Washington Irving
Humoristische Geschichte von New-York
Washington Irving

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Zweites Kapitel.

Von dem großen Rath zu Neu-Amsterdam – und warum ein Rathsherr fett seyn muß – zusammt andern Merkwürdigkeiten von der großen Stadt.

Der zweifelnde Wouter zählte als Beistände in der Regierung eine Anzahl Magistratspersonen, die über die öffentliche Sicherheit wachten. Diese Körperschaft bestand aus einem Schultheiß, fünf Burgermeistern und fünf Schöffen oder Bouteillenhaltern und Pfeifenstopfern der Burgermeister. Die letzteren mußten auch die Einkäufe zu den großen Rathsmahlzeiten machen und sich zur Zielscheibe der Witze ihrer Oberen hergeben, auch über alle ihre Witze herzlich lachen. Diese letzte Verpflichtung, welche in unseren Tagen weit mehr überhand genommen hat, wurde indessen erlassen, als ein kleiner fetter Schöffe über einer vergeblichen Anstrengung, recht zu lachen, bei einem der besten Witze des Burgermeisters Van Zandt erstickte.

Zur Belohnung für diese demüthigen Dienste durften sie im Rath Ja! oder Nein! sagen und sich die besten Schüsseln bestellen.

Es ist ein praktischer Grundsatz in allen gesunden Städten, daß ein Rathsherr fett seyn muß, damit sie, da der Körper das entsprechende Gefäß der Seele ist, ein Bild der Gravität und Ruhe seyen. Denn Niemand hat noch von Unruhen, welche dicke Leute erregt hätten, gehört; immer waren es die Magern und Hungerleider, die sich empörten.

Der göttliche Plato gibt dem Menschen drei Seelen, die eine, unsterblich und vernünftig, sitzt im Gehirn, um den Körper zu übersehen und zu regieren, die zweite enthält die Leidenschaften, welche wie kriegführende Mächte das Herz belagern, die dritte, sterblicher und sinnlicher Natur, der Vernunft beraubt, liegt im Bauch gefesselt, um die göttliche Seele nicht durch ihr gieriges Geheul zu stören. Ganz nach dieser Theorie ist ein fetter Rathsherr eingerichtet. Sein Kopf ist wie ein großes rundes Zimmer, wo auf dem sanften Gehirn die vernünftige Seele gar anmuthig und heimlich wie auf einem Federbett liegt; die Augen, die Fenster dieses Schlafzimmers, sind gewöhnlich mit den Läden halb geschlossen, damit der Schlummer nicht durch äußere Gegenstände gestört werde. Ein Geist, der so bequem logirt und vor Unruhe geschützt ist, wird gewiß seine Verrichtungen leicht und regelmäßig bewirken. Durch gute Mahlzeiten wird die sterbliche, bösartige Seele, die im Bauch eingeschlossen ist, durch ihr Rasen und Schreien die reizbare Seele in der Nähe des Herzens in unerträgliche Leidenschaft versetzt und auf diese Art die Menschen aus lauter Hunger unwirrsch und streitsüchtig macht, völlig besänftigt und zur Ruhe gebracht. Und nun sind eine Menge geselliger Eigenschaften und gutmüthiger Neigungen, die schüchtern und verstohlen aus den Schlupfwinkeln des Herzens gesehen hatten; sie kommen, wenn sie merken, daß dieser Cerberus schläft, alle fröhlich in ihren Sonntagskleidern hervor und springen das Zwergfell auf und ab, stimmen zum Lachen, zu guter Laune und zu tausend freundlichen Pflichten gegen den Nebenmenschen.

Darum sind die fetten Rathsherrn immer die besten und es ist Pflicht, sie immer mit den fettsten Speisen zu versehen, wie Austern und Schildkröten, die sie so gern verschlingen, daß sie am Ende die Thätigkeit der ersten und die Gestalt, den Wackelgang und das grüne Fett der zweiten erlangen. Die Folge davon ist, daß diese guten Dinge einen solchen Gleichmuth und eine solche Seelenruhe hervorbringen, daß ihre Verhandlungen wegen ihres nüchternen monotonen Charakters berühmt werden. Kurz, der schöne rundbauchige Burgermeister liegt wie ein wohlgenährter Bullenbeißer ruhig vor der Thüre des Hauses, stets bereit, für seine Sicherheit zu wachen; wollte man aber einen magern Naseweis von einem Candidaten nehmen, wie das wohl zuweilen geschehen ist, so möchte ich eben so gut einen Windhund vor meine Hausthüre legen oder ein Racepferd vor einen Ochsenwagen spannen.

Die Burgermeister wurden daher wohlweislich nach dem Gewicht gewählt, die Schöffen aber, um auf sie acht zu haben und ihnen essen zu helfen. Alsdann wurden Letztere auch mit der Zeit wählbar, nachdem sie sich genung in den Dienst hineingegessen hatten, wie die Maus in den holländischen Käs.

Nichts glich der tiefen Berathung, in welcher Wouter mit seinen würdigen Räthen dasaß, rauchend und duselnd über die öffentliche Angelegenheiten, ohne durch ein Wort die so nöthige feierliche Stille zu unterbrechen. – Unter ihrem nüchternen Scepter gedieh denn die werdende Colonie trefflich, erhob sie sich aus Sümpfen und Wäldern und bot den gemischten Anblick von Stadt und Land dar, wie heutzutage Washington, die große Hauptstadt, die einen so enormen Eindruck – auf dem Papier hervorbringt.

Es war ein erfreuliches Bild, welches in jenen Tagen die ehrlichen Bürger machten, wenn sie, wie die alten Patriarchen, auf der Bank vor der Hausthüre saßen unter dem Schatten eines riesenhaften Sykomorns oder überhängenden Weidenbaums. Hier rauchte man seine Pfeife an einem schwülen Nachmittag und labte sich an den kühlenden Lüftchen aus Süden, horchte mit stillem Vergnügen auf das Gakern der Hennen, das Schnattern der Gänse und das sonore Grunzen der Schweine, diese lieblichen Melodieen der Bauernhöfe, die man warlich für silbernen Klanges erklären kann, indem sie einen einträglichen Markt verkünden.

Es herrschte eine große Gleichheit der Gaben und Kenntnisse, eine große Einfalt der Sitten und Gebräuche. Niemand schien mehr zu wissen als sein Nachbar, und jeder hatte nur seine eignen Angelegenheiten im Kopfe; der Pfarrer und der Rathsschreiber waren die einzigen in der Gemeine, die lesen konnten, und der weise Van Twiller unterzeichnete seinen Namen immer nur mit einem Kreuz.

Und wie in den alten Tagen die Götter oft zu den Menschen herabstiegen, so kam, wie wir hören, der heilige Nicolaus in den ländlichen Zeiten Neu-Amsterdams oft über die Wipfel der Bäume fahrend oder auf den Dächern reitend, herab, an einem Sonntag Nachmittag, und zog prächtige Geschenke aus seinen Pumphosen und ließ sie in die Kamine seiner Lieblinge hinabfallen, statt daß er in dieser eisernen Zeit uns nur Einmal im Jahr besucht und nur den Kindern etwas schenkt, weil die Eltern so entartet sind.


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