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Preußen

Im 15. Jahrhundert hatten die Fürsten, das Reich, unter Führung des Kurfürsten von Mainz und des Kurfürsten von Sachsen, den Kaiser durch ein Reichsregiment beschränken wollen. Seit dem Dreißigjährigen Kriege, mit der blendenden Erscheinung Gustav Adolfs und seiner Taten ging die Vision eines protestantischen Kaisertums nicht mehr unter. Es war ein Traum, etwas Ungeheuerliches, Revolutionäres; denn wie konnte ein protestantisches Haupt die vom Papst zu verleihende Krone tragen; wie konnte ein protestantischer Fürst Beschützer der Kirche sein? Und dennoch blieb der Traum, der so gut mit dem uralten Sondertrieb der norddeutschen Länder zusammenstimmte. Gab es doch auch protestantische Kurfürsten im Widerspruch zu den Festsetzungen der Goldenen Bulle.

Unter den protestantischen Staaten war Preußen seit der Zeit des Großen Kurfürsten derjenige, dessen Herrscher sich am ehesten solche Weissagungen der Schmeichler gefallen lassen konnte. Die einst führende Pfalz war mit allen ihren Reben und ihrem natürlichen Überfluß politisch ohnmächtig. Nachdem Sachsen durch den Glaubenswechsel Augusts des Starken ausgeschaltet war und überhaupt an politischem Ansehen unter ihm und seinen Vorgängern sehr eingebüßt hatte, waren Hannover und Preußen die bedeutendsten unter den protestantischen Staaten. Die niedersächsischen Hannoveraner, breitlebendes, aristokratisch-demokratisches Bauernvolk, mochten die dienst- und zungenfertigen Märker nicht leiden, und die mißtrauische Abneigung der Bevölkerung teilte die eifersüchtige Dynastie. Schon lange ertrugen die Fürsten die Vorzüge, die den Kurfürsten durch die Goldene Bulle eingeräumt waren, mit Widerwillen und trachteten nach einem Ausgleich dadurch, daß sie selbst Kurfürsten würden. Hannover gelang es, die Einwilligung des Kaisers dazu zu gewinnen. Wollten die Kurfürsten ihn übertrumpfen, so blieb ihnen nichts übrig als Könige zu werden. August der Starke setzte es durch, indem er König von Polen wurde, Friedrich von Brandenburg, indem er, die bedrängte Lage des Kaisers ausnützend, die Abneigung desselben gegen eine Erhöhung des unzuverlässigen Vasallen überwand. Der Unwille in Hannover war um so lebhafter, als die englische Thronfolge damals noch in unbestimmter Ferne lag. »Lieber möchte ich mein Land unter den Türken als in den Tatzen der Preußen wissen«, sagte die alte Kurfürstin Sophie. Versuche zur Annäherung wurden gemacht und durch Vermählungen bekräftigt: Friedrich, der erste König von Preußen, heiratet Sophie Charlotte, die Tochter des Kurfürsten Ernst August von Hannover und seiner Gattin Sophie, und der Sohn dieses Paares, Friedrich Wilhelm, wurde mit der Enkelin Ernst Augusts und Sophiens, Sophie Dorothea, vermählt. Die gegenseitigen Beziehungen wurden dadurch nicht gebessert, vielmehr wurde in die preußische Königsfamilie die Spaltung hineingetragen, die für den Sohn Friedrich Wilhelms verhängnisvoll werden sollte. Der Umstand, daß im Jahre 1714 der Kurfürst von Hannover, Georg, König von England wurde, überließ dem König von Preußen die Führerrolle im deutschen Norden um so sicherer, als er sein Land zu einer Militärmacht entwickelte.

Aus der Verbindung der geistvollen, kühlen, skeptischen Sophie Charlotte mit dem prunksüchtigen, charakterschwachen, aber anspruchsvollen, etwas hinterhältigen Friedrich, dem ersten König von Preußen, ging ein Sohn hervor, in dem sich die elterlichen Gegensätze so wunderlich vermischten, daß man zuweilen an seiner geistigen Gesundheit zweifeln konnte. Er war herrschsüchtig und machtgierig in der Form des Topfguckers und Wüterichs, der überwacht, ob jeder Winkel im Haus und im Staate abgestaubt ist. Man hätte ihn einen gutmütigen Polterer nennen können, den sein unbesonnenes Dreinschlagen bald reut, und der im Grunde liebt und geliebt werden will; aber wiederum richtete er seine Gewalt im Hause und im Staate zu methodisch auf, als daß Gefühlsaufwallungen dabei hätten ausschlaggebend sein können. Der Ton altfränkischer Biederkeit und treuherziger Offenheit, den er oft anschlug, war nicht unecht, aber doch versteckte sich oft Berechnung darunter. Er hielt sich selbst für treu und beständig, aber da er sehr mißtrauisch war, hatten die Ränkeschmiede es leicht, ihn irre zu machen; denn dieser despotische Mann war im Inneren unsicher und dem Einfluß kluger oder schlauer Menschen zugänglich.

