Maurus Jókai
Schwarze Diamanten
Maurus Jókai

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Finanzwissenschaft.

Die Bondavárer Herrschaft hätten sie also schon.

Jetzt fehlt nur noch das Anlagekapital von zehn Millionen.

Dann brauchen sie noch eine Eisenbahn, welche das Gewerk mit dem Weltmarkt verbindet.

Sehen wir uns zunächst nach den zehn Millionen um.

Das Bondavárer Kohlenlager ist so viel wert, ja noch mehr. Aber wer weiß davon? Wer glaubt es?

Journalreklame, Eingesandtes fangen an ihre Wirkung zu verlieren. Diese Kunst versteht schon jeder.

»Gottes Segen bei Kaulman! Wer kauft Hamburger Lose?«

Man fängt an, den Witz zu verstehen. Der Segen ist wohl bei Kaulman, aber er kommt nicht von ihm.

Als Felix Iwan die Freundschaft erwies, ihm einen Direktor zu bringen, erblickte er während des Gesprächs auf dem Tisch ein Stück Kohle, in welchem der Abdruck einer fingerförmigen Pflanze sichtbar war. Diese Kohle war aus der Bondataler Grube.

»Ah! das ist die Fußspur eines urweltlichen Vogels!« sagte Felix.

»Nein!« erwiderte Iwan, »das ist der Abdruck des Blattes einer Pflanze.«

»Ich besitze ebenfalls eine schöne Petrefaktensammlung.«

»So nimm das dazu!«

Felix nahm das Petrefakt mit.

Als dann die Bondavárer Aktiengesellschaft nahe daran war, mit ihrem Unternehmen hervorzutreten, erschien einmal in einem der verbreitetsten deutschen Blätter die mit einer Illustration versehene Beschreibung des in der Bondataler Steinkohlengrube gefundenen Abdrucks eines Vogelfußes. Der Artikel war von »Doktor Felicius« unterzeichnet.

»Wir wollen diesen Abdruck sehen!« riefen die Gelehrten. Der Entdecker gab dem Tier, das seine Fußspuren in der damals noch weichen (!) Steinkohle eingedrückt zurückließ, auch einen gelehrten Namen: Protornithos lithanthracoides.

»Hoho! halt!« riefen auf einmal sämtliche Geologen. Physiologen, Paleontologen, Professoren, Gelehrte, artesische Brunnenbohrer; »das ist ein großes Wort!«

Eine Gruppe von Gelehrten behauptete, es sei möglich, die andere, es sei nicht möglich.

Warum ist es nicht möglich? Weil es in der Periode der Steinkohlenformation weder Vögel noch Säugetiere gab; deshalb findet man in der Steinkohle nur Pflanzenüberreste, Muscheln und höchst selten einen Fisch.

Und warum ist möglich? Weil man doch noch immer finden kann, was bisher noch niemand gefunden hat. Humboldt schwur noch darauf, daß es in der Urwelt keine Affen gegeben habe, weil nirgends ein fossiler Affe gefunden wird, und seitdem hat man in England einen, in Frankreich drei fossile Makropythezus gefunden.

Auf die Möglichkeitsgründe empörte sich das Lager der Vogelleugner aufs neue und nannte die Vogelgläubigen Esel; kommen doch selbst Amphibien nur in der Braunkohle vor! Und was hat das Anthrazoterium verbrochen? Aber von Vögeln könne nicht die Rede sein!

Endlich nachdem der Streit durch alle illustrierten Blätter gegangen war, nachdem er das deutsche, englische, französische Publikum in Aufruhr gebracht hatte, wurde dem Sensationsprozeß damit ein Ende gemacht, daß man zur Prüfung und Bestimmung des in Rede stehenden Petrefakts eine aus fünf angesehenen Professoren bestehende Kommission entsendete.

Doktor Felicius bot tausend Dukaten demjenigen, der beweisen würde, daß seine Vogelspur keine Vogelspur ist.

Das Tribunal der Gelehrten untersuchte dann das betreffende Petrefakt und sprach einstimmig das Verdikt aus, daß der Abdruck von keinerlei Protornithos, sondern von einem Blatt der Annularia longifolia herrühre. Es könne auch in der Tat nur der Abdruck einer Pflanze sein, denn die in Rede stehende Kohle sei keine Braunkohle, sondern die reinste Schwarzkohle, in deren Formationsperiode noch kein Vogel existierte.

Doktor Felix Kaulman zahlte dann ruhig die tausend Dukaten aus und dankte der ganzen Republik der Gelehrten sehr schön für die Freundlichkeit, daß sie die Bondavárer Kohle in der ganzen Welt so in Ruf gebracht hatte. Eine solche Reklame hätte er nicht mit vierzigtausend Gulden zustande bringen können. Jetzt mögen die Leute schreien, daß der Protornithos ein Humbug sei! Das Renommee der Bondavárer Kohle ist wissenschaftlich festgestellt.

Es naht also der günstige Zeitpunkt heran, in welchem man mit dem Unternehmen auf der Börse debütieren kann.

Denn das ist die größte Wissenschaft auf Erden.

Die Börse hat ihre heiteren und ihre verdrießlichen Tage. Manchmal ist sie voller Elektrizität, die Schafe hüpfen auf der Wiese; manchmal wieder lassen sie alle die Köpfe hängen und wollen das schöne Gras nicht anrühren. Manchmal bitten sie blökend den Schäfer, er möge sie scheren, denn die Wolle ist ihnen schon zu schwer. Ein andres Mal stecken sie alle die Köpfe zusammen und geben keiner Ermunterung Gehör. Zuweilen, niemand weiß warum, fängt der Leithammel an zu laufen, und alle anderen rennen ihm nach; weder der Schäfer noch der Hund vermögen sie im Lauf aufzuhalten.

