Maurus Jókai
Schwarze Diamanten
Maurus Jókai

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Eine kleine Niaiserie.

Der Fuchs wurde in der Tat gefangen. Aus der Tiefe des Waldes erscholl das triumphierende Halali und dann das Hornsignal zur Sammlung der zerstreuten Mitglieder der Gesellschaft. Komtesse Angela war um diese Zeit mit ihrem Begleiter bereits zum Saum des Waldes gelangt; Iwan gab mit seinem Horn das Zeichen, daß die, welche sie suchen, bereits auf dem Heimweg begriffen.

So kamen sie ungefähr eine Viertelstunde früher in das Schloß zurück als die ganze übrige Jagdgesellschaft.

Komtesse Angela und Iwan sahen sich dann bis zur Zeit des Soupers nicht wieder. Die Jäger erzählten ihre Erlebnisse und die Damen machten Toilette.

Komtesse Angela erzählte ihrer Tante, was ihr passiert war. Sie konnte niemals lügen. Der den gemeinen Seelen anhaftende Aussatz der Lüge war ihrem Gemüt fern. Wollte sie etwas nicht sagen, so schwieg sie; aber etwas anderes als die Wahrheit sprach sie nie.

Ob auch Iwan das Geschehene in der Gesellschaft der Männer erzählen wird? Männern pflegen derartige Abenteuer großen Spaß zu machen. Warum sollte er ein so glückliches Thema nicht zur Geltung bringen? Eine gerettete Dame! Eine derangierte Schönheit!

Als man sich zum Souper versammelte, konnte es leicht jedem auffallen, daß Komtesse Angela von einer gewissen Gêne befangen war und daß ihr Blick Iwan besonders mied. Sie war ungewöhnlich blaß, trug ein schwarzes Seidenkleid und war sehr wortkarg.

Sie überlegte bei sich, ob diese alle schon wissen, was Iwan weiß!

Die Herren bestrebten sich, sie zu amüsieren. Sie erzählten ihr von der prächtigen Emotion, mit welcher sie den Fuchs verfolgten, der öfter daran war, zu entkommen, bis sie ihn endlich erwischten. Sie bedauerten, daß die Komtesse dabei nicht zugegen sein konnte, da sie am jenseitigen Rande des Bergspaltes zurückgehalten war; es sei in der Tat für sie besser gewesen, zurückzukehren, als wieder über einen Spalt zu setzen – es hätte ihr da leicht ein Malheur passieren können.

Niemand erwähnte, daß ihr wirklich etwas zugestoßen sei. Aber diese fein erzogenen Leute verstehen es so gut, ein gleichgültiges Gesicht zu zeigen, daß man sich nicht darauf verlassen kann, daß sie von der Sache nichts wissen.

Aber wer dann Angela überzeugte, daß Iwan niemandem etwas von ihrem Unfall gesagt habe, das war ihr Cousin, Graf Edmund.

»Hat dich Berend nach Hause begleitet?« (Sie nannten ihn nicht mehr Ritter Magnet, sie scherzten nicht mehr mit ihm.)

»Ja.«

»Diese Begleitung war dir unangenehm?«

»Woraus schließest du das?« fragte Angela heftig.

»Aus Iwans Benehmen. Seit wir zurück sind, bekommt man von ihm kein Wort zu hören. Er mengt sich nicht in den allgemeinen Lärm. Er ist jetzt befangen. Auch meidet sein Blick den deinigen. Es scheint, er möchte gerne nicht mehr hier sein. Hab' ich es erraten?«

»Du hast es erraten.«

»Soll ich ihm helfen, von hier fortzukommen?«

»Meinethalben. Aber ohne alle Härte.«

»Kannst du eine solche von mir voraussetzen? Ich habe einen sehr guten Plan dazu.«

»Ich will ihn wissen. Denn ich bin auf diesen Menschen nicht böse, er ist mir nur zur Last. Ich möchte nicht, daß man ihn auch nur mit einem Finger von hier wegstoße; aber wenn er irgendwo jenseits der Isothermen als unser Antipode sich befände, so wäre es mir lieb.«

