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Friedrich der Große hatte die Gelegenheit, sein Land ohne Krieg zu vergrößern, mit Begier ergriffen; des Kriegführens war er aufrichtig müde. Er war früh gealtert und fühlte sich den Beschwerden des Krieges nicht mehr gewachsen, von seinen großen Offizieren waren die meisten gefallen, seinem verarmten Volke durften keine Opfer mehr zugemutet werden. Er glaubte nicht mehr an sein Glück. Maria Theresia, die nicht selbst zu Felde ziehen konnte, hatte nur Kriege geführt, weil die Verhältnisse sie dazu zwangen, das Alter vermehrte noch ihre Abneigung dagegen. Ganz anders war es um Joseph bestellt. Er brannte danach, sich mit Friedrich zu messen, sich der Welt als dem bewunderten Helden ebenbürtig zu zeigen. Friedrich beurteilte ihn richtig, indem er ihn für unbändig ehrgeizig hielt. Von Jugend auf hatte er sich auf den Zweikampf mit Friedrich vorbereitet, er hatte sich in den Waffen geübt, durch strenge Abhärtung seinen zarten Körper zu stählen gesucht, die Kriegswissenschaft studiert, das Heer auf guten Fuß gebracht. Zwei bedeutende Generale, der Irländer Lascy und der Schotte Laudon, waren ihm aus der großen Epoche seiner Mutter geblieben und standen ihm treu zur Seite. Indessen ging er nicht nur auf Ruhm, sondern auch auf Ländergewinn aus und richtete dabei seinen Blick auf die Türkei und auf Bayern. Der Gedanke an Bayern lag nicht fern: weder Bayern noch Österreich hatten vergessen, daß sie einst ein einziges Land gebildet hatten, Jahrhunderte hindurch hatten sie durch wechselseitige Heiraten den Zusammenhang zu erhalten gesucht, aber grade der von der stärkeren Macht beanspruchte Zusammenhang hatte nicht selten zum Widerstand und Abfall Bayerns geführt. Eine günstige Aussicht schien sich für Österreich zu eröffnen, wenn Maximilian Joseph, der Sohn des glücklosen Kaisers Karl VII., der keine Kinder hatte, stürbe. Ihm würde das Haupt der pfälzischen Linie, Karl Theodor, folgen, ein Fürst, der mehr Sinn für ein genußreiches Leben als für Regierungsgeschäfte hatte und bereit war, gegen eine erhebliche Summe große Teile seines künftigen Reiches abzutreten. Mit ihm setzte sich Joseph heimlich in Verbindung und erwirkte ein seinen Absichten genügendes Versprechen für den Fall, daß er durch den Tod Maximilian Josephs Herr von Bayern würde. Unerwartet schnell kam es dazu, indem der letzte Wittelsbacher bayrischen Stammes, erst 57 Jahre alt, im Jahre 1777 starb. Sofort besetzte Joseph Bayern, und Karl Theodor hielt Wort, indem er es duldete.
Kaum wurde Josephs Absicht bekannt, als Friedrich der Große beschloß, ihm entgegenzutreten. Wie friedliebend er auch war, er wollte, wie er selbst sagte, lieber zugrunde gehen, als eine Vergrößerung Österreichs leiden. Die Rechtsgründe, auf die Joseph seine Ansprüche auf Bayern stützte, gingen auf mittelalterliche Verwandtschaften und Erbverträge zurück und ließen sich leicht als nicht stichhaltig nachweisen; jeder Fürst hatte einen Haufen alter Pergamente, aus denen er die grade beliebten Rechtstitel ableiten konnte. Später sagte Friedrich einmal, wenn Joseph sich mit ihm verständigt und ihm einen entsprechenden Gewinn zugesichert hätte, dann würde er ihm den seinigen gelassen haben. Man mag das dahingestellt sein lassen; jedenfalls kehrte Friedrich die Entrüstung des Reichsfürsten und des Menschen über Josephs machiavellistische Machenschaften heraus. Er setzte sich mit dem Herzog von Zweibrücken, dem voraussichtlichen Nachfolger Karl Theodors, in Verbindung und erhielt von diesem die Zusicherung, daß er in eine Zerstückelung Bayerns niemals willigen würde. Da Joseph sich weigerte, das besetzte Gebiet herauszugeben, mußte es zum Kriege kommen. Beide Monarchen führten ihre Truppen ins Feld. Für Joseph