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Der Machtstaat

Der Leviathan, der vereinheitlichte Staat, den Hobbes um 1650 verkündete, war trotz seines despotischen Gebarens doch nur ein Götze, von den Menschen gemacht. »Denn künstlich erschaffen«, heißt es bei Hobbes, »wird jener große Leviathan, der Staat, lateinisch Civitas genannt, der nichts anderes ist als ein künstlicher Mensch, obschon von größerer Statur und Stärke als ein natürlicher.« Deshalb machte Hobbes den Staat auch nicht zum Gott, sondern es gab in seinem Staat eine Religion, die allerdings vom Willen des Regenten bestimmt wurde, also vom Staat abhängig war.

Als der preußische Leviathan unter dem Ansturm des von Napoleon geführten Frankreich zusammenbrach, wurde sein mechanischer Charakter offenbar, und das siegreiche Frankreich gab das Vorbild zu einem neuen. Ein Schwabe war es und ein Philosoph, Hegel, der das Bild des neuen, lebendigen Leviathan, des Machtstaates aufstellte. Dieser Staat ist nicht durch Vertrag entstanden: etwas so Niedriges wie der Vertrag, sagt Hegel, dürfe sich nicht in die Majestät des Staates eindrängen; er ist überhaupt nicht entstanden, er war immer da, er ist ohne Anfang und Ende. Schon dadurch ist er Gott ähnlich. Sein Wesen ist Macht, sein Ziel ist Macht. Früher meinte man, der Staat müsse für Frieden und Sicherheit im Inneren und nach außen sorgen, andere sagten, er habe die Aufgabe, die Wirtschaft zu leiten und die Wohlfahrt des Volkes zu begründen, Kant wollte, daß der Staat das Recht verwirkliche, Pestalozzi, daß er eine sittliche Macht sei. Das alles war ihm nach Hegel nicht wesentlich. Das Reich verwarf er ganz und gar wegen seiner Machtlosigkeit, den absolutistischen Staat, insbesondere den friederizianischen Polizeistaat verwarf er, weil er mechanisch sei, Leben und Tätigkeit des Volkes gebunden habe. Dem Volk solle Bewegungsmöglichkeit gegeben werden, damit seine Freiheitsliebe und sein Machttrieb sich in den Staat ergieße und den Machttrieb des Staates dadurch verstärke. Während die natürliche Selbstsucht und der natürliche Machttrieb des einzelnen seine Sättigung in der Machtanschwellung des Staates finde, würde der Staat, durch diesen Drang von unten angetrieben, seine Gewaltnatur erst ganz entfalten können. Selbstsucht und Herrschsucht sollen nicht den einzelnen, wohl aber einen Leviathan speisen, an dem diese Leidenschaften nichts Verwerfliches sind, sondern sein Lebensatem, sein göttliches Wesen.

Der Machtentfaltung des Staates kann das Recht keine Schranke setzen, da der Staat selbst das Recht setzt. Es gibt kein Recht über dem Staate, denn es gibt kein Recht außerhalb des Staates. Es gibt kein Naturrecht, denn das Naturrecht geht vom Individuum aus, und das Individuum hat nur innerhalb des Staates und durch den Staat Dasein. Es gibt kein Völkerrecht, denn jedes Volk hat nur so viel Recht, als es Macht hat. Recht, das nicht verwirklicht werden kann, ist kein Recht. Es gibt kein göttliches Recht, weil der Staat selbst göttlich ist, und zwar der jeweils mächtigste Staat, mit dem der Weltgeist eins ist. Der Wettkampf der Staaten untereinander ist der Sinn der Welt, denn in dem mächtigsten will der Weltgeist sich verwirklichen; schon deshalb muß jeder Staat Machtpolitik treiben. Wird ein schwächerer Staat durch einen stärkeren unterworfen oder vernichtet, so mag man ihn bedauern, aber man muß wissen, daß es seine Schuld war, wenn er, als ein Pygmäe neben einen Koloß sich stellend, zertreten wurde. Er hatte kein Recht, weil er keine Macht hatte.

Wie der Leviathan des Hobbes war auch der neue, lebendige Leviathan darauf bedacht, sich die Kirche, die alte Weltherrscherin, zu unterwerfen. Die katholische Kirche, das sah Hegel ein, würde niemals ganz im Staate aufgehen, darum sagte er schlechtweg, mit der katholischen Kirche könne kein vernünftiger Staat bestehen. Die protestantische hatte sich freiwillig dem Staat untergeordnet, sie war bereit, die Regenten als Erdengötter zu verehren. Immerhin gab es Protestanten, die an dem alten stolzen Grundsatz festhielten, man müsse Gott mehr gehorchen als den Menschen, auch den Fürsten.

In zwei so verschiedenen Richtungen entwickelten sich die Ideen zu Beginn des neuen Jahrhunderts, daß, während Pestalozzi vor der Vermassung warnte, Hegel den Staat durch Einbeziehung der Masse in den Staat allmächtig machen wollte, während Hegel das im Staat zusammengefaßte Volksganze für göttlich und ewig erklärte, Pestalozzi sagte: »Reiche vergehen und Staaten verschwinden, aber die Menschennatur bleibt, und ihre Gesetze sind ewig.« Während Hegel Napoleon verehrte, nannte ihn Pestalozzi den Dämon, der alle früheren Menschheitsansprüche zugunsten des kollektiven Lebens niedergetreten habe. Während Pestalozzi die furchtbare Mechanisierung beklagte, mit der der neue Staat die individuellen Menschen zu Rädern seines großen Wagens mache, sah Hegel die Bestimmung des einzelnen darin, als auftreibende Hefe im Staate aufzugehen. Während Hegel sagte, dem Staat gegenüber komme weder das moralische Bewußtsein des Individuums noch die Sittlichkeitsforderung der Religion in Betracht, gestand Fichte dem einzelnen ein Kriegsrecht zur Selbstverteidigung gegen den Staat zu. Während Hegel das Recht vom Staate abhängen ließ, sagte Fichte, die Macht sei nur ein untergeordnetes Mittel zum Zwecke der Rechtsverwirklichung. »Wenn die Gerechtigkeit untergeht«, sagte Kant, »hat es keinen Wert mehr, daß Menschen auf Erden leben.«

Ein weiter Weg war es vom Sachsenspiegel, der lehrte, das Recht komme von Gott, ja Gott sei das Recht, von der mittelalterlichen Lehre, der Staat sei berufen zur Verwirklichung des für ihn unabänderlichen, nicht von ihm hervorgebrachten Rechtes, von Luther, der die unter dem Regiment des Staates stehende Welt als das Reich definierte, wo der Stärkere den Schwächeren in den Sack steckt, bis zu Hegel, der den Staat für das Absolute erklärte, dem gegenüber alles andere nur bedingt sei, dessen Recht seiner Macht entspreche. Es war das, was man später eine Umwertung aller Werte nannte. Die Pfeiler der alten Weltanschauung waren Christentum, Recht und Sittlichkeit, sie mußten zusammenbrechen, wenn man nur einen von diesen entfernte. Wenn der letzte römische Kaiser vom Throne steigt, so verkündet die Sage, beginnt die Herrschaft des Antichrist. Als Kaiser Franz im Jahre 1806 die Kaiserkrone niederlegte, begann ein neues Zeitalter. Die Heiligtümer des Reiches, Diadem und Szepter und Reichsapfel, die das Volk Jahrhunderte hindurch mit mythischen Phantasien geschmückt hatte, gingen unter; aber unvergänglich schimmern sie aus der Tiefe durch die über sie hinflutenden Wogen der Zeit.

 


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