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Ludwigs erster Raubkrieg

Wie rasch ein großes und mächtiges Reich zur Bedeutungslosigkeit herabsinken kann, davon ist das Spanien des 17. Jahrhunderts ein Beispiel. Nach dem 80jährigen Kriege mit Holland und dem 24jährigen mit Frankreich, den der Pyrenäische Friede im Jahre 1659 abschloß, konnte die einst so stolze, gefürchtete Macht nicht mehr handelnd und richtunggebend in die Welthändel eingreifen. Wie es oft der Fall ist, bestand auch in Spanien ein merkwürdiger Zusammenhang zwischen dem Zustand des Landes und dem seiner Herrscher. Ebenso ohnmächtig hinschwindend wie das Land war die Dynastie. Die Bilder der letzten spanischen Habsburger, die Velazquez gemalt hat, zeigen höchst verfeinerte Geschöpfe, heimatlos, ziellos, von der Wehmut des Abschieds überhaucht. Man hatte sich daran gewöhnt, in Philipp IV. den letzten der Familie zu sehen, als ihm zu allgemeiner Überraschung noch ein Sohn geboren wurde, der den Namen seines größten Vorfahren, Karl, erhielt. Das blonde Kind, um dessen Dasein begehrliche Leidenschaften kreuzten, war so zart, daß man meinte, ein Hauch könne es auslöschen. Angstvoll behütet, wurde es launisch und unlenkbar. Man suchte es abzuhärten, durch Selbstüberwindung zu stählen. Der österreichische Gesandte am Hofe von Madrid berichtet nach Wien, daß der kleine Prinz das Ausziehen eines Stockzahnes heroisch überstanden habe, und Leopold, sein kaiserlicher Oheim, der selbst Zahnschmerzen hatte und einer etwaigen Operation zitternd entgegensah, war geneigt, diesen Beweis frühen Heldentums als glückliches Vorzeichen zu betrachten. Im allgemeinen aber waren die europäischen Höfe überzeugt, daß Karl nicht lange leben und daß er keine Kinder zeugen werde. Die regierenden Familien, die spanische Prinzessinnen als Mutter, Großmutter oder Urgroßmutter aufzuweisen hatten, bereiteten ihre Ansprüche vor und lauerten sprungbereit auf den schicksalvollen Augenblick. Infolge der Festsetzungen Karls V. bildeten die Österreichischen und Spanischen Habsburger eine einzige Familie, ihre Länder eine Einheit, der eine Zweig war Erbe des anderen. Wie Familien unverbrüchlich zusammenhalten trotz etwaiger innerer Gegensätze, so handelte es sich auch bei den beiden Habsburger Linien, ganz abgesehen von den Gefühlen, um eine feste, vom Schicksal gewollte Verbundenheit. Der Zwang, dem Leopold infolge der Wahlkapitulation unterstand, Spanien nicht gegen Frankreich zu unterstützen, hatte etwas entfremdend gewirkt. Der junge Kaiser wurde von Madrid aus mit argwöhnischen Augen betrachtet, der spanische Gesandte berichtete nach Hause, wenn Leopold eine französische Theateraufführung besuchte, Leopold entschuldigte sich, so gut es gehen wollte, und kam wohl spanischen Vorwürfen zuvor, indem er sich über spanische Langsamkeit und Schwerfälligkeit lustig machte. Seit er in den Besitz der Königstochter gelangt war und dadurch sein Erbrecht verstärkt hatte, sah er der Zukunft in Hinsicht auf das Erlöschen der Dynastie gelassen entgegen.

Da, im Jahre 1665, starb Philipp IV., und Ludwig XIV. entschloß sich, dies Ereignis zu einer Eroberung zu benützen. Noch atmete der junge Karl, nunmehr König von Spanien, er schien zäher zu sein, als man gemeint hatte; unabsehbar lange Zeit tatenlos zuzuwarten entsprach dem Charakter Ludwigs nicht. Es ist eine Huldigung, die auch der mächtigste Räuber der Idee des Rechts darbringt, daß er in der Öffentlichkeit nicht rauben, sondern ein Recht wahrnehmen will. Die Rechtsverwahrungen Ludwigs XIV. waren sehr fadenscheinig, wurden aber mit viel Aufwand und Gravität verkündigt. Diesmal wurde ein in Brabant herrschendes Erbfolgegesetz, das sich auf Privatverhältnisse bezog, wonach die Töchter aus erster Ehe den Vater beerben, auf den Staat angewandt und daraus der Anspruch Ludwigs, als Gatten der ältesten Tochter des verstorbenen Königs Philipp, auf die spanischen Niederlande abgeleitet.

Es war ein glänzender Erfolg der französischen Diplomatie, daß es ihr gelungen war, vorher denjenigen unschädlich zu machen, der am meisten berufen war, dem überfallenen Spanien zu Hilfe zu kommen, nämlich Leopold. Er war dadurch zum Stillsitzen gezwungen, daß Ludwig ihn bewogen hatte, einen Teilungsvertrag über das spanische Erbe mit ihm abzuschließen.

