Washington Irving
Humoristische Geschichte von New-York
Washington Irving

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Siebentes Buch.

Enthaltend den dritten Theil der Regierung Peters des Starrköpfigen, seine Händel mit der brittischen Nation, wie endlich das Sinken und Verfallen der holländischen Dynastie.

Erstes Kapitel.

Wie Peter Stuyvesant das souveraine Volk der Bürde enthob, sich um Regierungsangelegenheiten zu bekümmern – nebst einigen Besonderheiten seines Benehmens in Friedenszeiten.

Während der Abwesenheit des Helden hatte der Pöbel von Neu-Amsterdam einen tiefen Zug aus dem berauschenden Becher seiner Macht unter Wilhelm dem Eigensinnigen gethan, und obgleich er bei dem Regierungswechsel mit der Spürkraft, die ihm gleich dem Zugvieh eigen ist, merkte, daß die Zügel straffer gehalten wurden, so konnte er doch nicht umhin, sich zu reiben, schaben und ins Gebis zu knirschen, wie ein stätiges Pferd.

Kaum war Peter Stuyvesant auf seinen Zug gegen die Schweden ausgegangen, als die alten Factionsmänner auch schon die Köpfe aus dem Wasser reckten und sich in politische Clubbs zum Wohl des Landes vereinigten; eine große Rolle spielten dabei die Burgermeister und Schöffen. Diese edlen Würdenträger waren nicht mehr jene fetten, wohlgenährten stillen Magistratspersonen unter Walter dem Zweifler; im Gegentheil, aus dem Volk erwählt, bildeten sie gewissermaßen ein kräftiges Bollwerk zwischen dem Pöbel und der Regierung. Sie waren große Popularitäts-Candidaten und heftige Advocaten für die Rechte des rohen Haufens, indem sie in uneigennützigem Eifer den weitmäuligen Volkstribunen des alten Roms oder den tugendhaften Patrioten unserer Tage glichen, die man mit Begeisterung «Freunde des Volks» nennt.

Unter dem Schutz dieser tiefen Politiker war es ein wahres Wunder, wie plötzlich die schweinische Menge aufgeklärt wurde in Dingen, die über ihren Horizont gingen. Schuhmacher, Kesselflicker und Schneider fühlten sich allesammt inspirirt, wie jene frommen Zeloten in den Zeiten mönchischer Aufklärung, und wurden ohne alle Vorbereitung fähig, die Bewegungen der Staatsmaschine zu leiten. Auch darf ich eine Unzahl alter hartnäckiger Bürger nicht vergessen, die als Knaben in der Goede Vrouw von Holland mitgekommen waren und bei der aufgeklärten Menge für große Orakel galten. Denn anzunehmen, daß ein Mann, der das Land entdecken helfen, nicht auch wissen solle, wie es zu regieren sey, wäre vorschnell und unbedacht geurtheilt.

Da Peter Stuyvesant eine besondere Neigung hatte, seine Provinz ohne den Beistand seiner Unterthanen zu regieren, ward er sehr zornig, als er die aufrührerische Gestalt der Dinge bei seiner Rückkehr wahrnahm. Sein erstes war daher, daß er die Ordnung wiederherstellte, indem er die angemaßte Würde des souverainen Volkes zu Boden warf.

