Washington Irving
Humoristische Geschichte von New-York
Washington Irving

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An das Publikum.

«Um das Andenken vergangener Dinge der Vergessenheit zu entreißen und vielen großen und wunderbaren Thaten unserer holländischen Vorfahren den gerechten Tribut des Nachruhms zu verschaffen, stellt Dietrich Knickerbocker, aus New-York gebürtig, diesen historischen Versuch an's Licht.» Wie Herodotus, der große Vater der Geschichte, dessen Worte ich so eben auf mich angewandt, handle ich von längst vergangenen Dingen, über welche das Zwielicht der Ungewißheit bereits seine Schatten geworfen hat und auf welche die Nacht der Vergessenheit bereits unerbittlich herabzusteigen im Begriff war. Mit großer Besorgniß sah ich schon lange die Geschichte dieser ehrwürdigen alten Stadt dem Erfassen unserer Hände entrinnen, auf den Lippen des redseligen Alters erzittern und tagtäglich ein Stück nach dem andern in's Grab sinken. Wie kurze Zeit noch, dachte ich, und jene ehrwürdigen holländischen Bürger, wankende Denkmäler der guten alten Zeiten, werden zu ihren Vätern versammelt seyn; ihre Kinder, von verführerischen Vergnügungen oder unbedeutenden Beschäftigungen in Anspruch genommen, werden es versäumen, mit den Erinnerungen der Vergangenheit zu geizen, und die Nachwelt wird sich vergebens nach Memoiren aus den Tagen der Patriarchen umsehen. Der Ursprung unserer Stadt liegt dann in ewiger Vergessenheit begraben und selbst die Namen und Thaten eines Wouter Van Twiller, eines Wilhelmus Kieft und Peter Stuyvesants, erscheinen gleich denen des Romulus und Remus, Karls des Großen, König Arthurs, Rinaldo's und Gottfrieds von Bouillon, in Dunkel und Erdichtung gehüllt.

Fest entschlossen, diese drohende Gefahr, so viel ich vermochte, abzuwenden, sammelte ich unermüdlich alle Fragmente aus der Kindheit unserer Geschichte, und wo diese nicht ausreichten, versuchte ich, wie mein ehrwürdiges Vorbild, Herodotus, die Kette der Geschichte durch wohlbeglaubigte Traditionen zu ergänzen – es ist das Resultat eines in Einsamkeit hingebrachten mühevollen Lebens! Viele gelehrte Bücher wurden, wiewohl vergebens befragt. Ein Manuscript bei der Familie Stuyvesant gab mir viele schätzbare Beiträge; andere würdige holländische Bürger, auch alte Damen, die nicht genannt seyn wollen, endlich die berühmte historische Gesellschaft von New-York haben in gleicher Beziehung Anspruch auf meinen Dank.

Meine Art der Geschichtschreibung ist nicht einem besondern Muster entlehnt. Ich strebte nach der größten Wahrheitsliebe, gleich Xenophon. Wie Sallust habe ich meine Geschichte mit kräftigen Charakteren alter Helden und Edlen erfüllt. In tiefen politischen Gedanken strebte ich Thucydides nach, milderte sie mit der Grazie eines Tacitus, und durchdrang das Ganze mit der Würde, Größe und Pracht eines Livius.

Selten konnte ich, gerade wie Herodot, der Versuchung widerstehen, mich in kühne Excursionen einzulassen – in jene reizende Episoden, die wie Blumenränder und duftende Lauben den bestaubten Weg des Historikers einfassen, und ihn einladen, sich auszuruhen und zu erfrischen von seiner mühevollen Reise.

Gern hätte ich wie Polybius die strenge Einheit der Geschichte beobachtet, aber die unzusammenhängende Beschaffenheit vieler Thatsachen ließ dieß kaum zu. Was diese Regel noch mehr erschwerte, war die Nachweisung vieler Sitten und Einrichtungen dieser besten Stadt in ihrer Entwicklung und Veränderung nach dem Stande der Cultur.

Wahrheit – Wahrheit bis in's Kleinste war es, wonach ich strebte; und ich darf es mir sagen, daß ich die Geschichte eines großen Punktes der Erde vom Untergang gerettet habe; – so verzeihe denn der Leser die Eitelkeit dem mühevollen Streben, er sehe mich, wie ich die Feder niederlege, mich den Vorgänger so vieler nachfolgenden Geschichtschreiber dieses Landes, in der Vogelperspective schwebend über einer Reihe von 300 Jahren, das Buch unter'm Arm, New-York im Rücken, vorwärts, vorwärts, ein ritterlicher Führer zu Ruhm und Unsterblichkeit!

Solche eitle Bilder drängen sich wohl zuweilen in das Gehirn eines Schriftstellers – erhellen mit himmlischen Lichtern sein einsames Kämmerlein, frischen seine Lebensgeister auf und beleben neu die Lust zu schaffen. Ich habe gern diese Ausrufungen hier mit aufgenommen, wie sie sich rhapsodisch darboten; nicht aus Egoismus, warlich nein, sondern, damit der Leser einen Begriff habe von dem, was ein Autor denkt und fühlt, wenn er schreibt – eine Art der Erfahrung, die selten und seltsam, und eben deßhalb sehr begehrungswürdig ist.


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