Maurus Jókai
Schwarze Diamanten
Maurus Jókai

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Soirées amalgamantes.

An einem schönen Wintertage erhielt Iwan Berend vom Präsidenten der ungarischen Akademie der Wissenschaften ein Schreiben, in welchem ihm angezeigt wurde, daß er durch die naturwissenschaftliche und mathematische Abteilung der Akademie in der letzten Generalversammlung derselben empfohlen, zum korrespondierenden Mitglied der genannten Abteilung gewählt worden sei.

In einem anderen Brief forderte ihn der Sekretär der Akademie amtlich auf, er möge sich, nachdem er zum Mitglied der Akademie gewählt worden, beeilen, dieser Wahl durch einen im Sinne der Statuten zu haltenden Antrittsvortrag seine Sanktion zu geben.

Iwan staunte über diese Nachrichten.

Wie komme ich zu dieser Ehre? In meinem ganzen Leben habe ich für keine einzige wissenschaftliche Zeitschrift geschrieben, auch nicht für eine unwissenschaftliche. Mit einem Mitglied der Akademie stehe ich weder in naher noch in ferner Verwandtschaft. Auch bin ich kein Magnat. Auf dem politischen Kampfplatz habe ich nie eine Rolle gespielt. Woher habe ich also das Renommee, wegen dessen man mich zum Mitglied der Gelehrtengesellschaft wählt? Sollte man etwas von meinem chemischen Laboratorium gehört haben? Dann müßte man ja jeden Grubendirektor, jeden Maschinenfabrikdirektor zum Gelehrten dekretieren und zum Mitglied der Akademie wählen, denn die besitzen in Physik und Mechanik ebensoviel Kenntnisse als ich!

Die Auszeichnung mußte er indes annehmen. Vielleicht hat das Land es nötig, alle die Leute, die etwas mehr gelernt haben als die übrigen, zusammenzulesen, um mit der Masse zu imponieren. Iwan dankte für die auf ihn gefallene Wahl und schrieb dem Sekretär, daß er, bevor noch das in den Statuten bedungene Jahr abgelaufen ist, mit seinem Antrittsvortrag in Pest sein werde.

Dann ließ er sich die Sache sehr angelegen sein und suchte sich das Thema zu seiner Antrittsabhandlung.

Es war die Beschreibung der mikroskopischen Krustazeen, zu deren Studium er bei Gelegenheit der Bohrung eines artesischen Brunnens veranlaßt worden war, und die er nach zehnjähriger Forschung systemisiert hatte. Bis zum Spätherbst hatte er seine Aufzeichnungen über diesen Gegenstand in Ordnung gebracht.

Es ist wahr, daß er mit seiner einen Druckbogen umfassenden Abhandlung wo immer in der Welt, wo man sich mit solchen Dingen befaßt, Sensation erregt hätte; aber auch das ist wahr, daß während der kanonischen Stunde der akademischen Vorlesung (eine solche darf den Statuten gemäß nur eine Stunde dauern) niemals so viel gegähnt wurde als bei Iwans Vortrag über die mikroskopischen Krustazeen – doch müssen wir der Wahrheit gemäß hinzufügen, daß Iwan für diese Abhandlung, da sie in der Zeitschrift der Akademie abgedruckt wurde, sein Honorar im Betrag von zwanzig Gulden österreichischer Währung pünktlich ausgezahlt bekam.

Doch das gehört nicht zum Roman.

Nach der Vorlesung war der erste, der den Neophyten begrüßte, ihm die Hand drückte und seine »hochinteressante« Abhandlung lobte – der Abt Samuel.

Er ist gleichfalls ein Gelehrter. Wie sollte er nicht ein Gelehrter sein!

Plötzlich ging Iwan ein Licht auf.

Jetzt kam er darauf, welches Verdienst ihm dazu verhalf, daß er zum Mitglied der Akademie gewählt wurde.

Hier ist sein Entdecker und geheimer Gönner. Er hat seine Wahl dem Abt Samuel zu verdanken. Auch gut. Kleine Geschenke befestigen die Freundschaft.

Iwan mußte noch einige Tage in Pest zubringen; er hatte hier mancherlei zu tun. Währenddessen brachten die Blätter obligate Berichte über seinen akademischen Vortrag. Am barmherzigsten behandelte ihn ein Journal, welches berichtete, er habe »über die vulkanische Entstehung des Tropfsteins« – einen sehr gründlichen Vortrag gehalten.

