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Wirtschaft

In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts war Holland das reichste Land in Europa. Deshalb war es allgemein verhaßt. Wo ein Holländer hintritt, wächst kein Gras mehr, sagte man. Frankreich und England, die auch reich waren, bewunderte man; aber die Republikaner, die Krämer, durften sich nicht herausnehmen, Monarchien in einem so wichtigen Punkte zu übertreffen. Andrerseits nahm man doch Holland zum Vorbild, wollte von ihm lernen. Der Große Kurfürst, der durch seine Verwandtschaft mit der Statthalterfamilie der Oranier Beziehungen zu Holland und mehrere Jugendjahre dort verbracht hatte, bewunderte nicht nur den Reichtum, sondern auch die Kultur des Landes. Dort atmete man die anregende Luft geistiger Freiheit, dort fühlte man sich eingebettet in die Fröhlichkeit eines tätig und behäbig sich entfaltenden Volkslebens, dort war man getragen von der Festigkeit eines selbstbewußten Bürgertums, und alles war durchdrungen von der Würze einer zwanglos erblühenden Kunst. Die Länder im Reich waren arm, die meisten Fürsten konnten ohne französische Subsidien nicht wirtschaften. Die Geldnot des Kaisers hatte oft verheerende Folgen für seine kriegerischen Unternehmungen. Das Steuerwesen war überall noch wenig geordnet. Die Räte aller Länder zerbrachen sich die Köpfe an der Frage, auf welche Weise am meisten aus den Untertanen herauszupressen wäre.

In der Zeit, wo man anfing, jede menschliche Tätigkeit auf den Fuß einer Wissenschaft zu bringen, suchte man nach Gründen, warum ein Staat reich oder arm sei, und nach Regeln für die Art und Weise, wie die Wirtschaft eines Staates in Flor zu bringen sei. Johann Joachim Becker, kaiserlicher Kommerzienrat, schrieb im Jahre 1658 einen Diskurs von der eigentlichen Auf- und Abnahme der Städte, Länder und Republiken, in specie wie die Länder volkreich und nahrhaft zu machen; ein Buch, das dem Verfasser einen Namen machte. Becker erklärte sich entschieden für die Ordnung der Wirtschaft durch die Obrigkeit. Es gebe wohl, meint er, große volkreiche Städte, die an der See lägen und Provinzen und Königreiche zu Abnehmern hätten, die möchten wohl freien Handel treiben, da heiße es: jeder ist sich selbst der Nächste, wo nicht einmal ein Bürger den andern im selben Hause kenne, geschweige daß er darüber nachdenke, ob sein Geschäft dem andern nütze oder schade. In Deutschland sei das anders, in Deutschland müsse es eine Marktordnung geben, da gelte noch die Staatsregel, es so anzustellen, daß keiner den andern verderbe, vielmehr einer dem andern unter die Arme greife. Im Ausland heiße die Regel: man muß dem Volk seine Freiheit lassen; es werde sie denn auch benützen, setzt er mit grimmiger Schadenfreude hinzu, um seinen Oberen die Hälse zu brechen.

Er macht einen Vorschlag, bei dem ihm teilweise das Vorbild Englands vorgeschwebt zu haben scheint. Alle 10 Meilen solle eine Magazinstadt eingerichtet werden, wohin alljährlich die Landleute kämen und sich über die Preise einigten. Zu dem verglichenen Preise müßten die Magazine jedem seine Ware abnehmen, und innerhalb der 10 Meilen dürfe nur zu diesem Preise verkauft werden. Alle Magazinstädte müßten mit einer Hauptmagazinstadt korrespondieren, damit die Obrigkeit wisse, wie reich das Land sei. Es werde dann weder Wohlfeile noch Teuerung geben. Entsprechend den Magazinhäusern für das Land solle es Kaufhäuser für die Stadt geben. Für die Reichen müsse es Banken geben, wo sie ihr Geld auf Zins legen könnten. Damals bestand noch die mittelalterliche Gepflogenheit, daß die reichen Leute ihr übriges Geld in Gütern oder Häusern anlegten oder daß sie es an bedürftige Fürsten ausliehen. Banken, meint Becker, seien sicherer. Zur Ordnung aller dieser Dinge müßten besondere Ministerien eingerichtet werden, die aber nicht von Staatsmännern und Hofräten, und damit spielt er gewiß auf Wien an, sondern von solchen geleitet werden müßten, die das Recht, den Kaufhandel, das Gewerbe, das Verlagswesen aus dem Fundament verstünden.

