Washington Irving
Humoristische Geschichte von New-York
Washington Irving

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtes Kapitel.

Wie Peter Stuyvesant die Stadt Neu-Amsterdam einige Tage, Kraft der Stärke seines Kopfes, vertheidigte.

Es liegt etwas ausnehmend Erhabenes und Melancholisches in dem Schauspiel, das sich in der jetzigen Krise unserer Geschichte bietet. Eine berühmte und ehrwürdige kleine Stadt – die Hauptstadt von einem unermeßlichen Striche unbewohnten Landes – besetzt von einer herzhaften Schaar von Rednern, Stuhlherrn, Committee-Männern, Burgermeistern, Schöffen und alten Weibern – regiert von einem entschlossenen und starrköpfigen Krieger – und befestigt mit Schlammbatterieen, Pallisaden und Volksbeschlüssen – zur See blokirt, zu Land belagert – von Außen mit schrecklicher Verwüstung bedroht, während seine Eingeweide von inneren Partheiungen und Bewegungen zerrissen werden! – Noch nie zeichnete eine Feder auf ein Blatt der Geschichte verwickeltere Unglücksfälle – es wäre denn der Jammer, der die Israeliten bei der Belagerung von Jerusalem verzehrte, wie die entzweiten Bürger einander die Kehlen abschnitten, als eben die siegreichen Legionen des Kaisers Titus ihre Bollwerke niedergerissen hatten und mit Feuer und Schwerd selbst ins Allerheiligste des Tempels drangen.

Nachdem der Gouverneur Stuyvesant, wie erzählt worden, seinen großen Rath triumphirend in die Flucht geschlagen und sich auf diese Art des ganzen Trosses impertinenter Rathgeber entledigt hatte, sandte er den Commandanten des angekommenen Geschwaders eine kategorische Antwort, versicherte das Recht und die Titel Ihrer Hochmögenden der Herren Generalstaaten auf die Provinz der Neuen Niederlande und sein Vertrauen auf die Gerechtigkeit seiner Sache, und forderte, sich hierauf stützend, ganz England heraus!

Meine ängstliche Sorgfalt, die Leser und mich selbst von diesen unseligen Scenen bald zu befreien, erlaubt mir nicht, den ganzen ritterlichen Brief hier einzuschalten, der aber mit folgenden mannhaften und innigen Worten schließt:

«Was die Drohungen am Ende eures Schreibens betrifft, so haben wir darauf nichts zu erwiedern, als daß wir nichts fürchten, was Gott (der so gerecht als gnädig ist) uns auferlegen wird; da alle Dinge in seiner huldreichen Hand liegen und wir eben so gut mit unserer kleinen Waffenmacht von ihm beschützt werden können, als mit einer großen Armee; daher wünschen wir euch alles Glück und Heil und empfehlen euch seinem Schutz. – Mylords, euer dreimal unterthäniger und herzlich ergebener Diener und Freund Peter Stuyvesant

Nachdem er auf diese Weise ritterlich den Fehdehandschuh hingeworfen, nahm der tapfre Peter ein Paar Reiterpistolen in den Gürtel, schnallte ein ungeheures Pulverhorn an – steckte sein rechtes Bein in einen hessischen Stiefel und klapste seinen kleinen Campagne-Hut auf den Kopf – so schritt er stolz an seinem Hause auf und ab, fest entschlossen, seine geliebte Stadt bis auf den letzten Mann zu vertheidigen.