Iwan tröstete sich jedoch damit, daß hier im Lande niemand diese Referate liest und daß man sie auswärts nicht versteht, da sie in ungarischer Sprache geschrieben sind.

Jemand aber hatte sie doch gelesen.

Eines Tages, als Iwan sich eben anschickte, nach Hause zu reisen, erhielt er von der Gräfin Theudelinde Bondaváry die Einladung zu einer Soiree, welche drei Tage später stattfinden sollte.

Aha! Noch eine Dankabstattung, dachte sich Iwan; gut, daß sie nicht früher gekommen ist.

Er setzte sich sogleich nieder, um auf die Einladung seine Antwort zu schreiben, in welcher er auf das höflichste für die Auszeichnung dankte und die Gründe angab, wegen deren er von derselben keinen Gebrauch machen könne. Er müsse morgen abreisen, er sei dazu schon gerüstet, habe zu Hause dringende Geschäfte usw.

Bevor er den Brief siegeln konnte, kam ein Besuch. Es war Abt Samuel.

Iwan drückte seine große Freude über die unerwartete Ehre aus, den ausgezeichneten Mann bei sich sehen zu können.

»Ich konnte es nicht unterlassen, Sie zu besuchen, solange Sie in Pest sind. Ich tue es nicht bloß aus Pflicht, zur Vergeltung für Ihren freundlichen Besuch in Bondavár, sondern ich fühle einen wahren Drang, einem so ausgezeichneten jungen Gelehrten auszusprechen, wie sehr ich mich freue, seine Bekanntschaft gemacht zu haben.«

Iwan hätte ihm gerne erwidert, daß er weder ausgezeichnet noch jung noch gelehrt sei; aber er schwieg.

»Ich hoffe, daß wir Sie lange in der Hauptstadt behalten werden,« fuhr der Abt fort, sich zu Iwan auf das Sofa setzend.

»Ich bleibe nur noch möglichst kurze Zeit hier,« erwiderte Iwan trocken, »morgen muß ich nach Hause reisen.« »Daraus wird aber nichts! Wir lassen Sie nicht so leicht wieder fort. Soviel ich weiß, sind auch Sie zu der nächsten Soiree der Gräfin Theudelinde geladen.«

»Ich bedauere, daß ich mich dieses Vergnügens berauben muß. Ich habe dringende Geschäfte, die mich nach Hause rufen.«

»Ich bitte, sprechen Sie aufrichtig! Nennen Sie es nicht ein Vergnügen, sondern gestehen Sie lieber, daß Sie vor der Unterhaltung davonlaufen, weil Sie sich schon im voraus langweilen.«

»Wenn Ihnen die Wahrheit besser gefällt, so gestehe ich, daß dem so ist. Die Soiree was immer für einer Gräfin ist für mich eine möglichst ungenießbare Unterhaltung.«

»Das sind aber auch keine gewöhnlichen Soireen mit exklusiver Gesellschaft, in welcher ein Nichthabitué sich freilich nicht wohl fühlt. Hier haben wir es mit etwas ganz Neuem zu tun. Gräfin Theudelinde hat ihre Salons für die Crême der Eleganz und des Geistes geöffnet. Dort kommen die Haupttonangeber der Politik mit den Zelebritäten der Kunst, der Wissenschaft und Poesie zusammen. Ein wahres Highlife! Die Aristokratie der Geburt, der Schönheit und des Geistes!«

Iwan schüttelte ungläubig den Kopf.

»Und was machen diese vielerlei Leute miteinander in einem Saale?«

Der Geistliche zog hierauf die Augen ein wenig zusammen und kratzte sich an der Nase.

