Maurus Jókai
Schwarze Diamanten
Maurus Jókai

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Die Corollarien der Bondataler Eisenbahn.

Die Bondataler Eisenbahn wird also gebaut. Fürst Waldemar ist geschlagen und mit ihm die ganze Kontermine. Denn es gibt Leute, welche die gute Fechsung Hungers sterben läßt.

Im Jockeyklub traf Fürst Waldemar mit dem Fürsten Theobald zusammen und trat ihm entgegen.

»Du bist das Haupt meiner Feinde geworden. Du hast alles in Bewegung gesetzt um mich zu übertrumpfen.

»Ich habe mich anheischig gemacht, deine Geldangelegenheiten zu ordnen, die sehr zerrüttet sind; du hast das dem mit mir auf feindlichem Fuß stehenden Haus Kaulman übertragen.

»Ich habe um die Hand deiner Enkelin gebeten, du hast mir sie versprochen; dann aber hast du sie unter allerlei Vorwänden von Wien entfernt, und jetzt höre ich, daß sie mit einem Kondottierehauptmann Salista in Pest verlobt sei.

»Ich hatte einen Zahn auf ein schönes Weibchen, und diese hast du, nur damit ich sie nicht bekomme, in dein Palais genommen und ihr befohlen, mich niemals zu empfangen.

»Du übergibst deine einzige schuldenfreie Bondavárer Herrschaft einer Schwindelkompanie, die sich mir auf die Kappe setzen will, und du wirst Präsident dieser Gesellschaft.

»Du hast es herausgekünstelt, daß man deiner Steinkohlengesellschaft die Staatsgarantie zu einer Eisenbahn bewilligt, die nicht zwei Prozent tragen wird.

»Du weißt selbst gar nicht, wie hoch du emporgeklettert bist.

»Ich bedauere dich, denn ich habe dich stets geachtet.

»Aber nimm dich in acht, denn wenn ich einmal die Menschenpyramide, auf deren Spitze du stehst, erschüttern kann, so fällst du am tiefsten herunter! –«

Hiermit ließ er den Fürsten stehen.

Fürst Theobald griff von all den unangenehmen Worten nur das auf, daß Angela den Marquis Salista zum Gatten gewählt habe.

Und ihm hatte sie es nicht einmal angezeigt. Von einem Fremden mußte er es erfahren.

* * *

Die Bondavárer Eisenbahn wird also gebaut. Die schönen schwarzen Diamantaugen der schönen Frau sind also nicht mehr notwendig. Man kann sie beseitigen.

Eines Tages besuchte Eveline ihren Gemahl in dessen Wohnung.

Dieser freute sich sehr über das Glück.

»Herr! ich bin gekommen, um Sie um etwas zu bitten. An Fürst Theobald bemerke ich seit einigen Tagen eine ungewöhnliche Melancholie. Wissen Sie nicht den Grund davon?«

»Ich weiß ihn sehr gut! Seine Enkelin, Komtesse Angela, hat geheiratet, und ihr Mann, Marquis Salista, tut Schritte, damit der Fürst wegen seiner unvernünftigen Verschwendung unter Kuratel gestellt werde.«

»Bei dieser unvernünftigen Verschwendung spiele ich gewiß auch eine Rolle?«

»Sie haben einen scharfen Verstand, Eveline!«

»Dem muß ich ein Ende machen! Ich sage dem Fürsten noch heute, daß ich sein Palais verlasse. Ich werde ihm ewig dankbar sein. Er war mein Wohltäter. Auch Sie waren es; Sie hätte ich zuerst erwähnen sollen. Sie haben mich unterrichten, bilden lassen; Ihnen verdanke ich es, daß ich etwas wert bin, selbst wenn ich keinen Diamanten an mir habe. Ich kann mir mein Brot erwerben. Ich werde eine Künstlerin aus Beruf sein. Aber ich will Wien verlassen. Ich habe keine Lust mehr hier zu bleiben.«