»Also, ich will dir meinen Plan sagen. Er ist ein Gelehrter und ein Philosoph. Viele gesellschaftliche Gewohnheiten faßt er ganz anders auf, als es bei uns üblich ist. Das Duell verabscheut er besonders. Ich bitte, verziehe nicht dein schönes Gesicht. Es handelt sich nicht um ihn. Ihn fordert niemand heraus. Das wäre ein sehr dummer Spaß. Aber heute abend nach dem Souper werde ich mit Salista über irgendeine Niaiserie in Streit geraten. Das Ende des nichtigen Streites wird sein, daß wir einander fordern. Ich werde Berend und Géza zu meinen Sekundanten wählen. Wenn Berend die Sekundantenstelle nicht annimmt, so wird er gleich genötigt sein, aus unsrer Gesellschaft zu scheiden; und wir haben dann miteinander nichts mehr zu tun. Wenn er sie aber annimmt, so werden die vier Sekundanten über die Modalitäten des zwischen mir und Salista auszufechtenden Duells untereinander in Streit geraten, und die konventionelle Folge hiervon ist die, daß die vier Sekundanten genötigt sind, einander zu fordern. Dann packt der Gelehrte gewiß zusammen, dankt für die genossene Freundlichkeit und geht nach Hause Gase brauen. Denn ich halte es für möglich, daß selbst ein Philosoph, wenn man ihn stark beleidigt, nach der Pistole greift; aber damit jemand aus purer gesellschaftlicher Etikette sich auf ein Duell einlasse, dazu muß er schon ein autochthoner Gentleman sein.«

»Und wenn es dennoch geschieht, daß er sich auch zu einem solchen Duell herbeiläßt?«

»Dann ist mein Plan zu Wasser geworden. Dann setzt sich ein Ehrengericht zusammen, welches ausspricht, daß keine Beleidigung vorgefallen sei und niemand Ursache habe, sich zu schlagen, und damit ist das Dramolett beendigt.«

Angela zuckte die Achsel.

»Meinethalben macht mit ihm, was ihr wollt. Aber gebt acht auf ihn. Dieser Mensch kann euch einmal die Zähne weisen; ça mord

»Ueberlaß das mir.«

Beim Souper lenkten sie das Gespräch absichtlich auf das Duell, damit Angela sich überzeuge, daß Iwan hierüber seine eignen Ansichten habe. Gelegenheit bot hierzu die jüngste Tagesneuigkeit: ein Duell, in welchem der einzige Sprößling einer vornehmen Familie wegen einer Niaiserie sein Leben einbüßte.

»Ich halte das Duell nicht allein für ein Verbrechen, sondern noch für mehr, für einen Fehler,« sagte Iwan. »Ueberhaupt begeht man eine wahre Gotteslästerung, wenn man einen Zweikampf zum Gottesurteil macht. Das Tedeum, welches die siegende Partei anstimmt, weil es ihr gelungen ist, mehr Menschen über den Haufen zu schießen als die verlierende Partei, ist eine Beschimpfung des Himmels. Doch die bewaffnete Genugtuung ist ein noch größerer Fehler der Gesellschaft; denn sie verhindert, daß die Wahrheit gesprochen werde. Wer uns unsere Fehler ins Gesicht sagt, ist unser Wohltäter, die gesellschaftlichen Regeln aber verpflichten uns, einen solchen Wohltäter zu töten. Hier gibt es keine andere Wahl, als einander anzulächeln oder aufeinander zu schießen, Komplimente zu machen oder sich zu schlagen.«

Graf Edmund nahm die Diskussion auf.

»Ich bin entgegengesetzter Ansicht. Wenn das Duell in der Gesellschaft nicht zum Gesetz erhoben wäre, so wäre dies eine Gottesleugnung. Denn dafür, daß ein Mensch als Schwächling auf die Welt kam, der andere muskulös und stark, dafür kann in der Tat niemand anderes als der Schöpfer. Und so wäre mitten in der Zivilisation der schwächer gebaute Mensch der Sklave des knochigeren Menschen; der darf ihn ohrfeigen, insultieren, und er zahlt nach dem Gesetz je nach dem Maße der Beleidigung von fünf bis hundert Gulden Schmerzensgeld. Diese Lücke zwischen der menschlichen und göttlichen Gerechtigkeit wird von der kleinen Bleikugel ausgefüllt, welche zwischen Starken und Schwachen die Gleichheit herstellt. Die Kugel ist kein Richter, denn oft entscheidet sie den Prozeß in ungerechter Weise, aber ein Gesetz, und der Respekt vor demselben macht es möglich, daß Brutalität und Bildung nebeneinander auskommen können.«