»Bis sie miteinander bekannt werden, geht es freilich ein wenig steif her. Niemand weiß, womit er das Gespräch beginnen soll, wenn er mit einem Menschen zusammenkommt, der unter einem ganz andern Sternzeichen geboren ist; zum Glück gibt es einen Vermittler, der die bunteste Gesellschaft zu amalgamisieren vermag, und das ist der Geist. Wo lauter geistreiche Menschen beisammen sind, da ist es unmöglich, daß die Gesellschaft nicht miteinander verschmelze. Man muß es nur anzufangen wissen. Auch das ist leicht herauszufinden. Den ersten Anfang bot die Kunst dar. Die eingeladenen Künstler und die Dilettanten der höheren Kreise veranstalten Konzerte, führen kleine Stücke auf, einer spielt Violine, der andere Klavier, der dritte singt. Schöne Komtessen deklamieren patriotische Gedichte; dann halten renommierte Poeten humoristische Vorlesungen, man arrangiert Tableaus, und nach und nach finden die heterogenen Elemente der Gesellschaft Gefallen aneinander.«

»Aber da ich weder Violine spiele noch deklamiere noch auch lebende Rebus auflösen kann –«

»Im Gegenteil!« fiel ihm der Abt ins Wort, »Sie haben einen sehr guten Vortrag; ich habe ihn bei der Antrittsvorlesung bewundert.«

»Was? Sie werden doch nicht denken, daß ich in der Soiree der Gräfin Theudelinde meine Abhandlung über die mikroskopischen Krustazeen vorlesen soll?«

»Hahaha! Nein, die nicht, die war gut in der Akademie. Wenige verstehen sie, und die sie verstehen, schätzen sie hoch. Aber für Damen ist das nichts. Doch Sie können ja auch etwas anderes tun. Sie werden der Gesellschaft über irgend etwas anderes vorlesen, über etwas, das ebensowohl wissenschaftlich als auch poetisch sei. Es soll die Zuhörer interessieren und auch durch Neuheit überraschen, es soll etwas Tieferes und doch zugleich genießbar sein; es soll die Phantasie beschäftigen und zugleich das Ergebnis wissenschaftlicher Forschung sein.«

Jetzt war an Iwan die Reihe zu lachen.

»Aber, hochwürdiger Herr, ein solches Genre habe ich weder gesehen noch gehört, ich habe es weder im Druck noch im Manuskript je entdeckt.«

Der Geistliche lachte selbst. Währenddessen brachte der Lohndiener für Iwan einen Expreßbrief; es mußte daher auf dem Rezipisse auch der Augenblick der Einhändigung konstatiert werden.

Iwan ersuchte seinen Gast um Erlaubnis, diesen dringenden Brief lesen zu dürfen.

Der Abt bat ihn, sich seinetwegen nicht im mindesten zu genieren.

In Iwans Gesicht ging, während er den Brief las, eine merkliche Aenderung vor. Zuerst erblaßte er und zog die Augenbrauen zusammen, dann erglühten seine Wangen, bis er endlich vor sich hinstaunte und er, während er den Brief fortwährend in der Hand hielt, als ob er ihn immer wieder aufs neue lesen würde, seinen starren Blick über den Brief hinaus ins Leere schweifen ließ.

Plötzlich fing er dann an zu lachen.

Es fiel ihm ein, an welcher Stelle der Diskurs unterbrochen wurde.

Er legte den Brief zusammen und steckte ihn in die Brieftasche.

»Also gut!« sprach er lachend. »Ich gehe zur Soiree der Gräfin Theudelinde und halte eine Vorlesung – eine solche, wie ich sie selbst weder je gesehen noch gehört habe – Wissenschaft und Poesie, Phantasmen und wissenschaftliche Daten so untereinander gemengt, daß jeder Gelehrte verzweifeln soll, sie auseinander zu klauben – eine Vorlesung, mit der ich jeden Geologen zum Fürsten und jede Prinzessin zur Geologin mache.«

»So meine ich es! das wird sehr gut sein!« ermunterte ihn der Abt.

»Was sagen Sie dazu? Irgendeine mit einer elektromagnetischen Produktion illustrierte Vorlesung.«

»Das ist sehr gut; das wird sehr amüsant, sehr interessant sein!«

»Darf ich Sie bitten, die Genehmigung der Gräfin dazu zu erwirken? Ich muß sehr viel Apparate hinschaffen.«

»Ich versichere Sie im voraus, daß die Gräfin von Ihrem Anerbieten entzückt sein wird; die Hinbeförderung der Apparate überlassen Sie mir. Die Gräfin wird außer sich sein vor Freude, wenn sie das erfährt.«

Der Herr Abt bekam Flügel, und nachdem er seinen geehrten Kollegen (nennen wir uns auch ferner so!) umarmt hatte, entfernte er sich voller Zufriedenheit über den Erfolg seines Besuchs.