war nun der ersehnte Augenblick gekommen, wo er seine Kriegskunst erweisen konnte; allein seine Lage war erschwert durch den Umstand, daß er noch nicht Alleinherrscher, sondern Mitregent seiner Mutter war. Der Krieg wurde in ihrem Namen geführt, ein Krieg, den sie so wenig billigte wie früher die Teilung Polens; sie hatte kein Herz zu einer so willkürlich herbeigeführten Sache. Ihre Abneigung gegen die Wendung, die die Dinge genommen hatten, war so groß, daß sie sich dazu überwand, hinter dem Rücken ihres Sohnes ihrem verhaßten alten Feinde, dem König von Preußen, Friedensvorschläge zu unterbreiten. Die Sorge um ihren Staat und um ihren Sohn war stärker als ihr Stolz. Friedrich war hocherfreut über die Möglichkeit, den Krieg zu vermeiden, aber er blieb unerschütterlich dabei, daß kein Stück von Bayern an Österreich fallen dürfe. Es erbitterte Joseph, daß seine Mutter ihm heimlich entgegenarbeitete und ihn vor seinem Gegner demütigte, dessen Mißgunst unüberwindlich war, und der Ausbruch ernstlicher Feindseligkeiten stand bevor. Da änderte sich alles durch die Dazwischenkunft Rußlands. Katharina gab zu verstehen, daß sie im Kriegsfall ihrem preußischen Verbündeten zu Hilfe kommen werde, und vor dieser Drohung wich Joseph zurück. Es kam zum Frieden, in dem er sich mit einem kleinen Stück Bayerns, dem zwischen Donau, Salzach und Inn gelegenen sogenannten Innviertel, abfinden ließ, einem Frieden, dessen Garantin die Zarin war. Joseph wurde inne, wie sehr das Auftauchen des russischen Kolosses die politische Lage im Osten verändert hatte. Einst war Österreich der Schutzwall gegen die Türkei gewesen und hatte hoffen können, den ungläubigen Nachbar mit der Zeit ganz zu verdrängen und sein Erbe zu werden. Jetzt kam es mit seinen in schweren Kämpfen erworbenen Ansprüchen einem anderen Reich ins Gehege, das uralte Rechte an das kaiserliche Byzanz geltend machte, einem Reich, das wie ein Erdteil war, mit unendlichen schneebedeckten Steppen, mit schwarzen, undurchdringlichen Wäldern, mit Völkern, unbekannten, wilden, die zahllos aus dem Dunkel hervorbrachen. Der schlaue König von Preußen hatte die Bedeutung der neuen Macht erkannt und es verstanden, indem er auf ihre Pläne einging, sich gut mit ihr zu stellen. Nun kam es für Joseph darauf an, Katharinas Freundschaft zu erwerben, von den beiden königlichen Bewerbern der Bevorzugte zu werden; denn der Verbündete Rußlands würde das Übergewicht im Osten haben.
Im Frühling des Jahres 1780 führte er seinen Plan aus: er traf zuerst im eroberten Polen mit Katharina zusammen, dann besuchte er sie in Petersburg. Seine anmutige Erscheinung, sein unbefangenes Wesen, die gewählte Form seiner Schmeicheleien machten Eindruck auf die für männliche Vorzüge empfängliche Kaiserin. Die beiderseitigen Absichten auf die Türkei, die trennend hätten wirken können, wurden zunächst ein Mittel der Vereinigung, indem man verbunden desto mehr auszurichten hoffen konnte. Katharina erinnerte daran, daß es einst ein oströmisches Reich mit der Hauptstadt Byzanz und ein weströmisches mit der Hauptstadt Rom gegeben habe. Der junge Kaiser hatte in der Tat den preußischen Freier ausgestochen.
Die Annäherung Rußlands an Österreich war für Preußen eine diplomatische Niederlage. Der Herzlichkeit, die Friedrich in den persönlichen Begegnungen mit Joseph zur Schau trug, hatte niemals ein aufrichtiges Gefühl entsprochen; von Herzen kam es ihm, wenn er ihn den Cäsar der Avaren, den bösen Dämon oder den verfluchten Wiener Tyrannen nannte. Er hegte die ausschweifendsten Vorstellungen von den welterobernden Plänen des Kaisers und der Zarin. Seine Absicht, sich Bayern anzueignen, hatte Joseph schon gezeigt, und es war die Rede davon, daß er auch auf Schwaben alte Ansprüche geltend machen wollte.
