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Der Fürstenstaat

Ungefähr um dieselbe Zeit wie der Leviathan erschien in Deutschland ein Buch über den Staat, das die im Reich althergebrachte Auffassung zusammenfaßt und das bis ins 18. Jahrhundert viel gelesen wurde und großes Ansehen hatte. Der Titel des Buches hieß: Der teutsche Fürstenstaat, und sein Verfasser war Veit von Seckendorff, Kanzler des Herzogs Ernst von Sachsen-Gotha, eines der verdienstvollsten Fürsten seiner Zeit. Beide waren konservativ in dem Sinne, daß sie sich bestrebten, innerhalb der neuen, durch den Westfälischen Frieden geschaffenen Verhältnisse das gute Alte zu bewahren. Das Reich war ihnen eine lebendige, ehrwürdige Größe.

Gottlob, sagte Seckendorff, wissen wir in deutschen Landen von keiner solchen Macht, die von einem einzigen, der sich für den Obersten hielte, ausgeübt wird, einem einzigen, der mit oder ohne Recht, die Gewalt hätte, alle anderen nach seinem Nutzen und Vorteil, nach seinem Willen und Belieben zu führen, ihnen bald dies, bald jenes anzuschaffen. Der Fürst hat nur die höchste Botmäßigkeit im Lande, weswegen die Untertanen ihm bei der Erbhuldigung schwören, ihm getreu, hold, gehorsam und gewärtig zu sein. Die Lehensleute lassen den Gehorsam aus.

Absolut ist der deutsche Fürst nicht, er ist nicht etwa nur Gott verantwortlich: es sind ihm Schranken gesetzt, und zwar zunächst durch Kaiser und Reich, denen die Fürsten gebührlichen Respekt zu leisten haben. Sie schwören Kaiserlicher Majestät und dem Reich denselben Eid wie ihre Untertanen ihnen, nämlich ihnen getreu, hold, gehorsam und gewärtig zu sein. Sie sind verpflichtet, die Reichsbeschlüsse zu beachten. Wenn sie ihre Untertanen in ihren Freiheiten und Privilegien beschweren, wenn der Landesherr, sagt Seckendorff, sich zu sehr mit Befehlen interessiert gemacht, können sie ihn vor den hohen Reichsgerichten zur Verantwortung ziehen. Die Fürsten haben den Vorzug, daß sie entweder vor ein Austrägalgericht oder vor das kaiserliche Hofgericht anstatt vor das Reichskammergericht geladen werden.

Nächst der Schranke, die den Fürsten von oben her durch Kaiser und Reich gesetzt ist, besteht von unten her die Schranke der Stände, nämlich der Vertreter des Adels, der Geistlichkeit und der Städte. Ihr wichtigstes Recht ist das der Steuerbewilligung. Ohne Einwilligung der Stände darf der Fürst neue Gefälle nicht erheben. Überhaupt werden die Steuern nicht wie Frondienste zwangsweise entrichtet, sondern es sind freiwillige, gutherzige Beiträge, weshalb sie in manchen Ländern Bethen, das heißt erbetene Einkünfte genannt werden. Auch über andere Dinge beratschlagt der Fürst auf den sogenannten Landtagen sich mit den Ständen, die Beschwerden oder Gravamina vorzubringen das Recht haben. Die auf den Landtagen vereinbarten Beschlüsse, die Abschiede, muß der Landesherr meistens bei der Erbhuldigung bekräftigen, ohne die Einwilligung der Landstände kann er nicht davon abweichen.

Sollte es in einem Lande keine Stände geben, so ist der Landesherr doch seinen Untertanen gegenüber an das gebunden, was ihnen seine Vorfahren etwa versprochen haben, oder was dem guten alten Herkommen gemäß, oder was in den Fundamentalgesetzen des Reiches festgelegt ist. Immer muß er ferner das landesübliche gemeine Recht im Auge haben, er darf kein neues, absonderliches und eigennütziges Recht oder vielmehr ungleiches und geiziges Beginnen einreißen lassen, sondern er muß sich alles dessen befleißigen, was christlich, billig, fürstlich und wohlanständig ist.