»Daran tun Sie wohl, Eveline. Sehen Sie, wie sehr unsere Geister miteinander sympathisieren. Ich habe Ihnen eben das raten wollen, was Sie jetzt gesagt haben. Verlassen Sie Wien und gehen Sie auf die Bühne, verwerten Sie Ihre großen Fähigkeiten. Ich werde alle Pflichten erfüllen, die ich Ihnen als Ihr Gatte schuldig bin. Ich begleite Sie nach Paris. Ich übersiedle in mein dortiges Haus und etabliere mich dort, um Ihnen behilflich sein zu können. Sie werden dort Ihr Glück machen, und dann wollen wir immer gute Freunde bleiben.«

Trotzdem Eveline diesen Mann so genau kennen gelernt hatte, so war sie doch schwach genug, gerührt zu werden und zu glauben, daß sie vielleicht dennoch ungerecht gegen ihn gewesen sei.

Es ist doch ein großes Opfer, das er ihr bringt, indem er ihr zuliebe sein Geschäft nach Paris verlegt.

Sie wußte freilich nicht, daß er dies nur aus dem Grunde tut, um eines Tages zu ihr sagen zu können: »Madame! Sie sind von morgen angefangen wieder Mademoiselle! So verordnen es die französischen Gesetze, welche nur die Zivilehe anerkennen.«

Die schwarzen Diamanten haben ihre Schuldigkeit getan, die schwarzen Diamanten können dorthin zurückkehren, von wo sie gekommen sind.

Auch wegen des großen Kirchenanlehens mußte Kaulman nach Paris übersiedeln, denn er rechnete dabei hauptsächlich auf den französischen und belgischen Geldmarkt.

* * *

Die Bondavárer Eisenbahn wird also gebaut, und die Luftschlösser des Abt Samuel sind jetzt näher daran, greifbare Wirklichkeit zu werden.

Dieser Weg soll auch ihn zu seinem Ziele führen.

Die Firma Kaulman wird durch diesen Erfolg weltberühmt. Jetzt kann Kaulman schon ein Unternehmen von europäischer Tragweite riskieren. Er gehört bereits zu den Sternen erster Größe auf dem Weltmarkt.

Vom Börsenbaron hat er sich zum Börsenfürsten erhoben. Wenn sein Anlehen gelingt, so ist er ein Börsenkönig.

Der Name des Abt Samuel aber beginnt mit einem Glorienschein umgeben zu sein.

Oben sehen die Regierungsmänner, daß der mächtige Volksredner in ihrer Hand eine Waffe sein kann, welche das Volk von seinen Leitern abschneidet und die kopflose Masse in das Gesamtreich hineinbringt.

Unten staunt das Volk ihn als seinen erhabenen Wohltäter an, dessen Wort von mächtigem Einfluß ist. Ein Beweis hiervon ist, daß die Bondataler Eisenbahn gebaut wird. Alle zwölf Halinaröcke glauben, daß sie die Eisenbahn in ihren Aermeln nach Hause gebracht haben.

Der ungarische Klerus sieht in ihm ein neu aufgehendes Licht.

In Rom preist man ihn für die dem heiligen Stuhl gesendeten Spenden. Wenn er zum Bischof ernannt sein wird, wird er der erste ungarische Prälat sein, der im Wiener Herrenhause einen Sitz einnimmt.

Der Minister wird staunen, wenn er sein Projekt einer Säkularisation der ungarischen Kirchengüter durch das Projekt eines heiligen Anlehens durchkreuzt sehen wird, das zum Zweck der Hebung des römischen Staates auf dieselben Güter fundiert werden soll.

Der französische und belgische Geldmarkt und die römische Kurie werden das Anlehen mit Hosianna begrüßen, und der heilige Stuhl wird den Namen seines Erretters auf eine goldene Tafel schreiben.