Iwan aber nahm den Brief neuerdings heraus und ihn vor sich hinbreitend, fuhr er fort – was er vorhin unterbrochen hatte – über den Brief hinaus ins Leere zu starren.

* * *

Das war eine ganz eigentümliche Saison! Auf einmal nahm sich jeder Ungar vor, von nun an ein Ungar zu sein.

Das muß jedem Fremden, der die Verhältnisse Ungarns nicht näher kennt, wohl recht bizarr erscheinen.

Die Blätter schreiben Dithyramben über die ungarische Tracht, die plötzlich bei allen Klassen der Bevölkerung Mode wurde, über die Attilas, Dolmánys, über die Schnallengürtel, die mit Goldspitzen besetzten ungarischen Hauben und über die ideale »Párta«: das Diadem unserer Jungfrauen!

»In dieser Tracht ist jede Frau hundertmal schöner!« rief man damals allenthalben entzückt. – Doch n'en parlons plus! Es ist vorbei!

Auf den Straßen klirrten die Sporen mit großen, größern und allergrößten Rädern; die Juwelierauslagen waren voll mit antiken Knöpfen und Schnallen, Adler- und Reiherfedern nickten auf jedem Hut, und es gab keine so eigentümliche ländliche Tracht, die nicht nachgeahmt und in Pest auf Bällen, Reunionen, in vornehmen Zirkeln getragen worden wäre; Urahnen mußten ihren Namen für die ungarischen Kleider hergeben, und es entstanden »Attilas« und »Budas«; längst verstorbene Poeten wie Csokonai und Kazinczy mußten es gestatten, daß ihre Namen in Schnürwerkhieroglyphen verewigt wurden. Und diese Hieroglyphen hatten eine Bedeutung!

Die gewundenen Figuren des Schnürwerks an den Kleidern waren ein sichtbarer Protest, genäht, wenn er nicht geschrieben und gedruckt werden konnte.

In den vornehmsten Kreisen war die Order ausgegeben, daß Besucher nur dann empfangen werden, wenn sie in Nationaltracht erscheinen; und wenn jemand es wagte in einer Soiree im schwarzen Frack zu erscheinen, so riskierte er, vom ersten besten mit den Worten angesprochen zu werden: »Ich bitte, lieber Johann, bringen Sie mir ein Glas Wasser!«

Die Volkstracht führte notwendig dahin, daß die verschiedenen Klassen sich miteinander amalgamierten. Der Graf trug dieselbe Tracht wie sein Kutscher. Viele fühlten, daß es gut wäre, miteinander bekannt zu werden.

Diesem edlen Wunsch kamen die aristokratischen Soireen entgegen, unter welchen die Soirées amalgamantes der Gräfin Theudelinde einen denkwürdigen Zug der Zeitgeschichte bildeten. Da kamen miteinander Magnaten und Dichter, Akademiker und Prälaten, Musiker, Maler, Bildhauer, Schauspieler, Kritiker und Mäcenaten, Professoren, Aerzte, Publizisten, Sportsmen und Politiker von allen Farben zusammen.

Es waren dies glänzende Gesellschaften – in thesi.

Was es nur an Schönheit und Reiz gibt in den aristokratischen Kreisen, die stattlichsten Damen in einer Pracht, als ob sie in einer Hofsoiree erschienen wären, und was noch mehr ist als die Pracht und Toilette, mit dem Nimbus der Jugend, der Anmut, der Bildung, der sie so distinguiert macht – was es nur an historischen Namen gibt im goldnen Buch der Aristokratie und an vom Volk genannten Namen in der Welt des Geistes – alles war da beisammen, einander nahe gebracht.

Aber die Amalgamierung ging schwer genug vor sich, obwohl jeder die besten Absichten mitbrachte.

Graf Emanuel, der liebenswürdige Greis, gab sich, wenn er eine journalistische Zelebrität erwischte, mit so edlem Eifer Mühe, die Sprache zu radebrechen, die er erst jetzt lernte, nämlich die ungarische, daß es nicht zu verkennen war, er sei ebenso entschlossen, wenn es ihm auch schwer ging, von nun an nur ungarisch zu sprechen, als ungarische Stiefel zu tragen, deren An- und Ausziehen eine geschlagene Stunde in Anspruch zu nehmen pflegte.

