Washington Irving
Humoristische Geschichte von New-York
Washington Irving

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Nachricht über den Verfasser.

Wenn ich mich recht erinnere, so war es im Herbst 1808, daß ein Fremder in's Independent-Colnmbian-Hotel in der Mulberry-Straße kam, dessen Gastwirth ich bin, und ein Logis begehrte: ein kleiner, grämlich aussehender alter Herr in einem abgeschabten schwarzen Rock, olivenfarbenen sammtnen Beinkleidern und einem kleinen aufgekrempten Hut. Seine wenigen grauen Haare waren glatt nach hinten gestrichen und sein Bart stand in Stoppeln von circa 48 Stunden. Der einzige Staat, den er an sich hatte, waren ein Paar viereckige silberne Schuhschnallen, und sein ganzes Gepäck bestand aus einem Felleisen, das er unter'm Arm trug. Sein Aeußeres hatte etwas Außergewöhnliches, und meine Frau, welche einen geübten Blick hat, erklärte ihn auf der Stelle für einen bedeutenden Landschulmeister.

Da wir nicht viel Platz in unserm Gasthof haben, wußte ich nicht recht, wohin mit ihm. Aber meine Frau, welcher er besonders zu gefallen schien, gab ihm sogleich unser Familienzimmer, mit unsern Silhouetten von berühmten Meistern geschmückt und mit schöner Aussicht auf die Straße, gerade dem Spital gegenüber.

Die ganze Zeit, wo er bei uns wohnte, fanden wir einen gutmüthigen alten Mann an ihm, der aber ein wenig wunderlich war. Er blieb ganze Tage auf seinem Zimmer, und wenn in seiner Nähe eins von den Kindern schrie oder lärmte, so sprang er plötzlich mit einer Hand voll Papiere heraus, und sprach von «Confusion in seinen Ideen,» woraus meine Frau schloß, daß es bei ihm im Oberstübchen nicht richtig sey. Hierauf ließ denn Manches schließen. Denn in seinem Zimmer lag alles von Papieren und Büchern durcheinander, die Niemand anrühren durfte. Einmal wurde in seiner Abwesenheit das Zimmer rein gemacht; wie schimpfte er da, sagte, alles sey aus seiner Ordnung und nun nicht mehr aus dem Labyrinth zu kommen. Und doch hatte er zuvor oft stundenlang nach Papieren gesucht, die er gut aufgehoben zu haben versicherte. Meine Frau konnte nicht umhin, ihn zu fragen, was er mit so vielem Zeug denn anfange. Seine Antwort: «daß er die Unsterblichkeit suche,»bestätigte sie noch mehr in ihrer Vermuthung über den Gemüthszustand des alten Mannes.

Er war ein recht eifriges Männchen; wenn er nicht auf dem Zimmer saß, lief er den ganzen Tag in der Stadt nach Neuigkeiten herum und bekümmerte sich viel um die Wahlen. Zu Hause aber schimpfte er auf beide Partheien, die der Nation noch die Röcke vom H–n reißen würden. Unter den Nachbarn galt er als ein Orakel; besonders am Nachmittage, wo sie sich um ihn sammelten, wenn er auf der Bank am Thor sein Pfeifchen rauchte; und gewiß würde er alle auf seine Seite gebracht haben, wenn sie nur jemals hätten klar kriegen können, was er eigentlich meinte.

Meine Frau verlor endlich, weil gar keine Zahlung erfolgte, die Geduld, und gab ihm zu verstehen, daß es Zeit wäre, «daß gewisse Leute von gewissen Leuten Geld zu sehen bekämen.» Der alte Herr antwortete sehr stolz, sie solle sich keine Ungelegenheiten machen, er habe da drinnen (auf den Mantelsack deutend) einen Schatz, der ihr ganzes Haus aufwiege. Da er nie etwas anderes zur Antwort gab, auch bedeutende Männer zu Verwandten hatte, so wollte sie ihn am Ende frei bei sich hausen lassen, wenn er nur ihren Kindern dafür Unterricht im Buchstabiren geben wollte, vielleicht auch noch den Nachbarskindern dazu; aber das nahm der alte Herr gewaltig übel und sie durfte nicht wagen, diese Saite je wieder zu berühren.

