Washington Irving
Humoristische Geschichte von New-York
Washington Irving

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Viertes Kapitel.

Wie die Helden von Communipaw nach dem Höllenthor reisten, und wie sie dort empfangen wurden.

Und nun begann das jungfräuliche Roth des Morgens im Osten sich zu verbreiten, und bald schoß die aufsteigende Sonne aus goldnem und purpurnem Wolkenmeere ihre fröhligen Strahlen auf die blechenen Wetterhähne von Communipaw. Es war die köstliche Jahreszeit, wo die Natur, aus der starren Knechtschaft des alten Winters erlöst, wie ein blühendes Mädchen von der Tyrannei eines filzigen, alten Vaters, mit tausend Reizen aufknospend, in die Arme des jugendkräftigen Lenzes sinkt. Jeder Strauch und jeder Blüthenhain ertönte von bräutlichen Melodieen, selbst die Insecten, die den Thau sogen, der das zarte Gras der Wiesen beperlte, stimmten in das fröhliche Brautlied mit ein; furchtsam regte sich die Blüthengestalt der Jungfrau, die Turteltaube zog durchs Gefild, und das Herz des Mannes schmolz dahin in Zärtlichkeit. O, süßer Theokrit, hätte ich dein Haberrohr, womit du einst die lachenden Ebenen Siciliens entzücktest – oder, milder Bion, deine Hirtenpfeife, an der sich die glücklichen Schäfer der lesbischen Insel so oft ergötzten, dann dürfte ich es wagen, mit sanfter Bukole oder nachlässigem Idyll die ländlichen Schönheiten dieser Scene zu feiern – so aber habe ich, um meine Begeisterung zu beflügeln, nur diesen stumpfen Gänsekiel, muß alle Spiele der Phantasie fahren lassen und meine Bahn in niedrer Prose fortsetzen, mich tröstend mit der Aussicht, zwar nicht so süß in das Ohr des Lesers einzudringen, doch mit jungfräulicher Schüchternheit mich seinem besseren Urtheil empfehlen zu dürfen, wenn ich mich in das keusche, einfache Gewand der Wahrheit kleide.

Kaum hatten die ersten Strahlen des gnädigen Phöbus die Fenster Communipaws vergoldet, als der weise Van Kortlandt aus seinem Schloß hervortrat, eine Muschelschale ergriff und einen grellen Ton ausstieß, der seine Gefährten zur Abfahrt mahnte. Sie kamen mit dem ganzen Dorf in langen Familienprocessionen herab, mit Bündeln und Schachteln beladen, nach der Sitte, wie man einen Vetter vom Lande aufs Marktschiff begleitet. Bei dem Einschiffen riefen ihnen die Angehörigen unter dem Lebewohl die gewöhnlichen unschätzbaren Warnungen zu, nicht zu ertrinken und sich gut zu verwahren – und bald hatten die Schiffenden die grünen Gestade Pavonia's aus den Augen.

Zuerst berührten sie die beiden reizenden Inseln, die Communipaw fast gegenüberliegen, dann Governors-Island, welches jetzt stark befestigt ist. Um keinen Preis wären sie hier an's Land gestiegen, da sie die Insel für den Aufenthalt von Geistern und Dämonen hielten, die in diesen Tagen durch das wilde, heidnische Land ihr Wesen trieben.

Grade kam eine Schaar von herrlichen Braunfischen oder Meerschweinen daher geschwommen, sie drehten die glatten Seiten nach der Sonne und spieen das salzige Element in funkelnden Strahlen aus. Der weise Oloff war hierüber sehr erfreut. «Dies,» – rief er, «weissagt uns Gutes – denn der Braunfisch ist ein fettes, wolconditionirtes Thier – ein Burgemeister unter den Fischen – sein Anblick deutet auf Gemächlichkeit, Ueberfluß und Glück – ich betrachte diesen runden, fetten Fisch mit Bewunderung, und zweifle nicht, daß er ein Unterpfand des guten Erfolges unserer Fahrt ist.» So redend, ließ er das kleine Geschwader diesen Rathsherrn der Gewässer folgen.

Sie wandten sich demnach links, in die Straße, die jetzt East-River genannt wird. Die rasche Strömung ergriff den Kübel des Commodore mit einer Heftigkeit, deren sich die nur an Canalfahrten gewöhnten Niederländer nicht versehen hatten; um so mehr glaubte Van Kortlandt in dem Schutz einer unsichtbaren Macht den Braunfischen nachzufliegen.