»Auch das ist ein Fehler der Gesellschaft, daß es so ist,« entgegnete Iwan. »Es ist ein falsches Ehrgefühl, durch welches dieses Gesetz diktiert wird. Die Gesellschaft sollte sich kein besonderes Gesetz machen, sondern dasjenige in Ehren halten, welches im Gesetzbuch Vornehmen und Armen in gleicher Weise vorgeschrieben ist. Nicht wahr, wenn man jetzt jemandem in der Gesellschaft eine Ohrfeige gibt und dieser sich nicht bewaffnete Genugtuung nimmt, so schließt die Gesellschaft ihn aus ihrer Mitte aus? Die Gesellschaft sollte dieses Prinzip umkehren und den ausschließen, der die Beleidigung verübt hat, dann wäre die Gesellschaft der Richter und nicht eine dumme Kugel.«

»Das alles ist in der Theorie sehr schön, lieber Freund; aber ich bitte dich, versetze dich in die Lage, in welcher man auf die eine oder die andere Weise genötigt ist, zur Waffe zu greifen.«

»Ich kann mir für mich keine solche Lage denken,« sagte Iwan; »ich beleidige niemanden geflissentlich. Und wenn ich es gegen meinen Willen getan habe, bin ich ernst genug, um den Beleidigten um Vergebung zu bitten. Meine Ehre zu verletzen hat niemand Gelegenheit, und wenn er es täte, würde ich mich auf alle diejenigen berufen, die mich kennen, und wehe mir, wenn dieses Forum mich nicht freisprechen würde.«

»Wie, wenn man jemanden, der dir lieb ist, verletzt?«

»Ich habe niemanden, der mir besonders lieb ist.«

Hiermit war der Faden der Diskussion abgeschnitten.

Und doch gibt es eine Person, die ihm besonders lieb ist.

Nach dem Souper, noch am Tische bewies ihm Marquis Salista, daß es jemanden geben kann, der ihm am Herzen liegt.

Der Marquis begann vor Angela von den Ereignissen des Revolutionsfeldzuges zu erzählen und schnitt schauderhaft auf. Er war damals Kürassierleutnant. Welche Verheerungen richtete er unter den Husaren an! Mit zwanzig Mann jagte er bei Izsaßeg das ganze Lehel-Husarenregiment in die Flucht und bei Altszöny hieb er die Wilhelm-Husaren bis auf den letzten Mann nieder.

Kein Zug bewegte sich in Iwans Gesicht. Selbst Angela bekam diese Prahlerei und die Herabsetzung der ungarischen Waffen satt, und direkt auf Iwan blickend fragte sie: »Ist das alles wahr?«

Iwan zuckte die Achsel.

»Wie sollte ich armer, unterirdischer Bergmann wissen, was hier auf der Oberfläche der glorreichen Erde vorgeht?«

Angela konnte seinethalben außer Sorgen sein. Das ist ein Philosoph, von dem man nicht zu befürchten hat, daß er in Feuer kommt.

Als die Gesellschaft nach dem Souper sich zerstreute, zogen sich Graf Stefan, Gräfin Theudelinde und einige weibliche Gäste in den Salon zurück. Schönes Mondlicht fiel durch das Erkerfenster herein, und während Gräfin Theudelinde Klavier spielte, kam Angela auf einen Augenblick mit Iwan zusammen.

»Ich gebe Ihnen Ihre Brustnadel zurück,« sagte sie. »Nach dem Volksglauben dürfen gute Freunde einander keine spitzen oder schneidigen Gegenstände schenken, sonst schadet man der Freundschaft.«

»Aber der Volksglaube,« sagte Iwan, »bietet auch das Gegenmittel, welches den bösen Zauber bricht, wenn nämlich beide über das Geschenk lachen.«

»Ach! darum lachten Sie, als ich von den eisernen Stacheln sprach! Also nehmen Sie Ihre Nadel zurück und lächeln wir – aus Aberglauben.«

Und sie lächelten einander an aus Aberglauben.

Komtesse Angela ging dann auf den Balkon hinaus und hielt mit dem warmen Maiabendlüftchen Rat.

Graf Edmund hatte ihr versprochen, ihr noch heute abend die weitere Entwicklung des Scherzes mitzuteilen.

Die Herrengesellschaft blieb noch lange wach; für sie ist die Nacht das wahre Leben.

Der Mond war bereits über die Spitzen der Pappeln emporgekommen, als Angela die Schritte des Grafen Edmund hörte, der aus dem Salon kommend sich der Erkertür näherte.

Im Salon klang noch immer das Piano. Sie konnten miteinander sprechen.

»Nun, was ist vorgefallen?« fragte Angela.

