Washington Irving
Humoristische Geschichte von New-York
Washington Irving

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Sechstes Kapitel.

Worin die Verwirrungen von Neu-Amsterdam immer dicker werden, und die Kühnheit eines Volkes gezeigt wird, das sich in Zeiten der Gefahr durch Entschlossenheit zu vertheidigen weiß.

Wie eine Versammlung von musikalischen Katzen, die sich unter den schönsten Klagetönen und Maunzereien mit fürchterlichen Grimassen ansehen, einander ins Gesicht speien, jeden Augenblick bereit sind, in ein allgemeines Geohrfeige und Katzbalgen überzugehen, aber plötzlich bei der Erscheinung eines Haushundes in Verwirrung gerathen und die Flucht ergreifen: so auch war der gleich wohllautvolle Rath von Neu-Amsterdam erstaunt, entsetzt und auseinandergejagt, als er die plötzliche Nachricht von der Ankunft des Feindes erhielt. Jedes Mitglied eilte sich, nach Hause zu kommen und wackelte so gut, als die kurzen Beine unter der schweren Last arbeiten konnten, schnaufend vor Anstrengung und Schrecken. Als er in seinem Schlößchen angekommen war, verrammelte er die Hausthür, versenkte sich in den Aepfelweinkeller, und wagte nicht herauszusehen, aus Furcht, sein Kopf möge von einer Kanonenkugel weggerissen werden.

Das souveraine Volk versammelte sich auf dem Marktplatz, aneinandergedrängt wie eine Heerde Schaafe, wo immer eins hinter dem Rücken des Andern Schutz sucht, wenn Schäfer und Hund abwesend sind und der Wolf um die Hürde streicht. Aber weit entfernt sich Muth zu machen, sahen sie zum Erbarmen aus. Jeder blickte kläglich seinen Nachbar an, um in seinem Gesicht den Muth zu suchen, fand aber in den dort gezeichneten jammervollen Linien nur die Bestätigung des eigenen Elendes. Kein Wort wurde jetzt davon gehört, daß Großbritanien erobert werden solle – und die alten Weiber vermehrten die Melancholie der Scene durch jammerndes Heulen über ihr Loos und durch Stoßseufzer an den heiligen Nicolaus und Peter Stuyvesant.

O wie beklagten sie die Abwesenheit des löwenherzigen Peters und wie schmachteten sie nach der tröstlichen Gegenwart des Anton Van Corlear! Eine düstere Ungewißheit schwebte über dem Schicksal dieser abentheuerlichen Helden. Ein Tag nach dem andern war verstrichen, seit der Gouverneur ihnen die erschreckende Nachricht gegeben hatte, ohne daß weitere Zeitungen über seine Person nachfolgten. Manche traurige Vermuthung äußerte sich über sein und seines treuen Knappen Schicksal. Hatten die Canibalen von Marblehead und Cap Cod sie lebendig verschlungen? – hatten die Amphictyonen sich ihrer bemächtigt? – hatten die furchtbaren Bewohner von Pyquag sie mit ihren Zwiebeln erstickt? – Mitten in ihrer Angst und Verwirrung, als der Schrecken wie ein großer dicker Alp auf der kleinen, fetten, vollblütigen Stadt Amsterdam lag, wurde das Ohr der Menge plötzlich von einem seltsamen entfernten Ton getroffen – er näherte sich – er wurde immer lauter – und nun hallte es im Stadtthor wider. Sie hatten sich in dem wohlbekannten Tone nicht geirrt. – Ein Freudenschrei brach von allen Lippen, es war der ritterliche Peter, der von Staub bedeckt mit seinem getreuen Trompeter auf den Marktplatz geritten kam.

Als der erste Wahnsinn der Freude vorüber war, sammelten sie sich um den ehrlichen Van Corlear, wie er vom Pferde stieg, und überhäuften ihn mit Grüßen und Glückwünschen. In athemloser Eile erzählte er ihnen die wunderbaren Abenteuer, die er mit seinem Herrn durchgemacht, und wie sie aus den Klauen der fürchterlichen Amphictyonen entronnen seyen. Es wird hier hinreichen, zu sagen, daß der ritterliche Peter Stuyvesant ängstlich in seiner Seele erwog, wie er mit Ehren entrinnen möge, als einige der Schiffe, die das Manhattenland erobern sollten, an den östlichen Häfen hielten, um Vorräthe einzunehmen und den großen Rath des Bundes zur versprochenen Mitwirkung aufzufordern. Diese Gelegenheit benutzte der wachsame Peter zu einer eiligen heimlichen Flucht; doch schmerzte es seine edle Seele sehr, daß er einer feindlichen Nation den Rücken kehren mußte. Es gab manches knappe Durchkommen und manche Gefahr, als er so, ohne Trompetenstöße, durch die schönen Regionen des Ostens flog. Das Land war schon in lebendiger Kriegsrüstung begriffen, und ein großer Umweg sollte gemacht werden, wo sie durch das Waldgebirg, des Teufels Rückgrat, sich hindurch schleichen mußten. Von da sprang der ritterliche Peter eines Tages wie ein Löwe hervor und schlug eine ganze Legion Squatters in die Flucht, drei Generationen einer fruchtbaren Familie, die eben im Begriff waren, von einem Eck der Neuen Niederlande Besitz zu nehmen. Den getreuen Anton kostete es große Ueberwindung, nicht zuweilen mit blankem Schwerd aus dem Hinterhalt der Berge einen Ausfall auf einige Gränzstädte zu machen, wie sie ihren schmutzbeinigen Landsturm exercirten.