Einige Monate nach dem Besuch Josephs in Petersburg schied Maria Theresia aus dem Leben; sie starb inmitten ihrer aufgeregten und gerührten Umgebung in fürstlicher Haltung. Da Joseph nun keine Rücksicht mehr zu nehmen und keine Eingriffe mehr zu fürchten brauchte, nahm er seinen Plan, Bayern mit Österreich zu vereinigen, wieder auf. Diesmal dachte er durch Tausch mit den Niederlanden sein Ziel zu erreichen, wie das schon mehrmals, namentlich zur Zeit des Sukzessionskrieges, ins Auge gefaßt worden war. Karl Theodor, offenbar ein handlicher Mensch, erklärte sich einverstanden, und Katharina war bereit, zur Unterstützung ihres Freundes einen Druck auf den Herzog von Zweibrücken auszuüben. Als Herr der Niederlande sollte der ausgebootete Kurfürst von Bayern den Titel eines Königs von Burgund führen. Obwohl der Tausch nicht als eine Vergrößerung Österreichs anzusehen war, so bedeutete er doch durch die Lage Bayerns eine Verstärkung Österreichs im Reich, eine Verstärkung im Gegensatz zu Preußen, und Friedrich war entschlossen, das zu verhindern. Er bediente sich der alten Deklamationen von der fürstlichen Libertät, die vor der Habgier des Hauses Österreich geschützt werden müsse.
In seinem Testament hat Friedrich seinen Nachfolgern den Rat gegeben, sich Sachsen anzueignen, womöglich auf die Art, daß Böhmen und Mähren erobert und dann gegen Sachsen getauscht würden. Er war so sehr an machiavellistische Politik gewöhnt, daß er vermutlich nur gelacht hat, wenn er diese Anweisung mit seinen Tiraden gegen Josephs Habgier verglich. Er gewann zunächst Hannover und Sachsen zur Gründung des Fürstenbundes. Die schwächeren Staaten fürchteten zwar Preußen fast mehr als Österreich, hielten es aber doch für geraten, der Einladung zum Beitritt Folge zu leisten.
Allerdings hatte, es ist nicht zu leugnen, die eigentümliche Gewaltsamkeit in Josephs Charakter Mißtrauen gegen ihn erregt. Trotz seiner ihm mit Recht nachgerühmten Humanität ging er bei der Durchführung seiner Pläne so geschoßmäßig hinfeuernd vor, als ob er allein auf der Welt sei, als ob rechts und links nichts und niemand etwa Einsprache erheben oder Widerstand leisten könne. Die Holländer hatten laut älterer Verträge das Recht, einige niederländische Festungen zu besetzen und die Schelde für die niederländische Schiffahrt zu sperren. Das war sicherlich ein unnatürlicher Zustand, der nur durch die besondere Lage Österreichs am Ende des Spanischen Erbfolgekrieges zu erklären war und den ein mächtigerer Kaiser abzuschaffen suchen mußte. Auch hätten die Holländer vermutlich das Recht der Festungsbesetzung, das inzwischen sinnlos geworden war, freiwillig fallen lassen, wenn Joseph mit ihnen verhandelt hätte; aber er zog es vor, sie zu überrumpeln und durch Drohungen zu zwingen. Es gelang ihm in bezug auf die Festungen, nicht aber in bezug auf die Eröffnung der Schelde, und er mußte, um einen Krieg zu vermeiden, einlenken, nachdem er sich das allgemeine Mißfallen zugezogen hatte.
