Maurus Jókai
Schwarze Diamanten
Maurus Jókai

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Das Testament des Griechen.

Die Bondavárer Aktien waren bereits auf sechzig über Pari gestiegen, und es hatte den Anschein, daß sie noch immer steigen würden.

Aber Herrn Csanta war der bisherige Gewinn doch genug.

Was zu viel ist, ist zu viel. Selbst des Guten zu viel tut nicht gut. Man soll nicht unersättlich sein! Sind doch sechzigtausend Gulden in einem Jahr für nichts ein ganz schöner Gewinn. Und dann – um die Wahrheit zu gestehen – ist es ein genug großes Herzeleid, wenn jemand ein Jahr lang die Freude entbehren muß, seinen Keller voll gemünzten Goldes und Silbers zu wissen. Es soll nur jemand die Pein versuchen, sich mit dem Bewußtsein niederzulegen, daß man nicht auf Talern schläft!

Er nahm sich nun fest vor, was Herr Spitzhase auch immer dagegen einwenden möge, seine Aktien den kranken Leuten auf der Börse in kleinen Dosen einzugeben. Sie sollen gesund werden davon, die Armen.

Seit einiger Zeit ist der Kurs ohnedies stehen geblieben. Er war nur noch gewöhnt im Kurszettel die stereotype Ziffer zu sehen: »Bondavár 60 über Pari«.

Eines schönen Morgens also, als Herr Csanta eben mit dem Entschluß aufgestanden war, seine Aktien nach Wien zu schicken, ging er ins Kaffeehaus, nahm das erste Blatt zur Hand, das eben niemand in Beschlag genommen hatte und begann es natürlich von rückwärts zu lesen, wo die Börsentelegramme mitgeteilt sind.

Das erste, was er da erblickte, war eine kompakt gedruckte Zeile: »Bondavár: 60 unter Pari«.

O, das ist ein Druckfehler, und zwar ein großer! Der Zeitungsschreiber war betrunken, als er dies drucken ließ. Der Schurke sollte eingesperrt werden! Wenn es noch eine Polizei in Wien und Gerechtigkeit in der Monarchie gibt, so legt man den Niederträchtigen, der die öffentliche Ruhe mit solchen Schreckensnachrichten stört, gewiß in Eisen! Wenn das nicht eine Störung der öffentlichen Ruhe ist, so weiß ich nicht, was man sonst noch so nennen könnte.

Aber dann sah er der Reihe nach auch die übrigen Blätter an und fand, daß an diesem Tage sämtliche Zeitungsschreiber wunderbar übereingekommen waren, sich dermaßen zu betrinken, daß sie zwischen »unter Pari« und »über Pari« keinen Unterschied machen konnten.

Und es war doch nicht der erste April, daß sie dies aus Scherz getan hätten.

Er hielt es für ausgemacht, daß hier irgendein riesiges Mißverständnis obwalten müsse und fragte sofort bei Spitzhase telegraphisch an, was vorgehe.

Spitzhases Depesche kreuzte die seinige; dieser hatte ihm noch früher telegraphiert: »Großes Unglück; Bondavárer Bergwerk brennt; Panik groß; Aktien 60 unter Pari! – Alles verkaufen!«

Herr Csanta geriet außer sich.

»Der Teufel soll ihn holen!« fluchte er. »Alles verkaufen! Sechzig unter Pari! Sechzigtausend Gulden Verlust! Jetzt heißt es wirklich: Wo ist der Strick! wo ist der Nagel, daß ich mich daran hänge! Sechs Fässer Silber hin! Ich bringe jemanden um! Ich esse jemanden auf! Ich gehe nach Wien! Ich stoße die Stadt Wien auseinander wie einen Ameisenhaufen, wenn man mir mein Silber nicht zurückgibt! Ich habe mein Silber nicht hinaufgeführt, damit es dort bleibe!«

Er wütete wie ein toll gewordener Büffel und warf alle Aktien aus dem Schrank und trat darauf mit den Stiefelabsätzen herum.

»Ihr Schurken! Ihr Niederträchtigen! Ihr papiernen Bettler! Ihr wollt mir sechzigtausend Gulden in Silber auffressen? Ich zerreiße euch! Ich schneide euch mein Silber aus dem Leibe! Ich schlage euch tot! Ich zertrete euch!«

Beim Umherschleudern der Aktien fiel ihm etwas in die Hand. Es war eine Schrift.

»Aber sieh da! Wozu wüte ich wie ein Narr im Kotter? Geschieht mir denn ein Leid? Ich verliere nicht so viel als unter meinen Nagel geht. Hier ist ja der Brief meines jungen Freundes! Wie gut, daß ich ihn nicht zurückgegeben habe. Da verpflichtet er sich, von mir wann immer tausend Stück Aktien al pari zu übernehmen. Wie gescheit war ich, daß ich mir mit dieser Schrift nicht die Pfeife angezündet habe! Ich möchte mich dafür küssen, daß ich so vorsichtig gewesen bin. O mein lieber Verstand! Meine vorsichtige Nase! Jetzt decke ich mich mit dieser Schrift. Meinethalben kann es Steine regnen; mich schirmt diese Schrift.«

Hiermit legte er die Aktien und den kostbaren Brief in die feuersichere Kasse zurück und war ganz getröstet.