Mit allen seinen komischen, grotesken und kindlichen Eigenschaften war Friedrich Wilhelm I. ein Regent mit einem festen Ziel, das er entschlossen durchführte. Er hat die Selbstherrschaft in Preußen, die sein Großvater eingeleitet hatte, vollendet und in eine wohldurchdachte, haltbare Form gebracht, die für einen absoluten Fürsten als musterhaft gelten konnte. Erst Friedrich Wilhelm beseitigte die Mitherrschaft der Stände gänzlich. Als er im Jahre 1717 den althergebrachten Lehensverband in einen staatlichen verwandeln und der Ritterschaft an Stelle der abzuliefernden Ritterpferde eine entsprechende Steuer auferlegen wollte, erhob ein Graf Dohna als Landesmarschall der ostpreußischen Stände den Einwand, die Steuer sei unnötigerweise kostspielig und werde das Land verderben: tout le pays sera ruiné. Der König schrieb an den Rand der Eingabe die berühmt gewordenen Worte: » Tout le pays sera ruiné? Nihil kredo, aber das kredo, daß der Junkers ihre Autorität Nic pro volam wird ruiniert werden. Ich stabilier die Souveraineté wie ein Rocher de Bronce.« Nic pro volam war die Formel, mittels welcher jeder polnische Adlige den Reichstag sprengen konnte. Der König hatte nicht vergessen, daß die preußischen Stände sich einst im Streit mit der brandenburgischen Herrschaft auf Polen gesteift hatten. Als die Stände von Cleve sich beklagten, daß ihnen die Abhaltung von Landtagen untersagt werde, versprach der König, einen einzuberufen, »im allergnädigsten Vertrauen, man werde sich zu Königlicher Majestät Vergnügen überall wohl aufführen, und dero Ordres besser parieren, als bisher bei ein und anderen Gelegenheit geschehen«.

Der Beamtenapparat, der die Regierungsaufgaben auszuführen hatte, wurde bedeutend erweitert und zu einem gebrauchsfähigen Werkzeug gemacht. Bis in das 18. Jahrhundert hinein waren die Beamten durchgehend bestechlich; waren doch die Herrscher selbst, wenn auch nicht immer geradezu käuflich, doch durch Geldzuwendungen von Seiten auswärtiger Mächte zu beeinflussen. Regelmäßige Besoldung mußte vor allem der Versuchung vorbeugen; dann aber prägte Friedrich Wilhelm seinen Bedienten unbedingten Gehorsam und das Pflichtgefühl des Staatsbeamten ein, und zwar nicht durch Vorschriften und Worte, sondern indem er das Beispiel des Fleißes und Eifers gab. Allmählich trug die Bearbeitung der Beamtenseelen Frucht. Mit Hilfe des weitverzweigten Beamtenaufbaus wurde eine größere Einheit der so verschieden gearteten und zum Teil weit auseinanderliegenden preußischen Provinzen hergestellt, wenn auch noch nicht vollendet.