Durch die Gründung des Fürstenbundes vereitelte Friedrich der Große den Tausch, der Österreichs Stellung im Reich verstärkt und die Niederlande für immer mit dem Reich vereinigt hätte. Zur Zeit, als Waldeck an einer Allianz unter Führung Preußens arbeitete, bekämpfte er auch Österreich, aber er dachte doch an das Reich. Friedrich dachte nur an Preußen. Wenn er, der einst drauf und dran gewesen war, mit Hannover zusammen aus dem Reichs verband auszuscheiden, der sich immer mit Säkularisationsplänen trug, jetzt plötzlich sich als getreuer Reichsfürst auftat und sich bewundern ließ, weil er die durch den Westfälischen Frieden festgesetzte Reichsordnung erhielt, so war es nur eine Maske, hinter der er Österreich schaden konnte. Daß eine Verstärkung Österreichs durch die Verschmelzung mit Bayern und eine festere Verbindung der Niederlande mit dem Reich für Deutschland ein Glück sein könne, kam für ihn nicht in Betracht, so wenig wie er die Wiedererwerbung des Elsaß wünschte. Der Verlust dieses schönen Landes und Straßburgs, der alle Deutschen schmerzte, war ihm nicht nur gleichgültig, im Gegenteil, er tat, was er konnte, um es bei Frankreich zu erhalten, damit es nur nicht zu Österreich zurückkehre. Er schämte sich nicht, bei der Gründung des Fürstenbundes das Ausland als Bundesgenossen der ständischen Unabhängigkeit anzurufen und seine Angst vor einem monarchisch geeinten und dadurch starken Deutschland zu reizen. Das herkömmliche Kirchengebet für den Kaiser stellte er unterderhand ab.
Ein Jahr, nachdem er sein Werk, auf das er stolz war, den Fürstenbund, vollendet hatte, starb Friedrich der Große. Nach seinem Tode wünschte Joseph sich Preußen zu nähern. »Wenn das Haus Österreich und das Haus Brandenburg«, schrieb er an Kaunitz, »sich aufrichtig verbinden, so haben sie sich weder vor einer noch vor mehreren verbündeten Mächten zu fürchten und sind nicht bloß Schiedsrichter über Deutschland, sondern über ganz Europa. Sie können das Glück ihrer Untertanen bewirken und ihre Staaten blühend machen. Das ist eine Wahrheit, die man mathematisch nachweisen kann.« Wie einleuchtend den Späteren der Gedanke ist, daß Preußens und Österreichs Zusammengehen dem Reiche dienlich sein würde, so wenig überzeugend war er den Zeitgenossen. Kaunitz hielt an dem von ihm geschaffenen Bündnis mit Frankreich fest; eine innigere Verbindung mit Preußen, meinte er, würde demselben schaden. Die preußischen Minister vollends fanden aus dem herkömmlichen Gegensatz gegen Österreich nicht heraus. Friedrich hatte es dahin gebracht, daß das Band zwischen den beiden mächtigsten deutschen Staaten zerschnitten und damit die Einheit des Reiches aufgelöst und seine Kraft gelähmt war.
Der Kaiser überlebte seinen großen Gegner nur um fünf Jahre, die voll von Kämpfen und Enttäuschungen waren. Der Versuch, seine Reformen in den Niederlanden einzuführen, bewirkte ihren Abfall; es wiederholte sich der Vorgang, der im 16. Jahrhundert die Losreißung der holländischen Provinzen von Spanien zur Folge gehabt hatte. Wie in Holland, so bestanden auch in den Niederlanden mittelalterliche Verhältnisse in bezug auf die Staatsformen. Die Theorie von der einheitlichen Staatsgewalt und dem unumschränkten Recht des Landesherrn war hier nicht durchgedrungen. Noch bestand in Brabant die berühmte Blyde Inkomst oder Joyeuse entré zu Recht, ein Vertrag zwischen dem Landesherrn und den Ständen, der den letzteren erlaubte, den Herrn abzusetzen, wenn er ihre Privilegien und Freiheiten verletzte. Die Stände besaßen das kostbare Recht der Steuerbewilligung. Joseph II., dem Korporationen schon ein Dorn im Auge waren, litt die ihm gezogenen Schranken sehr ungern, und er glaubte, seine Regel, in großen Dingen einen die Knoten zerhauenden Schlag zu tun, würde auch hier zum Erfolge führen. Indessen erhob sich über Klosteraufhebungen, Einsetzung landesherrlicher Beamter, willkürliche Steuererhebung und ähnliche Maßnahmen lebhafter Widerstand auf Grund der Joyeuse entré, so daß Joseph glaubte, versichern zu müssen, er werde die beschworenen Verträge halten. Doch war er weit entfernt, seine Pläne aufzugeben, sondern meinte, wenn seine Untertanen die guten Folgen seiner Einrichtungen erlebten, würden sie einsehen, daß er nur ihr Glück bezwecke. Sie waren jedoch entschlossen, dies nicht abzuwarten, und es kam zu Tumulten, die Joseph veranlaßten, die Joyeuse entré für verwirkt zu erklären. Er war um so mehr erstaunt über die Einsichtslosigkeit des belgischen Volkes, als sich an seiner Spitze die Edlen der Nation, wie er selbst sagte, befanden. Es sei auffallend, schrieb er dem Grafen Trautmannsdorf, daß sich der Geist der Widersetzlichkeit in Europa grade in einem Jahrhundert verbreite, wo gute Könige regierten. Man habe sich von der Aufklärung mehr Ordnung im bürgerlichen Leben und Folgsamkeit für die Gesetze versprochen, da sie die notwendige Folge des Nachdenkens gutgesinnter Untertanen sein müßte. Der menschliche Geist geriete vielleicht in ein Labyrinth, wenn er die Ursachen aufspüren wollte, die so viele Bewegungen hervorbrächten. Es war zwei Jahre vor dem Ausbruch der Französischen Revolution. Auch Friedrich der Große, der drei Jahre vor dieser Revolution starb, spürte das unterirdische Wühlen so wenig, daß er meinte, das Zeitalter der Revolutionen sei abgeschlossen. Es hängt wohl mit der inneren und äußeren Abgeschlossenheit der Despoten zusammen, wenn sie nicht ahnen, was ihre Völker bewegt.
