Washington Irving
Humoristische Geschichte von New-York
Washington Irving

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Neuntes Kapitel.

Enthält die würdige Abdankung und tödtliche Uebergabe Peters des Starrköpfigen.

So hätte ich denn diese große Geschichte beendigt; aber ehe ich die Feder niederlege, muß ich noch eine fromme Pflicht erfüllen. Wenn unter den vielen Lesern meines Buches zum Glück auch solche sind, deren Seelen, von echtem Adel, für die Geschichte aller Edlen und Braven erglühen, so werden diese ohne Zweifel begierig nach dem Schicksale des ritterlichen Peter Stuyvesant seyn. Um ein solches vollhaltiges Herz zu erfreuen, wollte ich mich in größere Längen ergießen, als damit die kaltblütige Neugierde einer ganzen Brüderschaft von Philosophen befriedigt werde.

Kaum hatte der hochgeartete Cavalier die Capitulation unterzeichnet, als er auch beschloß, die Demüthigung seiner Lieblingsstadt nicht mit anzusehen, ihren Mauern daher alsbald den Rücken kehrte und sich knurrend nach seinem Bouwery oder Landsitz zurückzog, der ungefähr eine halbe Stunde entfernt lag. Hier verlebte er den Rest seiner Tage in patriarchalischer Zurückgezogenheit. Hier erfreute er sich einer Ruhe des Geistes, die er unter den zerstreuenden Sorgen der Regierung nie gekannt hatte und schmeckte die Süßigkeit unbeschränkter Gewalt, die seine aufrührerischen Unterthanen ihm so oft durch ihre Opposition vergällt hatten.

Keine Ueberredung brachte ihn je dahin, daß er die Stadt wieder besuchte – im Gegentheil, er ließ sich seinen großen Lehnsessel immer mit dem Rücken gegen die Fenster nach derselben stellen, bis vor diesen Fenstern ein dickes Gebüsch von Bäumen aufwuchs, die er mit eigner Hand gepflanzt hatte, ein Schirm, der ihm alle Aussicht benahm. Er spottete immer über die unnatürlichen Neuerungen und Verbesserungen, welche die Eroberer einführten – er verbot seiner Familie auch nur ein einziges Wort von dieser verhaßten Sprache zu sprechen, welches man gern erfüllte, da Niemand im Hause eine andere Sprache als Holländisch reden konnte – er ließ sogar eine schöne Allee vor seinem Hause niederhauen, weil sie aus englischen Kirschbäumen bestand.

Dieselbe unermüdliche Wachsamkeit, welche seine Regierung ausgezeichnet hatte, gab sich auch hier, zwar kräftig, doch in etwas engern Gränzen kund. Er patroullirte in unablässiger Bewegung rings um die kleinen Gränzen seines Landguts, trieb jeden Angriff mit unerschrockener Schnelligkeit zurück, bestrafte jede landstreicherische Plünderung seines Obstgartens oder seiner Felder mit unbeugsamer Strenge und führte jede umher laufende Kuh oder Sau im Triumph in den Pfandstall. Aber dem armen Nachbar, dem verlassenen Reisenden oder dem müden Wanderer war seine Thüre stets geöffnet, und an seinem geräumigen Herd, dem Sinnbilde seines eigenen warmen, edlen Herzens, fand sich immer ein Plätzchen zu seiner Aufnahme und Erquickung. Eine Ausnahme zwar machten die Engländer oder Yankees, wenn unglücklicherweise von ihnen jemand seine Hülfe ansprach, so konnte man ihn nie dahin bringen, die Pflichten der Gastfreundschaft zu erfüllen. Ja, wenn durch Zufall ein herumreisender Kaufmann vom Osten an seiner Hausthüre mit einer Ladung von zinnerner oder hölzerner Waare hielt, fuhr der lebhafte Peter wie ein Riese aus seinem Schloß und machte ein so höllenmäßiges Geklapper unter dem Geschirr, daß der Verkäufer sogleich die Flucht ergriff.

Seine Uniform, durch die Bürste fadenscheinig, war mit Sorgfalt in dem kostbaren Schlafzimmer aufgehängt und wurde jeden ersten Tag im Monat gelüftet; sein dreieckiger Hut und sein betrautes Schwerd hingen in grimmiger Ruhe über dem Kamingesimse des Wohnzimmers und bildeten Fuß und Stütze eines vollständigen Portraits des Admirals Van Tromp. In seinen häuslichen Einrichtungen hielt er strenge Ordnung und ein wohlorganisirtes tyrannisches Regiment; wenn aber auch sein Wille immer als höchstes Gesetz galt, so war doch das Wohl seiner Unterthanen das einzige Ziel seiner Wünsche. Er sorgte nicht allein für ihren unmittelbaren leiblichen Vortheil, sondern auch für ihr geistiges und ewiges Wohl, denn er gab ihnen eine Menge guter Rathschläge und es konnte sich Niemand beklagen, daß er karg sey in heilsamen Strafen, wenn es der Anlaß erforderte.