Die Zünfte billigte er nicht durchaus, da sie zum Teil fast zu Monopolen geworden wären; dennoch, meint er, könne man sie in Deutschland nicht wohl abschaffen. In Holland habe man es getan, und es sei dort infolgedessen ein großer Zulauf von Menschen, die in Wettbewerb miteinander stünden, er nennt es zertieren, und jeder befleiße sich guter, sauberer und wohlfeiler Arbeit; aber da Deutschland keine ausländischen Abnehmer habe, würden Hunderte verderben, wenn der Meister zu viele würden. Es gewährte Becker eine gewisse Genugtuung, den Ruin Hollands vorauszusagen: für den Fall nämlich, daß ein Krieg käme und ihm der Absatz an das Ausland verlorengehe. In gewisser Weise erfüllte sich diese Prophezeiung, insofern nämlich Holland im 18. Jahrhundert nicht mehr imstande war, kostspielige Handelskriege zu führen und zu einem entschiedenen Schutzsystem überging.

Konnte sich aber Deutschland überhaupt mit Holland vergleichen, wo es Kaufmannsgesellschaften gab, die Königen trotzen konnten, wo der Handel als Staatsangelegenheit galt? Beckers Vorschläge zur Einführung neuer Gewerbe und Handelszweige erregten in Österreich den Unwillen der Interessenten; er wurde, wie er mit Bitterkeit andeutet, bekämpft und verleumdet. Philipp Wilhelm von Hornigk, der mit Becker verschwägert war und einige Jahre später über denselben Gegenstand schrieb, meint, es gehöre ein Heldenmut dazu, die Landesökonomie und Manufaktur in Österreich heben zu wollen. Er selbst war durch eine kürzlich erschienene Abhandlung angeregt, in der der Satz verfochten wurde, wenn Deutschland alle Waren selbst verfertigen würde, die es aus Frankreich beziehe und für die es alles Geld zum Lande hinausjage, werde es bald nicht mehr arm sein, sondern Frankreich an Reichtum und Kräften übertreffen. Deutschland müsse sich industrialisieren, wie man es jetzt ausdrücken würde, und dadurch vom Auslande unabhängig machen. Da vom Regensburger Reichstage eine gemeinsame Aktion in diesem Sinne nicht zu erwarten sei, müsse jedes einzelne Land für sich das Nötige unternehmen. Der Titel dieser Abhandlung war »Teutschland über Frankreich«. Daran anschließend schreibt Hornigk, es müsse der Partikularerhebung ein Primum mobile, ein Anstoß gegeben werden, und dazu sei der nächste der Kaiser, nicht aber als solcher, sondern als Erzherzog wegen seiner Erblande. »Österreich über alles, wenn es nur will«, nannte er seine Schrift.

