Washington Irving
Humoristische Geschichte von New-York
Washington Irving

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Zweites Kapitel.

Cosmogonie oder Erschaffung der Welt; nebst einer Menge vortrefflicher Theorieen, wornach diese Schöpfung keine so schwere Sache war, wie man gewöhnlich glaubt.

Nachdem ich meine Leser mit der Welt bekannt gemacht, werden sie ohne Zweifel wissen wollen, woher sie kam und wie sie geschaffen wurde. Die Aufklärung dieses Punkts gehört auch ganz in unsere Geschichte, da es mehr als wahrscheinlich ist, daß, wenn die Erde nicht erschaffen worden wäre, auch die berühmte Insel, worauf die Stadt New-York liegt, nicht existirte.

Von der Erschaffung der Welt haben wir tausend widersprechende Berichte, und obgleich in der göttlichen Offenbarung eine ganz genügende Auskunft darüber gegeben wird, so glaubt doch jeder Philosoph es seiner Ehre schuldig zu seyn, uns eine bessere zu ertheilen. Ich will als unpartheiischer Geschichtschreiber diese erbaulichen und belehrenden Theorieen hersetzen.

Einige alte Weltweise glaubten, die Erde und das ganze Universum sey die Gottheit selbst; so Zenophanes und alle Eleatiker, auch Strabo und die peripatetische Schule. Pythagoras schuf das berühmte Zahlensystem der Monaden, Dyaden, Triaden und durch seine heilige Vierzahl erläuterte er die Bildung der Welt, die Geheimnisse der Natur und die Grundsätze der Musik und Moral. Andre Weise hingen an dem System der mathematischen Körper. Wieder andre bildeten die große Theorie der vier Elemente, nebst einem fünften: einem unsichtbaren, belebenden Prinzip.

Nicht zu übergehen ist das große atomistische System des Moschus, noch vor der Belagerung von Troja, welches Demokrit lachlustigen Andenkens auffrischte, Epikur, der König aller Lebemänner, verbesserte, und der phantasiereiche Descartes modernisirte. Ich lasse unerörtert, ob mit diesen Ansichten der Glaube an eine Weltseele verbunden wird, wie der große Plato sie lehrte, dieser ruhige Weltweise, welcher das kalte Wasser seiner Philosophie über die Gemeinschaft der Geschlechter ausgoß und die Lehre von der platonischen Liebe schuf – ein höchst veredelter Umgang, der sich aber besser für die idealen Bewohner seiner erträumten Insel Atlantis, als für das derbe Geschlecht eignet, das, aus rebellischem Fleisch und Blut zusammengesetzt, die von uns gemeinte Insel bewohnt.

Außer diesen Systemen haben wir noch die Theogonie des alten Hesiod, der das Universum im regelmäßigen Gang der Schöpfung entstehen läßt, und die plausible Ansicht Anderer, nach welchen die Erde aus dem großen Ei der Nacht hervorbrach, welches in dem Chaos schwamm und von den Hörnern des himmlischen Ochsen aufgestoßen wurde. Burnet hat in seiner Theorie der Erde dieses Welt-Ei genau beschrieben und es einem Gänse-Ei wunderbar ähnlich befunden.

Weniger bekannt ist die Lehre andrer Philosophen, der Brahminen, in den Blättern ihrer geoffenbarten Schastah, daß der Engel Bistnu, der sich in einen großen Eber verwandelt, in die Tiefe der Gewässer tauchte und die Erde auf seinen Hauern in die Höhe brachte. Von ihm ging dann eine mächtige Schildkröte und eine mächtige Schlange aus, und Bistnu setzte die Schlange grade auf den Rücken der Schildkröte, und auf den Kopf der Schlange die Erde.