Wenn Joseph den Niederländern gegenüber nicht so scharf durchgriff, wie es sonst seine Methode war, sondern zwischen Strenge und Nachgiebigkeit schwankte, war unter anderem der drohende Türkenkrieg schuld daran. Katharina führte einen Zusammenstoß mit der Pforte absichtlich herbei, wobei es sich zunächst um den Besitz der Krim handelte. Als die Zarin den Kaiser an seine Bundespflichten mahnte, überlegte er, ob es ratsamer sei, sie mit Truppen zu unterstützen oder als selbständig kriegführende Macht aufzutreten, und er entschloß sich zu letzterem. Bei seinem Besuch in Petersburg hatte er die barbarisch gewaltige Machtentfaltung Rußlands gesehen und glaubte, ihr von Anfang an standhalten zu müssen, um nicht von ihr verschlungen zu werden. Er begab sich mit seinen altbewährten Heerführern Laudon, Lascy und Haddik auf den Kriegsschauplatz und zog sich dort eine Lungenentzündung zu, der er im Anfang des Jahres 1791 erlag, nachdem er noch den endgültigen Abfall der Niederlande hatte erleben müssen. Im selben Jahre folgten ihm im Tode die beiden Alten Laudon und Haddik und der junge Mozart.
Der menschliche Geist wird durch alles erquickt, was aus der Natur, das heißt aus der Welt des Lebendigen, zu ihm hinströmt, der aus eigenem Wesensgrunde Wachsenden, in die wir hineingeboren werden. Wir können aus der Natur wohl Regeln und Gesetze herausziehen, die unserem Verstände entsprechen, aber das ist nicht sie selbst; ihr Eigenstes ist immer überraschend, immer wechselnd, unerschöpflich, unergründlich, von keiner Regel einzufangen, neu, als sei es eben der göttlichen Hand entsprungen. Deshalb entzückt uns an den Menschen oft grade das, was als ein Widerspruchsvolles, ja vielleicht als ein Frevelhaftes uns anstößig sein könnte, wenn es uns nur die dem Richtscheit spottende Macht und Fülle der Natur offenbart, während uns das Tadellose mit widriger Kälte anrühren kann. Aus diesem Grunde reißt uns das Menschlich-Lebendige in Friedrich dem Großen fast wider Willen hin, während uns seine Härten und Einseitigkeiten abschrecken, dagegen hat die Humanität des unglücklichen Joseph nichts Beglückendes, weil sie sich wie ein Paragraph aus der Aufklärungsphilosophie von seiner Seele ablöst. Die abgesonderte Stellung des unumschränkten Monarchen, die ihn aus dem erfrischenden Strom der menschlichen Beziehungen, freundlichen und feindlichen, heraushebt, überliefert sie leicht den Erstarrungen und Verkrampfungen, die wir Wahnsinn nennen; daran erinnert bei Friedrich und Joseph ein eiskalter Hauch, der von ihnen ausgeht. Bei Joseph ist er über sein ganzes Wesen ausgebreitet, während er bei Friedrich im Gegensatz zu den Augenblicken wärmster Lebendigkeit auffällt. Unter seinen Äußerungen sind wohl solche, die durch überhebliche Härte und Verständnislosigkeit abstoßen, aber die Frische der Natur und der Schmelz des Humors und der Wehmut verleihen ihnen einen unverwischbaren Reiz und prägen sie dem Gedächtnis ein. Man vergißt die unzähligen Anekdoten nicht, die von ihm erzählt werden; es gibt fast noch mehr aus Josephs Leben, aber sie bringen ihn uns nicht, näher. Seine großherzige Mutter klagte einmal gegen Lascy, ihr Sohn sei unglücklich, weil er niemanden liebe. Lieben ist sich selbst vergessen, und