Er setzte sich sogleich nieder und schrieb nach Paris an seinen lieben jungen Freund, dessen dortige Adresse bei ihm notiert war; er forderte ihn mit aller Artigkeit auf, da die Sachen so und so ständen, jemanden herzuschicken, der seine Aktien übernähme; er wolle ihm sogar auch die Freundschaft erweisen, selbst die Aktien irgendwo abzuliefern, er möge ihm nur anzeigen, wo und wer sie auszahlt. Was die Interkalarzinsen anbelangt, so werden sie sich schon ausgleichen.

Auf diesen Brief bekam er eine ganze Woche keine Antwort. Nun, ist es doch eben kein Katzensprung von X. nach Paris.

In dieser Woche erhielt er jeden Tag zweimal, morgens und mittags eine Depesche von Spitzhase, der in ihn drang, seine Aktien wegzugeben, denn sie sinken sehr. Sie fallen jeden Tag um zehn Gulden. Am letzten Tag der Woche zeichnete man ihren Betrag schon mit 80 fl., und selbst da waren sie »flau!« Die Kontermine hatte schrecklich an Terrain gewonnen.

Herr Csanta rührte auf alle diese Telegramme keinen Finger.

»Du kannst mir lange reden! Meinethalben schreibe dir die Finger wund mit dem vielen Telegraphieren. Eure Aktien können meinethalben in die Tiefe wachsen wie die gelben Rüben, meinethalben soll man künftige Woche dem noch hundert Gulden drauf geben, der eine dieser Aktien aus christlicher Liebe übernimmt! Ich habe keine Aktien. Wozu brauche ich eure Papiere! Sie sind euer! Nehmt sie fort. Ich will mein Silber zurück haben. Ich halte euch beim Schopf.«

Und dabei ging er täglich ins Kaffeehaus und zeigte, daß er gar nicht mißgestimmt sei. Seine Laune ist nicht im mindesten getrübt. Was einem andern weh tut, darüber soll ein andrer jammern.

Aber am achten Tage, als er in einem Morgenblatt das Pariser Telegramm las, daß der Chef der Firma Kaulman, Herr Felix, durchgegangen sei und eine schreckliche Menge ungedeckter Forderungen zurückgelassen habe, und dann darauf das Telegramm aus Calais, daß der flüchtige Kaulman vom Schnellzug abgesprungen sei und den Hals gebrochen habe – da war Herr Csanta nahe daran, vom Schlag getroffen zu werden.

Sofort telegraphierte er an Spitzhase, dieser möge alle seine Aktien, wenn man sie nimmt, ungesäumt zu 80 fl. fortgeben; wenn man sie nicht nimmt, auch noch darunter, er soll sie um jeden Preis fortgeben.

Spitzhase antwortete ihm darauf: »Jetzt ist es wieder zu spät! Der Kurs steht auf siebzig. Auch das nur nominell. Es gibt nur Verkäufer, keine Käufer. Das Bergwerk ist hin, die Eisenbahn ist hin! Alles ist hin. Warum haben Sie sie nicht vor einer Woche weggegeben, wie ich es Ihnen geraten habe? Jetzt können Sie mit Ihren Aktien einheizen und dabei Eicheln braten!«

»Es ist aus mit mir!« rief Herr Csanta; »ich gehe nach Hause, ich lege mich nieder, ich sterbe. Ich kann nicht weiter leben. Es wäre zu absurd, daß ich noch drei Tage leben sollte.«

Er nahm von allen seinen Bekannten Abschied. Sie sollten nicht fürchten, daß er sich ein Leid antun würde; er würde von selbst sterben – an Kummer, so wie man an einer Krankheit zu sterben pflegt.

Wenn der Mensch von einem kalten Luftzug, von einem verschluckten schlechten Bissen, von einem ansteckenden Hauch sterben kann – wie sollte er nicht vor Schmerz über einen solchen Verlust sterben können?

Zweimalhunderttausend Gulden verloren!

Schön geordnete, in Fässern aufbewahrte, in Taler umgewechselte zweimalhunderttausend bare Gulden!

Nicht nur so gedachte Gulden, auf Papier gemalte Gulden, die heute rot, morgen grün gemalt sind, sondern bare, klingende, aus Silber gemünzte Gulden, die auch nach tausend Jahren noch Geld sind!

Hin sind sie!

Herr Csanta ließ sich durch barmherzige Seelen nach Hause führen. Allein hätte er sich nicht um eine Welt nach Hause gefunden. Er hätte bei allen Häusern der ganzen Gasse ans Tor geklopft und gefragt, ob er da nicht wohne.

Die Menschen hätten geglaubt, daß er an irgendeiner großen Unterhaltung teilgenommen und des Guten zuviel getrunken habe.

