Washington Irving
Humoristische Geschichte von New-York
Washington Irving

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Siebentes Kapitel.

Wie Antonius der Trompeter ein trauriges Schicksal hatte, und wie Peter Stuyvesant als ein zweiter Cromwell ein Rumpf-Parlament auflöste.

Nun ergoß sich der hochherzige Pieter de Groodt in einen Strom von Vermaledeyungen gegen seine Burgermeister, als eine Race hochmüthiger, bockbeiniger Schurken, die man weder überzeugen noch überreden könne. Er entschloß sich, nichts mehr mit ihnen zu schaffen zu haben, sondern nur die Meinung seiner geheimen Räthe anzuhören, die er aus Erfahrung als die beste von der Welt kannte, da sie nie von der seinigen abwich. Auch fehlte es nicht an umgekehrten Complimenten für's souveraine Volk, welches er als eine Heerde blökender Schafe oder bellender Mopse bezeichnete, die keine Courage zu Gefechten hätten, sondern lieber zu Hause blieben und fräßen und schnarchten in unwürdiger Ruhe, statt Unsterblichkeit und Löcher in den Kopf zu erringen, indem sie ritterlich in den Gräben föchten.

Fest entschlossen, seine geliebte Stadt, selbst gegen ihren eignen Willen, zu vertheidigen, ließ er seinen trauten Trompeter Van Corlear rufen, der in allen Zeiten der Noth und Gefahr die rechte Hand des Gouverneurs war. Er beschwor ihn, seine kriegverkündende Trompete zu nehmen, sein Roß zu besteigen und Tag und Nacht im Lande herum zu reiten, indem er Alarm bliese an den idyllischen Ufern der Bronx – die wilden Einöden von Croton in Entsetzen bringe – die rauhen Mannen von Weehawk und Hoboeken aufbiete – die gewaltigen Krieger von Tappaan-Bai – und die braven Jungen von Tarry Town und Sleepy Hollow – zusammt allen andern Kriegern des Landes rings umher; sie alle aufbiete, ihre Pulverhörner umzuthun, ihre Vogelflinten auf die Schulter zu nehmen und lustig auf die Manhatten-Insel loszueilen.

Nun war aber in der Welt, das schöne Geschlecht allein ausgenommen, nichts, was der brave Anton Van Corlear mehr liebte, als Kreuz- und Queerzüge dieser Art. Er war gerade mit einer guten Mahlzeit fertig, schnallte sich sein Fläschchen, mit herzerhebendem Holländer gefüllt, an die Seite, und ritt lustig aus dem Stadtthor, das nach dem jetzigen Broadway führt; wie gewöhnlich schmetterte er einen kleinen Abschiedsgruß, der in munteren Echo's durch die krummen Straßen von Neu-Amsterdam hallte – ach! sie sollten sich nie mehr an den lieblichen Weisen ihres Lieblingstrompeters ergötzen!

Es war eine finstere und stürmische Nacht, als der gute Anton bei dem Strom ankam, welcher der Harlem-Fluß heißt und die Insel Mannahata von dem Festlande trennt. Der Wind blies heftig, die Elemente waren in Aufruhr und kein Charon war zu finden, um den wagehalsigen Messinghornbläser übers Wasser zu setzen. Einige Momente dampfte er wie ein ungeduldiger Geist am Ufer hin, dann fiel ihm doch die Eile seines Auftrages ein, er umarmte herzlich sein steinernes Krüglein und schwur kräftigst, er wolle hinüberschwimmen, «en spit den Duyvel»(dem Teufel zum Trotz), und damit tauchte er in den Strom. – Unglücklicher Antonius! Kaum hatte er sich halbwegs in den Fluß gearbeitet, als man ihn heftig kämpfen sah, als balge er sich mit dem Geist des Wassers – instinctmäßig setzte er die Trompete an den Mund, blies ungeheuer heftig und sank auf ewig in die Fluthen!

