Washington Irving
Humoristische Geschichte von New-York
Washington Irving

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Zweites Buch.

Worin die erste Ansiedlung in der Provinz der Neuen-Niederlande abgehandelt wird.

Erstes Kapitel.

Welches von verschiednen Gründen handelt, warum ein Mann nicht mit Uebereilung schreiben soll; dann von Herrn Hendrik Hudson und seiner Entdeckung eines seltsamen Landes, endlich von seiner glänzenden Belohnung durch die Freigebigkeit Ihrer Hochmögenden.

Als mein Urgroßvater mütterlicher Seits, Hermanns Van Clattercop, den Auftrag erhielt, die große steinerne Kirche in Rotterdam zu bauen, welche ungefähr dreihundert Yards zu eurer Linken liegt, wenn ihr von den Bompjes kommt, und die so bequem gebaut ist, daß alle eifrige Christen von Rotterdam lieber hier als in einer andern Kirche der Stadt die Predigt verschlafen – als mein Urgroßvater, sage ich, den Auftrag bekam, diese berühmte Kirche zu bauen, so ließ er zuerst von Delft eine Kiste langer irdener Pfeifen kommen, dann kaufte er sich ein neues Spukkästchen und hundert Pfund vom besten virginischen Tabak, setzte sich nieder und that drei Monate lang nichts als eifrig rauchen. Dann brachte er wieder drei Monate zu, zu Fuß und in der Treckschuyt von Rotterdam nach Amsterdam – nach Delft – nach Harlem – nach Leyden – nach dem Haag zu reisen und an jeder Kirche auf dem Wege seinen Kopf zu zerbrechen, und seine Pfeife auszuklopfen. Dann näherte er sich wieder allmählig Rotterdam, bis er genau an der Stelle ankam, wo die Kirche gebaut werden sollte. Darauf brachte er abermals drei Monate damit zu, um den Platz herum und immer wieder herum zu gehen, ihn bald von der einen, bald von der andern Seite zu betrachten, dann auf dem Canal nach ihm hin zu rudern, dann von der andern Seite der Maas mit einem Teleskop hinzuschauen – und endlich nahm er von der Spitze einer der riesigen Windmühlen, welche die Stadtthore beschützen, die Vogelperspective nach ihm. Die guten Leute, welche um den Platz wohnten, waren auf dem höchsten Grade der Spannung – und ungeachtet aller Unruhe, die mein Urgroßvater machte, war noch kein Zeichen von einer Kirche zu sehen; man fing selbst zu fürchten an, sie werde nie das Licht der Welt erblicken, sondern in den Wehen des großen Plans umkommen. Endlich, nachdem zwölf volle Monde mit Rauchen und Rudern, mit Stehen und Sehen verstrichen – nachdem er ganz Holland durchreis't und selbst nach Frankreich und Deutschland Abstecher gemacht – nachdem fünfhundert und neun und neunzig Pfeifen und dreihundert Pfund vom besten Virginia-Tabak verraucht waren – versammelte mein Urgroßvater die ganze kluge und rührige Classe von Bürgern, die sich mehr mit allem andern als mit ihren eigenen Angelegenheiten zu thun machen, und nachdem er seinen Rock und fünf Paar Hosen ausgezogen, trat er herzhaft hinzu und legte den Grundstein zur Kirche – und dieses im Beiseyn der ganzen Menge, als grade der dreizehnte Monat begann.

In ähnlicher Art und Weise habe ich, durchdrungen von dem Beispiel meines würdigen Ahnen, bei Entwerfung dieser sehr authentischen Geschichte verfahren. Die ehrlichen Rotterdamer glaubten ohne Zweifel, daß mein Urgroßvater während der unglaublichen Zeit bis zum Anfang des Baues gar nichts gethan; eben so werden viele Leser glauben, daß alle meine einleitenden Kapitel durchaus überflüssig und zur Sache nicht nöthig gewesen. Aber niemals haben sich gescheute Leute wohl mehr getäuscht; denn nur so konnte meines Urgroßvaters Kirche so herrlich ausfallen, ausgenommen, daß es ihr wie unserm Kapitol in der Stadt Washington erging, die in so großem Styl angefangen wurde, daß das Geld nur zu dem einen Flügel reichte. Auch ich werde, wenn ich im Stande bin, das Werk zu vollenden, den etwas mageren Stoff nach der jetzigen Sitte zu einer so großen Historie verarbeiten, daß alle Welt staunen soll. Nun zum Faden unserer Geschichte.