Während alle diese traurigen Kämpfe und Spaltungen die unglückliche Stadt Neu-Amsterdam quälten, und ihr würdiger, aber von bösen Sternen verfolgter Gouverneur den obigen Brief drechselte; legten die englischen Commandeurs nicht die Hände in den Schooß. Sie unterhielten insgeheim durch Emissäre die Furcht und das Geschrei des Pöbels, und überdieß circulirte weit und breit im Lande eine Proclamation, worin sie die Bedingungen wiederholten, die bereits in ihrer Aufforderung an den Gouverneur enthalten waren, indem sie zu gleicher Zeit die einfältigen Niederländer mit den listigsten und versöhnendsten Versprechungen täuschten. Sie sagten jedem, der sich gutwillig unterwerfen würde, den ruhigen Besitz seines Hauses, seiner Vrouw und seines Kohlgartens zu. Auch dürften sie ihre Pfeifen rauchen, holländisch reden, so viele Hosen tragen als sie wollten, und Backsteine, Ziegel und steinerne Krüge aus Holland kommen lassen, statt sie im Lande zu fabriciren. Sie sollten durchaus nicht gezwungen werden, die englische Sprache zu lernen, noch anders zu rechnen, als wie bisher an den Fingern und mit Kreide auf dem Hutdeckel, wie es noch bei den Niederländern auf dem Lande gehalten wird. Jeder sollte ungestört seines Vaters Hut, Rock, Schuhschnallen, Pfeife und jedes andere Anhängsel seiner Person erben, auch Niemand zur Annahme von neuen Erfindungen, Verbesserungen oder sonstigen Neuerungen gezwungen werden, sondern im Gegentheil, Freiheit haben, sich sein Haus zu bauen, seinem Geschäft nachzugehen, seine Wirthschaft zu führen, seine Schweine zu mästen und seine Kinder zu erziehen, wie es seine Vorfahren von unvordenklichen Zeiten gethan hätten. Endlich sollten sie alle Begünstigungen des Handels genießen und nicht gehalten seyn, einen anderen Kalenderheiligen anzuerkennen als den heiligen Nicolaus, der nach wie vor als der Patron der Stadt angesehen werde.

Diese Bedingungen fielen, wie man sich leicht denken kann, sehr zur Zufriedenheit des Volkes aus, welches große Lust bezeigte, sich seines Eigenthums in Ruhe zu erfreuen, und äußerst ungern in einen Streit einging, wobei sie wenig mehr als Ehre und blutige Köpfe davontragen konnten; – gegen ersteres hatten sie eine philosophische Gleichgültigkeit, letzteres aber verabscheuten sie. Durch solche schlaue Mittel also wußten die Engländer dem ritterlichen alten Gouverneur sein Volk abspenstig zu machen, welches ihn für fest entschlossen hielt, sie in garstige Ungelegenheiten zu bringen; sie zauderten nicht, ihr Herz frei auszusprechen und ihm gradezu das Widerpart zu halten – hinter seinem Rücken.

Wie der mächtige Nordkaper, von tosenden Fluthen und schäumenden Strudel angegriffen und umhergestoßen, seinen Lauf unerschrocken fortsetzt, und von brüllenden Wogen überfluthet, immer wieder aus der aufgerührten Tiefe auftaucht und mit zehnfacher Heftigkeit speit und bläst – so hielt der unbeugsame Peter auch unerschüttert seine vorgesteckte Laufbahn im Auge und erhob sich mit Verachtung über das Geschrei des Pöbels.

Wie aber die englischen Krieger aus dem Inhalt seiner Antwort ersahen, daß er ihre Uebermacht herausfordere, so sandten sie sogleich Werboffiziere nach Jamaica und Jericho, nach Quag, Ninive, Patchog und allen jenen Städten von Long-Island, die weiland durch den unsterblichen Stoffel Brinkerhoff unterjocht worden waren; sie riefen die ritterlichen Nachkommen jenes Jöckel Stockfisch, Habakuk Nußkern, Ehrenfest Gockel und der andern erlauchten Squatters auf, um die Stadt Neu-Amsterdam zu Lande anzugreifen. Mittlerweile machten die feindlichen Schiffe fürchterliche Rüstungen zu einem Angriff auf die Stadt von der Seeseite.

Die Straßen von Neu-Amsterdam boten jetzt Scenen des wildesten Entsetzens dar. Es war umsonst, daß der heldenhafte Stuyvesant den Bürgern befahl, sich bewaffnet auf dem großen Marktplatz zu versammeln. Die ganze Parthei der Kurzpfeifen hatte sich in einer Nacht in schändliche alte Weiber verwandelt – eine Metamorphose, die nur an Rom bei dem Herannahen Hannibals ihres Gleichen hat, wo, wie Livius erzählt, Statuen vor Angst schwitzten, Ziegen sich in Schaafe verwandelten und Hähne als Hennen gackernd durch die Straßen liefen.