»Wir haben da mit unserer Niaiserie eine schöne Dummheit gemacht,« sagte Graf Edmund ärgerlich.

»Wieso?«

»Höre. Ich sollte eigentlich nicht davon sprechen, aber die Lage ist eine solche, daß ich sie dir nicht verheimlichen kann. Wir haben so gehandelt, wie ich dir gesagt habe. Als wir in den Herrensalon kamen, begannen wir den Scherz. Jemand begann davon zu sprechen, wie angenehm es sei, daß du jetzt in Ungarn bist.«

»Ah! das war eine Dummheit!« rief Angela erzürnt.

»Ich weiß, daß es eine Dummheit war. Jetzt weiß auch ich es schon. Nachdem der Fehler gemacht, kommt jedem der Verstand.«

»Wozu habt ihr meinen Namen eingemengt? Das habe ich nicht erlaubt.«

»Das ist gewiß; aber Männergesellschaften haben schon die üble Gewohnheit, daß sie eine interessante Dame nicht vorher um die Erlaubnis bitten, von ihr sprechen zu dürfen. Gerade mir, als deinem Cousin war es vorbehalten, gegen jedes Geschwätz zu protestieren, welches mit deinem Namen in Verbindung gebracht wird; und wenn Salista sagen wird, er wisse, daß du dich jetzt wegen der schönen Augen eines Menschen hier unten aufhältst, dann sollte ich ihm verbieten, darüber eine Meinung auszusprechen, und darüber wollten wir in Streit geraten.«

»Ah! das ist ja ein kindischer Studentenstreich!« sprach Angela zitternd vor Zorn.

»Das wäre ja noch gut, wenn nichts weiter als ein Studentenstreich sich daraus entwickelt hätte. Ich habe dir wohl vorausgesagt, daß wir eine kleine Niaiserie vorbereiten, und du hast darauf geantwortet: es ist gut; aber es ist etwas ganz anderes daraus geworden, als wir wollten. Berend saß am Schachtisch Salista gegenüber; Salista stand an den Kamin gelehnt. Nachdem nun Salista gesagt hatte: Ich weiß, was für ein Paar Augen die schöne Komtesse von Wien herabgelockt haben, schleuderte ihm Berend plötzlich die Worte ins Gesicht: Das ist eine Lüge! noch bevor ich Zeit hatte, meine Antwort vorzubringen.«

»Ah!« rief Angela, und eine elektrische Erschütterung durchfuhr ihre Nerven.

»Entsetzt sprangen wir auf. Der Scherz hatte eine schlimme Wendung genommen. Salista erblaßte. Darauf hatte er nicht gerechnet. Herr! sagte er zu Berend, nehmen Sie dieses Wort zurück; dieses Wort hat mir noch niemand in meinem ganzen Leben gesagt.«

»Und Berend?« fragte Angela, Graf Edmunds Hand erfassend.

»Berend stand vom Tische auf und antwortete ruhigen und kalten Tones: Es ist möglich, daß Sie bisher noch niemals einen Anlaß zu diesem Wort gegeben haben, aber jetzt haben Sie gelogen! Hiermit ging er ruhig aus dem Zimmer.«

Edmund hatte ein Gefühl, als ob Angela ihm mit ihren Fingern die Hand zerdrücken wollte. Angela mochte denken, daß man dort von ihr etwas Schlechteres gesagt haben konnte, worauf eine solche Antwort notwendig gewesen wäre.

»Ich lief ihm sogleich nach, um die Sache in Güte zu begleichen. Auf dem Flur holte ich ihn ein. Dort stellte er sich mir mit aller Ruhe entgegen und sagte: Lieber Freund, du weißt, was nun folgt. Ich bitte dich, fordere Graf Géza in meinem Namen auf und seid in dieser Affäre meine Sekundanten. Teilt mir dann mit, was ihr beschließt. Das übrige ist eure Sache. Und hiermit lud er mir die Rolle auf, die ihm bestimmt war, und jetzt bin ich sein Sekundant und er der Duellant. Ich wollte ihn in die Enge treiben. Ich stellte ihn zur Rede, was ihm das Recht gebe, jemandem wegen der Komtesse Angela den Handschuh hinzuwerfen. Darauf antwortete er: Die Pflicht, die jedem Gentleman obliegt, zum Schutz einer Dame aufzutreten, deren Gast er ist. Die Antwort war vom ritterlichen Gesichtspunkt ganz korrekt; aber sie weicht sehr stark ab von den Ansichten des Philosophen, welcher sagt: Ich habe niemanden auf der Welt, für den ich mich schlagen sollte.«

Angela sank in den Fauteuil zurück.