Die spanische Monarchie umfaßte, abgesehen von kleinen Besitzungen, das eigentliche Spanien, die spanischen Niederlande, Mailand, Neapel und Sizilien und die amerikanischen Kolonien, eine Ländermasse, die zu groß schien, als daß man glauben konnte, sie würde von den europäischen Mächten einem einzigen, wäre das Recht auch auf seiner Seite, gegönnt werden. Deshalb ging Leopold auf Ludwigs Vorschlag ein, wonach er, Ludwig, die spanischen Niederlande und Neapel und Sizilien, Leopold Mailand, Spanien und Amerika erhalten sollte. Der stolze und reiche, Frankreich freundliche Lobkowitz hatte, durch alle Intrigen geschickt hindurchsteuernd, mittels welcher Andersgesinnte den Plan zu durchkreuzen suchten, das Abkommen zustande gebracht. Es verstand sich von selbst, daß der Plan geheim bleiben mußte, und in der Tat haben die Zeitgenossen nichts davon erfahren, so viel auch an den Höfen geklatscht, gespäht und verraten wurde. Leopold spielte seine zweideutige Rolle besser, als man von einem so frommen und gewissenhaften jungen Mann hätte wünschen mögen; ganz wohl war ihm freilich nicht dabei. Was für Entschuldigungen sollte er immer aufbringen, um den spanischen Verwandten sein Stillsitzen begreiflich zu machen? Ohne Geld von Spanien könne und könne er keinen Krieg führen, ließ er durch seinen Gesandten immer wieder erklären, zum Kriege brauche man dineros, dineros y mas dineros. Die Spanier antworteten mit dem Vorwurf, er, Leopold, gäbe ungeheure Summen für Opern, Ballette und Feste aus. Allerdings hatte er gerade im Jahre 1667 das berühmte Roß-Ballett aufführen lassen, in dem er selbst mitwirkte und für dessen Erfindung und Einrichtung italienische Künstler unverhältnismäßig viel Geld erhalten hatten. Leopold ging auf diese Frage nicht ein, sondern klagte seinerseits über die spanische Langsamkeit. » Per amorem, was schlafen Hispani et non agunt res suas!« Er und die Spanier, schreibt er, kämen ihm vor wie die sieben Schwaben, von denen jeder dem anderen zumutet: gang du voran! An frommen Trostsprüchen fehlte es natürlich nicht. » Deus autem habitat in altissimo, kann alle böse disegni gar bald zu nix machen.« Vielleicht werde dem König von Frankreich sein räuberischer Überfall übel ausgehen, »denn er dies einmal nit verantworten kann«.

Die unglücklichen Spanier hätten freilich viel Geld haben müssen, wenn sie mit den von Frankreich aufgewendeten Bestechungssummen hätten wetteifern wollen. Es wäre wohl nützlich, meint Leopold, wenn man den Kurfürsten von Brandenburg für das Habsburger Haus gewinnen könnte, »denn certe timeo, ne alias Brandenburgensis se vertat ad regem Galliae«. Ebenso, meinte er, würde eine Summe Geldes nicht verworfen sein, wenn man sie employierte, Mainz auf die habsburgische Seite zu bringen, das sich grade von Frankreich abwenden zu wollen schien, und das man nicht steckenlassen dürfe. »Denn ohne Geld erhalten wir diese Leute nit, und nehmen sie nachmals Frankreichs Geld an, so heißt es operam et oleam perdidimus.«

Man muß zugeben, daß es der Kaiser nicht leicht hatte. Spanien, sein sicherster Bundesgenosse, war jetzt mehr eine Belastung als eine Hilfe, die Ungarn drohten mit Abfall, im Osten und im Westen standen zwei mächtige Feinde kampfbereit: Frankreich und die Pforte. Am Hofe Ränke zwischen den Räten, die teils für, teils gegen Frankreich waren, sterbende Kinder, eine sterbende Gattin, und im Herzen schon die Liebe zu einer neuen, der schönen Cousine Claudia von Tirol.

Wie peinlich es auch für Leopold war, daß er durch eigene Schuld außerstande war, Spanien zu helfen, fast noch peinlicher mochte es ihm sein, daß ihm durch drei protestantische Mächte, Holland, England und Schweden, geholfen wurde. Der Leiter der Republik Holland, Jan de Witt, erschrak über die Aussicht, Frankreich im Besitz der spanischen Niederlande zu seinem Nachbarn geworden zu sehen. Es gelang ihm, sich mit England und Schweden zu einem Bündnis, der sogenannten Tripelallianz, zu vereinigen, welche den raschen kriegerischen Fortschritt Ludwigs aufhielt und eine Friedensvermittlung einleitete. Daß das schuldlose Spanien Opfer bringen mußte, ließ sich allerdings nicht hindern. Ludwig, der in Eile noch die Franche Comté eroberte, um ein Faustpfand mehr zu haben, behielt 12 Festungen in den spanischen Niederlanden, was eine spätere Eroberung erleichtern würde. Zunächst aber gedachte er, Holland dafür zu bestrafen, daß es gewagt hatte, ihm in den Weg zu treten.


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