Schließlich aber, wenn auch alle diese Schranken nicht bestünden oder umgeworfen würden, sollte der Fürst dennoch seine Untertanen mit Sklaverei verschonen, ja er sollte, wenn er allein die Verantwortung trüge, um so mehr auf seine Räte hören, damit er nicht zuletzt alles auf seine Inklination stelle und dahin komme, sich für einen Gott zu halten. Jedenfalls ist ein deutscher Fürst gebunden an das göttliche, an das natürliche und an das Völkerrecht. Nach dem natürlichen Recht muß er seine Untertanen als Freigeborene behandeln, sie in ihrem Besitz und ihrer Habe belassen und ihnen Gerechtigkeit mitteilen. Nach göttlichem und natürlichem Recht muß er Verträge halten.

Das natürliche Recht, auf welches Seckendorff sich bezieht, war im Mittelalter und bis ins 18. Jahrhundert hinein wirkliches, geltendes Recht. Der Inhalt des göttlichen Rechtes war im Dekalog, den Zehngeboten, enthalten. Die Übereinstimmung des natürlichen Rechtes mit dem göttlichen gründete sich auf die Worte, die Moses zum Volke sprach, als er ihnen seine Gebote ans Herz legte: »Denn das Gebot, das ich dir heute gebe, ist dir nicht verborgen, noch zu ferne, noch im Himmel, daß du möchtest sagen: Wer will uns in den Himmel fahren, und uns holen, daß wir's hören und tun? Es ist auch nicht jenseit des Meeres, daß du möchtest sagen: Wer will uns über das Meer fahren, und uns holen, daß wir's hören und tun? Denn es ist das Wort fast nahe bei dir in deinem Munde und in deinem Herzen, daß du es tust.« Ferner auf die Stelle im Römerbrief des Paulus über das Gewissen der Heiden: »Denn so die Heiden, die das Gesetz nicht haben und doch von Natur tun des Gesetzes Werk, dieselbigen, dieweil sie das Gesetz nicht haben, sind ihnen selber das Gesetz. Damit sie beweisen, des Gesetzes Werk sei beschrieben in ihren Herzen, sintemal ihr Gewissen sie bezeuget, dazu auch die Gedanken, die sich untereinander verklagen oder entschuldigen.«

Indessen glaubten nicht nur die Israeliten, sondern alle die alten orientalischen Völker an die göttliche Herkunft des Rechts, und auch die Griechen glaubten an das göttliche Recht als an ein Recht, das dem menschlichen vorangehe, und nach dem sich das menschliche zu richten habe. Aristoteles, der von den mittelalterlichen Scholastikern hochgeschätzte Philosoph, hatte die Gerechtigkeit bestimmt als die dauernde Geneigtheit, jedem das Seinige – suum cuique – zu geben. Man unterschied geschriebene und ungeschriebene Gesetze. Die ungeschriebenen, die Gesetze Gottes und der Natur, die dem Menschen ins Herz geschrieben sind, gelten, so war die Lehre, zu allen Zeiten und für alle Länder und Menschen, sie sind ewig und unabänderlich, sie bilden die Grundlage für Gesetz und Recht des Staates. Ein Gesetz, das dem göttlich-natürlichen Recht widersprach, konnte keine Gültigkeit behaupten. In Fällen, wo das menschliche Gesetz nicht genügte, konnte es durch das natürliche Recht ergänzt werden, und man nannte es dann das billige Recht oder die Billigkeit, jus aequum. Da auch nach germanischer Anschauung das Recht göttlichen Ursprungs war, nahmen die Deutschen die kirchliche Lehre vom göttlich-natürlichen Recht leicht auf. Von dem Suum cuique ausgehend, welches, wenn man seinen Sinn entfaltete, mit den Zehngeboten übereinkam, konnte man den Inhalt des Naturrechts bestimmen und faßte ihn zusammen als das Recht auf Freiheit und Eigentum, was jedem Menschen zustehe, und worin er nur in Übereinstimmung mit dem gültigen Gesetz könne angetastet werden. Selbst Hobbes wagte nicht das Naturrecht zu leugnen, nur verklausulierte er es so, daß es tatsächlich in seinem Idealstaat nichts mehr bedeutete.

