Washington Irving
Humoristische Geschichte von New-York
Washington Irving

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Sechstes Kapitel.

Worin ein etymologischer Versuch – dann die Gründung und das Wachsthum der großen Stadt Neu-Amsterdam abgehandelt wird.

Der Name der Insel, wohin das Geschwader von Communipaw so glücklich verschlagen wurde, ist Gegenstand des Streites. Ein alter Gouverneur, der etwas von einem Spaßvogel hatte, behauptete, das Wort Manhattan komme von Indianern mit Hüten, die man dort getroffen, und die man, sowie dann auch die Insel, «Man-hat-on» (Mann-Hut-auf) genannt habe – ein alberner Spaß, doch bedeutend genug für einen Gouverneur. Von andern wird die Insel Manhadaes und Manahanent genannt; und in alten Briefen unsrer Vorfahren heißt sie Monhattoes, Munhatos und Manhattoes. Dieser letzte Name wird von dem Indier Manetho abgeleitet, der hier seinen Lieblingssitz gehabt haben soll. Denn nach den indianischen Ueberlieferungen war die Bai einst ein krystallheller See mit Silber- und Goldfischen und die Insel lag mitten darin, mit köstlichen Früchten und Blumen; doch zerstörte eine Ueberschwemmung des Hudson alles, und Manetho floh über die großen Gewässer des Ontario hinaus. Doch das ist alles fabelhaft.

Die älteste, beste und poetischste Erklärung ist die, welche Juet von der Reise Hudsons mitgebracht hat; er nennt sie klar und richtig Manna-hata; das heißt so viel, wie die Manna-Insel oder «ein Land, wo Milch und Honig fließt!»

Die erste Niederlassung unter Oloffe dem Träumer beginnt mit fleckenloser Rechtlichkeit und seltner Großmuth, und es muß hier als Zeugniß niedergelegt werden, daß unsere würdigen Vorfahren nicht eher ein Haus bauten, als bis sie den Eingebornen das Land dazu ehrlich abgekauft hatten.

An der Stelle, wo St. Nicolaus im Traume herabgekommen war, auf der Südwestspitze der Insel, bauten sie ein mächtiges Fort und Handelshaus, Fort Amsterdam genannt. Um diese Festung her schaarten sich kleine holländische Häuser mit Ziegeldächern, wie Küchlein unter den Flügeln der Mutter, und das ganze war gegen Ueberfälle mit Pallisaden eingefaßt. – Lustig schoß die neue Colonie auf dieser gesegneten Insel empor, die wie ein prächtiger Dunghaufen die fremden Gewächse nährte und kräftigte.

Und nun war es Zeit, daß die Niederlassung einen ehrlichen Christennamen erhielt, und man nannte sie demnach Neu-Amsterdam, wie man die kleinen Schreihälse nach großen Staatsmännern, Würdenträgern und Heiligen benennt, damit sie einst an Rufe mit ihnen wetteifern.

Als Oloff sich von der Erschöpfung, die ihm die Erbauung des Forts verursacht, allgemach erholt hatte, lud er seine Räthe und Freunde zu einer Versammlung ein. Sie steckten demnach die Pfeifen in den Mund und sanken in eine sehr tiefe Berathung.

Es erhob sich eine mächtige Meinungsverschiedenheit. Mynheer Tenbroeck brachte einen Plan hervor, wornach die Stadt mit Kanälen durchschnitten werden sollte, wie die herrlichsten Städte von Holland. Dagegen wollte Mynheer Hardenbroeck Docken und Werften in den Fluß hineinbauen, mit Pfählen, auf einem Rost; so sagte er, trotzen wir diesen ungeheuern Flüssen einen beträchtlichen Raum ab und gewinnen eine herrliche Amphibie, wie Amsterdam, Venedig u.s.w. Tenbroeck erwiederte mit einer verachtenden Miene, daß dieses gegen die Natur der Dinge verstoße. «Was ist eine Stadt ohne Kanäle?» – sagte er – «gerade was ein Körper ohne Adern ist; er muß umkommen, weil keine nährende Flüssigkeit darin circulirt.» – – Zäh-Hosen wandte sich mit beißendem Spott gegen seinen Feind, und ward persönlich. «Was,» rief er, indem er auf die hagere Gestalt des Gegners deutete, «circulirt in diesem Körper vielleicht Flüssigkeit; Jedermann weiß ja, daß in zehn Jahren kein Tropfen Blut durch eure Mumie gelaufen ist, so viel Spektakel Ihr auch in der ganzen Colonie macht.» Persönlichkeiten haben selten den Erfolg, daß sie auf andre Gedanken bringen, und ich habe noch Niemanden kennen gelernt, der sich durch Fingerzeige auf seine körperliche Gebrechen von Irrthümern hätte zurückbringen lassen. Ein scharfes Wort gab das andre. Zehn-Hosen besaß den Vortheil größerer Zungenfertigkeit, dagegen Zäh-Hosen den Panzer der Hartnäckigkeit umschnallte. Keiner kam zum Ende; sie schieden höchst erbost, und von da an schreiben sich die großen Familienfehden, welche, gleichwie in Italien die Häuser Montague und Capulet, hier die Zehn-Hosen und Zäh-Hosen ewig entzweiten.