In dem ewig denkwürdigen Jahr 1609, eines Sonnabends Morgens, am fünfundzwanzigsten Tag des Monates März, alten Styls, segelte «der würdige und unwiederbringliche Entdecker» (wie man ihn sehr passend genannt hat), Herr Heinrich Hudson, von Holland in einem stattlichen Schiff, der Halbmond genannt, in Aufträgen der holländischen ostindischen Compagnie, um einen nordwestlichen Durchgang nach China zu suchen.

Heinrich (oder wie ihn die niederländischen Geschichtschreiber nennen, Hendrik) Hudson war ein Seefahrer von Reputation, welcher unter Sir Walter Raleigh Taback rauchen gelernt und der erste gewesen seyn soll, der ihn in Holland einführte, welches ihn in diesem Lande sehr beliebt machte und ihm die große Gunst Ihrer Hochmögenden, der Herren Generalstaaten, sowie der ehrenwerthen westindischen Compagnie erwarb. Er war ein kurzer derber alter Herr mit einem doppelten Kinn, einem Mund wie ein Bullenbeißer und einer breiten kupfrigen Nase, deren feurige Erscheinung man zu jener Zeit der Nachbarschaft seiner Tabackspfeife zuschrieb.

Er trug einen ächten Andrea Ferrara, in einen ledernen Gürtel eingesteckt, und einen aufgekrämpten Commodore-Hut, den er etwas auf die Seite setzte. Er hatte, wenn er eine Ordre gab, die Gewohnheit, seine Beinkleider aufzuwerfen, und seine Stimme tönte wie das Schmettern einer Kinder-Trompete – von dem Einschlucken des vielen Nordwestwindes auf seinen Seefahrten.

Das war Hendrik Hudson, von dem wir so viel hören und so wenig wissen. Ich habe ihn mit Fleiß so genau gezeichnet, weil ich damit neueren Malern und Bildhauern an die Hand zu gehen wünschte, damit sie ihm nicht, wie sie gewohnt sind, ein Ansehen wie Cäsar oder Marcus Aurelius oder Apoll von Belvedere geben.

Zum Lieblingsgefährten ersah sich der Commodore den Herrn Robert Juet aus Limehouse in England. Einige haben seinen Namen Käut ausgesprochen und behauptet, man habe ihn darum so geheißen, weil er der erste gewesen, der Taback gekäut habe; aber dieses ist Thorheit. Er war ein Jugendkamerad von Hudson, mit dem er oft die Schule geschwänzt und Schiffe von Bäckerholz im nächsten Sumpfe flott gemacht, als sie noch kleine Knaben waren, woher der Commodore den Hang zum Seeleben bekam.

Ein bitterböser Junge in seiner Jugend, wurde er im Leben viel herumgestoßen, machte mehr Reisen als Sindbad der Seefahrer, ohne grade weiser oder schlechter zu werden. In allen Beschwerden tröstete er sich mit einem Mundvoll Taback und mit dem Spruch: «das wird in hundert Jahren noch eben so seyn.» Er schnitt Anker und treue Liebesherzen in die Schiffswände und galt für einen witzigen Kopf an Bord, weil er alle nach der Reihe foppte und dann und wann dem alten Hendrik ein schiefes Maul zog, wenn dieser den Rücken wandte.

Diesem Genie verdanken wir viele Einzelnheiten über gegenwärtige Reise, indem er ihre Geschichte auf Verlangen des Commodore niederschrieb, der einen unbesieglichen Widerwillen vor dem Schreiben hatte, weil er darüber in der Schule viele Ohrfeigen bekommen. Da Juet indessen so kurz erzählt, wie ein Schiffstagebuch, so bediene ich mich noch einiger Familien-Traditionen von meinem Ururgroßvater her, welcher als Schiffsjunge bei der Expedition war.

