewundenen Gängen dem Wasser des verschwindenden Teichs nachgeforscht; diese Gänge sind so eng, daß man sich zuweilen mit Gewalt durchpressen muß, und an anderen Stellen kommt man nur auf dem Bauch kriechend durch die niederen Höhlenwindungen; bald wieder klafft ein tiefer Abgrund zu unseren Füßen, über den wir, uns an die Wand drückend, vorüberkriechen müssen; dann wieder gibt es enge senkrechte Schlote, durch die man die Knie und Ellbogen anstemmend sich hinablassen muß. Alle diese Klüfte und Spalten hat dereinst ein Erdbeben gebildet, durch das in der ganzen Kohlenschicht eine Abrutschung verursacht wurde. Jetzt ist es möglich, daß die große Explosion manche dieser Klüfte geschlossen und andre wieder geöffnet hat. Wenn es die Oeffnung geschlossen hat, durch welche eine unter uns befindliche Höhle mit einer über uns befindlichen verbunden ist, so haben wir das Wasser eines ganzen Teiches über unseren Häuptern. Wenn wir bei unseren Forschungen diese versperrte Oeffnung zufällig aufschließen, wenn wir daran nur eine so kleine Lücke öffnen, als durch die Spitze einer Haue entsteht, so bricht das Wasser der über uns befindlichen Höhle auf uns hernieder. Wenn wir es rauschen hören, dann sind wir schon verloren. Wenn jedoch die Erschütterung der Erde im obern Felsen einen Riß verursachte, so ist der Teich über unseren Köpfen verschwunden und befindet sich unter unseren Füßen. Wir aber müssen erfahren, und sollten wir auch daran zugrunde gehen, wo der Teich ist.«

»Ich habe keine Ahnung, was du damit willst, Herr; aber du weißt es, und ich gehe mit dir.«

»Dann geh' nach Hause und nimm Abschied von deiner Familie, als ob du eine Reise antreten würdest. Geh' zum Geistlichen und nimm das heilige Abendmahl. Dann komme zurück und sage niemandem etwas davon, wohin wir gehen.«

Iwan bereitete, sich selbst ebenso vor zu der Reise, von der es vielleicht keine Wiederkehr gibt.

Er machte sein Testament. Sein Bergwerk vermachte er seinen Arbeitern, sein Geld der Familie Pauls, der mit ihm verloren ist, wenn er zugrunde geht.

Und dann sah er sich noch einmal in der lichten Welt um, bevor er in das Reich der ewigen Nacht hinabstieg.

Es ist doch so schön hier oben!

In der Ferne blaut der Himmel, in der Nähe grünt das Gras so schön!

Da kam ein Brief von der Post.

Arpad Belényi hatte ihn geschrieben. Er erzählte darin die Pariser Vorfälle, den Sturz Kaulmans, das Verschwinden der schönen Frau, von welcher jedermann überzeugt war, daß sie sich das Leben genommen habe.

Iwan seufzte auf. Er fühlte sein Herz durch diese Nachricht erstarren.

Der Himmel war nicht mehr so blau, der Rasen nicht mehr so grün.

Komme, ewige Finsternis der Kohlengruben!

Diese Nachricht war für ihn eine gute Wegzehrung. Er schaudert vor nichts mehr.

Er tat das Reisewerkzeug in einen ledernen Sack: das Nivellierinstrument, den Winkelmesser, das Senkblei, die Zeichenrequisiten. Den Sack nahm er um den Hals. Paul trug die Haue, die Eisenstange, den Strick. So ausgerüstet, stiegen sie zusammen in die Teichhöhle hinab und verschwanden dort in den Gängen des Wasserabflusses.

Nach sechs Stunden kamen sie wieder hervor.

Und das ging so fort Tag für Tag.

Iwan nahm die Lage jedes Ganges des Labyrinths auf stellte sie genau zusammen, und hatte dann zu Hause eine noch längere Arbeit, indem er die gewonnenen Wahrnehmungen wissenschaftlich prüfte. Den ganzen Tag saß er dabei.

Bei Nacht aber schloß er sich in seine Gelehrtenhöhle ein, zündete Feuer an in seinen Oefen, kochte tödliche Gase in seinen Retorten und zwang die weltbildenden Elemente, ihm das längst gesuchte Geheimnis zu offenbaren. Er kämpfte mit den Dämonen, die nicht gehorchen wollten. Welcher von euch ist der Geist, der das Feuer erstickt?

Erscheine, erscheine!

Nicht mit dem Alpha und Omega, nicht mit dem Pentagramma, noch mit der Macht des Abraxas und Meithras, sondern kraft der alles erringenden Wissenschaft beschwöre ich dich; erscheine!

Aber der Geist erschien doch nicht.

Und dieser doppelte Kampf, dort unten mit der Erde, hier oben mit der Luft, mit den zwei großen Dämonen der Weltschöpfung, ging Tag für Tag vor sich, in den Tagesstunden wie in den Stunden der Nacht.

Er hatte keine Rast.

Und eines Morgens brachte man ihm die Nachricht, daß das Wasser im Brunnen des Schlosses warm zu werden und einen schwefligen Geschmack zu haben beginne.