»O welch eine schreckliche Dummheit haben wir alle begangen! Nein! dieses Duell darf nicht vor sich gehen. Ich verbiete es ihnen.«

»Es wäre mir lieb, wenn du ein Mittel wüßtest, es zu verbieten.«

»Ich will sogleich mit Berend sprechen.«

»Das ist nicht möglich. Denn gleich nachdem er mich verlassen hatte, ging er hinunter, um anspannen zu lassen. Hörst du den Wagen hinausrollen? Géza ist mit ihm gefahren, und wir vier werden ihnen sogleich folgen. Denn solche Dinge kann man nicht in einem fremden Hause abmachen. Das geht so nur auf der Bühne an. Die Parteien müssen in ihrer eignen Wohnung abwarten, was wir über sie beschließen.«

»Aber mein Gott! ich will nicht, daß es geschehe! Ich werde mit Onkel Stefan sprechen.«

»Ich habe dir ja die Sache deshalb erzählt, damit du ihn über unser Fortgehen aufklärest; aber ich kann dir im voraus sagen, was in dieser Affäre seine Ansicht sein wird – er wird sagen: Man soll kein Aufsehen machen und trachten, daß die Sache sobald als möglich sich abwickle, damit sie nicht noch ärger werde; und die Sekundanten sollen klug sein.«

»Was heißt das, die Sekundanten sollen klug sein?«

»Soweit es von ihnen abhängt, den Ausgang des Duells je nach Maß der Beleidigung mildern oder verschärfen. Wir werden ihn mildern. Dein Namen wird unter den Motiven der Beleidigung nicht vorkommen. Wir werden Berend veranlassen, die Erklärung abzugeben, daß er das Wort Lüge auf Salistas Aeußerungen über die ungarischen Truppen ausgerufen habe. Dieser plausible Grund wird von beiden Seiten akzeptiert und dein Name wird in keiner Weise in die Sache eingemengt werden.«

»Es handelt sich nicht um mich, sondern darum, daß um meinetwillen jemand getötet werden kann.«

»Darüber sei ruhig. Die Sekundanten werden klug sein. Wir setzen die Barriere dreißig Schritte weit an und geben ihnen schlechte Militärpistolen, mit welchen man auf eine Distanz von einer Klafter das Ziel um eine Spanne verfehlt; es wird ausgemacht, daß sie nicht länger als eine Minute zielen dürfen; und sei gewiß, wenn beide so dick wären wie ein Elefant und Schützen wie Robin Rouge, und wenn sie selbst eine Stunde lang aufeinander schießen, so würde doch keiner treffen. Ich bitte dich daher, sei verständig. Wenn du einmal einen Mann hast, so wird auch der wegen deiner schönen Augen mehr als einmal solche Affären durchzumachen haben. Ich höre meinen Wagen, ich muß eilen, denn in der Morgendämmerung geht es los.«

Graf Edmund trachtete weiter zu kommen.

Diese kleine Niaiserie hatte den Spaß sehr verdorben. Die ganze Sportsaison wurde dadurch gestört. Da auf einmal sechs männliche Mitglieder der Gesellschaft sich entfernten, so wurde die Fortsetzung der Jagden auch für die übrigen unmöglich gemacht. Jedermann beschloß, morgen früh nach Pest zurückzureisen.

Diese Nacht war für die übrigen eine sehr unruhige.

Von der Komtesse Angela erzählte deren Gesellschafterin, welche mit ihr in einem Zimmer schlief, daß die Komtesse sechsmal in der Nacht aufstand und Licht anzündete, behauptend, daß es schon Tag sei und Zeit abzureisen. Sie mag einen sehr unruhigen Schlaf gehabt haben.

Am andern Tag um zehn Uhr waren nicht bloß die Gäste, sondern auch Gräfin Theudelinde und deren Angehörige schon in Pest.

Komtesse Angela ging in ihrem Zimmer unruhig auf und ab.

Um elf Uhr meldete man ihr, daß Graf Edmund da sei. Sie ließ ihn bitten, bei ihr einzutreten.

Edmund trat blaß, unmutig, mit verdrießlichem Blick bei Angela ein, die bemüht war, ihm das Vorgefallene vom Gesicht herabzulesen.