Die guten alten holländischen Festlichkeiten, diese periodischen Zeichen eines überfließenden Herzens und dankbaren Gemüths, die bei meinen Mitbürgern ganz in Verfall gerathen, blieben in dem Haushalt des Gouverneurs Stuyvesant in gewissenhafter Uebung. Neujahr war ein Tag der offensten Freigebigkeit, der fröhlichsten Späße, der wärmsten Begrüßungen, wo der Busen von guter Compagnieschaft überfloß und eine reichliche Tafel mit ungenirter Freiheit und ehrlicher breitmäuliger Lustigkeit bedient wurde, die man in diesen Tagen der Entartung und Verfeinerung gar nicht mehr kennt. Die Kirchenfeste Paas und Pinxter wurden in seinen Besitzungen streng gehalten, und der St. Nikolaustag durfte nicht verstreichen, ohne daß Geschenke gegeben, der Strumpf in den Schornstein gehängt und die anderen Ceremonieen gemacht wurden.

Einmal im Jahre, auf den ersten April, pflegte er sich in voller Uniform zu zeigen, es war der Jahrestag seines Triumpheinzugs in Neu-Amsterdam, nach der Einnahme von Neu-Schweden. Dieß war immer eine Art von Saturnalien unter den Dienstboten, wo sie sich die Freiheit nahmen, zu sagen und zu thun, was ihnen einfiel; an diesem Tage war ihr Herr sehr ausgelassen, spaßhaft und kurzweilig, er schickte die alten grauköpfigen Neger nach Taubenmilch in den April, mit Allen trieb er seinen Schabernack, und sie machten sich eine Ehre daraus, ihrem alten Herrn zur Zielscheibe des Witzes zu dienen. So herrschte er glücklich und zufrieden über sein Land – beleidigte und beneidete Niemanden – wurde durch keine auswärtigen Kämpfe, durch keine innerlichen Bewegungen in Unruhe und Verwirrung gebracht – die gewaltigen Herren der Erde, welche vergebens danach trachten, Frieden zu stiften und das Heil der Menschheit zu fördern, indem sie Kriege und Verheerungen wüthen lassen, würden wohl gethan haben, eine kleine Reise nach der Manhatten-Insel zu machen und in der häuslichen Oekonomie-Verwaltung Peter Stuyvesants Unterricht im Regieren zu nehmen.

Im Verlaufe der Zeit jedoch fing der alte Gouverneur Stuyvesant an, wie alle Menschenkinder, Zeichen des Verfalls zu geben. Wie ein betagter Eichbaum, der lange der Wuth der Elemente getrotzt hat, zwar noch immer seine riesenhafte Gestalt behält, aber bei jedem Sturmwind zu zittern und zu knarren anfängt – so ging es auch dem ritterlichen Peter; er trug zwar noch immer das Ansehen von dem, was er in den Tagen seiner heldenmüthigen Stärke war, allein Alter und Gebrechlichkeit erschütterten die Kraft seines Körpers – doch sein Herz, diese unbezwingliche Citadelle, triumphirte noch immer als unerobert. Mit großer Begierde spannte er auf jeden neuen Zeitungsartikel, welcher von Schlachten zwischen Engländern und Deutschen handelte; sein Herz pochte stärker, wenn er von den Siegen eines de Ruyter hörte, und sein Kopf senkte sich und seine Augenbrauen zogen sich zusammen, wenn sich das Kriegsglück zu den Engländern neigte. Endlich an einem gewissen Tage hatte er gerade seine fünfte Pfeife ausgeraucht und schlummerte ein bischen nach Tisch in seinem Lehnsessel, wo er im Traum ganz England eroberte; da wurde er plötzlich von Glockenläuten, Trommelgewirbel und Kanonendonner geweckt, und sein Blut kam ganz in Aufruhr. Er erfuhr, daß es Zeichen der Freude seyen, bei einem Siege, den die vereinigte Flotte der Engländer und Franzosen über den braven de Ruyter, sowie über den jüngeren Van Tromp davongetragen. Dieß ging ihm so sehr zu Herzen, daß er sich ins Bett legen mußte und in weniger als drei Tagen durch eine heftige Cholera morbus an den Rand des Grabes gebracht war! Aber selbst in dieser äußersten Gefahr zeigte sich der unbezwingliche Geist Peter des Starrköpfigen. Er hielt sich bis zum letzten Athemzuge mit der größten Hartnäckigkeit gegen eine ganze Armee von alten Weibern, die sich bemühten, den Feind aus seinen Eingeweiden zu vertreiben, nach einer ächt niederländischen Vertheidigungsart, mit Katzenkraut und Krausemünze.