Also die Hauptwissenschaft ist, zu wissen, wann auf der Börse gutes Wetter ist.

Denn manchmal sind die Tage so günstig, die Menschen in einem so seligen Zustand, die Brieftaschen und Geldbeutel so überströmenden Gemüts, daß alles gelingt; selbst wenn jemand zur Abgrabung und kleinweisen Veräußerung des Blocksbergs ein Konsortium suchen würde, würde er dazu Unternehmer und Aktionäre finden, ein andres Mal wieder lassen die Leute selbst das türkische Eisenbahnanlehen unbeachtet.

Also an einem solchen schönen Tage, an welchem jeder Grashalm gedeiht, wurde das Bondavárer Steinkohlenunternehmen auf der Wiener Börse aufgelegt, und am Tage der Subskription mußten vor dem Bankhaus Kaulman und in der Gasse der Kreditanstalt Militärkordons aufgestellt werden, um die massenhaft herbeigeströmten Unterzeichner in Ordnung zu halten.

Das subskribierende Publikum hatte sich schon am frühen Morgen vor den Toren aufgestellt; wer seiner Kraft vertraute, bahnte sich mit den Ellbogen einen Weg; im Gedränge eingedrückte Hüte und abgerissene Rockschöße kamen nicht in Betracht; Verbalinjurien höchsten Grades, und handgreifliche Beleidigungen zweiten und dritten Grades wurden nicht beachtet. Die auf die Gasse gehenden Fenster wurden eingeschlagen und durch diese rief man: »Ich unterschreibe zehntausend, hunderttausend, eine Million! Hier ist die Kaution!« Wackere Turner benützten die Vorteile ihrer körperlichen Gewandtheit, um auf die Schultern ihrer Nachbarn zu steigen und von da auf den Balkon hinaufzuklettern, von wo sie dann die Köpfe in den Saal hineinsteckten und riefen: »Eine halbe Million!« Und als es endlich nachmittags sechs Uhr schlug und die Tore geschlossen wurden, rief man der mit Waffengewalt zum Auseinandergehen gezwungenen Menge, die nicht so glücklich war, zur Subskription zu gelangen, vom Balkon herab zu: »Die Subskription ist geschlossen!« Die Ueberzeichnung war riesig; anstatt zehn Millionen waren achthundertundzwanzig Millionen gezeichnet worden.

Besitzen denn die Subskribenten das viele Geld?

Keineswegs! Jedermann deponiert den zehnten Teil der subskribierten Summe als Kaution in anderen Papieren. Geld hat das Konsortium noch nicht gesehen.

Diejenigen, welche hier im Gedränge einander die Röcke vom Leibe reißen, leiden weder an Geldüberfluß, noch haben sie mit der Kohlenproduktion das geringste zu tun; aber jetzt herrscht auf der Börse gutes Wetter, man kann gewinnen. Die Bondavárer Steinkohlenaktien stehen über Pari; diesen kleinen Gewinn möchte jedermann gern einstreichen, dann kümmert er sich nicht weiter darum, was mit den von ihm gezeichneten Aktien geschieht.

Aber es ist dafür gesorgt, das die Bäume nicht in den Himmel wachsen.

Fürst Waldemar steht an der Spitze der Kontermine. Er ist einer der berühmtesten Börsenmatadore.

Sowie die vielen Leute, welche nur wegen des momentanen Gewinns subskribiert haben, ihre Aktien auf die Börse bringen und dort zu verkaufen anfangen, hält das Steigen des Kurses natürlich inne; das Aufgeld wird immer geringer und endlich fällt es. Wenn das Unternehmen lebensfähig ist, wenn die Aktien in feste Hände gelangt sind, dann ist es möglich, daß der Kurs wieder steigt.

Aber auch dagegen hat die Wissenschaft ein Gegenmittel gefunden.

Der Verwaltungsrat wählt ein Syndikat. Nach geschehener Reduktion bestimmt das Syndikat, wann es den Unterzeichnern ihre Aktien gibt.

Die Zwischenzeit aber benützt es dazu, daß es den Börsenagenten etwa fünfhundert Aktien dafür schenkt, daß sie das Unternehmen lancieren. Diese schlagen dann hinter den Kulissen und im Parkett einen Heidenlärm. Sie treiben die Aktien fürchterlich in die Höhe. Sie reißen einander die Zertifikate mit großem Aufgeld aus den Händen; aber eine Aktie sieht die Börse nicht. Indes verzeichnet der Kurszettel schönstens »Geld« und »Ware«.

Erfahrene Leute wissen, daß das nur ein Theaterkrieg sei, daß wer bares Geld geben will, an der Quelle so viel Aktien al pari bekommen kann, als er nur wünscht; und die Kontermine lauert nur auf den Augenblick, in dem es Zeit sein wird, unter die Agioteure dreinzuschlagen und die Aktien des Unternehmens hinabzudrücken, damit sie dieselben zu Spottpreisen zusammenkaufen könne. Dann können die Aktien wieder steigen.

Wer nun in diesem Spiel verliert, der arme kleine Kapitalist, der aufs Eis tanzen gegangen ist, dem der große bacchantische Lärm des goldenen Kalbes sein kleines, wenig Zinsen abwerfendes Kapital aus der Schublade herauslockt, der auf den Leim geht und dem man, wenn die Kontermine explodiert, den Rücken zerbleut, der läßt seine Aktien, seine Differenzen, wie der Krebs den Fuß zurück, und läuft nach Hause, Gott danken, daß ihm wenigstens die Stiefel geblieben sind.

Das ist der Lauf der Dinge auf der Börse.



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