Washington Irving
Humoristische Geschichte von New-York
Washington Irving

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Fünftes Kapitel.

Wie der große Rath der Neuen-Niederlande wunderbar mit langen Zungen begabt wurde, und wie die Oekonomie einen großen Triumph feierte.

Es bedarf wohl keines großen Nachdenkens bei denen, welche den Charakter und die Gewohnheiten jenes mächtigen und lärmenden Monarchen, des souverainen Volkes, kennen, um zu entdecken, daß ungeachtet alles dieses Lärms und Kriegsgeschreies, die berühmte Stadt Neu-Amsterdam nun nicht um ein Haar besser gerüstet war, als zuvor. Wiewohl das Volk, als die erste Angst verflogen und kein Feind vor den Thüren war, gefunden hatte, daß sie die bravste Macht unter der Sonne seyen, so hegten doch die geheimen Räthe Peter Stuyvesants darüber einige Zweifel. Sie fürchteten sogar, der gestrenge Held werde zurückkommen und finden, daß sie, statt seinen Befehlen zu gehorchen, ihre Zeit mit Anhören des herzhaften Pöbels verschwendet hätten, den er bekanntlich sehr verachtete.

Um daher die verlorene Zeit so gut als möglich wieder einzubringen, wurde ein großer Divan der Räthe und Burgermeister gehalten, um über den kritischen Zustand der Provinz und die weisesten Maßregeln zur Rettung zu berathschlagen. Ueber zwei Dinge war diese ehrwürdige Versammlung schlechterdings einig: – erstens, daß die Stadt in Vertheidigungsstand gesetzt werde; zweitens, daß keine Zeit verloren werden dürfe, da die Gefahr dringend sey – und nun ging es über ein Reden und Streiten her, welches kein Ende fand. Um diese Zeit kam nämlich die Seuche, viel zu reden, auch über dieses vorher so glückliche Land. Sie zeigt sich überall, wo weise Männer versammelt sind, und entsteht, wie einige Physiker glauben, von der schlechten Luft, die sich bei einer versammelten Menge erzeugt. Nun auch führte man die Schätzung nach dem Stundenglas ein, und fand, daß der der weiseste Redner sey, der am längsten über eine Sache gesprochen hatte. Derselben Messung dürfen wir denn auch die Sitte unter den Niederländern zuschreiben, den Werth der Bücher nach ihrer Schwere zu beurtheilen.

Die plötzliche Liebhaberei an endlosen Reden soll, wie einige Philosophen meinen, nebst anderen barbarischen Gewohnheiten, einer Ansteckung von den wilden Nachbarn den Ursprung verdanken, die für lange Reden und Berathungs-Feuer bekannt sind, auch nie eine Sache von einiger Wichtigkeit unternehmen, ohne ihre Häuptlinge und alten Männer darüber zu hören. Aber die eigentliche Ursache war, daß das Volk die Leute zum großen Rath lieber nach ihrer Fähigkeit, viel zu reden, wählte, als nach dem seltneren und wichtigeren Talent, den Mund zu halten. Es folgte daraus, daß dieser Körper aus den Geschwätzigsten zusammengesetzt war, und Jeder über alles mitredete, ob er es nun verstand oder nicht. Es war eine alte Sitte, die Häuptlinge im Kriege so zu begraben, daß jeder Krieger seinen Schild voll Erde auf den Leichnam trug, bis ein großer Erdhügel daraus entstand, so wurde auch hier durch das Quantum Weisheit, welches ein Jeder zutrug, der Berathungsgegenstand am Ende glücklich begraben.

Jetzt erhoben sich die alten Factionen der Langpfeifen und der Kurzpfeifen, die Peter Stuyvesant mit seinen herculischen Fäusten fast erwürgt hatte, mit zehnfacher Heftigkeit wieder. Die alten Partheistreitigkeiten waren längst erloschen, allein es ist immer das Schicksal der Partheinamen gewesen, daß sie die Leute noch lange, nachdem ihre Bedeutung aufgehört hatte, zur Wuth reizten. Um die allgemeine Verwirrung voll zu machen, wurde das verhängnißvolle Wort Oekonomie, das schon unter Wilhelm dem Eigensinnigen zu Grabe getragen war, im Rathe von Neu-Amsterdam wieder flott, wie der Apfel der Zwietracht im Saal der Götter – nach welchem heilsamen Grundsatz man lieber zwanzigtausend Gulden für einen schlechten Vertheidigungsplan zum Fenster hinauswarf, als für einen guten dreißigtausend Gulden ausgab – indem so die Provinz reine zehntausend Gulden sparte.