»Nun, was ist geschehen?« fragte Angela, »gibt's ein Unglück?«

»Es ist niemandem etwas geschehen,« antwortete Edmund herb. »Aber die Sache steht schlimmer als gestern.«

»Ist das Duell vor sich gegangen?«

»Ja und nein. Es ist vor sich gegangen, aber nicht ganz.«

»Das verstehe ich nicht.«

»Ich habe es bisher auch nicht verstanden. Ein Duell, das vor sich gegangen ist, aber nicht ganz! Auch mir ist dies neu. Wenn du willst, so erzähle ich dir, wie es geschehen.«

»Ich bitte dich sehr darum.«

»Also nach unserem Übereinkommen erschien ich heute früh um sechs Uhr in Berends Wohnung, um ihn abzuholen. Géza ging mit dem Arzt voraus. Nach unserem Uebereinkommen sollten die beiden Parteien beim Laßlovßky aufeinander warten und von dort auf das Leopoldifeld hinausfahren, wo das Rendezvous bestimmt war. Ich fand Iwan Berend schon bereit.«

»In was für einer Stimmung war er?«

»Er war ungewöhnlich scherzhaft. Auf dem ganzen Weg erzählte er Anekdoten. Als wir beim Laßlovßky ankamen, stieg eben auch Salista aus dem Wagen. Iwan lüftete die Mütze und wünschte ihm guten Morgen. Er wußte vielleicht nicht, daß dies nicht Sitte ist. Vor dem Duell grüßen die Parteien einander nicht. Salista erwiderte den Gruß nicht, obgleich, nachdem Berend schon einmal von der Sitte abgewichen war, auch er wohl daran getan hätte, seinem Beispiel zu folgen. Vom Laßlovßky fuhren wir zusammen bis zum Leopoldifeld, dort stiegen wir aus und gingen zu Fuß in den Wald. Als wir auf eine geeignete Lichtung gekommen waren, forderten wir die Parteien vorschriftsgemäß auf, sich zu versöhnen, was jedoch beiderseits stumm zurückgewiesen wurde. Hierauf maßen wir die Distanz ab, bezeichneten die Barrieren mit Sacktüchern und luden die Pistolen; die Parteien losten mit Strohhalmen um den Standort, dann verfügten sie sich auf ihre Plätze und wir gaben ihnen die Pistolen in die Hand. Ein Händeklatschen gab ihnen das Zeichen zu avancieren. Salista machte zwei Schritte vorwärts und schoß. Wie ich mir es vorher gedacht hatte, so war es auch, er traf nicht. Dann rief Iwan mit dumpfer Stimme: zur Barriere! Salista ging ihm bis zu dem weißen Taschentuch entgegen, und auch Iwan ging bis zu seiner eignen Barriere. Als er dorthin gelangt war, sagte er zu Salista: Sie haben meinen Gruß nicht angenommen; aber wenn ich die Kopfbedeckung lüfte, so müssen Sie auch die Ihrige abnehmen. Hiermit zielte er. Die halbe Minute, binnen welcher er seine Pistole gespannt hielt, überzeugte uns, daß seine Hand nicht zitterte. Die Pistole ging los und Salista stand barhaupt da. Seine Husarenkappe war zwei Klafter weit hinter ihn geflogen; die goldene Rose war davon abgerissen.«

»Ah!« seufzte Angela vor Verwunderung.

»Der Mensch schießt wie Robin Rouge. Wir luden die Pistolen aufs neue, weil nach dem Übereinkommen dreimal geschossen werden sollte.«

»Dreimal!« rief die Komtesse.

»Wir hatten geglaubt, diese Bedingungen getrost stellen zu können. Dreißig Schritte sind eine große Distanz und die Pistolen sind schlecht. Außerdem waren beide Parteien bis zum Kinn zugeknöpft; der eine hatte einen schwarzen Rock, der andere einen grauen Militärmantel an, beides schlechte Zielscheiben; überdies hatten beide die Hemdkrägen versteckt, damit an ihnen kein hervorstechender Zielpunkt zu sehen sei. Aber die herabgeschossene Kappe verbitterte den Kampf sehr. Es stellte sich heraus, daß Berend ein außerordentlicher Schütze sei. Und das provozierte in Salista den militärischen Trotz. Den zweiten Schuß mußten sie schon von der Barriere aus tun. Salista legte jetzt seinen grauen Mantel ab, knöpfte seinen Husarendolmány auf, so daß sein rotes Gilet und das weiße Vorhemd grell hervorstachen und anstatt, wie es beim Duell üblich ist, dem Gegner die Seite entgegenzustellen, stellte er sich ihm mit der ganzen Breite entgegen. Und rot und weiß sind die besten Farben, ein Ziel scharf zu umgrenzen. Ja, während wir die Pistolen luden, nahm er seine Zigarrentasche heraus und zündete sich, wie zum Beweise seiner Kaltblütigkeit, eine Zigarre an. Beim zweitenmal Schießen war er wieder der erste. Jetzt nahm er seinen Gegner ein wenig scharf aufs Korn. Er zielte lange, so daß ich genötigt war, ihn aufzufordern, er möge endlich schießen. Er traf wieder nicht. Die Blätter des Strauchs, unter welchen Iwan stand, fielen diesem auf den Hut. Die Kugel hatte sie abgerissen.«