Anderseits wieder bemühte sich ein junger Publizist im Schweiße seines Angesichts einer für Ungarn schwärmenden, ausländischen Gräfin auf Fragen, die er nicht verstand, in französischer Sprache zu antworten. Er versteht wohl vollkommen gut französisch, aber nur, wenn er es gedruckt vor sich hat.

Die sprachlichen Hindernisse waren indes noch nicht das Aergste; – aber das Thema!

Menschen, die zum erstenmal einander vorgestellt werden, und die sich in verschiedenen Lebenskreisen bewegen, finden wechselseitig schwer den Weg, einer in des andern Welt einzudringen.

Graf Leo lobt ein Theaterstück des dramatischen Dichters Nándori, das er vor zehn Jahren gesehen, und das die Kritik grausam verurteilt hat. Es war dessen erstes Werk, und er findet es selbst schlecht. Seine späteren sind freilich besser. Jetzt glaubt er, daß der Graf seine späteren Stücke entweder nicht gesehen hat, oder daß er ihn zum Gegenstand seiner Ironie macht.

Der Gelehrte Kinizsi will dem Baron Oskar beweisen, daß er dessen Verdienste auf dem Felde des Sports kennt und fragt ihn, um welche Preise er beim nächsten Rennen konkurrieren werde. Die Umstehenden wenden sich ab. Jedermann weiß, daß Oskar seine Rennpferde wegen seiner vorjährigen Verluste verkauft und sich vom Turf zurückgezogen hat. Jetzt ist er nur mehr Zuschauer.

Der junge Journalist Kákori will sich in der fremden Gesellschaft ganz heimisch fühlen und schwätzt sans gêne mit jedem, der ihm in den Wurf kommt. Er hat Gesprächsstoff genug, das Tagsgeträtsche. Mit einem schönen Herrn mit einer Adlernase, einem wahren Typus des Magnaten, läßt er sich in ein Gespräch ein über das Gerücht, daß nun auch im Ofner Schloß Soireen stattfinden sollen, und auch die ungarischen Magnaten Einladungen erhalten werden. »Wird jemand hingehen?« fragte der Magnat, »höchstens Graf Guido!« – »O, ich gehe nicht hin.« – Der Journalist bemerkt jetzt erst, daß er dem Mann, den er nicht persönlich kannte, eine große Sottise ins Gesicht gesagt hat. Wer weiß, gegen wie viele er schon inkognito grob war, seit er sich in dieser Gesellschaft befindet.

Graf Stefan, ein Cousin der Gräfin Theudelinde, ist ein sehr gebildeter und besonders in der poetischen Literatur der ganzen Welt belesener Mann. Darum glaubt er einen jungen Poeten, der mit seinen patriotischen Gedichten rasch zu einem populären Namen gelangt ist, gut zu unterhalten, indem er ihn in eine Ecke drängt und dort mit ihm über die Weltliteratur zu sprechen beginnt. Er zitiert Burns und Shelley. Er fragt ihn, ob er Spencers »Fairy queen« kennt, ob er Miltons »Verlorenes Paradies« für ein vollkommenes Werk hält, welche Ansicht er über Drydens Schule habe, ob ihm Wordsworth lieber sei als Byron, ob er zwischen der Frithjofs-Sage und Ossians Gesängen eine geistige Verwandtschaft finde, was er von den »legendes des siècels« halte, ob es anzunehmen sei, daß Viktor Hugo sich dadurch über Dante erhebt, ob es nicht schade sei, daß das Genre der Amadisromane sich überlebt hat, ob er Tasso dem Ariost vorziehe, ob er von Metastasios Improvisationen etwas halte, was seine Ansicht sei über die Wirkung der »commedia erudita«, ob er die französische Uebersetzung des »Hariri« und die englische der »Sakuntala« kenne. Einmal überfällt er ihn sogar mit der Bemerkung, wieviel schöner die Odyssee im griechischen Original als in der lateinischen Uebersetzung ist!

Der arme Verseschmied schwitzt Blut vor Verlegenheit, denn er liest nichts als seine eignen Verse. Er ist, wie er behauptet, ein Genie, kennt aber außer seinen eignen Reimen nichts und nimmt sich deshalb vor, sobald er von diesem gefährlichen Rencontre loskommt, dem in der Gelehrsamkeit unersättlichen Grafen, sowie er ihn von weitem erblickt, auszuweichen wie einer Klapperschlange.

