Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Kirche und Staat in Österreich

Ohne daß es sie viel Kopfzerbrechen gekostet hätte, wußte Maria Theresia das Ansehen des absoluten Herrschers zu wahren und doch die Kirche nicht allzusehr zu beeinträchtigen. Sie war religiös und kirchlich, streng in der Ausübung ihrer kirchlichen Pflichten, wie sie es auch von anderen forderte, aber wiederum zu sehr durchdrungen vom Pflichtgefühl als Inhaberin der Staatsgewalt, überhaupt zu sehr bewußte Herrscherin, um der Kirche zuliebe ein Interesse des Staates hintanzusetzen. Als Verteidiger der Kirche maßte sie sich, als verstehe sich das von selbst, allerlei Aufsichtsrechte über die kirchliche Vermögensverwaltung an.

Ein Gegenstand des Streites zwischen Staat und Kirche waren die Schulen: beide wünschten dies Mittel, die Jugend zu beeinflussen, in der Hand zu haben. In den protestantischen Ländern ordnete sich das von selbst zugunsten des Staates. Die Universitäten waren ursprünglich kirchliche Anstalten mit kirchlichem Charakter, an der Spitze stand ein hoher Geistlicher, Geistliche waren die meisten Professoren. Bei den von protestantischen Fürsten gegründeten oder zu protestantischem Gebiet gehörenden Universitäten wurde der Papst, wie es sich von selbst versteht, nicht mehr zugezogen, die Professoren wurden fürstliche Beamte, wenn die Anstalten auch noch mit gewissen Rechten der Selbstverwaltung ausgestattet blieben. Die österreichischen Universitäten standen zur Zeit Maria Theresias unter der Leitung der Jesuiten, die doch ihren einst erworbenen Ruf, vorbildliche Lehrer und Erzieher zu sein, nicht mehr verdienten. Auf das Betreiben ihres Leibarztes, des Holländers van Swieten, den sie sehr schätzte, verdrängte sie Maria Theresia von den Universitäten, ohne daß es der Wissenschaft zugute gekommen wäre, die nun der Aufsicht des Staates unterstellt wurde. Die Professoren lehrten nach Büchern, die von staatlichen Stellen begutachtet wurden. Als Sonnenfels, ein angesehener Professor der Universität, Vorkämpfer der Aufklärung, für die Aufhebung der Tortur zu wirken begann, wurde ihm vorgeworfen, er habe Sätze gelehrt, die den publizierten Gesetzen schnurstracks zuwiderliefen. Sonnenfels sprach die Ansicht aus, Universitätslehrer sollten nicht nur die bestehenden Gesetze erklären, sondern auch Grundsätze mitteilen, damit die Schüler einst imstande wären, die in Ausübung begriffenen Gebrechen zu bekämpfen. Als er wegen dieser Auffassung angegriffen wurde, wendete er sich an Maria Theresia mit der Anfrage, ob er sein Vorlesebuch nach dem, was er in der Ausübung vor sich sehe oder nach denjenigen Grundsätzen zu bearbeiten habe, die er als richtig erkennte, ohne darauf zu achten, ob sie mit der gegenwärtigen Verfassung übereinstimmten oder ihr widersprächen. Maria Theresia wies ihn auf das letztere. Dabei waren vermutlich ihre Vorliebe für Sonnenfels, dessen Ehrlichkeit und Treue ihr bekannt waren, ihr großer Sinn und ihre eigene Gewissenhaftigkeit maßgebend, keineswegs ein Verständnis für die Wissenschaft und ihr Recht der freien Forschung, das sie grundsätzlich niemals zugestanden haben würde. Die Hochschulen hatten in ihren Augen den Zweck, gute Staatsbeamte heranzubilden; übrigens war sie zu sehr von dem unersetzlichen Wert der Kirche für die Gesittung der Menschen überzeugt, als daß sie der wissenschaftlichen Forschung das Recht zugestanden hätte, das von der Kirche errichtete Weltbild zu verrücken. Überhaupt handelte die Königin nicht systematisch, sondern von Fall zu Fall, wie es der Augenblick erforderte. Auch war sie, obwohl streng und nüchtern, sogar gegen ihre Kinder oft von unbeugsamer Härte, weitherzig genug, um ein gewisses Maß von Gemütlichkeit, das was man die österreichischen Menschenrechte genannt hat, gelten zu lassen. Der starre Maschinenleib des Leviathan war durch purpurne Mantelfalten und weichen Hermelin verhüllt. So hatte man einst um des Schwunges und der Großartigkeit seiner Regierung willen Karls V. Härten geduldet, die man seinem engherzigen Nachfolger nicht verzieh.

