Washington Irving
Humoristische Geschichte von New-York
Washington Irving

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Viertes Buch.

Welches die Chronik der Regierung Wilhelms des Eigensinnigen enthält.

Erstes Kapitel.

Beschreibt die universellen Eigenschaften Wilhelms des Eigensinnigen, und zeigt, wie ein Mann es so weit in den Wissenschaften bringen kann, daß er für nichts zu brauchen ist.

Nun beginnt der Strom unserer Geschichte, der bis jetzt in friedlichem Laufe dahin floß, auf immer seine stillen Umgebungen zu verlassen und durch viele wilde und furchtbare Umgebungen sich durchzukämpfen. Wie ein schimmernder Ochs, der sich in einem fetten Kleefelde weidlich gemästet hat, in üppiger Ruhe daliegt und erst auf wiederholte Schläge und Rippenstöße die unbehülflichen Glieder rührt und mit plumper Anstrengung sich aus seinem Schlummer erhebt: so wurde auch die Provinz der Neuen Niederlande, nachdem sie lange unter der gedeihlichen Verwaltung des Zweiflers geschlummert und fett geworden, unbarmherzig wachgeprügelt unter der unruhigen Regierung seines Nachfolgers. Der Leser wird nun die Art und Weise kennen lernen, wie eine Gemeinde allmählig in den Zustand des Kriegs übergeht, worin sie leider dem Pferde gleicht, das sich der Trommel nähert. Dieß geschieht zwar mit vieler Parade und lebhaftem Tanzen, doch sehr langsam und oft mit dem Hintertheil voran.

Wilhelmus Kieft, der im Jahre 1634 den Gouverneursitz bestieg, war in Gestalt, Zügen und Charakter das völlige Gegentheil seines berühmten Vorgängers. Er war von sehr respectabler Abkunft, denn sein Vater war Inspector der Windmühlen der alten Stadt Saardam gewesen, und unser Held stellte, wie wir hören, in seiner Jugend sehr merkwürdige Versuche über die Natur und das Arbeiten dieser Maschinen an, welche ihn später so sehr zum Gouverneur qualificirten. Sein Name war nach den scharfsinnigsten Sprachforschern eine Verketzerung von Kyfer oder Keifer und drückte eine erbliche Eigenschaft seiner Familie aus, die nahe an zweihundert Jahre die windige Stadt Saardam warm gehalten und mehr Weinstein und Schwefel producirt, als zehn Familien zusammen, und kaum hatte Wilhelmus Kieft ein Jahr sein Gouvernement verwaltet, als er auch allgemein Wilhelm der Eigensinnige genannt wurde.

Er war ein lebhaftes, zanksüchtiges, kleines altes Männchen, das zusammengeschwunden und abgewelkt war, theils durch den natürlichen Proceß der Jahre, theils durch das heftige Brennen seines feurigen Geistes, der stark wie ein Nachtlicht in seinem Busen glühte und ihn ewig zu mannhaften Kämpfen, Zwistigkeiten und Mißgeschicken trieb. Ein tiefdenkender Philosoph machte mir einst die Bemerkung, wenn ein Weib mit den Jahren fett werde, sey ihr Leben nicht sehr zu verbürgen, wenn sie mager werde, lebe sie ewig – dieses war gerade der Fall mit Wilhelm dem Eigensinnigen, der je magerer desto zäher wurde. Sein Gesicht war breit und seine Züge scharf, die Nase hatte einen fast unbesonnenen Schwung in die Höhe, die Wangen verglühten dunkelroth – wahrscheinlich durch die Nachbarschaft eines heftigen kleinen grauen Augenpaars, durch welches seine glühende Seele mit tropischer Hitze strahlte. Die Ecken des Mundes standen wunderlich hervor, wie in erhabner Arbeit oder wie die eckige Schnauze eines reizbaren Mopshundes – kurz er war einer der selbstständigsten, unruhigsten, häßlichsten kleinen Männer, die sich jemals um Nichts ereiferten.

In seiner Jugend hatte er auf der berühmten Universität im Haag mit vieler Auszeichnung den Wissenschaften, den todten Sprachen, der Logik und Metaphysik obgelegen, Dinge, auf die er so stolz seyn konnte, wie ein General auf seine Trophäen, und die ihn mit einem Nimbus von Unverständlichkeit umgaben, aus dem er nie ganz heraustrat und der seine Kämpfe unendlich hartnäckig machte.

Es geht bei den Wissenschaften wie mit dem Schwimmen; der, welcher prahlerisch an der Oberfläche arbeitet, macht mehr Lärm und Gesprütz und zieht die Aufmerksamkeit mehr an, als der fleißige Perlenfischer, der nach Schätzen bis zum Grunde untertaucht. Die «universelle Bildung» des Wilhelm Kieft wurde von seinen Landsleuten höchlich bewundert, er figurirte im Haag wie ein gelehrter Bonze, der sich der Hälfte des chinesischen Alphabets bemeistert hat; mit einem Wort, er erhielt den Titel Universalgenie! Ich habe viele Universalgenies kennen gelernt, doch kein einziges gefunden, das in Dingen des gemeinen Lebens nur sein Gewicht in leerem Stroh werth gewesen wäre – und für's Regieren will ein wenig gesunde Urtheilskraft und schlichter Menschenverstand mehr sagen, als alle die funkensprühenden Genies, die jemals Theorieen erfanden oder Gedichte machten.