Ebenso große Aufmerksamkeit wendete Friedrich Wilhelm dem zweiten Werkzeug seiner Macht, dem Heere zu. Als junger Prinz hatte er der Schlacht von Malplaquet beigewohnt und davon einen nachhaltigen Eindruck empfangen. Er ging immer in Uniform und gab seinem Hof einen militärischen Anstrich. Seiner kindlichen Natur entsprechend hatte seine Beschäftigung mit den Soldaten etwas Jungenhaftes trotz des ernsthaften Zweckes und der ernsthaften Folgen. Seine Leidenschaft für lange Kerls und ihren soldatischen Ausputz konnte man freilich einen Wahnsinn nennen, denn sie hatten keinen Nutzen für sein Land, dagegen bedenkliche Folgen. Nicht nur waren die Kosten unverhältnismäßig groß; denn die Obersten, welche wußten, daß man sich durch nichts beim Könige so beliebt machen konnte als durch Lieferung langer Kerls, zahlten beliebig viel, um sich ihrer zu bemächtigen und ließen bei der Rückvergütung wohl einen Teil in die eigene Tasche fließen; noch schlimmer war, daß die königlichen Werber, wenn sich die Leute nicht gutwillig hergaben, mit List und Gewalt auch auf fremdem Gebiet welche einfingen, was zu peinlichen Händeln mit anderen Staaten führte. Trotzdem konnte der geizige König von dieser Spielerei nicht lassen. Bei dem Einüben der militärischen Bewegungen und des Waffengebrauches war er soviel als möglich selbst anwesend. Die Gesandten der fremden Mächte, die wußten, wodurch das Gemüt des Königs zu gewinnen war, beflissen sich, den Paraden beizuwohnen und versteckten das Gähnen der Langeweile hinter Ausbrüchen der Bewunderung. Prinz Eugen sprach sich mehrfach geringschätzig über das Kriegsspiel im Frieden aus; es sei leicht, meinte er, wenn man nur Geld genug ausgäbe, gut uniformierte und gut genährte Regimenter aufzustellen; aber ob sie sich im Felde bewähren würden, das sei eine andere Frage. Der geniale Feldherr verachtete die paradierenden Marionetten, wenn er an die wettergebräunten Männer dachte, die er als unerprobte junge Leute übernommen und mit denen er gewaltige Siege erfochten hatte. Später mochte man sich fragen, ob die Vernachlässigung soldatischer Ausbildung Österreich nicht doch geschadet, und die Dressur Preußen nicht doch genützt habe.

Die Häufigkeit der Desertionen bewies, daß Liebe zum Soldatenstande und soldatischer Geist sich in Preußen nicht entwickelt hatten. Friedrich Wilhelm war über die Desertionen enttäuscht und betrübt. Es sei, sagte er, als ob die Soldaten den Teufel im Leibe hätten, er könne es nicht begreifen. Da die Bevölkerung, die es gut begriff, auf Seiten der Deserteure war, entkamen viele; die, welche gefaßt wurden, verfielen unmenschlichen Strafen. Einmal verkündigte der König nach massenhafter Desertion einen Generalpardon. Diejenigen, welche sich daraufhin nicht selbst stellten, würden zu ewiger Festungsstrafe verurteilt, nachdem ihnen Nase und Ohren abgeschnitten wären. Aber der Militärdienst war abschreckender als die grausamsten Strafen. Von der Bevölkerung wurden die Soldaten als Unglückliche, andererseits aber auch als Ausgestoßene betrachtet. Ein Angehöriger der höheren Klassen, der freiwillig Soldat wurde, konnte nur ein mißratener Bursche sein, der zu keinem ehrbaren Beruf taugte.

Bis zum Jahre 1733 wurde in Preußen der Grundsatz der Freiwilligkeit im Heeresdienste festgehalten. Wollte der König den Heeresdienst auf die von ihm gewünschte Höhe führen, so mußte er, da die Zahl der Einheimischen nicht genügte, zur Werbung im Ausland die Zuflucht nehmen, was sehr kostspielig war und zu unangenehmen Verwicklungen führte. Aus diesem Grunde entschloß sich der König, trotz der Abneigung der Bevölkerung, eine Art allgemeiner Dienstpflicht einzuführen. Das ganze Land wurde in Kantone eingeteilt, innerhalb welcher die Rekruten aufgeboten wurden. Da der Adel, die Geistlichkeit, die höheren Beamten und alle, die über 10 000 Taler Kapital besaßen, von der Dienstpflicht befreit waren, betraf die sogenannte allgemeine Dienstpflicht nur die Bauern, Handwerker und überhaupt die armen und ärmeren Leute. Überwiegend wurde auch diese Last von den Bauern getragen. Als Friedrich Wilhelm starb, hinterließ er eine gefüllte Kasse und ein Heer von 83 000 Mann; das war auf 2½ Millionen Einwohner eine beträchtliche Zahl. Beim Tode des Großen Kurfürsten hatte die Heeresstärke 50 000 Mann betragen.