Er ersah sich dazu eine gute Gelegenheit; eines Abends nämlich, als der Volkshaufe Versammlung hielt und andächtig der patriotischen Rede eines inspirirten Schuhflickers zuhörte, erschien plötzlich der unerschrockne Peter in ihrer Mitte, mit einem Gesicht, das einen Mühlstein hätte versteinern können. Die ganze Versammlung war consternirt – den Redner schien mitten in einer erhabenen Sentenz der Schlag getroffen zu haben, er stand wie verhagelt da, mit offnem Maul und schlotternden Knieen, während die Worte «Schauder! Tyrannei! Freiheit! Rechte! Besteuerung! Tod! Verderben!» und eine Fluth von ähnlichen patriotischen Ausrufungen, ihm aus der Kehle rasten, ehe er im Stande war, die Lippen zu schließen. Der schlaue Peter nahm keine Notiz von der Klique um ihn her, sondern ging gradesweges zu dem tobenden Maulmacher hin, zog eine große silberne Uhr heraus, die in damaliger Zeit hätte als Stadtuhr dienen können und noch jetzt als ein Familienstück aufbewahrt wird, und bat den Redner freundlich, sie ihm einzurichten, daß sie wieder gehe. Der Redner bekannte demüthiglich, daß dieß ganz außer seiner Fähigkeit liege, indem er mit dem Bau einer Uhr völlig unbekannt sey. «Ei was,» sagte Peter, «lieber Mann, vertraut doch nur auf euer gutes Naturell; ihr seht ja alle die Federn und Räder und wie leicht die plumpeste Hand sie einhalten und auch zerschlagen kann; sollte es schwerer seyn, sie zum Gehen zu bringen, als zum Nichtgehen?» Der Redner erklärte nochmals, seine Handthierung sey davon ganz verschieden, er sey ein armer Schuhflicker und habe in seinem ganzen Leben keine Uhr besessen – es gäbe dafür Leute, die es gut verständen, und deren Geschäft es sey; er selbst werde nur das Werk zerstören und alles in Verwirrung bringen. – «Nun denn, mein vortrefflicher Meister,» schrie Peter und sah ihm ins Gesicht, daß der arme Schuster in ein Mausloch hätte kriechen mögen – «du unterstehst dich, in Regierungssachen drein zu reden – eine künstliche Maschine reguliren, corrigiren, ausbessern, flicken zu wollen, deren Bau über deinen Horizont geht und deren einfachstes Wirken zu fein für deinen Verstand ist; und du kannst nicht einmal einen kleinen Fehler in einem bekannten Mechanismus verbessern, dessen ganzes Geheimniß offen vor Augen liegt? – Fort mit dir zum Leder und Leisten, die deinen Kopf ganz gut repräsentiren; flicke deine Schuhe und begnüge dich mit dem Amt, wozu dich der Himmel ausgerüstet hat. – Aber wofern ich,» hier erhob er die Stimme, daß die Stube dröhnte, «wofern ich dich oder einen deines Gelichters treffe, der sich wieder mit Regierungssachen zu thun macht, schinde ich den Bankart bei lebendigem Leibe und lasse Trommeln mit seinem Fell beziehen, daß er auch einmal einen nützlichen Lärm macht!»

Diese Drohung und die fürchterliche Stimme, mit der sie gesprochen wurde, machte die ganze Versammlung stumm vor Entsetzen. Dem Redner stieg das Haar zu Berge, grade wie die Borsten seiner Sau im Stall daheim, und kein Held vom Fingerhut, der zugegen war, hatte noch ein Herz im Leibe und wäre gern durch ein Nadelöhr entwischt.

Obgleich nun diese Maßregel augenblicklich den gewünschten Erfolg hatte, so verminderte sie doch sehr die Popularität des großen Peter bei der aufgeklärten Volksmasse. Viele klagten ihn an, er habe zu aristokratische Gesinnungen und räume den Patriziern zu viele Gewalt ein. Es lag hierin einige Wahrheit, denn er hatte ein stolzes soldatisches Ansehen und war etwas eigen in seiner Kleidung; wenn er keine Uniform trug, erschien er in einfachen aber reichen Kleidern; sein wirkliches Bein, an sich stattlich, stack in einem rothen Strumpf und in einem Schuh mit hohem Absatz. Obgleich ein Mann von großer Sitteneinfalt, war er doch so eigen geartet, daß er rohe Vertraulichkeit zurückscheuchte, während er freier und geselliger Annäherung ziemlich offen war.