Doch am schlechtesten erging es denjenigen, welchen die Auszeichnung zuteil wurde, der Komtesse Angela Bondaváry vorgestellt zu werden.

Komtesse Angela ist eine klassische Schönheit.

Ihr Großvater ist eine politische Zelebrität, ein großer Mann von verschiedenerlei Nimbus, guter und schlechter Art, umgeben.

Nichts natürlicher daher, als daß ein der schönen Komtesse vorgestellter unglücklicher Lateiner gleich beim dritten Wort mit ihr von ihrem Großvater, dem Fürsten Theobald Bondaváry zu sprechen und sich obligat nach seinem Befinden zu erkundigen beginnt.

Auf eine solche Frage spricht Komtesse Angela mit dem vor ihr Stehenden kein Wort mehr, sondern läßt ihn fortsprechen, bis er nichts mehr vorzubringen weiß und fortgeht. Er hört von der Komtesse kein Wort mehr.

Und doch tut selbst einem ausgetrockneten Gelehrten das Herz weh, wenn diese schönen Augen, die ihm noch vor einer kurzen Weile mit dem Lächeln des Frühlingshimmels in seine Augen blickten, plötzlich einen so eiskalten Blick auf ihn werfen.

Komtesse Angela ist eine ideale Schönheit. Wir haben dies bereits gesagt, können es aber nicht genug wiederholen. Ein reines, edles Gesicht mit klassischen antiken Zügen, Nase und Lippen von schönstem Schnitt, lange, schön geschwungene Augenbrauen und schattige Wimpern, welche die Augen einer Göttin verhüllen. Wenn diese Augen glühen oder sich verbergen, so glaubt man, sie seien schwarz; nur wenn sie heiter lächeln sieht man, daß sie blau sind. Ihr Haar ist reich, von ins Goldblonde spielendem Kastanienbraun. Ueber das ganze Gesicht ist ein Bewußtsein des Reizes verbreitet, das Gefühl, daß sie der Mittelpunkt einer gewissen Welt und der Ausdruck dessen, daß sie mit ihrer Lage zufrieden ist. Sie weiß, daß die Schönheit eine Macht.

Aber warum werfen diese schöne Augen so frostige Blicke auf den armen Fremdling, der es sehr natürlich findet, daß man sich bei der Komtesse Angela Bondaváry nicht besser einführen könne, als wenn man vor ihr die Verdienste des Fürsten Theobald Bondaváry erwähnt?

Die Mitglieder der Société wissen das alle recht gut, aber den Lateinern ist die Sache unbekannt. Das Rätsel läßt sich einfach lösen. Fürst Theobald hat seine einzige Enkelin, Angela, dem deutschen Fürsten Sondersheim zur Gemahlin bestimmt. Der Komtesse Angela gefiel dieser aber nicht. Darüber kam sie mit ihrem Großvater dermaßen in Konflikt, daß sie gelobte, niemals mit ihm ein Wort zu sprechen; und da gerade damals Gräfin Theudelinde in Pest ein Haus eröffnete, so kam Angela von Wien herab zu ihrer Tante und blieb bei ihr. Seitdem hat sie einen Brief, den ihr Großvater an sie schrieb, nicht einmal erbrochen.

Das ist das Geheimnis. Jedes Mitglied der Société weiß es; aber diese Leute wissen ihre Geheimnisse so gut zu bewahren, daß nie etwas davon in die äußere Welt dringt. Untereinander sind sie mitteilsame, aber vor Fremden sind sie alle »Knownothings«, wie die Yankees.

Vom Abt Samuel war es ein guter Gedanke, daß für eine so heterogene Gesellschaft irgendeine gemeinschaftliche Unterhaltung erfunden werden müsse. Die Konversation allein genügt nicht. Bei den Zusammenkünften sitzen in einem Salon die jungen Fräulein, im anderen die Herren, im dritten die verheirateten Frauen, als ob sie nach Alter und Geschlecht gesonderte Klassen bilden würden.