Der gewaltige Klang seiner Trompete schallte, wie das elfenbeinerne Horn des berühmten Paladin Roland, als er in dem Thal von Roncevall glorreichen Andenkens die Seele aushauchte, weit und breit durch das Land, und weckte die ganze Nachbarschaft, die sich eiligst nach dem Platz begab. Hier erzählte ein alter holländischer Bürger, der für seine Wahrhaftigkeit bekannt und Zeuge des unglücklichen Schauspiels gewesen war, den traurigen Hergang, und zwar mit dem schrecklichen Zusatz (dem ich indessen etwas mißtraue), daß er den Duyvel gesehen, wie er in Gestalt eines ungeheuern Fischreihers den herzhaften Antonius bei dem Bein ergriffen und ihn unter die Wellen gezogen habe. Gewiß ist es, daß der Ort und das anstoßende Vorgebirg, das in den Hudson ragt, seitdem den Namen «Spijt den Duyvel» oder «die Spitze dem Teufel» trägt – und der friedlose Geist des glücklichen Antonius spukt immer noch in den Einöden umher und die Nachbarn hören seine Trompete oft in stürmischen Nächten sich mit dem Heulen der Windsbraut mischen. Kein Mensch wagt nach der Dämmerung über den Fluß zu schwimmen, vielmehr hat man jetzt eine Brücke gebaut, um ähnliche traurige Vorfälle zu verhüten, und was die Fischreiher betrifft, so hat man davor einen solchen Schauder, daß kein ächter Niederländer sie zur Tafel bittet, welcher gute Fische liebt und den Teufel haßt.

Das war das Ende Antons Van Corlear – der ein besseres Schicksal verdient hätte. Er lebte rund und gesund bis an seinen Tod als ein wackerer munterer Junggeselle; obgleich er nun nicht verheirathet war, so hinterließ er doch zwei bis drei Dutzend Kinder in verschiedenen Theilen des Landes – saubere, dickköpfige, lärmende, aufgeblähte Jungen. Von ihnen stammt, wenn die Ueberlieferung wahr ist (welche gewöhnlich nicht lügt), die unglaubliche Anzahl von Journalisten, die dieses Land bevölkern und vertheidigen, auch von dem Volk reichlich bezahlt werden, um einen ewigen Alarm zu unterhalten – und einander elend zu machen. Wollte Gott, daß sie den Werth wie den Wind ihres berühmten Ahnen geerbt hätten!

Die Nachricht von diesem beklagenswerthen Unglück gab dem Herzen Peter Stuyvesants einen heftigeren Stoß, als die Bedrohung seines geliebten Amsterdams. Unbarmherzig traf sie die unmittelbarsten sanften Regungen, die am Herzen liegen und von seinen wärmsten Strömen genährt werden. Wie ein verirrter Pilgrim, der im Pfeifen des Sturms durch seine Locken und unter der schwarzen Nacht, die sich um ihm sammelt, seinen treuen Hund leblos vor sich niedergestreckt sieht, den einzigen Gefährten seiner Züge, der sein einsames Mahl mit ihm getheilt und so oft die Hand seines Herrn in unterthäniger Dankbarkeit geleckt hatte – solchen Eindruck machte dem hochherzigen Helden von Manhatta das Ende seines treuen Antons. Er war der folgsame Diener auf Wegen und Stegen, er hatte ihn in mancher schweren Stunde erheitert mit seiner ehrlichen Munterkeit, er war ihm mit Treue und Liebe durch so viele Gefahren und Unheilsfälle gefolgt – nun war er auf ewig dahin – und grade jetzt, wo jeder Bastardhund sich von seiner Seite wegschlich. – Dieß – Peter Stuyvesant – dieß war der Augenblick, um deine Festigkeit zu bewähren; und dieß war der Augenblick wirklich, wo du deine große Tugend geltend machtest – Peter der Starrköpfige!