Der gequälte Peter, von innen und außen mit Drangsalen umgeben, von den Burgermeistern nur gehetzt, von dem Pöbel angegautzt, erhitzte sich, brummte und tobte wie ein wüthender Bär, der, an einen Pfahl gebunden, von einem Rudel bissiger Hunde angefallen wird. Als er aber sah, daß alle Versuche, die Stadt zu halten, vergeblich waren, und hörte, daß ihn ein Einbruch der Gränzer und Gaudiebe von Osten zu überschwemmen drohe, so fand er sich endlich gezwungen, seinem stolzen Herzen zum Trotz, welches ihm bis zur Gurgel aufschwoll, daß er fast erstickte, in eine Capitulation einzuwilligen.

Worte können nicht das Entzücken des Volkes malen, als es die Freudenbotschaft erhielt; ein Sieg über den Feind hätte sie nicht in höhere Wonne versetzen können. Die Straßen hallten von Glückwünschen wider – sie erhoben ihren Gouverneur zum Vater und Befreier des Vaterlandes – sie schaarten sich um sein Haus, um ihm ihre Dankbarkeit zu bezeugen und machten zehnmal mehr Spectakel in ihrem Unterwerfungsjubel, als sie bei seiner Rückkehr mit dem glorreichen Biber nach der Einnahme des Forts Christina ihren Helden bewillkommt hatten. – Aber Peter schloß voll Verachtung seine Fenster und Thüren und floh in die innersten Gemächer seines Hauses, damit ihm das erniedrigende Jubelgeschrei dieser Galgenvögel nicht zu Ohren komme.

In Folge der Zustimmung des Gouverneurs verlangten die Belagernden eine Zusammenkunft, um die Punkte der Uebergabe zu verabreden. Demnach wurde eine Deputation von sechs Commissären von beiden Seiten ernannt und am 27. August 1664 kam eine Capitulation zu Stande, welche höchst vortheilhaft für die Provinz und ehrenvoll für Peter Stuyvesant ausfiel.

Es war jetzt nur noch eins übrig, nämlich daß die Artikel der Uebergabe ratificirt und von den. Gouverneur unterzeichnet würden. Wie die Commissäre ihm zu diesem Ende ihre Aufwartung machten, empfing sie der alte trotzige Krieger mit der grimmigsten und bittersten Höflichkeit. – Seine kriegerische Rüstung hatte er ganz bei Seite gelegt – ein alter indianischer Schlafrock umhüllte die rauhen Glieder, eine rothe Nachtkappe überschattete die gerunzelte Stirn und ein eiserner grauer Bart mit dreitägigen Stoppeln vollendete sein grimmiges Aussehen. Dreimal ergriff er eine kurze stumpfe Feder und versuchte das verhaßte Papier zu unterzeichnen – dreimal knirschte er mit den Zähnen und machte ein Gesicht wie ein Topf voll Mäuse, oder vielmehr als solle er eine Pestdosis von Rhabarber, Sennes und Ipecacuanha verschlucken; endlich warf er es hin, riß sein messinggeschäftetes Schwerdt aus der Scheide und schwur beim heiligen Nicolaus, er wolle lieber sterben, als sich irgend einer Macht unter dem Himmel ergeben.

Umsonst war jeder Versuch, den trotzigen Entschluß zu erschüttern – Drohungen, Vorstellungen, Schimpfworte, alles war vergebens – zwei Tage lang war das Haus des ritterlichen Peter von dem tumultuarischen Volkshaufen belagert, zwei Tage konnte er sich nicht von seinen Waffen trennen und weigerte sich ritterlich, die Capitulation zu unterzeichnen.

Endlich bedachte sich die Volksmasse, nachdem sie gefunden, daß ein lärmendes Betragen nur seine Hartnäckigkeit vermehre, auf ein demüthiges Auskunftsmittel, welches seinen Zorn nicht reizen könne und seine Entschlossenheit entwaffnen müsse. Und nun ging eine feierliche Trauerprocession, unter Anführung der Bürgermeister und Schöffen, und mit Nachfolgen der ganzen Masse des Volkes, langsam nach dem Hause des Gouverneurs, um ihm die Capitulation zu überreichen. Sie fanden den trotzigen alten Helden wie einen Riesen in seinem Schloß verrammelt, die Hausthüre fest verriegelt und ihn selbst in voller Uniform, den dreieckigen Hut auf dem Kopf mit einem Muskedonner vom Gaubloch herabsehen.

