Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Wandel der Sprache

Vergleicht man die ebenso kraftvolle wie liebliche in der Knappheit und Straffheit der Jugend wie in einem blinkenden Harnisch einherschreitende Sprache Luthers und Huttens mit der ausgeweideten, einem leeren Schlauch gleich hinschleichenden der deutschen Schriftsteller in der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts, möchte man zweifeln, ob es dasselbe Volk sei, das so verschieden redete. Während des Dreißigjährigen Krieges fand der Dichter Paul Fleming noch markige und innige Klänge. Seine Gedichte haben etwas von dem Wildniszauber einer Sprache, die noch wenig gedruckt wurde. Selbst den schläfrigen Alexandrinergaul wußte er so gebieterisch zu reiten, daß er zuweilen edler arabischer Zucht glich. Allmählich aber wurde die Ausdrucksweise immer ungelenker und zugleich gewundener und verschränkter, als wolle der Schreiber sich darin verstecken. Die Sätze sind oft einem Knäuel von Würmern ähnlich, von denen man nicht weiß, welcher Kopf zu welchem Schwanz gehört.

Wie hätte Leibniz, der so eifersüchtig über die Größe des deutschen Volkes wachte, den Verfall der Sprache nicht bemerken sollen! Sie sei, sagte er, während des Dreißigjährigen Krieges in die Rappuse gegangen, und er arbeitete, soviel er konnte, an ihrer Verbesserung. Er selbst schrieb ein klares, herzhaftes, gedrungenes Deutsch. Er spickte die Sätze nicht mit französischen Ausdrücken, wie es damals Sitte war; aber er war auch gegen übertriebenen Purismus. Das Einbürgern neuer, einer fremden Sprache entnommener Worte hielt er für eine Bereicherung, doch sollten sie aus einer verwandten, etwa der holländischen, stammen. Als gute Vorbilder betrachtete er die älteren Reichstagsabschiede und die Erlasse des Leipziger Gerichtshofs, die er beide wegen der Reinheit ihrer Sprache rühmte. Sehr schön nennt er die deutsche Sprache einen Probierstein der Gedanken, weil sie erdichtete Dinge und Hirngespinste wiederzugeben ungeschickt sei und dadurch zu gründlichem Denken zwinge. Da die Gelehrten immer lateinisch geschrieben hätten, sei sie unvollkommen in den abstrakten Dingen, aber ausgezeichnet in allem, was dem gemeinen Mann vorkomme, in Kunst- und Handwerksdingen, unübertrefflich in Erz- und Bergwerksangelegenheiten. Daß sie aber das Abstrakte auszusprechen nicht geschickt sei, habe auch wieder Gutes im Gefolge, denn was sich darin ohne entlehnte und ungebräuchliche Worte verständlich sagen lasse, das sei wirklich etwas Rechtschaffenes. Leere Worte, die gleichsam nur ein leichter Schaum müßiger Gedanken wären, nehme die reine Teutsche Sprache nicht an. Diesen Vorzug sollte die deutsche Sprache sehr bald einbüßen. Grade damals fingen fast alle ausländischen Gelehrten an, in ihrer eigenen Sprache zu schreiben, sehr zum Ärger jener deutschen Gelehrten, die, wie zum Beispiel Conring, nur deutsch und lateinisch verstanden. Sie mußten sich der allgemeinen Gepflogenheit: anschließen, und manche lernten bald, mit Worten leeren Schaum zu schlagen, während andere die Steifheit der toten Sprache in das Deutsche hinübernahmen.

Wieviel frische, originelle Ausdruckskraft in der Volkssprache noch steckte, sieht man in den gelegentlich deutschen Äußerungen Friedrich Wilhelms I. und Friedrichs II., die nach einer Bemerkung des letzteren deutsch wie Kutscher sprachen, da sie von Kindesbeinen an gewohnt waren, französisch zu reden. Das Heroische und Originelle in Friedrichs des Großen Persönlichkeit prägt sich deutlicher in seinen hingeworfenen deutschen Aussprüchen als in seinen französischen Briefen, Gedichten und Abhandlungen aus. Maria Theresia, die mehr als die preußischen Könige deutsch zu sprechen gewöhnt war, drückt sich im Deutschen ebenso naiv und originell, aber richtiger und gewandter aus.