Man fing an künstlerische Produktionen, poetische und wissenschaftliche Vorlesungen zu arrangieren. Das belebte die Konversation gleich und brachte die »Fremden« einander näher. Sie sahen einander auch bei den Proben und nicht in der Balltoilette; sie wagten es einander die Hand zu geben. Sie lernten sich gegenseitig kennen. Selbst auf der Gasse erkannten sie einander, und sie freuten sich, wenn sie sich sahen. Später fanden sie auch ein Thema, über welches sie gerne miteinander konversierten.

Aber um die Wahrheit zu gestehen, wenn gegen Mitternacht das Konzert, die Vorlesung, die Dilettantenvorstellung zu Ende war und Gelehrte, Künstler, Poeten es für an der Zeit hielten, nach Hause zu gehen und die Société allein zurückblieb: so fühlten sich doch beide wohl, die Weggegangenen und die Zurückgebliebenen.

In der Société fing man dann erst an, sich recht zu unterhalten. Die Jungen fingen an zu tanzen, die Alten Whist oder Tarock zu spielen und so blieben sie bis zum Morgen beisammen.

Sie hätten gewiß dasselbe getan, wenn die Gelehrten, Künstler, Poeten auch alle dort geblieben wären. Wozu gingen sie fort? Sie hätten ja auch an der Unterhaltung teilnehmen können. Aber das war nichts für sie. Es war besser, daß sie nach Hause gingen.

Abt Samuel verstand es sehr gut, Reklame zu machen. Wenn in den Salons der Gräfin Theudelinde irgendeine bedeutendere Vorstellung stattfinden sollte, so erfuhr das jedermann eine geraume Weile vorher. Er verbreitete die ganze Biographie und alle Präzedenzen des Künstlers, Schriftstellers oder Gelehrten, der etwas zum besten geben sollte, damit dann jedermann mit dem Helden des Abends um so leichter sich in ein Gespräch einlassen könne.

Die drei Tage bis zur nächsten Soiree der Gräfin Theudelinde genügten, daß Iwan Berends Vorleben bis auf die geringsten Details bekannt wurde und man in der der Vorlesung vorausgehenden Produktion von allen seinen Eigenschaften sprechen konnte.

»Ist es wahr, daß er das ganze Jahr hindurch immer auf dem tiefsten Grund seiner Kohlengrube wohnt?«

»Ist es wahr, daß er sich nur jeden Neumond einmal zu waschen pflegt?«

»Parbleu! Jetzt ist gerade das letzte Viertel.«

»Er hat in seinem ganzen Leben mit keinem Frauenzimmer gesprochen.«

»Er gibt sich mit nichts ab als mit Mammutzähnen.«

»In seiner Vorlesung werden vierhundertundfünfzig griechische, lateinische, arabische und hebräische Wörter vorkommen.«

»Ist es wahr, daß er bloß um ein Experiment zu machen, einen dreikaratigen Brillanten der Gräfin Theudelinde verbrannt hat, der achthundert Gulden wert war?«

»Der Stein hatte vier Karat und war fünfzehnhundert Gulden wert.«

»Er kann das leicht tun, da er doch Diamanten machen kann.«

»Kann er das wirklich?«

»Und ißt er in der Tat nichts anderes als Knoblauch?«

»Aber heute doch wohl nicht!«

»Am Schluß wird er sich auf der Elektrisiermaschine produzieren.«

»Wird er damit Musik machen?«

»Nein, er wird uns alle elektrisieren.«

»Das tut wirklich not.«

»Das wird schön sein, wenn er den alten Baron Stefi auf den Isolator stellt, wo einem durch die Elektrizität alle Haare zu Berge stehen, und ihm auf einmal die Perücke vom Kopfe fliegen wird.«

»Wo ist denn die Teufelsmaschine?«

»Dort hinter der Lesetribüne; aber man darf sie nicht anrühren, denn wer sie berührt, der bekommt einen verdrehten Mund und behält ihn für immer.«

»Das ist nicht wahr. Das ist eine elektro-magnetische Maschine. Ich habe eine solche in Paris gesehen. Aber diese Maschine besitzt die Eigenschaft, daß sie, wenn jemand in der Gesellschaft geschminkt ist, die Schminke plötzlich in schwarze Farbe verwandelt.«

»Diable! davon hätte man die Gäste in einer Affiche in Kenntnis setzen sollen.«

»Weiß dies Gräfin Theudelinde?«

»Heute ist ihr Gesicht besonders weiß.«

»Mit dem großen Diamantendiadem auf dem Kopf sieht sie aus wie die Marmorbraut in ›Zampa‹.«