Unter Joseph II. änderte sich der Geist der Regierung. Es war verhängnisvoll für Joseph, daß Friedrich der Große, den er zugleich haßte, fürchtete und bewunderte, durch seine weltberühmt gewordene philosophische Regierung ein Vorbild gab, dem er nacheifern, das er womöglich übertrumpfen wollte, ohne zu bedenken, wie verschieden vom preußischen Staat die vielgliedrige österreichische Monarchie war. Joseph hätte es seinem Gegner und Muster viel eher gleichtun können, wenn er die Idee eines Staatenbundes und eines in der Hauptsache katholischen Landes in möglichster Vollkommenheit und grade im Gegensatz zu Preußen zu verwirklichen versucht hätte. Aber das Prinzip der Vereinheitlichung und der Rationalisierung beherrschte das Jahrhundert so sehr, und Josephs Geistesart stimmte so damit zusammen, daß er den Weg einschlug, der für ihn verhängnisvoll war. Der Wetteifer mit dem preußischen Vorbild gab seiner Reformtätigkeit etwas Krampfhaftes und ließ ihn alles auf die Spitze treiben. Dazu kam, daß die Herrscherpersönlichkeit seiner Mutter ihn zurückgehalten und dadurch ungeduldig gemacht hatte. Dem angebeteten Gatten hatte sie jede Mitwirkung in der Regierung versagt, dem Sohne stand sie anders gegenüber. Er war ihr Nachfolger, und sie war zu pflichtbewußt, um ihn nicht auf seine künftigen Aufgaben vorzubereiten; aber im Zweifelsfalle behielt sie doch das Übergewicht. Sie liebte ihn, aber sie empfand ihn als fremd und zuweilen feindselig, nicht nur in der Sache, sondern aus einem persönlichen Gegensatz heraus. Er hatte das ganze, aus dem Verstande ausgezogene Geflecht der aufklärerischen Gedankengänge in sich aufgenommen und wollte dementsprechend in seinem Reich aufräumen, eine Vereinfachung durchführen, die auf dem Papier leicht scheint, der Vielfalt des verwickelten Lebens aber Gewalt antun muß. Sein durchgreifendes, grundsätzliches Schalten, nachdem sie ihn zum Mitregenten gemacht hatte, mißfiel Maria Theresia; es gab oft Zusammenstöße, die nur äußerlich ausgeglichen wurden und die ihr Gemüt verbitterten.

Joseph war nicht frei von Eitelkeit. Auch er hatte schöne blaue Augen wie Friedrich von Preußen, auch er konnte durch die Anmut seiner Erscheinung und die Liebenswürdigkeit seines Benehmens bezaubern; aber während Friedrich seine Gaben gern im Kreise der Adligen oder französischer Schriftsteller spielen ließ, wählte Joseph sich das Volk zum Hintergrund. Er liebte es, unter fremdem Namen Wohltaten auszuteilen, und genoß das Staunen der Beglückten, wenn er seinen Stern enthüllte; er liebte es, der Menschenfreund auf dem Throne oder der königliche Samariter genannt zu werden. Die zahlreichen Anekdoten, die von ihm erzählt werden, zeigen ihn fast immer, wie er die Anmaßung der Vornehmen straft und dem armen Mann aus dem Volke Recht verschafft. Liebe zur Gerechtigkeit war sicher, was ihn leitete, nur stellte er sich das Geschäft, sie zu erkennen und auszuteilen, zu einfach und zu sehr nach den Regeln der Rechenkunst vor.