Wie er so dalag und der Auflösung nahe war, kam die Nachricht, daß der brave de Ruyter nur wenigen Verlust erlitten – sich vortheilhaft zurückgezogen habe – und gesonnen sey, seinem Feind eine neue Schlacht zu liefern. Die brechenden Augen des alten Kriegers funkelten noch einmal bei diesen Worten – er erhob sich im Bett – kriegerische Begeisterung blitzte auf seinen Zügen – er ballte die dürre Faust, als ob er das Schwerd fasse, welches er einst triumphirend vor den Mauern des Forts Christina geschwungen, lächelte grimmig siegreich, sank zurück auf sein Kissen und starb.

So endete Peter Stuyvesant, ein herzhafter Krieger – ein treuer Bürger – ein edler Gouverneur, und ein ehrlicher Holländer – dem nur wenige Reiche zur Verwüstung fehlten, um als ein Held unsterblich zu werden!

Sein Leichenbegängniß ging mit der größten Pracht und Feierlichkeit vor sich. Die Stadt war von ihren Einwohnern verlassen; alles drängte sich hinzu, um dem guten alten Gouverneur die letzte Ehre zu erweisen. Alle seine vollgültigen Eigenschaften traten jetzt vor ihre Seele, und die Erinnerung an seine Mängel und Schwächen verschwand. Die alten Bürger stritten sich um die Ehre, wer im Zuge den Zipfel halten dürfe; das Volk balgte sich um das Glück, dem Sarg am nächsten zu gehen und der melancholische Zug schloß mit einer Schaar grauköpfiger Neger, die in der Haushaltung ihres abgeschiednen Meisters mehr als die Hälfte eines Jahrhunderts überwintert und übersommert hatten.

Mit düsteren traurigen Mienen versammelte sich das Volk um sein Grab. Sie dachten mit blutenden Herzen an die hohen Tugenden, großen Dienste und ritterlichen Thaten des wackern Edlen. Sie riefen sich mit geheimen Gewissensbissen ihre eignen aufrührerischen Bewegungen ins Gedächtniß zurück, und manchen alten Bürger, dessen Backen man für viel zu fest, dessen Augen man für viel zu standhaft gehalten hätte, sah man eine gedankenvolle Pfeife rauchen und dabei dicke Tropfen über die zitternden Wangen herabrollen, während er mit wehmüthigem Laut und melancholischem Kopfschütteln in die Worte ausbrach: – «Nun denn! – der hardkoppige Peter ist auch hin!»

Seine sterblichen Ueberreste kamen in die Familiengruft, unter eine Kapelle, die er fromm auf seinem Landsitz errichtet hatte und an derselben Stelle stand, wo jetzt die St. Marenskirche sich erhebt, in welcher man seinen Leichenstein noch sehen kann. Sein Gut oder Bouwery, wie es genannt wurde, blieb immer im Besitz seiner Nachkommen, die sich allgemein durch Rechtschaffenheit des Charakters und durch Anhänglichkeit an die Sitten und Gewohnheiten der guten alten Zeiten, ihres berühmten Vorfahren würdig gezeigt haben. Viel und oft wurde dieses Landgut des Nachts von unternehmenden Schatzgräbern beschlichen, die nach Goldtöpfen suchten, welche bei dem alten Gouverneur begraben liegen sollten – doch weiß ich nicht, ob irgend einer mit einem solchen Fund bereichert nach Hause kam – aber wer wäre unter meinen hier gebornen Mitbürgern, der sich nicht erinnerte, wie es in den stürmischen Tagen seiner Kindheit ein kühnes Unternehmen war, «Stuyvesants Obstgarten» an einem Sonntag Nachmittag zu plündern.

In der Familien-Wohnung sind noch jetzt einige Andenken an den unsterblichen Peter zu sehen. Sein vollständiges Portrait redet in martialischen Zügen von der Wand des Wohnzimmers herab – seine schwefelfarbenen Beinkleider waren lange Zeit im Saal aufgehängt, bis sie vor einigen Jahren einen Streit zwischen einem neuverheiratheten Paar erregten – und sein silberbeschlagenes Bein wird noch immer in dem Vorrathszimmer als eine unschätzbare Reliquie bewahrt.


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