Die Erblande, meint er, bildeten mit der Menge ihrer Rohstoffe eine kleine Welt für sich. Freilich, alles, Gold, Silber und alle Rohstoffe besitze nur China, das in Wahrheit eine Welt für sich und von allen unabhängig sei. Indessen auch Österreich bringe viel hervor: Gold, Silber, Salz, Korn. Als ihm fehlend zählt er auf: Südfrüchte, getrocknete Fische, Austern, Reis, Tabak, Schokolade, Tee, Kaffee, Baumwolle, Seide, Porzellan, Elfenbein, gewisse Hölzer und Edelsteine, mehr Gegenstände des Luxus als des Bedarfs. Bei dem Reichtum des Landes sei es die eigene Schuld des Unfleißes und der Unachtsamkeit, wenn es arm sei. Wenn man sich nur einige Jahre der ausländischen, namentlich französischen Ware enthielte, werde sich die Lage bessern; man habe die schlesischen, böhmischen und mährischen Tücher, die schlesische und österreichische Leinwand. Er hält seinen Landsleuten das Beispiel von Holland und Frankreich vor, die mit ihrem Handel fast ganz Europa über den Kopf gewachsen seien, während sie lange und schwere Kriege führten. Sind die Deutschen wirklich so dumm, wie die Franzosen glauben? Und sind doch die besten Mathematiker! Dennoch ist es Dummheit, daß sie die deutschen Rohstoffe dem Ausland verkaufen und, nachdem sie dort verarbeitet sind, für teures Geld zurückkaufen. Die böhmischen Bergwerke sind verfallen, die einheimische Wollmanufaktur, von der soviel Segen ausging, hegt danieder. Woran liegt es? Ist es Fluch oder Bezauberung? Es gehört zu den österreichischen Mirakeln, daß nicht längst alles zugrunde gegangen ist.

Österreich über alles, wenn es nur will, nannte Hornigk sein Buch. Man brauche nur zu wollen, sagte er, als sei das wenig; aber wenn ein fester Wille überhaupt selten ist, so ist es sehr schwer, einen gemeinsamen Willen in einem Lande anzuregen, dessen Interessen geteilt sind. Bei Hornigk macht sich das unversehens bemerkbar, wenn er zum Beispiel darauf hinweist, es dürfe den Bauern, die zum Seidenbau und Wollespinnen angeleitet würden, kein Robott und Frondienst daraus gemacht werden; davor müsse man die armen Untertanen von vornherein schützen. Die Grundherren ihrerseits hatten keine Lust, ihre Hörigen zu entlasten, damit sie eine Tätigkeit ausübten, deren Ertrag noch ungewiß war. Die wohlhabenden Leute, vom Adel zu schweigen, ließen ihre Kinder nicht Handwerker oder Kaufleute werden, weil diese Stände zu wenig geachtet waren. Hornigk schlägt vor, die großen Verleger und Fabrikanten müßten von der Obrigkeit in einen Ehrenstand gesetzt werden, damit die Begüterten Lust zu einer solchen Laufbahn bekämen. Es kam dazu, daß die Geistlichkeit, die in Österreich und Bayern großen Einfluß hatte, die Ausbreitung der Industrie nicht gern sah, vielmehr sie bekämpfte, weil sie nicht mit Unrecht fürchtete, das arbeitende Volk werde dadurch ihrer Einwirkung entzogen werden. Kann man auch nicht sagen, daß der Katholizismus ein Hindernis der Industrialisierung gewesen sei, denn das katholische Frankreich war ja im Großbetrieb allen Ländern vorangegangen, so doch, daß er im Verein mit den föderalistischen und ständischen Verhältnissen, wie sie in Österreich aus dem Mittelalter in die neuere Zeit übergegangen waren, und mit dem lässigen Charakter der Bevölkerung als eine Hemmung dessen wirkte, was man Fortschritt nannte.