Das erste, was der Gouverneur that, als er sein Haus erreichte, war, daß er aufs Dach stieg und von da mit traurigem Blick das feindliche Geschwader betrachtete. Dieses lag schon in der Bai vor Anker und bestand aus zwei gewaltigen Fregatten, die dreihundert tapfere Rothröcke an Bord hatten. Nachdem er diesen Ueberblick genommen, setzte er sich nieder und schrieb dem Commandanten einen Brief, den dieser nicht hinter den Spiegel steckte, worin er ihn um die Ursache seines Ankerwerfens ohne vorgängige Erlaubniß, befragte. Dieser Brief soll zwar sehr artig geschrieben gewesen seyn, doch biß er dabei, wie ich für gewiß erfahren habe, die Zähne zusammen und machte ein Gesicht, das sehr bitter lächelte, so lange er an dem Brief schrieb. Nach Absendung des Schreibens hinkte der grimmige Peter mit einem sehr kriegerischen Gesicht in der Stadt umher, die Hände in den Hosentaschen, eine niederländische Psalmenmelodie zwischen den Zähnen brummend, die nicht wenig der Musik des Nordostwindes beim Ausbruch eines Sturmes glich. Die Hunde flohen vor Schrecken, als sie ihn erblickten; aber die alten Weiber von Neu-Amsterdam folgten ihm überall auf der Ferse nach und heulten um Beistand und Rettung vor den Mördern, Räubern und Entführern.

Die Antwort des Obersten Nichols, der die Expedition der Eindränger commandirte, war in gleich artigen Ausdrücken abgefaßt: daß Seine britische Majestät Rechte und Ansprüche auf die Provinz habe, daß die Niederländer bloße Zwischendränger seyen und daß die sofortige Übergabe der Stadt und des Forts erfolgen müsse, wobei er Schutz und Sicherheit Allen versprach, die sich gutwillig der Krone England unterwerfen würden.

Peter Stuyvesant las diese freundliche Epistel mit einem so lustigen Gesicht, wie ein verdrießlicher Gutsbesitzer, der sich lange auf seines Nachbars Grund und Boden fett gemacht hat, den liebevollen Brief John Stiles, der ihn vor dem Hinauswerfen warnt. Aber der alte Gouverneur ließ sich nicht so leicht aus der Fassung bringen, sondern steckte die Aufforderung in die Hosentasche, stieg dreimal im Zimmer auf und ab, nahm mit großer Heftigkeit eine Prise, schnippte gewaltig mit der Hand und versprach am nächsten Morgen die Antwort zu schicken. Mittlerweile berief er einen großen Kriegsrath aus seinen geheimen Räthen und Burgermeistern, nicht um sich ihren Rath zu erbitten, denn diesen hielt er, wie schon gesagt, keinen Pfeifenstiel werth, sondern um ihm seinen souverainen Willen kund zu thun und seine schleunige Erfüllung zu fordern.

Ehe er jedoch seinen Rath zusammen rief, beschloß er drei Punkte: erstens die Stadt nicht zu übergeben, ohne ein bischen gefochten zu haben; zweitens, daß die Mehrzahl seines Rathes aus Polterern ohne allen Halt bestehe; und drittens, daß er ihnen die Aufforderung des Obersten Nichols nicht zeigen wolle, damit die guten Bedingungen sie nicht sofort zur Uebergabe verleiten möchten.