Das Licht des Tages hatte längst die Schrecken der stürmischen Nacht verdrängt; doch alles war noch in Dumpfheit und Betrübniß versenkt. Der sonst so lustige Apoll verbarg sein Antlitz hinter trauertragenden Wolken und sah nur dann und wann einen Augenblick hervor, als scheue er zu sehen, was in seiner Lieblingsstadt vorging. Es war der große Morgen, wo Peter an die Aufforderungen der Feinde eine Antwort zu geben hatte. Schon hatte er sich mit seinem geheimen Rath eingeschlossen, saß in grimmiger Pracht da und sann wie eine Bildsäule über das Loos seines geliebten Trompeters nach, dann und wann in Unwillen erglühend, wenn ihm die Insolenz seiner aufrührerischen Burgermeister einfiel. Während er in diesem gereizten Zustande war, kam ein Courier in aller Eile von Winthrop, dem feinen Gouverneur von Connecticut, der ihm in den theilnehmendsten Ausdrücken rieth, die Provinz zu übergeben und sich den Gefahren und dem Elend zu entziehen, welches eine Weigerung zur Folge haben würde. Welcher Moment war das zu einer Dienstfertigkeit solcher Art bei einem Manne, der nie in seinem ganzen Leben einen guten Rath angenommen hatte! – Der feurige alte Gouverneur tappte auf und ab im Zimmer, mit einer Heftigkeit, die den Herzen seiner Räthe große Angst einflößte – sie beklagten zugleich sein unglückliches Schicksal, das ihn zum Spielball rebellischer Unterthanen und jesuitischer Freunde machte.

Grade in diesem übelgewählten Moment kamen die geschäftigen Burgermeister, die nun sehr auf ihre Rechte dachten und von der Ankunft geheimnißvoller Depeschen gehört hatten, ins Zimmer gerückt mit einer Legion von Schöffen und Krötenfressern hinter ihnen her, und verlangten den Brief zu lesen. So von einer «infamen Pöbelrotte» wie er sie nannte und grade in dem Augenblick, wo er durch die Botschaft von Außen so gereizt war, überfallen zu werden, war zu viel für die Wuth Peters. Er zerriß das Schreiben in tausend Stücke und warf es dem nächststehenden Burgermeister ins Gesicht – zerbrach über dem Kopf des zweiten seine Pfeife – schleuderte sein Spukkästchen auf einen unglücklichen Schöffen, der grade sehr weise aus der Thüre retirirte, und vertagte die ganze Versammlung sine die, indem er sie mit seinem hölzernen Fuß die Stiege hinabtrat.

Sobald die Burgermeister sich von der Verwirrung erholen konnten, worein sie ihr plötzliches Abschiednehmen versetzt, und wieder ein bischen Zeit hatten, um freien Athem zu schöpfen, protestirten sie gegen das Benehmen des Gouverneurs, das sie ohne Bedenken tyrannisch, anticonstitutionell, höchst unanständig und etwas unehrerbietig zu nennen wagten. Dann beriefen sie eine Volksversammlung, wo sie ihre Protestation ablasen, dann in einer präparirten Rede die Menge anredeten und in allen Details, mit gehöriger Ausmalung und Uebertreibung das despotische und rachsüchtige Betragen des Gouverneurs schilderten, indem sie erklärten, daß, was sie selber betreffe, sie sich nicht so viel daraus machten, geschlagen, geworfen und mit dem hölzernen Bein Seiner Excellenz getreten zu werden, daß sie aber wohl wüßten, wie sehr die Würde des souverainen Volks verletzt worden sey durch eben jene Stöße auf den Sitz der Ehren ihrer Repräsentanten. Dieser letzte Theil der Rede machte einen heftigen Eindruck auf das Zartgefühl des Volks, indem es auf einmal jene verletzbare Empfindung und jenen eifersüchtigen Charakterstolz zeigte, in welchen sich jeder wahre Pöbel zu kleiden weiß, der zwar Injurien ohne Murren verträgt, doch erstaunlich eifersüchtig ist auf seine souveraine Würde – und man kann nicht wissen, zu welcher gewaltthätigen Handlung der Rache sie sich getrieben gefühlt hätten, wären diese schmierigen Schufte nur nicht vor ihrem alten Gouverneur mehr in Furcht gewesen, als vor dem heiligen Nicolaus, oder vor den Engländern, oder vor dem Teufel selbst!


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