Das Ideal der Landesherren war die Autarkie, wie sie es früher in den Städten, dem politischen Vorbild der Territorien, gewesen war. Ihr Gebiet sollte, wenn irgend möglich, selbst hervorbringen, was es brauchte, dann wollten sie es mit Zollschranken umgeben, um das Hereinströmen ausländischer Waren zu verhindern. Das Geld sollte im Lande bleiben. Da zu diesem Zwecke viel Arbeit geleistet werden mußte, bedurfte man vieler Menschen, und die Landesherren ließen es sich angelegen sein, möglichst viele in ihr Territorium zu ziehen, das Land zu peuplieren, wie man sich ausdrückte. Schon den Großen Kurfürsten bewog nicht nur das Mitgefühl, die glaubensverwandten Hugenotten einzuladen, sondern er faßte dabei auch seinen Vorteil ins Auge, zumal es sich um Leute handelte, die neue Gewerbezweige einführten. Um 1700 saßen in Preußen 900 Menschen auf der Quadratmeile gegen 3000 in der dichtbevölkerten Lombardei. Sowohl Friedrich Wilhelm I. wie Friedrich der Große bemühten sich mit Erfolg um die Peuplierung. Friedrich hatte Agenten, die jede Gelegenheit erspähten, wo Leute auszuwandern geneigt waren, und suchte sie dann durch Versprechungen anzulocken. In größeren Mengen kamen außer den Franzosen und Salzburgern, die des Glaubens wegen ihre Heimat verließen, Pfälzer, Schweizer und Schwaben. Während die Hugenotten überwiegend städtisch waren, wurden die übrigen auf dem Lande angesiedelt. Friedrich II. hat 900 Kolonialdörfer gegründet; aber das Ergebnis war nicht durchweg befriedigend: die Kolonisten waren nicht alle tüchtige, arbeitswillige Leute, und zum Teil hatten sie auch Ursache, mit dem ihnen zugeteilten Boden unzufrieden zu sein; denn der gute, brauchbare war in den Händen des Königs und des Adels. Glückliche Folgen hatte die Einwanderung der Salzburg er für Litauen, wo sie hauptsächlich angesiedelt wurden, trotz der großen Schwierigkeiten, die die Gebirgsbauern in dem nördlichen Flachlande zu überwinden hatten.

Alle die aufgeklärten Fürsten bemühten sich, das gemächliche Deutschland aus seinem agrarischen Halbschlummer aufzustacheln. Früher hatten die Handwerker die Klöster verklagt, weil sie Handwerkerarbeit leisteten; jetzt schlug der im ganzen zunftfreundliche Becker vor, es sollten Werkhäuser gegründet werden, wo Bettler, Krüppel und sonstiges Gesindel zur Arbeit angeleitet würden. Man kannte damals längere Freiheitsberaubung als Strafe noch nicht; es gab Leibesstrafen in entsprechender Abstufung, und die Landstreicher und Bettler, und was sonst noch die Gegend unsicher machte, pflegte man von Zeit zu Zeit über die Grenze zu treiben. Nein, sagte Becker, man solle diese Leute vielmehr ins Land hineintreiben, auch die Diebe nicht aufhängen, sondern zu ordentlichen, arbeitenden Menschen erziehen. Die Menschen fingen an, als Arbeiter ein kostbares Material zu werden. Überall sollten Webstühle sausen und Hämmer klopfen, wenn auch noch keine Maschinen stampften. Zum Großbetrieb führte schon der Bedarf an Uniformen und anderer Gegenstände für das Heer. Jeder Fürst wollte Seidenbau und Seidenfabrikation in seinem Lande haben, keinem glückte es damit so wie Friedrich dem Großen. Er bediente sich dabei hauptsächlich der Franzosen und Juden, die Familien Mendelssohn, Friedländer, Veit kamen auf diesem Wege zu Ansehen. Man gewährte den Fabrikanten, damals Verleger genannt, allerlei Erleichterungen und Unterstützungen, um sie zum Ausharren bei den mit wechselndem Erfolg arbeitenden Unternehmungen zu ermuntern. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gab es in Preußen schon nicht selten brotlose Arbeiter. Solcher Notlage gegenüber bewiesen die Behörden noch zunftmäßige Gesinnung, indem sie sich zum Schutze der Arbeiter verpflichtet fühlten. Es kam vor, daß man brotlosen Arbeitern ein Wartegeld zahlte, freilich ein sehr bescheidenes, und daß man die Verleger veranlaßte, entlassenen Arbeitern ein Wartegeld zu zahlen. Am Ende des Jahrhunderts tauchten die Fragen der Frauen- und Kinderarbeit in Fabriken, der willkürlichen Arbeiterentlassung und Lohn Verkürzung auf. Es waren schließlich doch immer die Arbeiter, die den kürzeren zogen.