Es lag etwas in dieser furchtbaren Stellung, was auch den rohesten Pöbel mit Ehrfurcht und Bewunderung erfüllte. Die lärmende Menge konnte nur mit Selbstverachtung auf ihr feigherziges Betragen zurücksehen, als sie ihren kühnen aber ganz verlassenen alten Gouverneur treu auf seinem Posten sah, wie eine verlorne Schildwache, und kräftig gerüstet, seine undankbare Stadt mit dem letzten Blutstropfen zu vertheidigen. Diese Gewissensbisse wurden aber bald wieder durch die Macht des öffentlichen Unwillens verdrängt. – Indessen, das Volk versammelte sich in möglichster Ordnung vor dem Hause und nahm die Hüte ab mit demüthigen Geberden – der Burgermeister Roerback, der zu den von Sallust beschriebenen Rednern gehörte, welche «schnatterhafter als beredt» sind, trat vor und haranguirte den Gouverneur in einer Rede von drei Stunden Länge, worin die klägliche Lage der Provinz in höchst pathetischen Ausdrücken gemalt, und mit ewigen Wiederholungen derselben Gründe und Redensarten gebeten ward, die Capitulation endlich zu unterzeichnen.

Der mächtige Peter sah aus seinem kleinen Gaubloch mit grimmigem Schweigen auf ihn herab – dann und wann rollten seine Augen über die versammelte Menge hin und ein verachtendes Grinsen, wie das eines bösen Bullenbeißers, markirte lebhaft sein eisernes Gesicht. Aber, obgleich er ein Mann von unerschrockenem Muth war – obwohl er ein Herz hatte so dick, wie ein Ochs, und einen Kopf, welcher der Härte eines Diamanten spottete – so war er doch auch nur ein schwacher Sterblicher; von der immer wiederholten Opposition, von dem ewigen Reden matt gemacht, und wohl einsehend, daß die Einwohner, wenn er ihnen den Willen nicht thue, ihrer eigenen Eingebung oder vielmehr ihrer Furcht folgen würden, ohne auf seine Zustimmung zu warten, so befahl er ihnen denn mit trotzigem Ton, das Papier herauf zu reichen. Es wurde ihm also an dem Ende einer Latte hinaufgehalten, und nachdem er seinen Namen an den Rand hingekritzelt, verfluchte er sie alle als eine Rotte von feigherzigen, meuterischen, entarteten Memmen – warf ihnen die Capitulation auf den Kopf, schlug das Fenster zu, – und nun hörte man ihn mit heftigem Unwillen die Treppe hinabstampfen. Die Menge ergriff sogleich die Furcht, und selbst die Burgermeister waren nicht faul, sich davon zu machen, indem sie fürchteten, der trotzige Peter möchte aus seiner Höhle hervorkommen und sie mit einem unwillkommnen Zeichen seiner Ungnade begrüßen.

Drei Stunden nach der Uebergabe rückte eine Legion von beefsteakfetten englischen Soldaten in Neu-Amsterdam ein und nahm von dem Fort gleichwie von der Batterie Besitz. Und nun hörte man in allen Quartieren ein fürchterliches Gehämmer von den alten niederländischen Bürgern, die emsig daran waren, die Thüren und Fenster zu vernageln, um ihre Vrouws vor diesen fürchterlichen Barbaren zu schützen, die sie in stummem Jammer von den Gaublöchern herab betrachteten, wie sie durch die Straßen paradirten.

Auf solche Art kam der Oberst Richard Nichols, Commandant des brittischen Geschwaders, ruhig in den Besitz des eroberten Reiches als locum tenens für den Herzog von York. Der Sieg wurde durch keine andere Schmach bezeichnet, als durch die Veränderung des Namens der Provinz und ihrer Hauptstadt, die von da ab New-York bis auf den heutigen Tag genannt wurde. Die Einwohner behielten nach dem Tractat ruhig ihr Eigenthum; aber ihr Abscheu vor den Britten war so groß, daß sie in einer geheimen Zusammenkunft einmüthig beschlossen, nie irgend einen ihrer Besieger zu Tisch zu bitten.


 << zurück weiter >>