Ungefähr zwei Monate darauf ging er eines Morgens mit einem Bündelchen in der Hand aus – und ließ nichts weiter von sich hören. Alle Nachforschungen waren vergebens, eben so verschiedene Anzeigen in den Zeitungen.

Nun glaubte meine Frau, daß wir nicht länger säumen dürften, uns seiner Habe zu bemächtigen. Im Beiseyn seines Freundes, des Stadtbibliothekars, schritten wir zur Eröffnung seines Mantelsacks. Aber es fand sich darin nichts als Stücke von alten zerrissenen Hosen und ein dicker Stoß beschriebenes Papier. Dieses letztere wollte der Bibliothekar für den Schatz gehalten haben, da es eine treffliche und gewissenhaft treue Geschichte von New-York sey, welche herauszugeben er uns sehr anrieth, da wir damit unsere Rechnung zehnfach bezahlt bekämen. Ein sehr gelehrter Schulmeister, der Lehrer unserer Kinder, hat sich an diese Arbeit gemacht und viele schätzbare Anmerkungen beigefügt.

Dieß sind also die Gründe, warum ich das Buch gedruckt habe, ohne die Einwilligung des Verfassers abzuwarten, und ich erkläre hiermit, daß, wenn er je zurückkommen sollte, (woran ich jedoch leider zweifeln muß), ich wie ein ehrlicher Mann mit ihm abrechnen werde.

Eines hochzuverehrenden Publikums
unterthäniger Diener
Seth Handaside.

Independent-Columbian-Hotel, New-York.


Das Vorstehende wurde der ersten Ausgabe dieses Werkes vorangedruckt. Bald nach dem Erscheinen desselben erhielt Herr Handaside einen Brief von Knickerbocker, aus einem kleinen holländischen Dorf am Hudson datirt, wo er sich aufhielt, um einigen alten Ueberlieferungen nachzuspüren. Da dieß eines jener glücklichen Dörfer war, die noch keine Zeitungen kennen, so durfte man sich nicht wundern, daß er erst spät und durch bloßen Zufall von jener Verfügung über seinen Nachlaß etwas erfuhr.

Er äußerte seinen Schmerz über das allzufrühe Erscheinen, welches verschiedene Verbesserungen und Nachträge vereitelt habe.

Bei einer weiteren Reise hatte er die guten alten holländischen Sitten, die er geschildert, sehr verändert gefunden. In Albani erndtete er zwar großes Lob, aber man wies ihm dort einige grobe Irrthümer nach, besonders den von dem Klumpen Zucker, der zu gemeinschaftlichem Gebrauch über den Theetischen von Albany hänge, eine Sitte, die seit mehreren Jahren abgeschafft worden, und dergleichen mehr, wie auch Fehler hinsichtlich der Genealogieen, welche in diesem republikanischen Lande viele Unruhe machen.

Der Gouverneur drückte ihm zu verschiedenen Malen die Hand und obgleich er von einem anderen politischen Bekenntniß war, ging er doch so weit, daß er eines Tages nach Tisch an seiner Tafel erklärte, Knickerbocker sey ein recht wohlmeinender alter Mann, und kein Narr. Diesem nach hätte er vielleicht unter andern Umständen zu einer Notar- oder Friedensrichterstelle gelangen können! – Einige gingen noch weiter und schätzten ihn sogar so hoch, wie seine Verwandte bei'm Congreß.