Die Reise ging ruhig und glücklich von Statten – das Schiffsvolk war von geduldigem Temperament, viel dem Schlaf und der Ruhe, wenig dem Denken ergeben, welches die Ursache alles Mißvergnügens ist. Hudson hatte genug Schnaps und Sauerkraut mitgenommen, und jeder durfte auf seinem Posten schlafen, bis der Wind blies. Commodore Hudson benahm sich zwar einigemal nicht ganz zur Zufriedenheit der erfahrnen Seeleute und verbot ihnen mehr als fünf Jacken und sechs Paar Hosen zu tragen, um die Leute, wie er sagte, mehr alert zu machen, und niemand durfte mit der Pfeife im Mund im Takelwerk arbeiten oder an den Segeln etwas machen, wie es noch heute die Vorschrift auf den holländischen Schiffen ist. – Aber alle diese Aergerlichkeiten mit den Seeleuten waren nur vorübergehend; sie aßen tüchtig, tranken viel und schliefen nach Herzenslust, und so erreichte das Schiff, unter dem besonderen Beistand der Vorsehung, die Küste von Amerika, wo sie endlich nach einigem Halten und Hin- und Herfahren am 4. September jene majestätische Bai betraten, die sich noch bis auf diesen Tag in weiter Ausdehnung vor der Stadt New-York hinzieht und niemals zuvor von Europäern berührt worden war.Was in Hackluyts Reisen von dem Florentiner Verazzani vorkommt, ist aus drei Gründen nicht zulässig; erstens weil Verazzani's Bai der von New-York grade so ähnlich ist, wie meine Nachtmütze; zweitens weil dieser Verazzani ein verwünschter Florentiner ist, wie Amerigo Vespucci, der die Welt schon um einen großen Taufnamen betrogen hat; und drittens weil Hudson von Holland kam und es daher gewiß und wahrhaftig eine niederländische Expedition war. Wem von den alten Bürgern dieser Stadt dies noch nicht genügt, ist nicht werth, ein Holländer zu heißen und widerlegt zu werden.

Nach einer Familien-Tradition zeigte der große Seefahrer, als er nun den Anblick dieser bezaubernden Insel genoß, zum ersten und einzigen Male in seinem Leben Symptome großen Erstaunens. Er wandte sich gegen Freund Juet und sprach die merkwürdigen Worte: «Sieh! dort!» und damit stieß er, wie gewöhnlich, wenn ihm etwas gefiel, solche dicke Wolken Tabacksdampf aus, daß das Schiff in einer Minute das Land aus dem Gesicht verlor und Herr Juet warten mußte, bis die Winde den undurchdringlichen Nebel zerstreut hatten.

Es war – so pflegte mein Urgroßvater zu sagen (wie mir wiedererzählt wurde) – wirklich ein Ort, wo das Auge ewig ruhen möchte, voll immer neuer und unendlich reicher Schönheiten. Die Insel Mannahata breitete sich wie ein liebliches Phantasiegebilde, oder wie eine Feenschöpfung vor ihnen aus. Hügel mit lachendem Grün hoben sich über einander empor, mit hohen Bäumen von üppigem Wachsthum gekrönt; einige streckten das spitzige Laub nach den Wolken, die in hellem Glanz erschienen; andere, mit der grünen Frucht rankende Reben belastet, beugten die schweren Zweige zur Erde, die mit Blumen bedeckt war. Auf den sanften Abhängen standen in lachendem Gemisch der Sumach, der Hundsstrauch und die Hagebutte, deren scharlachrothe Früchte und weiße Blüthen gegen das dunkle Grün der Blätter glänzend abstachen. Da und dort erhob sich eine kräuselnde Rauchsäule aus den kleinen Thälern, die sich der Küste entlang öffneten, und schien den müden Reisenden einen Willkomm von freundlichen Mitgeschöpfen zuzuwinken. Wie sie so mit Spannung die reizende Scene betrachteten, trat ein rother Mann, mit einem Federbüschel gekrönt, aus einem der Thäler, und nachdem er in stummer Verwunderung das stattliche Schiff betrachtet, das wie ein schöner Schwan auf einem Silberteich dahin schwamm, ließ er ein Alarmgeschrei erschallen und sprang in die Waldung wie ein wildes Thier, zu nicht geringem Erstaunen der phlegmatischen Holländer, die in ihrem Leben keine solche Töne gehört, keine solche Luftsprünge gesehen hatten.