Zu den kirchlichen Reformen, die er im Sinne hatte, konnte Joseph erst nach dem Tode seiner Mutter schreiten, der im Jahre 1780 erfolgte. Kaum hatte er die Hand frei, ging er daran, die innere Verwaltung seines Reiches völlig umzuschaffen, wie er sagte. Er habe die Philosophie zur Gesetzgeberin seines Reiches gemacht, und infolge ihrer Logik werde Österreich eine andere Gestalt gewinnen. Ein Reich, das er regiere, schrieb er dem Erzbischof von Salzburg, müsse nach seinen Grundsätzen beherrscht, Vorurteile, Fanatismus, Parteilichkeit und Sklaverei des Geistes müßten unterdrückt, und jeder seiner Untertanen müsse in den Genuß seiner angeborenen Freiheit gesetzt werden. Zu dem Zweck wolle er zunächst eine Anzahl von Stiften und Klöstern aufheben, denn die Mönche seien die gefährlichsten und unnützesten aller Untertanen, da sie sich der Beobachtung der bürgerlichen Gesetze zu entziehen suchten und sich bei jeder Gelegenheit an den Pontifex zu Rom wendeten. Es sei seine Pflicht, Fakire zu Menschen zu bilden. Des Kaisers Maßstab bei seiner Verfügung über die Klöster war nur ihr Nutzen: diejenigen, die Arbeit leisteten, Krankenpflege oder Unterricht, sollten bleiben. Im ganzen wurden von 2163 Klöstern, die es in der Monarchie gab, 758 aufgehoben. Einschneidend war, daß die gesamte Klostergeistlichkeit der Weltgeistlichkeit unterworfen wurde. Die Denkungsart des Volkes sollte, nachdem der Einfluß der Mönche gebrochen wäre, durch die Bischöfe umgeschaffen werden, die er in ihre Rechte einsetzen wollte. Sie sollten dem gemeinen Mann anstatt der Romane der kanonisierten Leute, der Heiligenlegenden, das Evangelium und die Moral predigen. So würden nach Jahrhunderten Christen herangebildet werden, und die Enkel würden ihn segnen, weil er sie von dem übermächtigen Rom befreit, die Priester in ihre Grenzen zurückgewiesen und ihr Dortsein dem Herrn, ihr Dasein aber dem Vaterland allein unterworfen habe. Denn das war seine letzte Absicht: eine von Rom unabhängige, von der Staatsgewalt abhängige Nationalkirche zu schaffen. Eine Reihe von Edikten sollte diesem Zweck dienen. Den inländischen Klöstern wurde jeder Verkehr mit den ausländischen Ordensbrüdern, insbesondere mit den römischen, verboten, ausgenommen, daß sie füreinander beteten. Päpstliche Verordnungen jeder Art durften nur nach erhaltener landesfürstlicher Erlaubnis bekanntgegeben und befolgt werden. In verschiedenen Fällen, wo die Bischöfe früher nach päpstlicher Ermächtigung handelten, sollten sie derselben künftig nicht mehr bedürfen. Jeder neu erwählte Bischof und Erzbischof mußte vor der päpstlichen Bestätigung dem Landesfürsten einen Treueid leisten, in dem er gelobte, den landesfürstlichen Geboten ohne alle Rücksicht und Ausnahme zu gehorchen. Der Besuch des alten Collegium Germanicum in Rom wurde verboten, weil dort Grundsätze eingeflößt würden, die die Anmaßungen des römischen Hofes begünstigten.