In der Schriftsprache des 18. Jahrhunderts ist von frischer, derber Volkstümlichkeit kein Spürchen zu finden; sie hatte sich den Idealen angepaßt, die sie verkündete. Gehorsam, Mäßigkeit, verständiges Sichbegnügen mit den zugeteilten Gaben, geduldiges Sichergehen in vorgeschriebenen Bahnen, derartige Eigenschaften pries man als den Inbegriff der Tugend, die mit der Nützlichkeit des Haustiers sehr verwandt war. Nutzen, Tugend, Glückseligkeit, Vergnügen, das waren die stets wiederholten Worte, die den Daseinszweck erklärten. Der literarische Repräsentant dieser Geistesverfassung war Christian Fürchtegott Gellert. Seine Briefe und Romane schlabbern mit der Einförmigkeit eines Landregens daher, zu ungesalzen, zu kamillensüßlich, als daß man seine redliche, menschenfreundliche Gesinnung recht würdigen könnte. Die Beliebtheit Gellerts, die in solcher Einmütigkeit aller Stände nie wieder einem deutschen Dichter zuteil geworden ist, beweist, daß das deutsche Volk sich selbst und seine Ideale in ihm wiederfand. Seichtigkeit war das hauptsächliche Merkmal der Literatur. Freilich, vergleicht man die Sprache Gellerts und anderer Schriftsteller aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit der heutigen bald saloppen, bald ausgetüftelten, bald schwülstigen, bald schablonenhaften, so berührt einen ihre Sauberkeit, Durchsichtigkeit und Zierlichkeit wohltuend, und man blickt auf sie wie auf ein Vorbild. Vergleicht man sie aber mit der Sprache des 16. Jahrhunderts, fällt das Urteil anders aus. Gegenüber jener Kraft und Lieblichkeit erscheinen Sprache wie Denkart verständig und verständlich, aber schwächlich und unwahr.

Da, auf einmal brach durch das Gewinsel und Gelispel ein vollerer Ton, ein ferner, fremder, sirenenhafter Inselklang: Wie Hebe kühn und jugendlich ungestüm – Wie mit dem goldnen Köcher Latonens Sohn – Unsterblich sing' ich meine Freunde – Feyernd in mächtigen Dithyramben! Woher dieser Schwung, diese stolze Verwegenheit, dieser blitzhafte Sprung der Gedanken und Bilder?

Wird jeder Dichter erweckt durch ein Vorbild, dem er sich hingibt, könnte ihn das Vorbild doch nicht erwecken, wenn nicht ein Funke in ihm wäre, der ungeduldig zuckte, zur Flamme zu werden, ohne eine schwebende Ahnung, der zu deutlicher Ausprägung das Bewußtsein fehlt. Der Ursprung des Flammenkeims in der Seele des jungen Klopstock ist ein Geheimnis; das Vorbild war neben den antiken Dichtern, die er in Schulpforta studiert hatte, der englische Dichter Milton. Als der junge Klopstock die Schule verließ und sich der Sitte gemäß mit einer lateinischen Rede verabschiedete, feierte er darin Milton mit einer freien Begeisterung, die die Zuhörer in Erstaunen setzte.