Diese Streitigkeit hatte im Rath böse Folgen; man versammelte sich zwar regelmäßig einmal die Woche, die Frage lag immer auf dem Tisch, aber die Mitglieder rauchten ganz still ihre Pfeifen, machten wenig Gesetze, erzwangen kein einziges, und so gingen die Dinge in der Niederlassung weiter – wie es Gott gefiel.

Das Protokoll jeder Versammlung lautete in zwei Zeilen so: «Der Rath war an diesem Tage versammelt und rauchte zwölf Pfeifen über das Wohl der Colonie.» Hieraus geht hervor, daß die ersten Ansiedler die Zeit nicht nach Stunden maßen, sondern wie die Entfernungen noch heutiges Tages in Holland, nach Pfeifen, ein höchst merkwürdiger Maßstab, da die Pfeife in dem Mund eines ächten Holländers niemals Zufälligkeiten und Störungen unterworfen ist, wie unsere Uhren.

So vergingen Wochen, Monate, Jahre über der Berathung, wie man die Stadt bauen solle, und gerade wie ein Naturkind aufwächst frisch und kräftig ohne Wickelbänder und andre Teufeleien, womit die Ammen die Kinder zu Krüppeln machen, wuchs Neu-Amsterdam so rasch empor und dehnte sich so stattlich aus, daß man nun mit einem Plan zu spät kam und ihn wohlweislich ganz aufgab. –

Wie alle gute Christen, dachten die Bewohner nun, nachdem sie zuerst an sich gedacht, auch an den lieben Gott. Sie erbauten dem guten und gnädigen heiligen Nikolaus für den geleisteten Schutz eine schöne Kapelle mit seinem Namen innerhalb des Forts, und er hat auch seitdem der Stadt als Schutzpatron alles erdenkliche Gute erwiesen. Nach einem alten holländischen Legenden-Buch nahm man den h. Nikolaus vom Vordertheil der Goede Vrouw und setzte ihn vor die Kapelle in die Mitte des nachherigen Bowling-Green. Die Legende erzählt von verschiednen Wundern, die seine gewaltige Pfeife bewirkt habe; ein Zug aus dieser Pfeife war ein souveraines Mittel gegen Unverdaulichkeiten – warlich eine unschätzbare Reliquie für diese Colonie von wackern Tafelhelden.

Bald wurde Neu-Amsterdam die Hauptstadt mehrerer Ansiedlungen umher und gewann einen ansehnlichen Länderbezirk. Der zunehmende Reichthum und die wenige Mühe, die diese Colonie machte, zog bald die zarte Sorge des Mutterlandes auf sich; dieses wurde plötzlich um ihre Existenz und Sicherheit besorgt und fing an, sie mit Aufmerksamkeiten zu überhäufen, wie gewisse schlaue Leute reiche Verwandte mit Artigkeit und Zärtlichkeit zu umgarnen pflegen.

Bald gingen die gewöhnlichen Zeichen des Schutzes von ihr aus; sie setzte der mächtigen Colonie Beherrscher, um so viel Geld als möglich von ihr zu ziehen. In Gemäßheit dessen wurde im Jahr der Gnade 1629 Mynheer Wouter Van Twiller als Gouverneur der Provinz der Neuen Niederlande hinübergesandt, auf Befehl und Auftrag Ihrer Hochmögenden der Herren Generalstaaten der Vereinigten Niederlande und der privilegirten westindischen Compagnie.

Dieser berühmte alte Herr kam im lieblichen Junimonat in Neu-Amsterdam an, wo Apollo auf dem klaren Firmamente tanzt, das Rothkehlchen, die Drossel und andre Müßiggänger der Haine ihre Musikantenkehlen in verliebten Weisen ertönen lassen, und die lebhaftesten Blumen üppig die Kelche erschließen – alle solche glücklichen Zeichen überredeten die alten Damen von Neu-Amsterdam, die in Ahnungen und Prophezeihungen bewandert waren, daß dieß eine glückliche und ersprießliche Verwaltung bedeute.


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