Zu den Grundsätzen des Kaisers gehörte die Toleranz. Maria Theresia war unnachgiebig streng gegen die protestantischen Ketzer gewesen, erst in ihren letzten Lebensjahren hatte sie einige Zugeständnisse gemacht. Joseph hielt es für richtig, mit starken Schlägen durchzugreifen. Durch das Toleranzedikt, das er ein Jahr nach dem Tode seiner Mutter erließ, wurde den Lutheranern, Reformierten und nicht-unierten Griechen die Ausübung ihrer Religion allenthalben zugestanden. Den Vorzug der öffentlichen Religionsübung sollten allerdings nur die Katholiken genießen, doch sollten die Protestanten Bethäuser und Schulen bauen dürfen. Die Bethäuser durften keinen Glockenturm, kein Geläut und keinen öffentlichen Zugang an der Straße haben. Gegen diejenigen, welche nicht zu den tolerierten Bekenntnissen gehörten, verfuhr Joseph sehr hart. Unbelehrbare Deisten wurden ihres Vermögens beraubt und als Soldaten unter die slavonischen oder galizischen Regimenter gesteckt, auch mit anderen strengen Maßnahmen und schließlich sogar mit Stockschlägen bedroht. Wie es dem Kaiser oft erging, mußte er auch in diesem Fall erfahren, daß das Leben sich in viel zu reicher Verzweigung entfaltet, als daß es von einer lakonischen Verordnung erfaßt werden könnte. Dem Toleranzedikt mußten erläuternde und einschränkende Zusätze folgen. Mehrere Erzbischöfe und Bischöfe gingen mit überschwenglicher Bereitwilligkeit auf des Kaisers Ideen ein, und weite Kreise der Bevölkerung billigten seine Maßregeln. Sie gingen davon aus, daß der Staat in weltlichen Dingen, ein Begriff, den man sehr umfassend nahm, völlig unabhängig von der Kirche sein müsse, daß die Kirche dem Wohl des Volkes im Wege stehe. Die vielen Feiertage, die Wallfahrten lenkten das Volk von der Arbeit ab. Man blickte mit Neid auf die protestantischen Länder: da blühten Handel und Gewerbe, da könne das Licht der Vernunft den Wohlstand befördern. Preußen sei mächtiger als Österreich, weil es da keine vom Staat unabhängige Geistlichkeit gebe und weil kein Geld nach Rom fließe. »Wenn nicht ein Wunder geschieht, müssen die protestantischen Staaten mit der Zeit die katholischen vernichten.« Die Protestanten dürfen alle Bücher lesen, denken selbst, führen neue Erfindungen und Verbesserungen ein. Ihr Geld ist immer im Umlauf, ihre Bevölkerung wächst, da sie das Zölibat nicht kennen, es sind Hände genug zur Arbeit da. Wir haben zwar »unsere freilich sehr hoch zu schätzende Religion«, sind aber träge, arm und elend. Mit den vielen Gottesdiensten und Karnevalslustbarkeiten wird zuviel Zeit versäumt, die Protestanten arbeiten ununterbrochen. Spanien ging zugrunde, weil es aus Intoleranz die Mauren vertrieb, durch Intoleranz verlor es die Niederlande, zog sich der Handel Antwerpens nach Amsterdam. Das ungeheure Vermögen der Toten Hand müsse dem ganzen Lande zugute kommen.

Die Rechte des Papstes wurden untersucht und behauptet, daß er nichts anderes sei als der erste Bischof. Der Landesherr habe die Gewalt von Gott, und er habe nur Gott Rechenschaft abzulegen. Die Einmischung Fremder sei schon gar nicht zu dulden. Man wies darauf hin, daß es in den christlichen Staaten Hunderttausende von Soldaten gebe, die für Gehorsam sorgen könnten. Wer nur den geringsten Begriff vom Staatsrecht habe, wisse, daß Staaten im Staat wie die Klöster nicht geduldet werden könnten. Auch der philosophische Geist des Jahrhunderts wurde herangezogen, der erfordere mehr Gleichgültigkeit gegen Lehrsätze und mehr Eifer für die Moral. Die Jahrhunderte der Unwissenheit seien vorüber, die Menschheit sei lange genug durch Blendwerk irregeführt. Die ewige Wahrheit sei klar und hell, blinder Glaube sei kein Glaube.