Ueber den Verkehr unserer Abenteurer mit den Wilden, wie diese aus kupfernen Pfeifen rauchten und getrocknete Traubenbeeren aßen, wie sie große Vorräthe Taback und eine Menge Austern herbeischleppten, wie sie einen von der Mannschaft todtschossen und dieser begraben wurde, will ich mich nicht weiter auslassen, denn es ist zu unbedeutend.

Nachdem sie einige Tage in der Bai verweilt, um sich von der Fahrt zu erholen, lichteten unsere Seehelden die Anker und fuhren einen breiten Strom hinauf, der in die Bai mündete, und den die Wilden Mohegan nannten. Der unternehmende Hendrik zweifelte kaum einen Augenblick, daß nun die langgehoffte Straße nach China kommen werde.

Auf dieser Fahrt den Fluß hinauf ereignete sich nichts Besonderes. Nur ein Pröbchen von der practischen Philosophie unseres Helden und seines Schulkammeraden muß erzählt werden. Sie beschlossen, einige von den vornehmsten Wilden auf's Schiff zu nehmen, um zu sehen, ob sie keine Verrätherei im Schilde führten. Um dieses zu erfahren, gaben sie ihnen Wein und Schnaps, bis sie betrunken waren. Hier äußerte sich nichts. – Zufrieden mit diesem scharfsinnigen Experiment, welches bewies, daß die Eingebornen ehrliche lustige Kerls waren, lachte der Commodore innerlich von Herzen über seine Schlauheit, nahm eine doppelte Portion Tabak in die Backen, und erinnerte Freund Juet, er solle doch ja nicht vergessen, den Spaß aufzuzeichnen, um die Naturphilosophen der Universität Leyden zufrieden zu stellen.

Nachdem er ungefähr hundert Meilen aufwärts gefahren war, fand er, daß die Wasserfläche immer seichter und schmaler, der Strom schneller und das Wasser immer süßer wurde. Diese ganz gewöhnlichen Erscheinungen an einem Fluß setzten den ehrlichen Holländer ungeheuer in Verlegenheit. Es wurde Schiffsrath gehalten, welcher sechs Stunden dauerte und damit endete, daß das Schiff sich festfuhr, worauf man einmüthig den Beschluß faßte, daß auf diesem Wege wenig Hoffnung sey, nach China zu kommen. Es wurde indessen ein Boot abgesandt, um den Fluß noch etwas weiter hinauf zu untersuchen, welches die gefaßte Meinung nur bestätigte. Man machte das Schiff mit vieler Mühe wieder flott und der kühne Hudson kehrte, mit einem großen Floh im Ohr, den Strom hinab zurück.

Als sich auf diese Art wenig Hoffnung, nach China zu kommen, zeigen wollte, wenn man nicht wie jener Blinde von da wieder ausgehen wollte, wo man herkam, so richtete er seinen Lauf wieder nach Holland und wurde mit großem Jubel von der ehrenwerthen ostindischen Compagnie empfangen, die sehr erfreut war, ihn heiler Haut – mit ihrem Schiff wieder zurückkommen zu sehen, und in einer großen, sehr ehrbaren Zusammenkunft der ersten Kaufleute und Burgermeister von Amsterdam wurde einmüthig beschlossen, um ihn für die geleisteten ausgezeichneten Dienste und die gemachte Entdeckung zu belohnen, solle der große Mohegan-Fluß seinen Namen erhalten, und so heißt derselbe bis auf diesen Tag der Hudson-Fluß.


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