Außerdem wird das Anlehen auch in Ungarn als eine Rettung des Kirchenvermögens erscheinen, denn die Hypothek darf die Regierung nie wegnehmen.

Ferner ist der Primas ein alter Mann, und der Papst noch älter.

Alle Räder sind in Ordnung, die Maschine kann in Bewegung gesetzt werden.

Wenn die erste bekränzte Lokomotive auf den Bondataler Schienen pfeift, wird Abt Samuel sagen können: »Dieser Weg führt nach Rom!«

* * *

Die Bondataler Eisenbahn wird also gebaut. Iwan Berend kann sich den Ruin seines eignen Geschäftes prophezeien.

Durch diese Eisenbahn können die Produkte des Vereinsbergwerks auf den Weltmarkt gelangen und werden jetzt nicht allein mit seiner Wenigkeit, sondern auch mit der preußischen Kohle und dem englischen Eisen konkurrieren. Er zählt nicht mehr. Der Riese durchschreitet die Welt mit Siebenmeilenstiefeln.

Und in demselben Maße, in welchem die Eisenbahn für das Vereinsbergwerk vorteilhaft ist, ist sie für seine Kolonie nachteilig.

Denn man hat die Eisenbahn nicht durch das Tal geführt, in welchem sein Bergwerk liegt, obgleich dies die wohlfeilste und natürlichste Linie gewesen wäre; sondern man hat lieber Berge abgetragen, Tunnels gebohrt, um sein Bergwerk zu umgehen und den Weg vor dem Vereinsbergwerk vorbeizuführen. Infolgedessen muß Iwan einen Umweg von einem halben Tag machen, um von seinem Bergwerk zur Eisenbahn zu gelangen, denn die Aktiengesellschaft hat ihrem Konkurrenten keinen geraden Weg durch das Gebiet der Bondavárer Herrschaft bis zum Bahnhof eröffnet, und so kommt ihm die Fracht bis zur Eisenbahnstation um fünf, sechs Prozent teurer zu stehen als der Aktiengesellschaft die ihrige.

Für ihn ist also die Eisenbahn ein niederschmetternder Schlag.

Mittlerweile nähert sich das Jahr seinem Ende. Den Bergleuten soll die versprochene Tantieme ausgezahlt werden; aber weder Kohle noch Eisen finden mehr Absatz. Die Gesellschaft hat Iwan durch ihre wohlfeilen Preise alle seine Kunden weggefischt.

Wer bares Geld liegen hat, der kann, wenn er am meisten verliert, sagen, daß er gewinnt. Dies nennt man in der Kunstsprache: »in den eignen Sack hineinlügen«, obgleich gewöhnlich der Sack anderer es büßt.

Nun, diese Kunst kann Iwan auch; er hat bares Kapital, denn er hat gut gewirtschaftet. Sein zurückgelegtes Geld beträgt einige tausend Gulden, und damit kann er, wenn er auch fortwährend verlieren wird, zehn Jahre lang die Konkurrenz selbst mit dem Riesen bestehen.

Nur daß die Riesen nebst ihrer Stärke auch gewandte Finger besitzen.

Sie verschmähen selbst kleine Kniffe nicht.

Als der Konkurs zu Lieferung von Schienen für die Bondataler Eisenbahn ausgeschrieben wurde, dachte Iwan bei sich: Jetzt werde ich einen Spaß machen. Die Aktiengesellschaft gibt, wie ich weiß und berechnet habe, dem Publikum das Eisen um sechs Prozent billiger, als es ihr selbst zu stehen kommt. Jetzt werde ich bei der Eisenbahnunternehmung ein Offert einreichen, in welchem ich die Lieferung der Schienen um zehn Prozent billiger übernehme als sie mich selbst kosten. Ich verliere dabei fünfzigtausend Gulden, aber ich verleide damit dem Nachbar die Lust, die Preise so unvernünftig herabzudrücken.