Nachdem seine Befehle gehörig verkündet worden, war es ein jammervoller Anblick, die noch jüngst so tapfern Burgermeister zu sehen, die in ihren Reden das ganze brittische Reich zertrümmert hatten, wie sie ängstlich aus ihren Schlupfwinkeln guckten, dann vorsichtig herauskamen, sich durch enge Gäßchen und Alleen drückten, vor dem Klaffen jedes Hündchens zurückprallten, als wäre es eine Artilleriesalve, Laternenpfähle für englische Grenadiere hielten und in dem Uebermaß des Schreckens in den Pumpen furchtbare Soldaten sahen, welche kurze Büchsen auf sie anlegten. Als sie jedoch, allen Gefahren und Schwierigkeiten zum Trotz, ohne den Verlust eines einzigen Mannes und mit heiler Haut in dem Rathssaal angekommen waren, nahmen sie ihre Sitze ein und erwarteten in bänglicher Stille die Ankunft des Gouverneurs. In wenigen Augenblicken hörte man das hölzerne Bein des unerschrockenen Peter in seinen regelmäßigen stolzen Stößen auf der Treppe. Die Thür flog auf und er erschien in voller Uniform, seinen betrauten Toledo, nicht an der Seite hängen, sondern über den Arm gelegt. Da der Gouverneur sich nie auf diese Weise zeigte, außer wenn sich etwas kriegerisches in seinem Hirn bewegte, so sahen ihn die Räthe mit Zagen an, als ob in seinen eisernen Zügen Feuer und Schwerd geschrieben stehe, und vergassen in athemloser Erwartung ihre Pfeifen anzuzünden.

Der große Peter war eben so beredt als tapfer. Beide seltene Eigenschaften schienen in seiner Natur unzertrennlich verbunden; und den meisten großen Staatsmännern unähnlich, deren Siege sich auf das unblutige Feld der Argumente beschränken, war er stets gerüstet, seine kühnen Worte durch eben so kühne Thaten wahr zu machen. Seine Reden zeichneten sich durch eine Einfachheit, die an Derbheit gränzte und durch sehr kathegorische Bestimmtheit aus. Er redete jetzt den Rath an und berührte kurz die Gefahren und Widerwärtigkeiten, welche er erduldet, indem er seinen lästigen Feinden entronnen sey. Dann machte er dem Rath Vorwürfe über seine eitlen Debatten und Entzweiungen, wo sie sich hätten zur Rettung des Landes vereinigen sollen. Besonders unwillig äußerte er sich über die, welche ihre Stellung dadurch entehrt hätten, daß sie elende Infectiven gegen einen edlen und mächtigen Feind erhoben hätten; jene feigen Hunde, die beständig gegen den Löwen knurrten und belferten, wenn er schlafe oder entfernt sey, aber am ersten das Hasenpanier ergriffen, wenn er in die Nähe komme. Nun rief er auch diejenigen, die so tapfer in ihren Drohungen gegen Großbrittanien gewesen waren, auf, hervorzutreten und Rühmen durch Thaten zu bekräftigen – denn nicht Worte, sondern Thaten machten eine Nation. Er rief ihnen die goldenen Tage des Glücks ins Gedächtnis, die nur durch kräftigen Widerstand gegen ihre Feinde gewonnen worden seyen, denn der Friede, den die Waffengewalt zuwege bringe, sey immer sicherer und dauernder als die von zeitlichen Concessionen zusammengeflickten Zustände. Er suchte dann ihren kriegerischen Muth zu befeuern, indem er sie an die Siege in der Provinz Neu-Schweden erinnerte. Auch suchte er ihnen Vertrauen einzuflößen, indem er sie des Schutzes des heiligen Nicolaus versicherte, der sie bisher sicher geleitet, durch alle Wilden der Einöden, durch alle Hexen und Squatters des Ostens und durch die Riesen vom Marryland. Endlich unterrichtete er sie von der frechen Aufforderung, sich zu ergeben, und schwur, er werde die Provinz vertheidigen, so lange ihn der Himmel nicht verlasse und ihn noch ein hölzernes Bein aufrecht halte, welche edle Sentenz er durch einen fürchterlichen Schlag seines platten Säbels auf den Tisch bekräftigte, der seine Zuhörer kräftig electrisirte.

Die geheimen Räthe, welche schon lange an die Art des Gouverneurs gewöhnt waren und in einer Mannszucht lebten, wie die Soldaten Friedrichs des Großen, sahen, daß hier kein Federlesen gemacht werde, steckten ihre Pfeifen an und rauchten in Frieden, wie fette und bescheidne Rathsherrn. Aber die Burgermeister, die weniger unter der Gewalt des Gouverneurs standen, da sie sich als Repräsentanten des souverainen Volkes betrachteten und überdem eine hohe Meinung von sich selbst hatten, die sie in jenen Schulen der Weisheit und Tugend, den Volksversammlungen eingesogen, waren nicht so leicht zu beschwichtigen. Da sie frischen Muth in der Hoffnung schöpften, daß sie vielleicht der gegenwärtigen Gefahr ohne Blutvergießen entgehen könnten, so forderten sie eine Abschrift der Aufforderung der Engländer, um sie dem Volke zu zeigen.