Angela schauderte.

»Da sagte Iwan zu seinem Gegner: Herr, es schickt sich nicht, daß Sie in einem so ernsten Augenblick eine Zigarre rauchen. Salista antwortete nicht, sondern hielt ihm seine Brust entgegen und blies, das Gesicht zur Seite wendend, noch stärkere Rauchwolken von sich. Hierauf zielte Iwan eine volle Sekunde, ernst und mit scharfem Blick. Der Schuß knallte, und Funken sprühend flog Salista die Zigarre aus dem Mund.«

Ein unwillkürliches Lächeln glitt über Angelas Gesicht, so rasch, daß nur der Aufmerksame es bemerken konnte; in der zweiten Sekunde war dieses Gesicht bereits wieder unbeweglich, starr wie in Stein gemeißelt.

Graf Edmund fuhr in seiner Erzählung fort.

»Salista schleuderte wütend seine Pistole auf die Erde. Der Teufel soll mich holen! rief er, wenn ich mich mit diesem Menschen noch schieße! Das ist ja Belzebub in eigner Person. Er schießt mir die Mütze vom Kopf, die Zigarre aus dem Mund, beim dritten Gang schießt er mir noch den Sporn vom Stiefel! Er schießt rings um mich herum, wie ein chinesischer Jongleur um den andern. Er macht mich zum Gespötte. Ich schieße mich mit ihm nicht mehr! Seine Sekundanten liefen zu ihm hin, um ihn zu beschwichtigen; auch wir gingen hin, um ihn zu beruhigen, allein er war wütend. Er ließe sich nicht lächerlich machen! rief er; wenn jemand ein Wilhelm Tell ist, so soll er ihm nicht den Apfel vom Kopf, sondern ihm gleich ins Herz schießen; er stellt sich dem Narren nicht zu einem dritten Schuß. Wenn wir die Affäre ernstlich abmachen wollen, so sollen wir ihnen Säbel geben, dann werde es sich zeigen, wer der Tüchtigere sei. – Wir redeten ihm zu, keine Komödie zu machen; er müsse noch einmal schießen, ob es ihm den Sporn oder den Kopf koste. Die duellierende Partei habe nicht die Wahl und müsse sich dem Sekundanten fügen. Endlich wurde Berend der Lärm zu viel; er rief uns zu sich hin und fragte, was es gebe. Wir sagten ihm, daß Salista nicht zum drittenmal schießen, sondern seinen Gegner zu einem Zweikampf mit dem Säbel herausfordern wolle. Iwan antwortete mit kaltem Blut: Also gebt uns Säbel! – Wie, du wolltest? – Ich nehme auch Sensen an, wenn er es so will. Salistas Sekundanten hörten diese Aeußerung mit größter Befriedigung. Sie waren durch Salistas Ausbruch am meisten geniert, denn es ist nicht Sitte von der Pistole zum Säbel zurückzugehen. Anderseits hätte es auch einen Skandal gegeben, wenn Iwan den Wechsel der Waffen nicht angenommen hätte.«

»Und ihr habt den Säbel angenommen?« fragte Angela, auf Edmund mit zusammengezogenen Augenbrauen blickend.

»Nachdem der Herausgeforderte dazu bereit war.«

»Aber das war ja wahnsinnig von euch!« brach Angela aus. »Einem Menschen, der die Fechtkunst sein ganzes Leben hindurch geübt hat, einen anderen gegenüberzustellen, der nie einen Säbel in der Hand hatte!«

»Der Zweikampf wird ›aufs erste Blut‹ gehen,« beruhigte sie Edmund.

