Washington Irving
Humoristische Geschichte von New-York
Washington Irving

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Zweites Kapitel.

Welches einen Bericht enthält von einer mächtigen Arche, die unter dem Schutz des heiligen Nicolaus von Holland nach den Galgen-Inseln schwamm – von den seltnen Thieren, die daraus hervorkamen – und von einem großen Siege, mit Beschreibung des alten Dorfes Communipaw.

Die ergötzlichen Berichte des großen Hudson und seines Freundes Juet von dem entdeckten Lande erregten kein geringes Aufsehen und Nachdenken unter dem guten holländischen Volke. Die Regierung stellte Patente für eine Gesellschaft von Kaufleuten aus, die sich die westindische Compagnie nannte, zum ausschließlichen Handel auf dem Hudson, auf welchem sie ein Handelshaus, Namens Fort Aurania oder Orange, gründeten, woraus später die Stadt Albany hervorging.

Drei bis vier Jahre nach der Rückkehr des unsterblichen Hendrik ging eine Schaar ehrlicher niederländischer Colonisten von der Stadt Amsterdam nach den Küsten von Amerika. Das Schiff, womit sie segelten, hieß die Goede Vrouw oder die gute Frau, um der Gattin des Präsidenten der westindischen Compagnie ein Compliment zu machen, die Jedermann (außer ihr Gemahl) für eine sehr sanfte Dame hielt, wenn sie keinen Liqueur genossen hatte. Es war wirklich ein recht stattliches Schiff, in der vollendetsten holländischen Form von den besten Schiffszimmerleuten in Amsterdam gearbeitet, die, wie man weiß, ihre Schiffe immer nach den schönen Formen ihrer Landsmänninnen modeln. Demnach hatte es hundert Fuß im Baum, hundert im Kiel und hundert vom Boden des Vordertheils bis zum Taffarel (Spitze des Hintertheils). Gleich dem schönen Modell, das man für die größte Schönheit in Amsterdam erklärte, war es, voll in den Bogen, mit ein Paar starken Katzenköpfen, einem kupfernen Boden und mit einem wundervollen Hintertheil versehen.

Statt einer heidnischen Gottheit versah der fromme Baumeister das Schiff mit dem Bilde des heiligen Nicolaus, mit niedrigem, breit gerändertem Hut, ein Paar ungeheuren flämischen Pumphosen und einer Pfeife, die bis an's Ende des Bugspriets reichte. So stattlich geschmückt, schwamm das Schiff seitwärts, wie eine majestätische Gans, aus dem Hafen der großen Stadt Amsterdam, und alle Damen, die nicht anderwärts beschäftigt waren, ließen ein dreifaches Hoch bei dem freudigen Anlaß erklingen.

Die Reise der guten Frau war unter dem Beistand des mächtigen Schutzpatrons ungewöhnlich schnell und glücklich, und nach wenigen Monaten lag sie in der Mündung des Hudson vor Anker, etwas östlich, nach den Gibbet oder Galgen-Inseln.

Als die Seefahrer die Augen erhoben, sahen sie an der jetzigen Jersey-Küste ein kleines indianisches Dorf, anmuthig in einem Ulmenhain versteckt; die Bewohner aber standen alle an der Küste und sahen mit stierer Bewunderung die Goede Vrouw an. Man sandte sogleich ein Boot ab, um mit den Leuten zu unterhandeln. Dieses ließ ein Sprachrohr in den freundlichsten Ausdrücken ertönen; aber die armen Bewohner erschraken so sehr über die fürchterlichen, ungeschlachten Töne der holländischen Sprache, daß alle die Flucht ergriffen, über die Berghöhen liefen, und nicht hielten, bis sie bis an die Ohren in die Sümpfe auf der andern Seite geriethen und dort jämmerlich umkamen. Ihre Gebeine sind in dem sogenannten Klapperschlangenhügel, der sich mitten aus den Salzsümpfen erhebt, gesammelt.

Durch den unverhofften Sieg muthig gemacht, stieg die kleine Mannschaft aus, nahm in dem Namen Ihrer Hochmögenden, der Herren Generalstaaten, von der Gegend Besitz und stürmte das verlassene Dorf Communipaw. Sie waren so entzückt von der trefflichen Lage des Ortes, daß sie wenig daran zweifelten, daß sie der heilige Nicolaus zur Ansiedlung hierhergeführt habe. Alles war hierzu geeignet. Der weiche Boden ließ sich herrlich mit Pfählen umrammeln, die Sümpfe umher gaben herrliche Gelegenheit für Gräben und Dämme, und das seichte Gestade war zur Anlegung von Schiffsdocken ganz gemacht – kurz der Ort hatte alle Eigenschaften zur Gründung einer echten holländischen Stadt. Nachdem sie der Mannschaft der Goede Vrouw die günstigen Nachrichten gebracht, sahen es alle als eine Fügung an, sich hier niederlassen zu sollen. Demnach stiegen aus der Goede Vrouw Männer, Weiber und Kinder in schönem Zuge, wie die Thiere weiland aus der Arche, und bildeten eine rührige Niederlassung, die man nach dem indianischen Namen Communipaw benannte.

Communipaw ist gegenwärtig nur ein kleines Dorf, freundlich gelegen in ländlicher Umgebung an einem schönen Punkt der Jersey-Küste, der in den alten Sagen Pavonia hieß, und eine Aussicht auf die prächtige Bai von New-York gibt. Man fährt nur eine halbe Stunde dorthin, wenn der Wind günstig ist und man von der Stadt aus gesehen werden kann.

Die in diesem Ort sehr häufigen Neger sind viel gewandter und gescheuter als ihre Oberherren, reißen allen ausländischen Handel an sich, und machen oft Reisen nach der Stadt mit Canoes voll Austern, Buttermilch und Kohl. Sie sind große Astrologen und Wetterpropheten, spielen die dreisaitige Geige recht gut, und pfeifen trotz Orpheus Leier, so daß kein Pferd oder Ochs vor einem Wagen oder Pflug von der Stelle geht, wenn er nicht das wohlbekannte Pfeifen seines schwarzen Treibers und Gefährten hört. Auch werden sie wegen der erstaunenswerthen Gabe, an den Fingern herzuzählen, verehrt, als ob sie die heilige Vierzahl des Pythagoras studiert hätten.

Was die ehrlichen Bürger von Communipaw betrifft, so blicken sie wie recht gesunde Philosophen nie über ihre Pfeife hinaus, und zerbrechen sich den Kopf nicht über Dinge, die über ihren allernächsten Sehkreis hinaus liegen, so daß sie in einer beneidenswerthen Unwissenheit über alle Verwirrungen und Revolutionen dieses zerrissenen Planeten leben. Man hat mir erzählt, daß viele der Meinung seyen, Holland sey immer noch eine Republik und sie ständen fortwährend unter den Befehlen Ihrer Hochmögenden. New-York heißt noch Neu-Amsterdam, und in der friedlichen Schenke, wo sie Sonnabends Nachmittag zusammenkommen, sollen sie sogar noch auf die ferneren Siege des Admirals van Tromp trinken.

Hier herrschen noch ganz die Sitten unserer Vorfahren; die Kleider vererben sich vom Vater auf den Sohn; die breiträndrigen Hüte, breitschössigen Röcke und weiten Beinkleider, die riesigen silbernen Knieschnallen erinnern an die patriarchalische Heldenzeit, und die Sprache ist noch so unverdorben und kritisch correct, daß wenn der Schulmeister die Psalmen ablies't, es denselben Effect auf die Nerven macht, wie das Feilen einer Säge.


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