Das Völkerrecht wurde als Teil des natürlichen Rechts aufgefaßt. Obwohl es seinem Wesen nach nicht erzwingbar war, sah es Seckendorff doch als eine Art von Rechtsschranke an.

Verhältnismäßig wenig konnte damals schon die Kirche dem weltlichen Regenten entgegensetzen. Bei den Protestanten war es, sehr zum Bedauern mancher Theologen, selbstverständlich geworden, daß das obrigkeitliche Regiment sich auch auf die geistlichen Dinge erstreckte. Seckendorff meint, daß das auch bei den Katholiken der Fall sei, und führte zum Beweis den bekannten Ausspruch des Herzogs von Cleve an, er sei Papst in seinem Lande, und den des streng katholischen Herzogs Georg von Sachsen, er sei in seinem Lande selbst Papst, Kaiser und Deutschmeister. Immerhin, sagte er, seien auch in Sachen der Religion dem Fürsten durch die Reichsgesetze Schranken aufgerichtet. Er darf in seinem Lande mit Ausnahme der jüdischen keine andere als die christliche Religion zulassen, und zwar nur das katholische, das evangelische und das reformierte Bekenntnis. Er darf Christen, die von dem in seinem Lande geltenden Bekenntnis abweichen, nicht verjagen oder gar bestrafen, sondern er muß sie entweder dulden oder unter Mitnahme ihrer Habe auswandern lassen. Daß er Glaubenssätze nicht ändern darf, versteht sich von selbst. Wenn er selbst zu einem anderen Bekenntnis übertritt, darf er seine Untertanen in dem einmal zugelassenen Glauben nicht beschweren, hat sie vielmehr darin zu beschützen.

Überblickt man diese staatsrechtliche Untersuchung, so spürt man noch etwas von der Erhabenheit und Harmonie der mittelalterlichen Auffassung. Für Seckendorff ist die Herrschaft ein von Gott verliehenes, rechtlich und sittlich gebundenes Amt. Nur Gott ist absolut. Der irdische Staat soll das Recht, das von Gott kommt, verwirklichen. Es scheint, als sei der Fürst im Reich durch Gesetz und Herkommen so vorsorglich eingehegt, daß er sich ein tyrannisches Regiment gar nicht anmaßen könne. Sieht man aber näher zu, so merkt man, daß der Verfasser, wie sehr er selbst auch von der Richtigkeit seiner Behauptungen und Argumente überzeugt ist, sich in der Verteidigung fühlt einem Angriff gegenüber, den die Verhältnisse begünstigen und der die Richtung der Zeit für sich hat. Vollends aus den Anmerkungen, die der Herausgeber einer neuen Auflage des Fürstenstaates im Jahre 1720 dem Werke beigefügt hat, kann man schließen, wie unsicher das alte Recht bereits geworden ist. Er bringt den alten Text, ohne seiner Geltung recht zu trauen. In den letzten hundert Jahren sei von den landesfürstlichen Rechten viel geschrieben worden, sagt er, und meint, es sei eine fast gefährliche Frage. »Die unart der eigenwilligen herrschaft«, heißt es, »hat allem ansehn nach der alten freyheit zuwider etliche saecula her mehr und mehr an vielen orten, auch in unserm vaterlande, zugenommen, allwo doch vor diesem mehrere freyheit gewesen, ja wo die freyheit ihren alten sitz gehabt und von denen poeten daher genennet ward germanorum scythorumque bonum.« Als Ursache der Veränderung wird angeführt die Strafe Gottes, die liebkosenden Höflinge und das Beispiel anderer Länder, wo das absolute Regiment herrsche. Das geht natürlich auf Frankreich. Bereits sei von Staatsrechtslehrern die Ansicht geäußert worden, daß sich das Recht der hohen Obrigkeit nicht dividieren lasse, daß es einheitlich und unumschränkt sein müsse und daß etwaige Privilegien der Untertanen der landesherrlichen Allmacht keinen Abbruch tun könnten. »Es steht dahin, wie weit mit dieser subtilität in effectu auszulangen. Manche fügen sich, manche nicht.« Daß Briefe und Pergamente keine festen Mauern sind, hatte die Erfahrung bereits bewiesen.


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