Daß der Kaiser auch viele Gegner hatte, versteht sich von selbst. Sie wiesen darauf hin, daß ein Landesherr, der die Klöster aufhebe und ihr Vermögen einziehe, Verträge und bestehende Gesetze mißachte, auch vor den Gütern und Rechten der Bürger nicht haltmachen werde. Die Toleranz erklärten sie für gefährlich, die Folge werde ein Mischmasch der Religionen, Uneinigkeit und schließlich der Untergang der Religion sein. Alle diese Meinungsergüsse wurden in einer Masse von Flugschriften veröffentlicht, was die von Joseph eingeführte, fast unbeschränkte Pressefreiheit ermöglichte.

Der Papst, Pius VI. aus der Familie Braschi, glaubte diesen erschreckenden Umwälzungen am ehesten durch persönlichen Einfluß entgegenwirken zu können und machte dem Kaiser den Vorschlag, er wolle ihn in Wien besuchen, damit sie gemeinsam versuchten, die päpstlichen und monarchischen Rechte in Einklang zu bringen. Dem Kaiser war das sehr unlieb, und er wollte es hintertreiben, da Pius aber bei seinem Vorsatz blieb, schrieb er ihm höflich doch fest, Seine Heiligkeit werde mit allen gebührenden Ehren empfangen werden, möge aber nicht darauf rechnen, eine Änderung der kaiserlichen Beschlüsse zu erwirken. Trotzdem brach Pius im Februar 1782 auf. Die Reise des Papstes erregte in ganz Europa Aufsehen. Man erinnerte daran, daß, seit Leo III. nach Paderborn kam, um bei Karl dem Großen Schutz zu suchen, kein Papst einen Kaiser aufgesucht hatte, man stellte einen Vergleich an zwischen dieser Reise und dem Zug Heinrichs IV. nach Canossa. Joseph empfing seinen hohen Gast mit Ehrerbietung und zeigte sich als guter Katholik, fuhr aber während der Anwesenheit des Papstes in seiner antirömischen Reformtätigkeit ausdrücklich fort, um seine Unbeugsamkeit zu zeigen. Dennoch, obwohl Pius in keinem Punkte ein Nachgeben des Kaisers erreichte, war seine Anwesenheit nicht erfolglos. Hatte schon seine Reise durch das österreichische Gebiet einem Triumphzuge geglichen, so zeigte sich vollends in Wien die Anhänglichkeit der Bevölkerung in erstaunlicher Weise. Joseph schrieb selbst seiner Schwester, daß er ein solches Zusammenströmen begeisterten Volkes nie gesehen habe und nie mehr sehen werde. Auch von protestantischer Seite wurde dem Papst viel Ehre erwiesen. Das gab dem Kaiser doch zu denken; es wurde ihm anschaulich, daß der Heilige Vater eine Weltstellung innehatte. Allerdings fuhr er fort, seine Unnachgiebigkeit darzutun: nachdem er in Mariabrunn, bis wohin er seinen Gast begleitet hatte, kniend um den päpstlichen Segen gebeten und sich verabschiedet hatte, hob er noch am selben Tage das dortige Kloster auf. Als im Herbst des folgenden Jahres der Erzbischof von Mailand starb, setzte der König widerrechtlich aus eigener Machtvollkommenheit einen Nachfolger ein. Da es hierüber zum Bruch zwischen den beiden Häuptern zu kommen schien, entschloß sich Joseph, nach Rom zu reisen und den päpstlichen Besuch zu erwidern. Allerdings erreichte er, daß die Besetzung der lombardischen Pfründe ihm zugesprochen wurde; aber den Gedanken, eine deutsche, von Rom unabhängige Kirche zu gründen, gab er endgültig auf. Man nimmt an, daß Gespräche mit den französischen und spanischen Gesandten den Eindruck in ihm verstärkten, den er schon in Wien gewonnen hatte, daß er durch eine Loslösung von Rom nicht nur einer Empörung seiner Völker gewärtig sein müsse, sondern auch Österreich aus einem Weltzusammenhang lösen würde, den er mehr Interesse hatte zu erhalten.