Klopstocks Dichtung war das erste Zeichen der Abwendung des deutschen Geistes vom Einfluß Frankreichs. Derselbe hatte hauptsächlich die Höfe und die mit ihnen zusammenhängenden Kreise beherrscht, unter den Gebildeten waren immer solche gewesen, die ihn als störend empfunden und getadelt hatten. Der englische Einfluß griff tiefer in das Volk hinein und wurde mit dem Bewußtsein aufgenommen, daß er von einem verwandten Volke kam und die Deutschen zu ihrem eigenen verschütteten Wesen zurückführe. War nun auch Klopstock durch die englische Literatur beeinflußt, so hatte er doch auch in der eigenen Heimat eine Quelle, in der die deutsche Sprache sich erneuern konnte: das war hauptsächlich die Bibel. Im Volke, soweit es protestantisch war, wurde die Bibel sehr viel gelesen, ja in manchen Kreisen las man nichts anderes; sie hatte auf Gesinnung und Ausdrucksweise großen Einfluß. In der Sprache des Volkes hatte sich viel von der alten Kernigkeit erhalten. Ohne diesen in der Verborgenheit stetig dahinrauschenden Strom wäre das plötzliche Hervorblühen einer reifen Dichtung nicht möglich gewesen. Klopstock wie Lessing und Goethe waren bibelkundig, Voß schulte sich bewußt durch die Luthersche Bibelsprache zur Übersetzung des Homer. Herder machte auf die Schönheit der älteren Volksdichtung aufmerksam, das lange verachtete Mittelalter wurde als ein Hort edelsten deutschen Wesens geschätzt.

Stolz und freiheitliebend war der neue deutsche Dichter, ein unabhängiger Charakter, frei von der Untertanenseligkeit, die das deutsche Volk entstellte. Staunend sah man die flammende Garbe seiner Poesie aufschießen; aber es war so, als habe die Asche im Busen des Volkes noch etwas Glut geborgen, die auf eine zündende Kraft gewartet hätte. Gellert, der Vielgepriesene, bekannte, daß hier ein Höherer erschienen sei. Klopstock selbst war sich bewußt, wie ehrlich er auch Gellerts Tugenddichtung rühmte, anders zu sein als die, welche vor ihm gereimt hatten und gleichzeitig mit ihm reimten, und etwas anderes als diese zu wollen. Er hatte ein Gefühl von der seherischen Kraft des Dichters und von seiner verantwortlichen Aufgabe, das Volk zu führen. Auch er wollte es die Tugend lehren; aber aus jeder Zeile seiner Dichtung sprach die Gewißheit, daß Tugend eine Kraft ist. Das Bewußtsein seiner hohen Aufgabe ließ ihn zuweilen feierlich erscheinen; aber ohne daß er die Unbefangenheit verloren hätte, die Natur und Vaterhaus ihm mitgegeben hatten. In einer herrlichen Ode schildert er, wie er die britische und die deutsche Muse zum Wettkampf sich rüsten sieht. Er sieht die junge deutsche Muse, der die Locke golden um die flammende Wange fliegt, ehrfürchtig und doch mit edlem Selbstbewußtsein neben der britannischen. Er läßt die Göttinnen sich großherzig begrüßen, er hört die Trompete des Heroldes, beugt sich herzklopfend vor – aber Staub fliegt auf und verhüllt die mit Adlereile Dahinfliegenden, sein Blick verliert sie. Eine neue Epoche schien für Deutschland anzubrechen. Mit einem großen Wurf, maßlos kühn hatte das Bürgertum die geschichtliche Bühne betreten. Denn, wenn Klopstock auch nicht als Vertreter des bürgerlichen Standes, sondern als Dichter für uns bedeutungsvoll ist, so war doch der Umstand, daß er und alle die großen Geister jener Zeit aus dem bürgerlichen Stande hervorgingen, ein Zeichen für die Reife dieser Schicht, die Führung des Volkes zu übernehmen. Es war nicht mehr der mittelalterliche Stadtbürger, sondern der deutsche Bürger oder der deutsche Gebildete, der, von Friedrich dem Großen dazu bestimmt und darauf beschränkt, die Wissenschaften zu studieren und durch Großbetrieb in Handel und Gewerbe Geld zu verdienen, sich bald anschicken sollte, mit diesen Mächten, Bildung und Geld, den Adel aus seiner herrschenden Stellung zu verdrängen.


 << zurück weiter >>