Die Neger-Philosophen von Congo versichern, daß die Welt aus den Händen von Engeln hervorgegangen sey; aber ihr eignes Land habe das höchste Wesen selber geschaffen, damit es ganz vorzüglich werde. Große Mühe gab sich Gott mit den Bewohnern und machte sie sehr schwarz und schön, und wie er mit dem ersten Menschen fertig war, gefiel er ihm sehr, und er strich ihm über das Gesicht, woher denn seine Nase und die aller seiner Nachkommen eine platte Gestalt erhielt.

Die Mohawk-Philosophen erzählen uns, daß ein schwangeres Weib vom Himmel gefallen sey, und eine Schildkröte es auf ihren Rücken genommen habe, weil alles mit Wasser bedeckt gewesen, und daß das Weib auf der Schildkröte sitzend mit den Händen im Wasser geplätschert und die Erde heraufgezogen habe, woher es zuletzt kam, daß die Erde höher als das Wasser wurde.

Doch genug von diesen alten und ausländischen Philosophen, deren beklagenswerthe Unwissenheit sie, trotz aller Gelehrsamkeit, nöthigte, in Sprachen zu schreiben, welche nur wenige meiner Leser verstehen; ich will kurz noch ein Paar neuere, elegante Theorieen ihrer Nachfolger aus unseren Zeiten hersetzen.

Der große Büffon hielt unsern Erdkörper für einen ursprünglichen Feuerball, den ein Komet von der Sonne abgestoßen, so wie vom Feuerstein durch den Stahl ein Stückchen als Funken abspringt. Zuerst hätten ihn dicke Dünste eingehüllt, diese sich abgekühlt und allmählig verdichtet und nach ihrer Dichtigkeit Erde, Wasser und Luft gebildet und in solcher allmähligen Bildung die brennende oder verglaste Masse des Mittelpunkts umgeben.

Hutton meint im Gegentheil, daß das Wasser zuerst da gewesen sey, und er schreckt sich mit der Idee, daß die Erde so gelegentlich durch die Gewalt des Regens, der Ströme und Bergwasser hinweggewaschen werde, bis sie sich mit dem Ocean vermenge, d. h. sich ganz in ihm auflöse. Eine erhabene Vorstellung, welche die Geschichte des weichherzigen Dämchens im Alterthum weit übertrifft, die sich in eine Quelle hineinweinte, oder die gute Dame von Narbonne in Frankreich, die wegen der allzugroßen Beweglichkeit ihrer Zunge verurtheilt wurde, 500,039 Zwiebeln zu schälen, und ehe sie noch die Hälfte der schrecklichen Arbeit vollbracht hatte, sich so zu sagen ganz aus den Augen herausgeweint hatte.

Whiston stellt die Hypothese auf, die Erde sey ein chaotischer Komet gewesen, der zum Aufenthalt des Menschen ausersehen und der Sonne beigegeben worden, worauf denn die Confusion dieses Sterns sich in Ordnung aufgelöst habe. Der Philosoph setzt hinzu, die Sündfluth sey von der unhöflichen Begrüßung eines anderen Kometen mit dessen wässerigem Schweif entstanden; ohne Zweifel aus Neid über den gereifteren Zustand des andern; ein trauriger Beweis, daß auch unter den himmlischen Körpern Eifersucht herrscht, und Zwietracht die selige Harmonie der Sphären stört, welche die Poeten so entzückend schildern.

Endlich hat Dr. Darwin, der Liebling der Damen, noch eine ganz andre Ansicht aufgestellt. Dieser gelehrte Thebaner ist auf eine seiner entzündlichen Phantasie ganz würdige Vermuthung gefallen. Das Chaos machte einmal eine starke Explosion wie ein Pulverfaß, und spie in diesem Act die Sonne, diese in ihrem Fluge durch einen ähnlichen Proceß die Erde, und diese eben so den Mond aus, und so gestaltete sich durch eine Verkettung von Explosionen das ganze Sonnensystem und setzte sich sehr regelmäßig in Bewegung.