Unschuldiger Mensch!

So ist der Gelehrte, der sich noch einbildet, der Brief sei deshalb mit einem Siegel verschlossen, damit der Inhalt desselben geheim bleibe; er träumt noch davon, daß man, nachdem die vielen eingesandten Offerten geöffnet sein werden, die Lieferung demjenigen geben wird, der das vorteilhafteste Angebot gemacht hat.

Weit gefehlt!

Es wird im vorhinein bestimmt, wer die Lieferung erhalten soll.

Wenn man dann die Offertbriefe öffnet, so stellt es sich wohl zuweilen heraus, daß jemand ein noch billigeres Angebot gemacht hat als der Protegierte; dann sagt man ihm: »Hier hast du Feder und Papier, schreibe schnell eine andere Offerte und mache ein Angebot, das noch um ein halbes Prozent billiger ist.«

Das ist ein bekanntes Verfahren, nur solche Menschen wissen nichts davon, die, wie Iwan, Petrefakte studieren und in den Sternen forschen.

Die Lieferung der Eisenbahnschienen erhielt die Aktiengesellschaft zu einem um ein Viertel Prozent billigeren Preise als Iwan ihn angeboten hatte.

Aber deshalb verließ Iwan seine Zähigkeit auch jetzt nicht. Zweimal zwei ist auch jetzt noch vier, und die dagegen sündigen, müssen früher oder später zugrunde gehen.

Iwan ließ in seinem Hüttenwerk trotzdem auch weiter noch Eisenbahnschienen anfertigen und ließ sie in seinen Magazinen aufhäufen. Es wird schon auch für sie eine Zeit kommen!

* * *

Die Bondavárer Eisenbahn wird also gebaut.

Herr Csanta verkauft seine Häuser in X.; die ganze Häuserreihe ist zu haben.

Er sagt, daß er nach Wien geht, um sein Amt als Verwaltungsrat zu übernehmen. Er bezieht dafür eine große Bezahlung, ohne etwas leisten zu müssen.

All sein Geld macht er zu Papier. Heutzutage gibt es keinen Acker, kein Bergwerk, kein Vieh, kein Haus, das so viel Nutzen abwirft wie das Papier. Da braucht er keinen Knecht, keinen Dünger, kein Heu, keinen Hafer, keine Feuerversicherung! Wie erst ein Papier, von welchem man dem Staat keine Steuer zu zahlen braucht, auf das der Staat sogar noch darauf zahlt, wenn der arme Kapitalist davon nicht genug Einkommen hat.

Darum ist die ganze Häuserreihe zu verkaufen. Ein Glück, daß in X. so wenig Geld ist, daß die ganze Stadt nicht imstande wäre, eine ganze Gasse zu kaufen.

* * *

Die Bondataler Eisenbahn wird also gebaut. Auf der ganzen Linie ist die Arbeit im Zuge. Ein ganzer langer Ameisenschwarm arbeitet, müht sich, schiebt Karren vom frühen Morgen bis zum späten Abend. Man hebt Erde aus, sprengt Felsen, durchbohrt Berge, errichtet Dämme, rammt Pflöcke ein, behaut Steine auf meilenlangen Strecken.

In der dunkeln Mündung des Bondavárer Bergwerks steht ein Mann unbeweglich, auf die Arbeit hinausstarrend. Sein düsterer, drohender Blick ist auf einen Hebekran geheftet.

Diese Gestalt ist Peter Saffran.

Er hält ein großes Stück Steinkohle in der Hand.

Und indem er von der lärmenden Landschaft auf den stillen Pflanzenüberrest zurückblickt, scheinen seine funkelnden Augen zu sagen: Und von all dieser Glorie, von all diesem Reichtum und dieser Pracht bist du der Grund, der Ursprung, die belebende Kraft? Du!

Und er schleuderte die in der Hand gehaltene Steinkohle an die Wand.


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