Maurus Jókai
Schwarze Diamanten
Maurus Jókai

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Wenn die Menschen auf der Erde keinen Platz mehr haben.

Unser Urvater.

Wieviel tausend Jahre es brauchte, bis der warme Schlamm der sechsten Schöpfung am Tage eines schöpferischen Sternbildes, vielleicht durch den himmlischen Kuß eines Kometen befruchtet, den ersten Menschen gebar? Es geschah vielleicht plötzlich, so wie ein warmer Regen in einer Nacht den Pilz, der Honigtau die Aphide, ein Tropfen Harz den Vibrio erzeugt.

Keine Furcht! Unser Urahn war kein Affe. Wir stammen nicht von den Gorillas ab. Unser Urvater hatte nicht vier Hände.

Wohl aber war er ein armer Bursche, als er sich zum erstenmal in dem Gesträuch umsah, welchem nach den Traditionen der Namen Paradiesgarten beigelegt war. Er war nackt, wehrlos, unwissend. Seine Zähne, seine Nägel konnten ihm nicht als Waffen dienen. Seine Haut schützte ihn nicht gegen die Launen der Witterung, ein stärkeres Tier überwältigte ihn, ein schwächeres floh vor ihm: sein Geruchssinn war nicht scharf wie der der Tiere und lehrte ihn nicht die genießbaren Gräser erkennen; vom Faultier lernte er, wie man sich von Eicheln nährt, und von der Eule, daß auch die Heuschrecke eine gute Speise sei.

Wahrhaftig, es gehörte großer Mut dazu, daß er sich unter solchen Umständen entschloß zu heiraten. Und dabei muß man bedenken, daß unsere Urmutter nicht die ideale Schönheit war, als welche die Maler sie darstellen. Sie hatte eine sehr niedrige, platte Stirne, hervorstehende Zähne und ein hervorragendes Kinn, eine Stumpfnase und sich vordrängende Backenknochen. Sie hatte krumme Beine mit großen Füßen und knotigen Knien.

Dies bestätigen die Archäologie, die Geologie und die Paläontologie mit handgreiflichen Beweisen. Unsere Urmutter hat viele Zeugen gegen sich.

Es mag ein bitteres Leben gewesen sein, welches unsere Ureltern führten. Ich glaube kaum, daß sie sich des Tags zu zeigen gewagt haben; sie mögen in der Nacht auf ihren Erwerb ausgegangen sein; Wurzeln, Knollen, Pilze, Waldbirnen, Eicheln, Haselnüsse, Sauerampfer, Spinat, aus Nestern gestohlene Eier, Muscheltiere mögen ihren Haushalt ausgemacht haben, wie es noch heute bei Millionen ihrer Nachkommen der Fall ist. Und wenn das Wetter zu schlecht zum Ausgehen war, so »bissen sie in den sauern Apfel« und aßen fetten Mergel, wie unsere Brüder am Ufer des Niger es heute noch tun. Und wenn der Mann fortging, um Nahrung zu suchen, so verbarg er das Weib und ihr Junges zwischen Dornengesträuch, wohin er nur nach der Stimme den Weg fand. Und die Sprache des Menschen verfügte damals noch über wenig Silben; es mögen nicht zweimal so viel gewesen sein, als in der Sprache des Hundes, und kaum halb so viel, wie in der des Hahns. Hört nur zu, wenn der Hahn mit seinen Hennen spricht, welch ein Reichtum von Lauten ihm zu Gebote steht. – Wenn er aber während seiner nächtlichen Wanderung in der Wildnis einer ihm gleichen Gestalt begegnete, wie kreischten da beide auf einmal auf, wie lief jeder zurück in sein eignes Gesträuch! Der Mensch wußte wohl, daß der Wolf, der Bär sein Feind sei; aber der Mensch war sein größter Feind.