Er beobachtete zugleich eine Art Hofetikett. Die gemeinen Besucher empfing er unter der Vorhalle seines Hauses, nach der Gewohnheit unserer niederländischen Vorfahren. Wenn er förmlichere Besuche in seinem Wohnzimmer annahm, erwartete er, daß man mit reiner Wäsche erschien, auch nicht barfuß oder mit dem Hut auf dem Kopf. Bei feierlichen Gelegenheiten kam er in einer pompösen Equipage daher und fuhr immer in einem gelben Wagen mit rothen flammenden Rädern zur Kirche.

Diese Symptome von Vornehmheit verursachten viele Unzufriedenheit bei dem gemeinen Mann, der bei dem vorigen Gouverneur ganz schlicht daran war; aber Peter Stuyvesant ließ sich das nicht irren. Er hatte gefunden, daß sie mit Wilhelm dem Eigensinnigen, so popular er war, doch eigentlich Schindluder gespielt hatten, und machte sich daher gern rar. Achtung und Glauben ist von einer glücklichen Regierung unzertrennlich wie von der Religion. Es ist gewiß von höchster Wichtigkeit, daß ein Land durch weise Leute regiert wird, aber eben so wichtig ist es, daß dieß Volk sie auch für weise hält; dann nur dieser Glauben kann willigen Gehorsam erzeugen. Um daher dieses Vertrauen zu bewirken, muß das Volk die Regierenden so wenig als möglich sehen. Wer Zutritt zu den Cabinetten erhält, erfährt bald, mit wie wenig Weisheit die Welt regiert wird.

Und so hielt Stuyvesant auf Entfernung des Volkes, auf Schweigsamkeit über seine Pläne und Maßregeln. Da er nie seine Gründe über die Dinge, die er vornahm, aussprach, so hielt man dieselben immer für sehr tief erwogen. Jede seiner Bewegungen, wie unwichtig auch und vielleicht zufällig, wurde Gegenstand des Nachdenkens, und selbst sein rother Strumpf erweckte Respect, da er von den Strümpfen der anderen Menschen verschieden war.

In diese Tage müssen wir denn auch den Ursprung des Familienstolzes und Aristokratismus verlegen. Das Blut der unvermischten Nachkommen der Van Rensellaers, der Van Zandts, Van Hornes, Rutgers, Bensons, Brinkerhoffs, Schermerhornes, und aller ächten Abkömmlinge der alten Pavonier muß wohl ein edles seyn, und daher sind diese Familien der einzige legitime Adel des Grunds und Bodens, seine eigentlichen Herren. – Mit Fleiß erinnere ich hieran, weil ich mit Bekümmerniß wahrgenommen habe, wie manche jener großen Familien durch neuere Emporkömmlinge verdrängt und über die Achseln angesehen werden, von Leuten, die auch von Familie seyn wollen, und wie? Wenn sie von ihrem Vater ohne Demüthigung reden können, nehmen sie eine wichtige Miene an, wenn aber so von ihrem Großvater, sind sie aufgeblasen; wenn sie denn gar vom Urgroßvater ohne Erröthen sprechen können, ist es vor Hochmuth und Prätensionen gar nicht mehr auszuhalten. – Gott stehe uns bei! welcher Unterschied ist doch zwischen diesen Pilzen von einer Stunde und von einem Tage!

Doch nach allem Vorausgegangenen darf man nicht schließen, daß Peter Stuyvesant ein Tyrann gewesen, der seine Holländer mit eiserner Ruthe gepeitscht habe, im Gegentheil, überall wo Würde und Autorität nicht mit im Spiel waren, floß er von Großmuth und Freundlichkeit über. Indem er das Volk von jenem bewußten Taumelbecher zurückhielt, beförderte er ihre Ruhe und Zufriedenheit ungemein, er machte sie dadurch aufmerksamer auf ihren Beruf und auf echtes Familienglück.