Man hat gesagt, daß in Österreich im 18. Jahrhundert die Revolution sich vollzogen habe, die im nordischen und mittleren Deutschland im 16. Jahrhundert stattgefunden habe. Dieses Nachholen dessen, was man den Fortschritt nannte, war gewiß notwendig. Es ist ja nicht das gute Alte, was in Revolutionen fortgeräumt wird, sondern das entstellte, verwilderte, entartete, das durch seine Schäden Anlaß zum Widerspruch gab. Selbst wenn etwas Gutes erhalten wäre, es hätte wie eine Insel inmitten weiterflutenden Lebens verkümmern müssen. Wohin es führt, wenn das Alte in einer veränderten Welt gewaltsam festgehalten wird, konnte man an Bayern sehen, dessen Kultur um die Wende des Jahrhunderts trotz der Tüchtigkeit des bayerischen Stammes und wertvoller Einzelerscheinungen im allgemeinen ein erstarrtes Gemengsel von Despotismus, Aberglauben und Stumpfsinn war.

Betrachtet man die Josephinische Reformation wie eine Art Wiederholung der Lutherischen, so ist erklärlich, daß ähnliche Härten und ähnliche Mißverständnisse vorkamen. Wie damals meinten viele, mit dem kirchlichen Einfluß auf die Schulen auch das Wissen und die Wissenschaft über den Haufen werfen zu sollen. Anstatt griechischer und lateinischer Grammatik, die überflüssig wäre, sollten nur reale Sachen, wie man sich ausdrückte, gelehrt werden. Hauptsächlich sollte das römische Recht abgetan werden, es geht uns nichts an, sagte man, denn wir sind Deutsche. Der gekrönte Menschenfreund, hieß es in den Flugschriften, werde das alles besorgen, seine Verordnungen würden künftig der einzige Gegenstand der Rechtswissenschaft sein. Verordnungen erschienen in Menge und oft so übereilt, daß sie zurückgenommen werden mußten. Ein Komiker erschien auf der Bühne mit einem Haufen von Papieren auf dem Rücken und einem anderen vorn. Auf die Frage, was er da schleppe, antwortete er, vorn habe er die kaiserlichen Verordnungen und hinten die Widerrufungen. Sehr abweichend von der Reformationszeit berief man sich nicht auf das Urchristentum, sondern auf die Natur. Die heilige Einfalt der Natur wurde gegen die Wissenschaft, die alten Scharteken, die Klöster, gegen alte Gebräuche, gegen alles, was man Aberglauben nannte, ins Feld gerufen. Unter dem Titel der Vereinfachung wurde alles Gewachsene, alles Geheimnisvolle und auch Heilige bekämpft; denn was man Einfalt oder Einfachheit der Natur nannte, war nur eine Ausmerzung der vielfältigen Lebensäußerungen zugunsten durchfahrender Gradlinigkeit und einseitig egoistischen Verstandes. Justus Möser hat im Jahre 1791 daran erinnert, daß Montesquieu die Einfachheit der Gesetze das Kennzeichen des Despotismus genannt und im Anschluß daran die Bemerkung gemacht habe, Rousseaus Idées simples et uniques schienen ihm der Weg zum demokratischen Despotismus zu sein.