Es ist begreiflich, daß der Kaiser den Machtzuwachs der Fürsten, die ihn der kaiserlichen Macht beraubt hatten und sie bei jeder neuen Kaiserwahl noch mehr verminderten, dieser Fürsten, die oft in verräterischer Verbindung mit Frankreich, dem Erbfeind des Hauses Habsburg und des Reiches standen, nicht nur nicht wünschte, sondern womöglich zu verhindern suchte. Auf eine Rangerhöhung ließ er sich etwa noch ein, aber wenn der Anspruch auf Landerwerb ging, sann man in Wien auf Ausflüchte und Verschleppung. Dabei blieb man nicht immer tadelfrei, wie man zum Beispiel dem Großen Kurfürsten das heißbegehrte schlesische Jägerndorf versprach, und es sich gleichzeitig von seinem Sohne, dem späteren König Friedrich I. in einem heimlichen Vertrage zurückstellen ließ.

Eine Art Ehrfurcht vor dem Reichsoberhaupt hatte sich als Überlieferung aus der Vergangenheit im 17. Jahrhundert an den Höfen erhalten, ein Gefühl, halb Zierpflanze halb Unkraut, mehr geduldet als gepflegt. In der Umgebung des Großen Kurfürsten waren sehr angesehene Personen, der alte Derfflinger, von Geburt Österreicher, und Fürst Leopold von Anhalt, gut kaiserlich, das heißt sie glaubten, daß für das Wohl des Staates im Anschluß an den Kaiser am besten gesorgt sei. Auch Friedrich Wilhelm I., wie sehr er auf seine Souveränität hielt, war nicht ganz unzugänglich für die Forderungen, die die Reichsverfassung an ihn als Kurfürsten stellte. Ging ihm der Kaisertraum etwa einmal durch den Sinn, so zeigte ihm doch sein klarer Verstand, über den er verfügte, wenn ihn nicht grade die Leidenschaft verwirrte, die Schwierigkeiten, die seine Verwirklichung unmöglich machten. »Ein Haupt muß sein«, sagte er, »wer soll aber das Haupt sein? Wollen sie mir dazu machen? Gut, aber das werden Sachsen, Hannover, Bayern nicht leiden. Ergo, wer soll das Haupt sein? Sachsen? Aber da ließ ich mir lieber mein Land brennen. Soll's Hannover sein? Da ließ ich mir lieber Glied für Glied abtrennen, als einen englischen Chef zu haben.« Es bedurfte nicht der Verbindung mit England, um Friedrich Wilhelm zu nachdrücklichem Abscheu gegen ein welfisches Kaisertum zu entflammen. Da nichts übrigblieb, als die Habsburger bei ihrer Würde zu lassen, steigerte sich der König zuweilen in eine begeisterte deutsche Vasallentreue hinein, bis von irgendeiner Seite wieder Mißtrauen gesät wurde, und alles Unrecht, was seiner Meinung nach Brandenburg je von Österreich erduldet hatte, ihn feindselig stimmte. Dann schalt er wohl die Türken Bärenhäuter, daß sie dem Kaiser nicht mehr Widerstand geleistet hätten. In den auf- und abwogenden Strebungen eines so wenig grundsätzlich gefestigten Charakters mag doch das Gefühl, als deutscher Kurfürst und Glied des Reiches dem Kaiser verbunden zu sein, überwogen haben. Wenigstens hat es den Anschein, als habe er sich in dieser Haltung am wohlsten gefühlt. Er ließ es sich nicht nehmen, den Kaiser persönlich aufzusuchen, als dieser sich im Jahre 1732 in Prag aufhielt, obwohl man ihm von dort aus zu verstehen gab, daß es nicht gewünscht werde. Durch gewandtes Hervorkehren natürlicher Herzlichkeit wußte er die Schwierigkeit des Zeremoniells auf eine feinere Weise zu umgehen, als man dem meist plump zufahrenden Manne zugetraut hätte. Seine Bemerkung, der Kaiser wohne pauvre und miserabel schlecht, doch habe die pauvreté un air de grandeur, qui inspire, daß ein großer Herr dort wohne, zeigt ein überraschend sicheres Gefühl für das wahrhaft Würdige in der äußeren Erscheinung. Überhaupt war Friedrich Wilhelm für schöne Pracht empfänglich, wie ihn der Anblick von Dresden und Prag entzückte; es ist ihm vielleicht zuweilen schwer geworden, an dem Sparsystem festzuhalten, das er als junger Mann im Gegensatz zu seinem verschwenderischen Vater angenommen hatte, und mit dem er seine Familie drangsalierte.