Nach Hause gelangt, ließ er sich noch einmal in seinen Keller hinabführen, um noch einmal mit lebenden Augen zu sehen, ob denn seine mit Silber gefüllten Fässer wirklich nicht mehr da seien!

Sie sind nicht mehr da! Kein einziges ist mehr da! Der verschmitzte Wiener Räuber hat sie ihm alle bis zum letzten herausgelockt.

O! warum hat er nur einmal den Hals gebrochen! Warum hatte er nicht so viel Hälse, als auf sein Verlangen von hier Fässer fortgewälzt wurden!

Wie schön hatten sie da gelegen, wie schön geordnet! Zwanziger, hier Gulden, hier Reichstaler, hier Kronentaler!

Welch ein schönes Geld ist Silber, welch ein wahres Geld! Könige können von ihren Thronen stürzen, Revolutionen können erdrückt werden, das Silbergeld bleibt. Mögen deutsche, mögen ungarische Potentaten die Gesetze diktieren – dem Silbergeld haben sie nichts zu befehlen.

Und dieses schöne Geld, dieses wahre Geld hat er sich aus seinem Keller herauslocken lassen! Aus diesem sichern Keller, in den kein Räuber einbrechen konnte, weil mit einem Druck der ganze Raum unter Wasser zu setzen war. »Laßt das Wasser in den Keller!« schrie der Kapitalist außer sich mit heiserer Stimme; »füllt den Keller mit Wasser, damit der Dieb ertrinke.«

Das ist jetzt freilich zu spät!

Früher hätte er das Wasser in den Keller lassen sollen, als noch die Fässer darinnen waren; dann hätte ihr Eigentümer selbst sie nicht anrühren können! Dann wären sie auch jetzt noch da – die Zwanziger, schön mit Grünspan überzogen – die Taler weiß und rein. Jetzt quaken die Frösche da und rufen: »Narr, Narr, Narr!«

Herr Csanta ließ sich auskleiden und legte sich ins Bett.

Er ließ den Geistlichen rufen, beichtete und nahm das heilige Abendmahl.

Hierauf ließ er die Magistratspersonen rufen und machte sein Testament.

Er verfügte über seine weltlichen Güter.

Er hatte noch viel Besitz. Aber was nützt dies, wenn die Grundlage, die Siegestrophäe, das Silber hin ist?

Seine Häuser, die ganze Gassenfront, vermachte er der leeren Kirche, in die jetzt niemand mehr gehen wird, an deren Schwelle zwischen den Steinen Gras wachsen und in deren Hof kleine Studenten jeden Donnerstag Nachmittag Ball spielen werden.

Darum aber soll diese Kirche dennoch ihren Geistlichen, ihren Küster und ihren Glöckner haben.

Der Geistliche soll die Messe lesen, der Glöckner soll die Glocken ziehen und der Küster soll jeden Tag die Tür öffnen, wie zu der Zeit, als noch Hunderte und Hunderte durch die geöffnete Kirchentür hineingingen, Männer mit schönen silbernen Knöpfen und Frauen mit langen Seidenschleppen, von welchen allen keine Nachkommen auf Erden zurückgeblieben sind.

Diese Kirche soll verkündigen, daß sie gewesen sind!

Das Nachbarhaus aber soll in den Besitz jener Witwe zurückgelangen, welche die letzte Tochter des letzten Griechen in der Stadt ist, und von der er es einmal bei der gerichtlichen Versteigerung gekauft hat.

Und da er mit dieser Frau einmal vor langer Zeit einen Streit hatte, über den nur Gott richten kann, einen Streit, in der es sich um Papier handelte, das heute viel und morgen gar nichts wert war: so vermachte er ihr und ihrem Sohn den Haufen entwerteter, verfluchter Papiere, welche »Bondavárer Aktien« genannt sind und jetzt seinen Tod verursachen. Sie sollen diese Papiere besitzen. Wenn das darin angelegte Vermögen verloren geht, so soll es ihnen verloren gehen; wenn es erhalten bleibt, so sollen sie den Nutzen davon haben.

Nachdem er so über sein weltliches Vermögen verfügt hatte, siegelte er das Testament und unterschrieb es eigenhändig; er verteilte seine letzten Silber- und Goldmünzen unter Bekannte und Dienstleute; dem Glöckner sagte er, er solle sogleich die Glocken läuten und dies alle zwei Stunden dreimal wiederholen, und wenn man ihn fragt, wem dies gelte, so solle er sagen, daß der alte Csanta gestorben sei!

Hiermit schickte er alle Leute aus seinem Zimmer fort.

Und am andern Tag war er tot.

Er war keines gewaltsamen Todes gestorben.

Nur der Gram hatte ihn getötet – so wie ein alter Mann sterben kann, weil seine alte Ehefrau starb, mit der er alt geworden ist – so wie ein Mensch sterben kann, der einen starken Willen hat und der, wenn er einmal gesagt hat, daß er nicht mehr dableibt, dahin zu gehen weiß!


 << zurück weiter >>