Was die Regierungen in bezug auf das Handwerk vornahmen, wirkte sich nicht zu seinen Gunsten aus. Sie teilten die Meinung Beckers, daß es nicht zweckmäßig sei, die Zünfte aufzuheben; aber wenn sie auch wohlerworbene Rechte gelten ließen, die ihnen nicht geradezu im Wege waren, so beraubten sie sie doch ihrer Selbständigkeit, die ohnehin mit der Selbständigkeit der Städte zusammenhing und mit dieser zugleich unwirksam werden mußte. Die Zünfte wurden staatlicher Aufsicht und staatlichen Eingriffen unterstellt, was man damit begründete, daß leges speciales den allgemeinen Gesetzen weichen müßten, oder daß bei Aufstellung von Statuten die Zustimmung der Obrigkeit vorbehalten sei. Daß gewisse Gewerbe mit denen anderer Territorien in Verbindung standen, daß Gesellen von einem Gebiet ins andere wanderten, paßte den Landesherren nicht. Die sinnvollen alten Gebräuche, für welche die neue Zeit kein Verständnis hatte, wurden abgeschafft. Mit der Selbständigkeit und Verantwortlichkeit verfiel das Gefühl der Verpflichtung zu tadelloser Arbeit und das Standesbewußtsein. Eine große Schädigung war es ferner, daß den Handwerkern verboten wurde, die von ihnen verfertigte Ware selbst zu verkaufen. Der Stand, der durch die Ehrbarkeit und Tüchtigkeit seiner Glieder und durch die Güte seiner Arbeit so viel zur Höhe der mittelalterlichen Kultur beigetragen hatte, verarmte und verkümmerte. Am schlimmsten waren die Gesellen daran, deren Verhältnis zum Meister früher durch Ordnungen festgestellt war, die auch ihnen eine gewisse Standesehre gewährten. Jetzt wurde den Handwerksgesellen jede Koalition verboten, ihre Ordnungen wurden aufgehoben, sie waren schutzlos einem ungewissen Schicksal preisgegeben, verwilderten nicht selten und vermehrten mit den Fabrikarbeitern das wachsende Proletariat.

Im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts, im Jahre 1776, erschien in England ein Buch, das auf dem Gebiete der Volkswirtschaft eine neue Epoche eingeleitet hat, das Buch über die Natur und die Ursachen des Wohlstandes der Nationen von Adam Smith. Es wurzelte in den englischen Verhältnissen und in der deistisch-moralischen Weltanschauung der Gebildeten des damaligen England. Während eines mehrjährigen Aufenthaltes in Frankreich lernte Adain Smith den Kreis um Turgot und Necker kennen und die dort herrschende Lehre, daß der Staat die Freiheit von Handel und Verkehr herzustellen und sich übrigens nicht einzumischen habe. Sie paßte gut zu der englischen Selbstverwaltung. In seinem Bestreben, die Volkswirtschaft zu einer Wissenschaft zu erheben, setzte Adam Smith als Bedingung des Volkswohlstandes Arbeit und Sparsamkeit, von welchen er annahm, daß sie am besten durch das eigene Interesse der Menschen erlernt und verwendet würden; sobald sie nämlich die Freiheit hätten, im gleichberechtigten Wettkampf um die Güter der Welt zu werben. Er ging davon aus, daß die Menschen von gegenseitigem Wohlwollen bewegt und daß ihre Naturanlage und infolgedessen ihre Bedürfnisse im allgemeinen gleich seien; das erzeuge in der Freiheit ein Gleichgewicht der Güterverteilung. Anstatt des Krieges aller gegen alle, den Hobbes voraussetzte, nahm Adam Smith Harmonie durch den angeborenen Trieb nach Übereinstimmung an.