So flogen sie denn um die Corlears-Spitze (Corlears-Haken) und indem sie die reiche, gewundene Bai von Wallabout zur Rechten ließen, trieben sie in einem prächtigen Wasserspiegel, mit Küsten von erfrischendem Grün. Wie sie sich nun in diesem heitern, sonnigen Teich recht wohl zu fühlen begannen, sahen sie plötzlich in der Entfernung eine Gruppe bemalter Wilden, emsig mit Fischen beschäftigt; sie schienen mehr die unbekannten Gottheiten des Ortes und ihr zierliches Kanot schaukelte leicht wie eine Feder auf der sanftwallenden Fläche der Bai.

Die Gemüther der Helden von Communipaw geriethen in nicht geringes Entsetzen. Aber zum Glück stand am Bord des Commodore-Bootes ein tapfrer Mann, Hendrik Kip, welches soviel wie Hans Hasenfuß bedeutet. Kaum sah er diese heidnischen Schelme, als er vor lauter Ungeduld zu zittern anfing, und obgleich sie noch eine gute Viertelstunde entfernt waren, ergriff er den neben ihm liegenden Muskedonner, wandte den Kopf weg und feuerte mit großer Unerschrockenheit der lieben Sonne ins Gesicht. Das schwer geladene Gewehr prallte zurück und gab ihm einen argen Stoß, so daß er ins Boot plumpte und die Beine gen Himmel streckte. Aber die Wirkung des donnernden Geschützes war so groß, daß die wilden Waldmenschen erschreckt die Flucht ergriffen und eiligst in eine der tiefen Einfahrten von Long-Island zurückruderten.

Dieser entscheidende Sieg erfüllte die kühnen Seefahrer mit neuem Muth, und sie gaben der umgebenden Bai, der Heldenthat zu Ehren, den Namen Kip's-Bai, den sie noch jetzt trägt.

Der gute Van Kortlandt schwärmte schon in süßen Träumen von den weiten Wiesen, den Salzsümpfen und den unabsehlichen Kohlfeldern, als die Ebbe eintrat, die ihn schier aus diesem Lande der Verheißung hinweggetragen hätte, wenn er nicht sogleich zum Landen commandirt hätte. Dies geschah bei den Felsenhöhen von Bellevüe, wo unser wackerer Rath für das Wohl der Republick gut ißt und trinkt, auch die Schildkröten mästet, die bei feierlichen Gelegenheiten geschlachtet werden.

Hier, auf der grünen Wiese, am Rande eines Flüßchens, das unter dem hohen Grase funkelnd dahinrann, erfrischten sie sich wieder und genossen die mitgebrachten reichlichen Vorräthe, worauf sie in ernstliche Berathungen eingingen. Dies war das erste Rathsessen zu Bellevüe und der Tradition zufolge ist hier auch der Ursprung der großen Feindschaft zwischen den Häusern Hardenbroeck und Tenbroeck zu suchen, die nachmals von so entscheidendem Einfluß auf den Bau der Stadt war. Der herzhafte Hardenbroeck, entzückt über die Salzsümpfe der Kip-Bai, rieth dorthin zurückzukehren und die Stadt zu gründen; dagegen erhob sich der unbezähmbare Ten-Broeck, und viele eigensinnige Redensarten erhöheten den Zwiespalt. Endlich machte der weise Oloff dem Streit damit ein Ende, daß er den Weg weiter zu verfolgen beschloß, den die geheimnißvollen Meerschweine so deutlich bezeichnet hatten – da verließ der hartnäckige Zäh-Hosen die Expedition, nahm von einem benachbarten Hügel Besitz und in einem Anlauf von Wuth bevölkerte er den ganzen Strich Landes, der bis auf diesen Tag noch von den Hardenbroecks bewohnt wird.

Unterdessen war der muntere Phöbus, wie ein muthwilliger Igel, der spielend einen grünen Hügel hinabkollert, den Himmelsabhang heruntergerollt; und da jetzt wieder die Fluth eintrat, so überließen sich die entschlossenen Pavonier ihr aufs Neue und fuhren an den Westküsten hin nach den Straßen der Blackwell-Insel.

Und hier gaben die wunderlichen Strömungen den berühmten Seefahrern nicht wenig Erstaunen und Schrecken, denn bald wurden sie um eine Spitze herum in eine romantische Bucht der Manhatten-Insel getrieben, bald an den Fuß von Felsen geschleudert, über welche üppige Traubenguirlanden herabhingen und deren Waldeskronen einen breiten Schatten über die Wogen hinwarfen, bald wurden sie wieder mitten in den Kanal getrieben und mit reissender Geschwindigkeit fortgerissen.