Doch genug von diesen Systemen. Jedermann wird sie sehr consequent finden und meine ungelehrten Leser werden vielleicht auf den Schluß kommen, daß die Erschaffung der Welt gar kein so schweres Ding war, wie sie anfänglich wohl dachten; und ich zweifle nicht, wenn einer der letztgenannten Philosophen einen manierlichen Kometen habhaft werden und das philosophische Waarenhaus, Chaos genannt, zu seiner Disposition stellen könnte, würde er einen eben so guten Planeten fabriziren, oder einen noch besseren, als der, den wir bewohnen.

Und hier kann ich nicht umhin, die Güte der Vorsehung zu preisen, welche zum Troste verwirrter Philosophen Kometen werden ließ. Durch ihre Hülfe sind mehr plötzliche Entwicklungen und vorübergehende Erscheinungen in der Natur möglich, als in der Pantomime durch das wunderthätige Schwerd Harlequins. Sollte einer unserer modernen Weltweisen in seinen theoretischen Flügen nach den Sternen jemals sich in den Wolken verirren und in Gefahr kommen, in einen Abgrund von Unsinn und Albernheit zu fallen, so darf er nur einen Kometen beim Bart nehmen, sich auf seinen Schweif schwingen und im Triumph davon reiten, wie ein Bezauberer des Hippogryphen, oder wie eine Hexe von Connecticut auf ihrem Besenstiel, «um die Spinnenweben aus dem Himmel zu kehren.»

Es gibt ein altes Sprichwort vom «Bettler zu Pferd,» und ich möchte es bei Leibe nicht auf diese würdigen Philosophen anwenden; aber ich muß bekennen, daß sich einige von diesen Herren, wenn sie eins dieser feurigen Rosse bestiegen haben, so wild darauf herumtummeln, wie weiland Phaeton, als er Phöbus Sonnenwagen zu regieren sich unterstand. Der eine jagt seinen Kometen grade auf die Sonne und bricht mit dem Stoß die Erde von ihr ab; ein anderer ist gemäßigter und macht eine Art Lastthier aus seinem Renner, der der Sonne regelmäßig Nahrung und Reisbündel zutragen muß – ein dritter, von verbrennlicherem Wesen, läßt ihn wie eine Bombe gegen die Erde fliegen und sprengt diese damit wie eine Pulvermühle in die Luft, während ein vierter, mit wenig Schicklichkeitsgefühl gegen diesen Planeten und seine Bewohner, gradezu ankündigt, daß einst sein Komet sich mit dem Schweif gegen die Erde richten und sie unter Wasser setzen werde! –

Aus diesen vielen Systemen mögen nun die einsichtsvollen Leser sich eins herauswählen. Es zeigt sich dabei, daß ein Genie immer die Lustschlösser des andern zerstört. Theorieen sind die mächtigen Seifenblasen, womit sich die erwachsenen Kinder unterhalten, und das ehrliche Volk steht in stummer Bewunderung und beehrt diese gelehrten Grillen mit dem Namen Weisheit! – Gewiß hatte Sokrates recht, wenn er sagte, die Philosophen seyen nur eine nüchternere Art von Verrückten, die sich in nicht zu ergründende Dinge einließen, deren Erforschung, wenn sie möglich wäre, sich nicht der Mühe der Entdeckung verlohnte.

Bis die Gelehrten sich nun vereinigt haben werden, begnüge ich mich wenigstens mit der Erzählung Mosis, und folge darin dem Beispiel unserer verständigen Nachbarn in Connecticut, die bei ihrer ersten Ansiedlung erklärten, daß die Colonie durch die Gesetze Gottes regiert werden sollte, bis sie Zeit hätten, bessere Gesetze zu machen.

Eins aber scheint festzustehen, nämlich daß die Welt wirklich geschaffen worden und daß sie aus Land und Wasser besteht. Ferner erscheint mit Gewißheit, daß sie wunderlich zerstückelt und in Inseln und Festlande getheilt ist, und daß unter ersteren die berühmte Insel von New-York wohl von Jedermann gefunden werden wird, der sie an der rechten Stelle sucht.


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