Auch unserm edlen Kieft machten die philosophischen und politischen Experimente nach den Regeln der Alten so viel zu schaffen, daß er in seiner Verwaltung mehr Knoten schlug, als ein Dutzend Nachfolger aufzulösen im Stande waren.

Kaum war dieses lärmende Männchen durch einen Windstoß des Glücks auf den Sitz der Regierung geschleudert, als er den Rath zusammenrief und eine sehr lebhafte Rede über die Angelegenheiten der Provinz hielt. Man kann sich denken, daß der kampferfahrne Wilhelm Kieft die Gelegenheit zu einer glänzenden Entwicklung seiner Talente nicht vorübergehen ließ.

Ehe er begann, zog er das Schnupftuch heraus und ließ seine Nase in sehr sonoren Tönen moduliren, wie die großen Redner zu thun pflegen. Dieses scheint mir eine Art von Signalstößen mit der Trompete zu seyn, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen; bei Wilhelm dem Eigensinnigen aber hatte es die Bewandtniß, daß er von dem famosen Demagogen Cajus Gracchus gelesen, wie er bei einer Rede an die römische Menge seine Töne mit einer Rednerflöte oder Zwerchpfeife modulirt habe.

Nachdem die vorbereitende Symphonie vorüber war, fing er damit an, daß er ein demüthiges Bekenntniß seiner Unvollkommenheit, seiner völligen Unwürdigkeit und Unfähigkeit zu dem wichtigen Posten, kurz eine solche Verachtung seiner selbst aussprach, daß mehrere einfältige Mitglieder vom Lande, die dieß für baare Münze hielten, sich sehr verwunderten und selbst erzürnten, daß er ein Amt angenommen, wozu er gar nicht fähig sey.

Dann ging er zu den Regierungen Griechenland's, Rom's und Karthago's und zu den Ursachen des Wachsthums und Verfalls vieler fremden Reiche über, von welchen die Versammlung so wenig etwas wußte, als ihre noch nicht gebornen Urenkel. Nachdem er auf solche Weise seine Gelehrsamkeit beglaubigt hatte, gelangte er endlich zu dem minder wichtigen Theil seiner Rede, dem Zustande der Provinz – und hier ereiferte er sich denn im höchsten Grade über die Yankees, die er mit den Galliern verglich, welche Rom verwüsteten, und mit den Gothen und Vandalen, welche die schönsten Gefilde Europa's durchwütheten; in angemessenen Schimpfworten wurde hierbei der Schmach des Eindrängens, der Keckheit des Ansiedelns und endlich des Schimpfes gedacht, daß sie sich nicht entblödet, ihre Zwiebeln bis unter die Wälle des Forts der guten Hoffnung zu pflanzen.

Nach dem kunstvollen Climax, der in dieser letzten Periode lag, kehrte er mit der Ruhe eines Weisen zu sich zurück und erklärte mit Selbstbewußtseyn, er habe Maßregeln getroffen, um diesen Eingriffen ein Ende zu setzen – er benutze hierzu ein neuerfundenes Geschütz, welches zwar fürchterlich, aber unumgänglich nothwendig sey – es heiße Proclamationen!

Ein solches Geschütz mit furchtbaren Drohungen stehe gerüstet da, und er gebe sein Wort als Gouverneur, daß nach zwei Monaten der Publication in den neuen Städten dieser Eindränger kein Stein auf dem andern bleiben werde. –

Der Rath verstummte nach diesen Worten auf geraume Zeit; entweder war es Folge des tiefen Eindruckes der glänzenden Rede, oder waren sie über die Länge derselben eingeschlafen, das wird nicht mit überliefert. Endlich aber wurde ein allgemeines Beifallgrunzen gehört und die Proclamation sogleich mit gehöriger Feierlichkeit ausgefertigt, unter Anhängung des großen Insiegels der Provinz, ungefähr in der Größe eines Pfannkuchens, welches mittelst eines breiten rothen Bandes angeheftet war. Der Gouverneur fühlte sich nach diesem Erguß seines Unwillens wesentlich erleichtert, vertagte die Versammlung, setzte seinen aufgekrämpten Hut auf, zog seine blutrothen Hosen in die Höhe, bestieg ein langes dürres Pferd, und trabte damit auf seinen Landsitz, der in einem lieblichen einsamen Moraste lag und jetzt die Holländer-Gasse oder besser der Hunds-Jammer (Dogs Misery) genannt wird.

Hier ruhte er wie der göttliche Numa von den Regierungssorgen aus und nahm neuen Unterricht – nicht bei der Nymphe Egeria, sondern bei seiner edlen Hälfte, die eines jener besondern Wesen war, welche nach der großen Fluth zur Strafe für die Sünden der Menschen erschienen und unter dem Namen «kluge Frauen» bekannt genug sind. Pantoffelherrschaft war damals noch tiefes häusliches Geheimniß, und wenn diese Art zu regieren auch keine hervorstehende Seite des Alterthums gewesen zu seyn scheint, so tröstete er sich doch mit einem classischen Spruch für die selbstauferlegte Unterwerfung; er hieß: «erst der ist würdig zu befehlen, welcher gehorchen gelernt hat.»


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