Wo die Reisenden ihre Blicke hinwandten, schien eine neue Schöpfung rings aufzusprossen. Kein Zeichen menschlichen Fleißes störte die entzückende Wildheit der Natur, die in dem üppigsten Wechsel erschien. Die jetzt, gleich einem Stachelschwein, mit Reihen von Pappeln (erbärmlichen Modegewächsen) besetzten Hügel, waren damals mit den kräftigen Sprößlingen der Heimath, der königlichen Eiche, dem prächtigen Kastanienbaum, der anmuthigen Ulme, bewachsen, und dazwischen erhob der Tulpenbaum, jener Riese der Wälder, sein majestätisches Haupt. Wo der Luxus sich jetzt liebliche Landsitze erbaut hat, Villa's im Zwielicht der Lauben versteckt, wo des städtischen Jünglings Seufzer durch verliebte Flöten Sprache erhalten, da baute noch der Fischreiher sein einsames Nest auf einen dürren Baum, von dem er sein Wasserreich überblickte. Das furchtsame Reh weidete noch ungestört an den Gestaden, die jetzt durch Spatziergänge von Liebenden und durch den zarten Fußtritt der Schönen geheiligt sind; eine einsame Wüstenei war diese Gegend, wo gegenwärtig die stattlichen Thürme der Jones, Schermerhornes und Rhinelanders emporsteigen.

Sie bogen um die Spitze des Vorgebirgs, das, gleich einem Elephanten, auf seinem Rücken ein schönes Schlößchen trägt, und deshalb Gracie's-Point genannt wird. Wasser und Land verbanden sich in reizender Abwechslung zu den herrlichsten Landschaften. Grade war die Sonne untergegangen und die Dämmrung lag wie ein durchsichtiger Flor über dem Busen der jungfräulichen Natur–ach, täuschende Scenen der Entzückung! unglückliche Reisende, die so unbefangen diese Küsten der Circe anstaunen – verrätherisch ist dieses Lächeln, Verderben bringend die Liebkosung! Unvermerkt geriethen unsre Seefahrer durch die eintretende Ebbe in jene Strömungen und Strudel, welche die dortige Gegend so gefährlich zu passiren machen; die Wellen schwanden von den Felsen, dann brodelten und schäumten sie mit fürchterlicher Wuth. Der verwunderte Oloff erwachte wie aus einem Traum, und schrie, man sollte umkehren, aber man konnte ihn vor dem Tosen der Brandung nicht verstehen. Eine schreckliche Bestürzung folgte – bald wurden sie zwischen wilde Brandungen geschleudert, bald in reissenden Strömungen fortgerissen; von der scyllaähnlichen Henne mit den Küchlein geriethen sie in den Topf, der sie in kreiselnder Bewegung umtrieb, wie die Charybdis, und so kamen sie, denen endlich Bäume, Felsen, alles ringsum tanzte, nicht eher zur Besinnung, als bis sie, an der Küste von Long-Island gestrandet, aus der Bezauberung erwachten.

Der würdige Commodore ließ sich's nicht ausreden, daß er Geister in der Luft gesehen und die Kobolte lachen gehört und die Hand in den Topf gesteckt, wie sie drin herumkreiselten, und das Wasser siedend heiß gefunden; ein Paar verdächtige Gestalten sollten auf Felsen gesessen und mit großen Löffeln den Schaum abgeschöpft haben – aber die größte Freude machte es ihm, zu erzählen, wie die schurkischen Braunfische, die allein an ihrem Jammer Schuld waren, die einen auf dem Roste brieten und die andern in der Bratpfanne schmorten!Vgl. die Erzählungen eines Reisenden, 6. Bdch. S. 47.

Gewiß verdankte man die späteren wunderlichen Sagen von dieser Meerenge Oloff dem Träumer, nämlich, daß man den Teufel oft auf dem Schweinerücken reiten sähe und die Violine spielen höre, daß er dort, bevor ein Sturm komme, sich Fische brate, und all solche Dinge mehr. Wegen diesen fürchterlichen Erscheinungen gab der Befehlshaber Oloff der Meerenge den Namen: das Höllenthor.Vgl. d. Erz. eines Reis. 5. Bdch. S. 82 ff.


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