das konnte Joseph nicht. Während seiner Regierung erschien eine Schrift unter dem Titel: Warum wird Kaiser Joseph von seinem Volke nicht geliebt? Darin wurden nacheinander alle die Wohltaten aufgezählt, mit denen er sein Volk beglückt habe, und jede Nummer endete wie mit einem Kehrreim mit der Frage: Warum wird Kaiser Joseph trotzdem von seinem Volke nicht geliebt? Sprach sich darin zum Teil auch die Selbstsucht derjenigen Kreise aus, die durch des Kaisers Reformen etwaiger Vorrechte beraubt waren, so doch auch zugleich das Gefühl, daß die vielbewunderten blauen Kaiseraugen das Volk, das er beglücken wollte, gar nicht sahen, sondern wie über einen gleichgültigen Gegenstand darüber hinschauten.
Dennoch, wer möchte behaupten, daß es nicht sein ernster Wille gewesen sei, seine Untertanen glücklich zu machen? Ebenso wie Friedrich der Große hat er als ein Diener des Staates gearbeitet, dessen Herr er war und sein wollte. Wenn er die Pflicht wie einen Hammer gebrauchte, hat er ihn zuerst gegen sich selbst geschwungen. Und der undeutschen Gesinnung Friedrichs des Großen gegenüber, wie wohltuend berührt das Wort des Kaisers, das er in einem Brief an Dalberg aussprach: »Ich bin stolz darauf, ein Deutscher zu sein.« Er war mehr nationalistischer Deutscher, als der Herrscher des universalen Österreich hätte sein dürfen. Zu sehr seiner selbstbewußt, und über die anderen hinwegsehend, erschrak er, als die Gegenstände, mit denen er hantierte, sich plötzlich bewegten und gegen ihn empörten. War das möglich? Hatte er doch, wie er selbst sagte, keine Arbeit und Mühe und selbst Qualen nicht gescheut, um sie glücklich zu machen! Welche Tragödie, über Undankbare zu herrschen! Er schrieb sich selbst die Grabschrift: Hier ruht ein Fürst, dessen Absichten rein waren, der aber das Unglück hatte, alle seine Entwürfe scheitern zu sehen. Das Alter hätte ihm vielleicht noch mehr trübe Erfahrungen gebracht, die Früchte seines Geistes aber süßer ausreifen lassen; indessen auch das gehört zu seiner Person und seinem Schicksal, daß er sich früh ausgelebt hatte.
Auch Friedrichs Tod wurde von seinem Volke nicht beklagt. Seine lange Regierung wurde mehr und mehr als Druck empfunden, besonders hatten die Beamten, hohe und niedere, darunter gelitten und waren verbittert und unzufrieden. Alle die Schäden machten sich bemerkbar, die mit einer Regierung zusammenhängen, welche ein einziger selbst führen will, ohne doch alles überblicken und alles richtig beurteilen zu können. Obenhin haspelte die stramm aufgezogene Maschine ihre Aufgabe ab, darunter höhlten Gleichgültigkeit und Widerstreben das Fundament aus. Gleich nach dem Tode Friedrichs urteilte Graf Münster, die preußische Monarchie sei jetzt so beschaffen, daß sie einem Unglück nicht standhalten würde. Er schrieb das den falschen Maßregeln eines rein fiskalischen Systems zu. Sogar das Heer, Friedrichs Stolz und Ruhm, war bedenklich herabgekommen; Drill und Kleinigkeitskrämerei, die Bewertung des Mechanischen nahmen zu, während die guten Köpfe fehlten. »Das ist die Wirkung des Despotismus«, sagte Prinz Heinrich, der als scharfer Kritiker neben seinem Bruder stand, »das ist die Wirkung der schlechten Beispiele, die eine ganze Nation verderben.«