Als dann der erste auf die Idee kam, daß man einen Stein mittels des andern schärfen, darin mit einem spitzen Stein ein Loch bohren, in das Loch eine lange Stange stecken und mit der so entstandenen Waffe den Auerochsen, den Bären, den Löwen angreifen könne! Welch ein großer Herr wurde er da auf einmal! Er war ein König, sobald er erfuhr, daß die Waffe ein ergänzender Bestandteil des Menschen sei!

Der so ausgerüstete Mensch ging nicht mehr nackt; er verschaffte sich und seinem Weibe ein zottiges Fell; er verbarg sein Lager nicht mehr im Gesträuch; er fällte Bäume mit seinem steinernen Beil, rammte Pfähle mit schweren Steinen in den Boden der Teiche, baute sich eine Pfahlburg im Wasser und brachte dort Kind und Kegel unter.

Jenes steinerne Beil machte ihn zum Herrn der ganzen Welt.

Besichtiget die steinernen Beile im Museum; es sind sehr interessante Stücke. Es sind unsere Adelswappen.

Der Herr mit dem steinernen Beile war schon König seines eignen Stammes. Wer ihm huldigte, den machte er zum Sklaven. Er lud den Sklaven das erlegte Wild, den gefällten Baum auf die Schulter, und der Sklave schleppte die Last. Die Sprache war bereits vollkommener. Die Liebe hatte zwar die Sprache noch nicht erfunden; die ist ohnehin da im Plappern, Zwitschern, Locken der Tiere, aber der Gebietende bedarf einer ausgebildeteren Sprache. Die Silben entwickelten sich.

Und wer nicht huldigte, den erschlug unser Urvater. Dazu hatte er das steinerne Beil. Und warum erschlug er den nackten Mitmenschen, dem er nicht einmal ein Fell abziehen konnte?

Mit Schamröte im Gesichte gestehen wir es, daß unser Urahn seinen für einen Gegner gehaltenen Mitmenschen erschlug, um ihn aufzuessen. Auch das haben die Forscher ermittelt, daß unsere Ahnen Menschenfresser waren. Lange glaubte man daran, daß wer das Herz des erschlagenen Feindes ißt, die Kraft des Feindes erbt. Sehen Sie, meine hochwohlgeborenen, hochgeborenen, durchlauchten und erlauchten Herren und Damen, solch ein Mensch war unser Urahn.

Doch Ehre, wem Ehre gebührt – er hat uns die ganze schöne Welt als Erbe hinterlassen.

Die ganze runde Welt, auf deren Festland wir nicht alle Platz haben; denn Millionen wohnen auf den Meeren, und Millionen in der Tiefe der Erde, und erwerben sich ihr Brot im Wasser und unter der Erde.

Wieviel tausendmal tausend Jahre gehörten dazu, bis aus den Nachkommen des Herrn mit dem ersten steinernen Beil und dem Bärenfell unser in Seide gehülltes Geschlecht hervorging? – Dieses Geschlecht, das mit Dampf reist, mit Sonnenstrahlen malt, mit dem Blitz von einem Ende der Welt zum andern Botschaften sendet, das in die Tiefe der Erde dringt und mit seinem Teleskop den Mittelpunkt der Unendlichkeit sucht, das die Nacht mit Licht, den Winter mit Wärme ausstattet, das dem Meer einen Sattel auflegt und die durch Wasser getrennten Erdteile miteinander verbindet, das dem Himmel den Blitz zu seinen Kämpfen entrissen hat, aus Erde Brot schafft, die Arbeit von Milliarden Menschenhänden mit Maschinen verrichtet, das einen Saft bereitet, welcher den Kummer besiegt, den Gräsern ihre Geheimnisse ablauscht, um den Tod zu bekämpfen, das Gottähnlichkeit für sich in Anspruch nimmt und göttliche Eigenschaften sich aneignet, das liebt, schafft, belohnt, straft, preist, nach Ruhm, Freiheit und ewigem Leben strebt, nach dem Tode ein neues Leben für sich fordert und im Glauben die Kraft findet, mit der es Gott festhält! ...

Wieviel tausend Jahre mußten verfließen, bis die Menschen es so weit brachten!


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