»Aber meine Cousine Angela ist heute besonders bezaubernd!«

»Findest du?«

»Das weiße Perlendiadem verleiht ihrem Gesicht einen sehr sanften Ausdruck.«

»Daran ist das Diadem schuld.«

»Aber wenn der wilde Gelehrte mitten unter diese vielen glänzenden Frauenschönheiten herein stolpert, so vergißt er vielleicht die elektrische Beleuchtung.«

»Wir machen ihn nach und nach vertraut. Empfangen wir ihn freundlich, damit er sich nicht geniert fühle. Da kommt er; unser Geistlicher eskortiert ihn.«

Der Kavalier, der zuletzt gesprochen und Komtesse Angela seine Cousine genannt hatte, ein ungefähr zwanzigjähriger junger Mann, eine vornehme, wohlgebildete Gestalt, eilte Iwan entgegen, den Abt Samuel in den Salon führte, und stellte sich ihm als Graf Edmund, Neffe der Dame des Hauses vor; dann nahm er ihn am Arm und führte ihn zu Graf Stefan, dem Onkel der Dame des Hauses, der ein sehr belesener Mann war, machte ihn mit ihm bekannt, ließ ihm so viel Zeit, daß Iwan sich überzeugen konnte, es gebe hier auch Leute, die sein Fach verstehen, und stellte ihn dann noch einigen anderen Fremden vor, die ihm alle die Hand drückten. Auch diese waren alle freundlich gegen ihn. – Der Empfang in dieser Gesellschaft war der ermunterndste. – Dann geleitete der Herr Abt Iwan in den andern Salon, wo die Damen versammelt waren; da führte er ihn zur Dame des Hauses. Die Gräfin reichte ihm die Hand und empfing ihn mit einigen freundlichen Worten. Dann nahm ihn wieder Graf Edmund am Arm, führte ihn zu der am Eingang des nächsten Salons stehenden Gruppe junger Damen und stellte ihn der Komtesse Angela vor.

Iwan war ein wenig befangen, doch weder schüchtern noch verwirrt.

»Sie kommen selten nach Pest?« sprach Komtesse Angela zu dem ihr Vorgestellten.

»Es ist in der Tat sehr lange, seit ich zuletzt hier war. Soviel ich weiß, sind Sie, Komtesse, zum erstenmal hier. Sie haben bis jetzt nicht in Pest gewohnt.«

Angelas Gesicht begann einen Ausdruck der Kälte anzunehmen. Jetzt wird er sich gewiß gleich nach dem Fürsten Theobald erkundigen.

»Ja,« antwortete sie trocken. »Und was folgt daraus, daß ich jetzt zum erstenmal in Pest bin?« fragte sie Iwan mit spitzer Betonung.

»Daß es ein sehr gewöhnlicher Zufall sein kann, der einen Menschen irgendwohin führt, wo er noch nicht gewesen ist; aber eine Fügung des Schicksals ist es, wenn viele Menschen an einem solchen Ort zusammentreffen. Und indem hier so viele glänzende Gestalten zusammenkommen, finde ich bloß in diesem Gedanken eine Entschuldigung dafür, daß auch ich da bin, ein so dunkler, geringfügiger Punkt. Vielleicht schickt die Vorsehung jetzt die Menschen auf unbewohnte Orte.«

Auf dieses Wort hin erglühten Angelas Augen.

»Nicht wahr?« Sie glauben an die Vorsehung? Sie glauben, daß es höhere Schickungen gibt?«

»Ich glaube es.«

»Dann bin ich Ihnen gut.«

Hiermit schaute sie anderswohin, was Iwan für ein Zeichen hielt, daß er entlassen sei.

Nach einer Viertelstunde gegenseitiger Vorstellungen setzte Edmund ihn in Kenntnis, daß im Vorlesesaal alles in Ordnung sei, und die Gesellschaft begab sich dorthin. Iwan nahm auf der Erhöhung Platz, die im Hintergrund des Saales für ihn hergerichtet war, und begann, indem er seine Schriften hervorzog, die Vorlesung.

Er hatte ein gewinnendes Organ, einen ruhigen, anspruchslosen Vortrag, und alles hörte ihm mit Aufmerksamkeit zu.


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