Weit entfernt von sauertöpfischer Strenge im Leben, freute er sich vielmehr, die Armen und die Arbeitsamen auch einmal vergnügt zu sehen, und zu dem Ende begünstigte er sehr die Feiertagsbelustigungen. Unter seiner Regierung wurde zuerst die Sitte der Haseneyer auf Weihnachten und Ostern eingeführt. Auch der Neujahrstag mußte seine Tollheiten haben und mit Glockenläuten und Mordschlägen gefeiert werden. Jedes Haus war der Tempel des Gottes der Freude – Oceane von Kirschengeist, echten Holländer und Aepfelwein wurden losgelassen, und kein Mann war in der ganzen Stadt, der nicht seine Ehre darein gesetzt hätte, betrunken zu seyn, und zwar aus Sparsamkeit, da er bei diesen Gelegenheiten Flüssigkeiten genug für ein halbes Jahr einsog.

Ein wahres Wohlbehagen hätte es jedem gemacht, den ritterlichen Peter zu sehen, wie er unter den alten Bürgern und ihren Weibern so an Sonnabenden dasaß, unter den großen Bäumen, die ihre schattigen Aeste über die Batterie ausbreiten, und zusah, wie die jungen Männer und Weiber im Grünen tanzten. Hier rauchte er seine Pfeife, riß seine Witze und vergaß die rauhe Schule des Kriegs in den süßen vergeßlichkeitspendenden Festen des Friedens. Gelegentlich nickte er den jungen Burschen Beifall zu, die am schönsten dahinglitten und hüpften, und dann und wann gab er einem schmucken Mädchen, die es am längsten ausgehalten hatte, einen kräftigen Kuß in allen Ehren.

Einstens ward jedoch die Harmonie dieser Vergnügungen unterbrochen. Eine junge Vrouw, die in der eleganten Welt großes Aufsehen machte und kürzlich erst aus Holland gekommen war, erschien in nicht mehr als sechs Röcken von der auffallendsten Kürze. Ein Zischen lief durch alle Reihen; die alten Damen fühlten sich aufs Aeußerste verletzt, die jungen errötheten und hatten großes Mitleid mit dem «armen Ding,» und selbst der Gouverneur ward ein wenig verwirrt. Um das Erstaunen der Versammlung voll zu machen, unternahm sie es im Laufe eines Tanzes, eine erstaunliche algebraische Figur zu beschreiben, die sie von einem Tanzmeister in Rotterdam gelernt hatte. Entweder war sie so lebhaft in der Bewegung ihres Fußes oder drang ein landstreicherischer Zephir ihr seine Dienste auf, kurz bei einem brillanten Pas, der einen modernen Ballsaal entzückt hätte, ergab sich eine sehr unerwartete Ueberraschung, wobei die ganze Gesellschaft in große Verwunderung gerieth, einige ernsthafte Mitglieder vom Lande nicht wenig aus der Fassung kamen und der gute Peter selbst, der ein sehr sittsamer Mann war, höchst verdrießlich wurde.

Die kurzen Weiberröcke, die seit den Zeiten Wilhelm Kiefts Mode gewesen waren, hatten lange seine Auge beleidigt; und obwohl er sich nie mit den Röcken der Damen zu schaffen machte, gab er doch sogleich zu bedenken, daß sie gefaltete Säume bis zu den Füßen herab haben sollten. Auch befahl er, daß die Damen und auch die Herren keine anderen Pas beim Tanzen machen sollten, als schottische und Walzer, endlich verbat er sich unter Androhung seiner höchsten Ungnade, bei den jungen Frauenzimmern, was man «graziöse Stellungen machen» nannte.

Dieses war der einzige Zwang, den er in seinem Leben dem schönen Geschlecht auferlegte, aber die Schönen betrachteten es als einen tyrannischen Eingriff und widersetzten sich mit dem wackern Geiste, der sich immer bei diesem Geschlechte zeigt, wenn man seine Freiheiten gefährdet. Wirklich sah Peter Stuyvesant am Ende ein, daß er die Sache nicht auf die Spitze treiben dürfe, wenn er nicht gewärtigen wolle, daß die Damen am Ende ohne Röcke erschienen; er gab also, als ein gescheuter Mann, der Erfahrung bei den Damen gemacht hat, nach und ließ sie die Röcke tragen und die Sprünge machen, so hoch sie wollten.


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