Washington Irving
Humoristische Geschichte von New-York
Washington Irving

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Viertes Kapitel.

Wie die Philosophen große Arbeit gehabt, Amerika zu bevölkern, und wie die Eingebornen – zum großen Troste des Autors – durch Zufall erzeugt wurden.

Wie viele Gänseschwingen sind nicht geplündert, wie viele Seen von Dinte nicht ausgeschrieben, wie viele Köpfe von Gelehrten nicht ausgeleert und völlig verwirrt worden, um so viele Millionen Mitgeschöpfe, wie die alten Amerikaner, dem von andern Philosophen über sie verhängten Nichts zu entreißen. Ueber alle Folianten, Quartanten, Octavbände steigen wir hinweg und kommen in der Geschichte bei den nächst competenten Reclamanten, den Nachkommen Abrahams an.

Christoval Colon zog bei der Entdeckung der Goldminen von Hispaniola auf der Stelle und mit einer Schärfe, die einem Philosophen Ehre gemacht haben würde, den Schluß, daß er das alte Ophir Salomo's gefunden habe; er glaubte sogar die Schmelzöfen der Hebräer in vorhandenen Ueberresten zu erkennen.

Sogleich wurde dies von den Gründlingen der Gelehrsamkeit aufgefaßt, besonders von Vetablus und Robertus Stephens; Arius Montanus behauptete, Mexico sey das wahre Ophir und die Juden die ältesten Amerikaner. Possevin, Becan und andre scharfsinnige Antoren führen zu dem Ende eine vermuthete Prophezeihung im 4. Buch Esräs an, die ihrer Ansicht, als Grundstein ihres Stützpfeilers, unerschütterliche Dauer gibt.

Aber unser Hans de Laet, der große Holländer, wirft alle diese Hypothesen nieder und schreibt die Spuren vom Christenthum und Heidenthum, die sich im alten Amerika finden, alle dem Teufel zu, der sich von jeher bestrebt habe, den Dienst des wahren Gottes nachzuäffen, worin ihm auch der Padre d'Acosta beistimmt.

Dagegen behaupten wieder einige Autoren, worunter Lopez de Gomara und Juan de Leri, die Canaaniten, aus dem Lande der Verheißung der Juden vertrieben, seyen so von panischem Schrecken ergriffen worden, daß sie geflohen seyen, ohne sich umzusehen, immer weiter, bis sie sich mit heiler Haut in Amerika befunden hätten. Da sie weder ihre Landessprache, noch ihre Sitten und Gesichtszüge mitgebracht, so vermuthet man, sie hätten das alles in der Eile zu Hause zurückgelassen – dem kann ich jedoch meinen Beifall nicht schenken.

Ich übergehe die Vermuthung des gelehrten Hugo Grotius, welcher ein Gesandter und ein Holländer dazu war und daher große Achtung verdient, daß nämlich Nord-Amerika von umherschweifenden Norwegern, und Peru von einer chinesischen Colonie bevölkert worden und Mango Capak, der erste der Inkas, noch ein Chinese gewesen sey; auch will ich mich nicht dabei aufhalten, daß Pater Kircher den Egyptern, Rudbeck den Scandinaviern, Charron den Galliern, Juffredus Petri einer Schlittenparthie von Friesländern, Milius den Celten, der Sicilier Marinocus den Römern, le Comte den Phöniciern, Postel den Mauren, Martin von Angleria den Abessiniern die Bevölkerung zuschreibt, endlich glaubt der weise de Laet, daß England, Irland und die Orkaden sich zu der Ehre melden könnten.

Von Marco Polo's Insel Cipangi, von Plato's Atlantis schweige ich ganz, weil es Träumereien sind; auch mag des Paracelsus heidnische Ansicht hierher gezogen werden, daß jede Halbkugel mit einem Adam und einer Eva versehen worden sey, oder die mehr schmeichelnde Ansicht des Dr. Romayne, daß Adam ein Indianer gewesen – zuletzt stehe noch hier die erschreckende Vermuthung von Büffon, Helvetius und Darvin, welche die Menschheit so hoch ehrt, daß sie ihr den Ursprung ganz zufällig von einer merkwürdigen Affenfamilie gibt.

Bei dieser letzten Hypothese war mir, ich gestehe es, zu Muthe, wie dem Pierrot in der Pantomime, wenn er starr, in dummer Verwunderung über die Sprünge Harlequins, plötzlich von einem Schlag des hölzernen Schwerdes zwischen den Schultern electrisirt wird. Mir war, als ob eine eben so plötzliche Verwandlung in Thiere mit mir und meinen Lesern vorgegangen wäre. Ich beschloß seitdem feierlich, mir mit keiner dieser Theorieen mehr die Finger zu verbrennen! Theorien, dachte ich, gleichen jenen berühmten beiden Töpfen, welche zusammen eine Reise machten. Einmal dem Strom überlassen, stehen sie jede Minute in Gefahr, an einander zu zerbrechen.

Ich erstaune wirklich, daß noch keiner der angeführten Schriftsteller auf die Idee kam, die neue Welt vom Mond aus zu bevölkern, oder die Menschen auf Eisschollen, wie die Eisbären, heranschwimmen zu lassen, oder in Luftballons, wie man von Dover nach Calais schifft, oder durch Zauberei, wie Simon Magus mit Extrapost nach den Sternen fuhr, oder wie die berühmte Scythin Abaris, die, wie die Hexen in New-England auf Vollblut-Besenstielen, unerhörte Reisen auf einem ihr von Apoll verehrten goldnen Pfeil machte.

Nur noch ein Weg bleibt uns, die Bevölkerung Amerika's zu erklären, ich versparte ihn bis zuletzt, weil er alle andere aufwiegt, dieser Weg ist – Bevölkerung durch Zufall! So meint es nämlich der tiefdenkende Pater Charlevoix von den Inseln Salomo's, Neu-Guinea und Neu-Holland, so auch von Amerika. Die merkwürdigen Worte, womit er den gordischen Knoten zerhaut, sind diese: «Nichts ist leichter; – die Menschen auf beiden Halbkugeln sind ohne Zweifel Kinder desselben Stammvaters. Dieser aber empfing den ausdrücklichen Befehl vom Himmel, die Welt zu bevölkern, und demnach bevölkerte er sie auch. Um dieß zu bewerkstelligen, mußten alle Schwierigkeiten besiegt werden, und diese wurden denn auch besiegt!» Frommer Logiker! wie machst du auf einmal die ganze Schaar der Theoretiker schaamroth, indem du ihnen ruhig, mit fünf Worten erklärst, was ihnen nach furchtbarer Abmattung mit dickleibigen Quartanten noch nicht klar werden wollte.

Es wäre also bewiesen, einmal, daß Amerika wirklich bevölkert ward, welches die noch lebenden Wilden bezeugen, sodann, daß dies auf fünfhunderterlei Weise geschah, nach den vielen Schriftstellern, die alle Augenzeugen gewesen zu seyn scheinen, und endlich, daß ihre Bewohner eine Menge Väter hatten, welches ihnen nach den gewöhnlichen Begriffen keine große Ehre macht, weshalb wir uns auch darüber nicht weiter verbreiten wollen. – So wären also diese Fragen auf immer beseitigt und zur Ruhe verwiesen.


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