Die Verhältnisse im agrarischen und absolutistisch regierten Deutschland waren von denen Englands zu verschieden, als daß das Buch hier sofort hätte wirksam werden können, obwohl es im selben Jahre seines Erscheinens in deutscher Übersetzung herauskam. Es wurde zunächst wenig beachtet. Auch ein Gegner des Polizeistaates und Anhänger der englischen Selbstverwaltung wie Justus Moser bekämpfte Adam Smith in wesentlichen Punkten. Das eigene Interesse als Hebel eines volkswirtschaftlichen Systems gelten zu lassen, war der mittelalterlichen Auffassung widersprechend, an der Moser festhielt, wonach die Selbstsucht des einzelnen zurückgehalten werden sollte, damit jeder sein Auskommen habe. Der freie Wettbewerb konnte leicht zu Unterdrückung des Schwächeren durch den Stärkeren führen. Es ist charakteristisch, daß Moser ein scharfer Gegner der Arbeitsteilung war, die Adam Smith als Fortschritt betrachtete. Den Reichstagsbeschluß, der dem Meister gestattete, so viel Gesellen anzustellen, wie er wollte, tadelte Moser, weil dadurch die Arbeitsteilung gefördert werde, die zur Verkümmerung der Arbeiter führe. Ihm kam es mehr auf die Menschen als auf die Wirtschaft an. Er war ein Feind des Großbetriebes, weil derselbe den Handwerkerstand schädige und den Typus des Handwerkers verderbe, wie das Mittelalter ihn hervorgebracht hatte, und den er für besonders wertvoll hielt. Moser dachte sich den einzelnen dem Staat gegenüber weitgehend frei; gelegentlich hat er gesagt, der Staat sei der Arzt des lebendigen Körpers der Gesellschaft; aber gebunden durch selbstgeschaffene und sich selbst regierende Gliederungen und durch Religion.

Auch für die Landwirtschaft wurde England Vorbild und Lehrmeister. Im Reich herrschte auf diesem Gebiet Gewohnheit und Schlendrian, es gab keine leitenden Gesichtspunkte, keine Verbesserungen, die die Zunahme der Bevölkerung und der Bedürfnisse erfordert hätten. Albrecht Thaer war es, der die Mängel sah und zu einem auf Erfahrung und Versuchen beruhenden System zu gelangen suchte. In Deutschland war viel über Landwirtschaft geschrieben; das alles studierte er durch, ohne etwas Gründliches, Förderndes zu entdecken. Zu seiner Überraschung fand er alles, was er suchte, in englischen Schriften, sorgfältige Versuche, einsichtsvolle Folgerungen, aufrichtiges Streben nach Wahrheit. Die meiste Belehrung schöpfte er aus dem im Jahre 1770 erschienenen Buche von Arthur Young: Course of experimentell agriculture, daneben aber auch aus der Arbeit englischer Landedelleute. Eine ungeheure Anzahl angestellter Versuche hatte zu bemerkenswerten Ergebnissen geführt. Thaer führt an, daß es in den letzten hundert Jahren nur einmal eine Teuerung in England gegeben habe, daß England, obwohl nur teilweise bebaut, sich selbst und zum Teil noch seine Kolonien versorge, dazu noch Korn an Fremde verkaufe. Sein wirkungsvolles Buch, wie die deutsche Landwirtschaft zu vervollkommnen sei, ist im Jahre 1795 geschrieben und erschien drei Jahre später im Druck. Erste Bedingung der Vervollkommnung, sagte er darin, sei die Befreiung der Bauern, denn von Leibeigenen sei keine Betriebsamkeit zu erwarten. Alle Verordnungen und Prämien würden nichts nützen, wenn nicht die ganze Verfassung des Ackerbaues geändert würde. Ferner müßten die Gemeinheiten, Überbleibsel des Mittelalters, geteilt werden. Es handelte sich auch hier wie auf dem Gebiete der Industrie um die Erregung von privatem Unternehmungsgeist, der in Deutschland noch gering war. Er sollte sich erst im 19. Jahrhundert mit unabsehbaren Folgen entfalten.


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