»Aber ihr hattet ja gar kein Recht, darauf einzugehen. Ihr habt die Sekundantenpflicht überschritten. Ihr hättet den Sekundanten Salistas sagen müssen, daß die Affäre entweder jetzt und so, oder niemals beendet wird.«

»Das ist richtig; und wir hätten es auch getan, wenn Berend nicht dagegen gewesen wäre.«

»Ihn hättet ihr nicht um seine Einwilligung bitten sollen. Wann soll das Duell vor sich gehen?«

»Da wir keine Säbel zur Hand hatten und es nicht üblich ist, nachmittags zu duellieren, so waren wir genötigt, die Sache auf morgen früh zu verschieben.«

»Bis morgen früh werde ich das Duell verhindern.«

»Wieso?«

»Ich werde mit Berend sprechen. Ich werde ihn über alles aufklären.«

»Wenn du ihm sagst, daß er infolge unseres Scherzes in diese Affäre geraten, so erreichst du damit nichts anderes, als daß er sich anstatt mit einem, mit sechs Menschen schlagen muß.«

»Ich werde ihn so aufklären, daß er sich mit keinem von euch schlägt.«

»Dann hast du Salista ruiniert.«

»Wieso denn?«

»Wenn dieses begonnene Rencontre unerledigt bleibt, in welchem er erklärt hat, daß er sich nicht zum drittenmal schießt, so ist er für die Gesellschaft unmöglich; dann kann er als Offizier quittieren, von Pest weggehen und wieder Zuave des Papstes werden.«

»Meinethalben sei er Belzebubs Zuave! Was kümmert das mich! Er soll zum Sultan von Dahomei als Oberfeldherr gehen. Meinethalben mag er vollends zugrunde gehen, wenn er schon auf dem Wege dazu ist! Wer fragt danach, was aus ihm wird? Deine Pflicht ist es, deine Partei in Schutz zu nehmen, nicht ihn.«

Edmund staunte über die Heftigkeit der Aufregung, die sich in Angelas Worten ausdrückte.

»Das ist etwas anderes,« sagte er, sich vor seiner Cousine verbeugend. »Wenn du so sprichst, dann ergebe ich mich. Du hast vollkommen recht. Ich gehe Géza aufzusuchen und dann begeben wir uns miteinander zu Iwan, um ihm unsere Meinung mitzuteilen.«

Nach einer Stunde war Graf Edmund wieder bei Komtesse Angela.

»Nun, was habt ihr ausgerichtet?«

»Höre! Ich ging sogleich mit Géza zu Iwan. Ich gab ihm zu wissen, daß wir unserer Pflicht gemäß von den durch uns festgestellten Bedingungen nicht zurücktreten und das Säbelduell nicht annehmen können. Hierauf drückte er jedem von uns die Hand und sagte: Ich danke Ihnen für Ihre bisherigen Freundschaftsdienste. Und da Sie mir nach Ihrer Ueberzeugung in dieser Sache nicht weiter Beistand leisten können, so will ich Sie nicht zwingen. Aber ich gehe ins Offizierskasino in der Karlskaserne und bitte die ersten zwei Offiziere, die ich treffe, da ich in der Stadt unbekannt bin, in einer Affäre, die mit dem Säbel ausgemacht werden soll, meine Sekundanten zu sein.«

Komtesse Angela schlug erstaunt die Hände zusammen.

»Du hast recht gesagt, daß dieser Mensch uns noch die Zähne weisen werde,« fuhr Edmund fort, »ça mord! Und woran der sich einmal verbeißt, das hält er fest. Wir stellten ihm vor, daß Salista ein berühmter Fechter sei; darauf rief er mit aller Heftigkeit: Und wenn der Teufel selbst in ihm steckt, ich will ihm in die Augen sehen! Dieser Mensch beißt!«

Komtesse Angela setzte sich zu einem Tisch und stützte den Kopf in die Hand.

»Wir hatten keine andere Wahl als Berend zu versichern, daß wir ihm, wenn er es wünscht, in allem zu Diensten sein wollen. Und morgen schon werden sie sich schlagen. Was daraus werden wird, weiß Gott.«

Graf Edmund ging fort und Angela bemerkte es nicht einmal, daß er fort ging.


In der folgenden Nacht legte Angela sich gar nicht zu Bette. Stundenlang ging sie in ihrem Zimmer auf und ab, und als sie sich einmal ermüdet niedersetzte, flüsterte sie für sich: »Ich habe an ihm so gehandelt wie Julia Gonzaga.«

Erst gegen Tagesanbruch warf sie sich angekleidet aufs Bett, und das Kissen, in welches sie ihr Gesicht gedrückt hatte, fand die Kammerjungfer am andern Tage ganz naß.


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