Er verzweifelte.

Der unterirdische Brand greift also schneller um sich, als er sich eingebildet hatte.

Die ganze Gegend ist unrettbar verloren. Ein Jahrzehnt genügt sie zu vernichten.

Herr Rauné verließ nach dem Eintritt dieser Tatsache seine Stelle und schlug sich auf die Seite des Fürsten Waldemar. Im Auftrag desselben schrieb er als der authentischeste Zeuge in die Wiener Blätter die Geschichte der ganzen Katastrophe.

Iwan aber warf sich mit der Kraft der Verzweiflung auf die Forschung.

Er drang weiter vorwärts in dem unterirdischen Labyrinth. Sein alter Begleiter wurde schon zum Gespensterseher von den Schrecken, durch die sein Herr ihn jeden Tag führte.

Einmal kamen sie in dem Gewirre der Felsklüfte an einen Ort, wo jeder weitere Weg abgeschlossen war. Aber an einer Stelle gab die Wand einen hohlen Klang von sich, so daß man schließen konnte, daß jenseits derselben sich ein großer hohler Raum befinde.

Die aufeinander liegenden Schieferschichten gaben Zeugnis, daß hier die Sperrung erst neu entstanden sei.

»Hier müssen wir eine Oeffnung durchbrechen,« rief Iwan und nahm die Haue zur Hand.

Der alte Paul drückte sich schaudernd an die Felswand und sah zu was sein Herr machte.

So pocht ein Verwegener an die Pforten der Hölle, um den Teufel zum Zweikampf herauszufordern.

Die Haue erschloß eine Lücke. In diese stemmte Iwan die Eisenstange und hob eine ganze Schieferschicht heraus.

Jetzt kann das Wasser ihnen auf den Kopf strömen, wenn es über ihnen ist.

Der alte Mann bekreuzte sich und empfahl Gott seine Seele.

Doch Iwan rief mit der Freude des Entdeckers: »Hörst du das? Die hineinfallenden Steintrümmer verursachen ein Plätschern. Das untere Becken ist hier unter uns.«

Wie aber, wenn auch das obere noch voll ist?

Darauf brauchen sie nur hundert Pulsschläge lang zu warten.

In peinlicherer Erwartung wurde der Puls niemals gezählt, selbst damals nicht, als Iwan in den eingestürzten Stollen hineinging.

Kein Geräusch ertönte. Im Schoß der Erde ist's stille.

»Gefunden!« rief Iwan, zitternd vor freudiger Aufregung. »Jetzt binde mir den Strick um den Leib und laß mich in die Brunnenhöhle hinab.«

Auch dorthin noch!

Der alte Arbeiter betete in einem fort im stillen zur heiligen Jungfrau, solange er hinter Iwan den Strick hinabließ: sie möge es in Gnaden übersehen, daß dieser Mann ein Ketzer ist! Der Lampenschein sank immer tiefer hinab. Plötzlich erscholl Iwans Ruf: »Hinauf!«

Sein alter Kamerad zog ihn langsam wieder aus der Tiefe herauf.

Als er Iwan die Hand reichte, um ihm herauszuhelfen, umarmte Iwan den Alten.

»Wir sind am Ziel! Das Senkblei zeigt eine ungeheure Wassermasse an.«

In Pauls Gehirn begann über den Zweck dieser Untersuchung ein Licht aufzudämmern.

»Jetzt eilen wir ans Tageslicht hinaus!«

Sowie Iwan aus dem Stollen herausgekommen war, lief er nach Hause. Er verglich seine Messungen und war mit dem Resultat zufrieden.

Abends schloß er sich in gehobener Stimmung in sein chemisches Laboratorium ein; er trat vor die von ihm bestürmten Geister mit dem stolzen Gefühl, mit dem ein siegreicher Feldherr die letzte belagerte Festung auffordert sich zu übergeben.

»Jene habe ich bereits besiegt, jetzt müßt auch ihr euch ergeben!«

Es gibt im Leben schöpferischer Geister erhabene Momente, wo Gott ihnen auf einen Augenblick seine Schöpfermacht verleiht –von neuen Gebilden schwangere Momente, in denen der Weise entzückt auf die Gasse eilt und dem Volk freudig zuruft: »Heureka!«

Zehn Tropfen von dieser Flüssigkeit, nur so viel, als die Spitze einer Feder verspritzt, und das ganze Laboratorium wird plötzlich finster; der ganze eingeheizte Ofen mit seinen weißglühenden Kohlen erlöscht in einem Augenblick, wird von schwarzer Nacht umhüllt.

Diese schwarze Nacht war das Licht, das Iwan suchte.

»Ich habe es gefunden!« rief er sich zu.

»Ich habe es gefunden!« rief er seinen Arbeitern zu, unter die er halb entkleidet und barhaupt wie ein Wahnsinniger hinausgestürzt war.

Und diese wußten zwar nicht, was er gefunden hatte; wohl aber waren sie überzeugt, daß die Erfindung, über welche dieser Mann sich so sehr freute, eine sehr gute sein mußte.


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