Prinz Eugen, der in der zweiten Hälfte von Karl VI. Regierung die Geschäfte führte, vertrat streng den kaiserlichen Standpunkt und suchte den König von Preußen zugleich in Schranken zu halten und an Österreich zu fesseln. Ihm kam dabei die Verehrung zu Hilfe, die Friedrich Wilhelm, dessen Jugendzeit der Ruhm des edlen Ritters beglänzt hatte, ihm dauernd bewahrte. In Eugen verkörperte sich, was ihm als Hohes vorschwebte: soldatische Tugend, Feldherrn gäbe, unbestechliche Redlichkeit, unermüdlicher Fleiß, ein deutsches Herz. Seiner Sparsamkeit Gewalt antuend, bot er dem Prinzen edle Pferde und seltene Tiere für seine Menagerie an; Eugen seinerseits, der inmitten der allgemeinen Bestechlichkeit sich zum Grundsatz gemacht hatte, von niemandem als vom Kaiser Geschenke anzunehmen, kam dem König soweit entgegen, daß er zwar die Pferde ablehnte, aber in bezug auf die Elentiere und Auerochsen ein Auge zudrückte. Besonderes Gewicht legte Prinz Eugen darauf, den jungen Kronprinzen Friedrich für die kaiserliche Politik zu gewinnen und glaubte das am besten durch eine passende Heirat zu bewerkstelligen. Er ersah dazu eine braunschweigische Prinzessin, Nichte der Kaiserin. Daß sie weder so ausnehmend schön noch so ausnehmend liebenswürdig war wie diese, wußte er wohl nicht, vielleicht hielt er es auch nicht für wichtig. Ganz andere Folgen, als er von ihr erhoffte, hatte diese Verbindung. Die Königin von Preußen, eine hannoverische Prinzessin, wünschte ihre Kinder in ihrer Familie, die zugleich die des Königs von England war, unterzubringen, und ihre Kinder, der Kronprinz und seine Schwester, die mit ausschließlicher Liebe an ihrer Mutter hingen, setzten ihren Sinn leidenschaftlich auf die englische Heirat. Die Braunschweigerin, die der König ihm aufdrängte, war für den Kronprinzen wie auch für den späteren König der Inbegriff alles dessen, was seine Jugend verbittert hatte und was er haßte: die grausame Härte und Plumpheit des Vaters, Abhängigkeit, heimische Enge, deutscher Stumpfsinn. Die Heirat diente nicht dazu, ihn an das Kaiserhaus zu fesseln, sondern sie machte es ihm verhaßt. Sein persönliches Los schien ihm ebenso wie das Interesse des Staates den Gegensatz zum Kaiser zu fordern.

Mit tieferer Treue als dem Kaiser war Friedrich Wilhelm Gott ergeben. Der Kirche gegenüber erlaubte er sich ebenso despotische Eingriffe wie im weltlichen Bezirk; aber die Kirche war für den Protestanten nicht Gott. Er war überzeugt, daß es grade für Monarchen, die kein menschliches Gesetz über sich erkennen, notwendig sei, sich vor Gott zu beugen. »Denn das ist das einzige Mittel, die von menschlichen Gesetzen und Strafen befreite souveräne Macht in den Schranken der Gebühr zu erhalten.« So hieß es in der Vorschrift zur Erziehung des Kurprinzen, die im Jahre 1695 dem Grafen von Dohna, seinem Erzieher, übergeben worden war. Die Lehren, die dem Kinde dementsprechend eingeprägt waren, hielt der Mann getreulich fest. Er mahnte den Fürsten von Anhalt, der sich nicht sonderlich um das Jenseits kümmerte, zu fleißigem Kirchenbesuch. »Sie wissen«, schrieb er ihm, »daß ich kein Pietist bin, aber Gott vor alles in der Welt.« Wenn man hört, wie er auf dem Sterbebette sich vom Prediger Roloff seine Sünden vorhalten ließ und die Umstehenden kläglich anschaute, als suche er nach einem Fürsprecher, so denkt man an sein Kinderbild, das ein zutraulich keckes, naives, dem Leben entgegenlachendes und so weiches Gesicht dem Beschauer zuwendet. Wie das Kindergesicht durch die hartgewordenen Züge des kranken Mannes, so schimmert die zarte Kinderseele je und je durch sein strenges und gewalttätiges Leben.


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