Als es aber über die Vertheidigung zu Debatten kam, gab es einen Zungenkrieg, der nicht beschrieben werden kann. Was von einem Langpfeifen vorgeschlagen war, wurde natürlich von der ganzen Reihe der Kurzpfeifen verworfen, die es als ihre erste Pflicht ansahen, den Sturz der Langpfeifen zu bewirken, als ihre zweite, sich auf den Thron zu schwingen, und als dritte, das Wohl des Landes zu fördern. Dieses war eigentlich nur das Glaubensbekenntniß der aufrichtigen Partheigänger; die große Menge aber ließ die dritte Rücksicht gar nicht mit entscheiden.

Bei dieser großen Collision harter Köpfe muß man es bewundern, daß unter so vielen Vertheidigungs-Projecten keins zu finden war, das schon existirt hätte, außer in den ganz neuen Zeiten, Projecte, die das Windmühlensystem des scharfsinnigen Kieft weit hinter sich ließen. Dennoch konnte man sich über kein einziges entscheiden. Baute die eine Parthei eine stattliche Reihe Luftschlösser hin, so wurden sie von der anderen sogleich wieder zerstört. Der einfältige Pöbel stand in ängstlicher Erwartung des großen Eies, das nach diesem vielen Gakeln zum Vorschein kommen solle, aber sie sahen umsonst danach, denn es schien, als ob der große Rath entschlossen sey, die Provinz zu schützen, wie der edle Riese Pantagruel seine Armee – indem er sie mit seiner Zunge bedeckte.

Zwar gab es auch eine Anzahl von ehrenwerthen Mitgliedern, fette, reiche, selbstbewußte alte Bürger, die ihre Pfeifen rauchten und gar nichts sagten, außer daß sie jeden Plan, der in Vorschlag kam, verwarfen. Sie glichen mit ihrer Ruhe nach aufgehäuften Reichthümern der phlegmatischen Auster, die eine Perle ausgestoßen hat und damit die Schale schließt, sich im Schlamm wohnlich macht, und eher dem Leben als ihrem Schatz Valet sagt. Jeder Plan schien diesen würdigen alten Herren verderbenbringend zu seyn. Eine bewaffnete Armee nannten sie ein Heuschreckenheer, welches den Staatsschatz auffresse – eine Kriegsrüstung zur See war das Geld ins Meer geworfen, – Festungen bauen, hieß bei ihnen, das Geld in den Koth begraben. Kurz sie hatten die Maxime, wenn nur die Taschen voll seyen, wie arg sie auch dabei geprügelt würden. Ein Tritt läßt keine Narbe zurück – Löcher im Kopf heilen schon von selbst – aber ein schwindsüchtiger Geldbeutel ist von allen Patienten der schlimmste, da die Natur nichts für ihn gethan hat.

Auf diese Art verschwendete die Versammlung von Weisen die Zeit, wo schleunige Vereinigung dringendes Erforderniß war, über welchen Umstand sie allerdings sehr einig waren. Endlich hatte der heilige Nicolaus Erbarmen mit ihrer Noth, und bekümmert, daß sie nicht in Anarchie verfielen, fügte er es so, daß mitten in einer ihrer stürmischsten Debatten über Befestigungs- und Vertheidigungs-Anstalten, während sie sich fast schon bei den Köpfen kriegten, weil sie einander nicht überzeugen konnten, die Frage durch einen Boten abgeschnitten wurde, der mit der Nachricht ins Zimmer stürzte, daß die feindliche Flotte angekommen sey und sich der Bai nähere!

Nun waren sie der Nothwendigkeit, sich zu befestigen und mit einander zu streiten, gänzlich enthoben, und dem großen Rath wurden eine Menge Worte, der Provinz eine Menge Kosten gespart – ein sehr glorreicher, ein unbedingter Triumph, den die Oekonomie davontrug!


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