Wie man überall seit geraumer Zeit im Hinblick auf den Gesundheitszustand der Bevölkerung die Begräbnisstätten vor die Stadt verlegte, ordnete auch Joseph dies an und setzte es trotz anfänglichen Widerspruchs durch. »Damit man jedoch nicht gar zu großer und zu vieler Friedhöfe bedürfe«, fuhr er in seinen Verordnungen fort, »so ist zugleich anzuordnen, auf daß man künftig die toten Körper, um sie desto geschwinder der Verwesung zuzuführen, mit Kalk gleich in den Totentruhen genugsam bestreue und darüber von den Beamten genauere Obsicht gehalten werde.« Als dies Schwelgen in Vereinfachung einen unangenehmen Eindruck auf die Bevölkerung machte, gebot Joseph, es solle dabei verbleiben, und die toten Körper sämtlich, sie möchten höheren Standes oder vom Volk gewesen sein, sollten in Säcke genäht, ohne Truhe in die sechs Schuh tiefe Grube gelegt und dort mit Kalk beworfen werden. Die Erben dürften Truhen anschaffen, aber sie nicht in die Erde legen, sondern sie hätten sie dem Totengräber zu lassen. Der Bericht der Behörden über den Widerwillen der Bevölkerung gegen diesen Befehl rührte den Kaiser nicht; erst als das Gubernium von Böhmen darauf aufmerksam machte, daß die Leute lieber auswandern als sich fügen würden, lenkte er ein. Die bitteren und schneidenden Bemerkungen, mit denen er die Widerrufung des Befehls begleitete, zeigen, wie sein despotisches Herz unter der erzwungenen Nachgiebigkeit litt. Für die Bedürfnisse des Gemütes, für die Anhänglichkeit an Überliefertes, für das Recht des Schönen, für den Zauber, den Symbole und symbolische Handlungen auf den Menschen ausüben, hatte er keinen Sinn. Die Kunstschätze der aufgelösten Klöster wurden verschleudert, die Grabstätten der Vorfahren des Kaisers zerstört. Den Gebrauch, an hohen kirchlichen Feiertagen einen Verbrecher zu begnadigen, hob Joseph mit der Bemerkung auf, er bedauere, daß ein solcher Unsinn solange gedauert habe.

Auch die Reformatoren des 16. Jahrhunderts schafften manches ab, was sie einst selbst gläubig mitgemacht hatten und wodurch dem Volk ein Ausdruck religiöser Empfindung genommen wurde; insofern aber besteht doch ein großer Unterschied zwischen jener Beraubung und der neueren, daß Luther und andere Reformatoren dem Volke ihren Glauben und die Bibel dafür gaben. Ihre Absicht war, den christlichen Glauben zu einem Licht und einer Kraft des Lebens zu machen, ihn von Entstellungen, die sich angeheftet hatten, zu befreien, damit seine überirdische Macht desto wirksamer sei. Sie dienten dem Gottesreich. Das aufklärerische Österreich hatte keine anderen Ideale als die Allmacht des Staates, den wirtschaftlichen Aufschwung und das, was man die Einfalt der Natur nannte. Es handelte sich um die Gründung von Fabriken, um vermehrte Einkünfte, um Teilnahme am Welthandel, um Betriebsamkeit. Das waren nützliche, zum Teil notwendige Dinge, die jedoch zu keinem Vergleich mit der Reformation Anlaß gaben. Auch in Luthers hohe Zwecke mischten sich von anderer Seite materielle Interessen; aber in der österreichischen Reformation des 18. Jahrhunderts gab es überhaupt keine Ziele, die über das materielle Interesse hinausgingen. Einzig die Bauernbefreiung läßt sich unter einen höheren Gesichtspunkt stellen, und immer wird man es Joseph nachrühmen, daß er die durcheinanderwirkenden Bestrebungen und Ränke mit seiner berühmten Entscheidung vom 1. November 1781 beendete und eine Hebung des erniedrigten Standes einleitete. Hier, wo die allgemeine Auffassung ihm schon vorgearbeitet hatte, war seine Regel, in großen Dingen einen den Knoten zerhauenden Schlag zu tun, gut angebracht.


 << zurück weiter >>