Eine so insolente und meuterische Zumuthung wäre hinreichend gewesen, den Zorn des stillen van Twiller zu reizen – welchen Eindruck mußte sie erst auf den großen Stuyvesant machen, der nicht blos ein Holländer, ein Gouverneur und ein ritterlicher holzbeiniger Soldat war, sondern auch eine aufbrausende, schießpulverartige Gemüthsart besaß. Er brach in einen Strom edler Verachtung aus – schwur, keiner Mutter Kind solle eine Sylbe davon zu sehen bekommen – sie verdienten alle zusammen gehängt, gereckt, geviertheilt zu werden, weil sie die Unfehlbarkeit der Regierung antasteten – was ihren Rath oder ihre Mitwirkung anbelange, so sey diese keine Tabackswolke werth, er habe sich lange genug über ihre feigherzigen Rathschläge geärgert und durch sie gehemmt gesehen; aber jetzt sollten sie sich nach Hause scheren und ins Bett legen, wie die alten Weiber, denn er sey entschlossen, die Colonie selbst zu vertheidigen, ohne ihren und ihrer Anhänger Beistand! So sprechend nahm er das Schwerd wieder übern Arm, setzte den dreieckigen Hut trotzig auf, gürtete seine Lenden, tappte unwillig mit seinem Stützelfuß aus dem Rathszimmer – und alles machte ehrerbietig Platz, als er vorbeiging.

Kaum war er weg, als die rührigen Burgermeister eine Volksversammlung vor das Stadthaus beriefen, wo sie einen Namens Dofue Roerback, einen einflußreichen Lebkuchenbäcker im Lande, vormals Mitglied des Cabinets Wilhelms des Eigensinnigen, zum Präsidenten ernannten. Das Volk hatte großen Respect vor ihm und betrachtete ihn als einen Mann von occulten Wissenschaften, da er der erste war, der die Neujahrskuchen mit den dunklen Hieroglyphen des Hahns und der Hosen und mit ähnlichen Zauberzeichen versah.

Dieser große Burgermeister, welcher immer den Widerbeller bei dem wackern Stuyvesant machte, weil ihn dieser bei seinem Regierungsantritt so schmählig aus dem Cabinet gestoßen hatte, richtete eine sogenannte patriotische Rede an die schmierige Menge, worin er sie von der artigen Aufforderung, sich zu ergeben, unterrichtete, und von der Weigerung des Gouverneurs, es zu thun und dem Publikum von jener Aufforderung Kenntniß zu geben, die ohne Zweifel Bedingungen enthalte, welche der Provinz sehr zur Ehre und zum Vortheil gereichen würden.

Dann sprach er von Seiner Excellenz in sehr hohen und ehrenrührigen Ausdrücken, indem er ihn mit Caligula, Nero und andern großen Männern verglich, die gewöhnlich in solchen Volksreden angeführt werden. Er versicherte das Volk, daß die Weltgeschichte kein Beispiel einer ähnlichen despotischen Handlung, einer solchen Härte, Grausamkeit, Tyrannei und eines solchen Blutdurstes aufzuweisen habe. Es werde in feurigen Lettern auf blutigen Tafeln der Nachwelt überliefert werden. Ganze Jahrhunderte würden zurückrollen, wenn sie das schreckliche Thun erfahren würden. Der Mutterleib der Zeit (mit welchem sich die Redner große Freiheiten erlauben, da es ziemlich ausgemacht ist, daß die Zeit ein alter Mann und kein Weib ist), wie schreckliche Schrecken er auch gebähre, werde nie mehr einen solchen Gräul zu Tage bringen! – Mit diesen und andern starr und stutzig machenden, herzzerbröckelnden Tropen und Figuren, welche ich nicht alle aufzuzählen vermag, spickte er seine Rede. Ich brauche sie ja auch nicht, da es ganz dieselben sind, die heutzutage in allen Volksreden und patriotischen Apostrophen vorkommen und in rhetorischen Lehrbüchern unter die Rubrik «Parlage» fallen.

Wie dieses große Werk der Begeisterung gethan war, gerieth die Versammlung in eine Art von Kochen und Schäumen, welches nicht allein eine Reihe sehr weiser Beschlüsse, sondern auch eine Adresse an den Gouverneur zur Folge hatte, die sein Betragen tadelte, die er aber, sowie sie ihm überreicht wurde, ins Feuer warf und auf diese Art die Nachwelt einer kostbaren Urkunde beraubte, welche den erleuchteten Schuhflickern und Schneidern unserer Tage zum Muster hätte dienen können, wenn sie ihre weisen Nasen in die Politik stecken.


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