Da er die Aufgabe seines Lebens mit der Publication seiner Geschichte als beschlossen ansah, hätte er sich nun noch auf zwei Dinge, auf's Politisiren oder auf's Trinken legen können, aber er that keins von beiden, da er für so etwas zu gute moralische Grundsätze hatte.

Zwar versuchte er noch, an einer zweiten Auflage zu arbeiten, um seinem Ruhm Dauer, seinem Werk authentisches Ansehn – die Seele der Geschichte – zu verschaffen. Allein der Lichtblick der Composition war verglommen, er war unsicher und zweifelnd im Aendern und Verbessern geworden, und brachte nichts mehr zu Stande.

Endlich kehrte er nach seiner Vaterstadt New-York zurück und erlebte hier die ganze Glückseligkeit eines berühmten Mannes. Man trug ihm die Fertigung aller möglichen Anzeigen, Petitionen, Billets &c. an, und obgleich er nie etwas mit den öffentlichen Blättern zu schaffen hatte, so wollte man ihn doch überall, in unzähligen Versuchen und beißenden Ausfällen von den verschiedenartigsten Richtungen, lediglich «an seinem Styl» erkennen.

Außerdem contrahirte er eine große Schuld auf der Briefpost, durch die vielen unfrankirten Schreiben, die er von Schriftstellern und Druckherrn um Unterschrift erhielt; wohlthätige Gesellschaften, die sich an ihn wandten, wurden gern von ihm bedacht, da er diese Einladungen als so viele Complimente ansah. Eine Menge Ehren wurden ihm angethan. Er konnte nicht mehr unbemerkt über die Straße gehen, und oft liefen ihm die Jungen nach, wenn er mit Stock und dreieckigem Hut durch die Gassen zog, und schrieen: «da geht der Dietrich.» – welches dem alten Herrn nicht wenig gefiel, da er in diesen Begrüßungen den Schall des Nachruhms vernahm.

Die größte Ehre widerfuhr ihm durch eine überaus lobende Anerkennung in dem kritischen Blatt: Portfolio; und diese Gerechtigkeit übermannte ihn so sehr, daß er zwei Tage krank danieder lag. Kurz, man muß bekennen, daß keinem Schriftsteller je so hoher Lohn zu Theil ward, oder so im Voraus die Unsterblichkeit zu genießen gegeben wurde.

Die Stuyvesants räumten ihm, wegen der ruhmwürdigen Verewigung ihres großen Verwandten einen ländlichen Aufenthalt auf einem Familiengute ein. Er wohnte dort sehr freundlich an den Gestaden eines der Salzsümpfe jenseits Corlears-Haken, an einer Stelle, die zwar öfteren Ueberschwemmungen ausgesetzt war und im Sommer von Moskito's wimmelte, aber sonst recht angenehm war, und viel Salzgras, wie auch Farrenkräuter hervorbrachte.

Hier erkrankte denn der gute alte Mann sehr bedenklich an einem Fieber von den benachbarten Salzsümpfen. Als er sein Ende herannahen sah, ordnete er seine weltlichen Angelegenheiten und vermachte seine geistige Hinterlassenschaft der historischen Gesellschaft in New-York, seine werthvollsten Bücher der Stadtbibliothek und sein Felleisen dem Hrn. Handaside. Er vergab allen seinen Feinden, d. h. allen, die etwas Schlimmes gegen ihn im Schilde führten, denn von sich selbst bekannte er, daß er in Frieden mit der ganzen Welt von dannen fahre; nach Anbefehlung einiger Botschaften und Grüße an verschiedene Verwandte und dicke Freunde unter den holländischen Bürgern, verschied er in den Armen seines treuen Gefährten, des Bibliothekars.

Seine sterblichen Ueberreste wurden nach seinem Willen auf dem St. Markus-Kirchhof, neben den Gebeinen seines Lieblingshelden, Peter Stuyvesant, begraben, und es heißt, die historische Gesellschaft wolle ihm auf dem Rasen ein hölzernes Denkmal errichten lassen.


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