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Straßburg

Fast immer sind Koalitionen im Nachteil gegen einen einzelnen Feind, selbst wenn sie ihm zahlenmäßig überlegen sind. Das Zusammenwirken des Kaisers mit dem Kurfürsten von Brandenburg gestaltete sich vollends unfruchtbar. Der Kurfürst beschuldigte die Kaiserlichen absichtlicher Untätigkeit, Montecuccoli zog sich zuerst vorübergehend, dann ganz von der Heeresleitung zurück. Es kam zu keinem nennenswerten Erfolg, der Tod Turennes, der bei Sasbach von einer Kugel getroffen wurde, blieb unausgenützt. Von diesen Unzuträglichkeiten abgesehen, sicherte ihre größere militärische Tüchtigkeit den Franzosen das Übergewicht. »Bei den Deutschen«, sagte Leibniz, »kein Schneid im Handeln, kein Geist in den Unternehmungen, keine Spur von Feldherrnkunst. Es war, wie wenn ein ungeschlachter Riese kämpfte mit einem geübten Fechter von Fach: jener plump, unbeholfen, dieser lebhaft, gewandt, sicher, mitten im Kampf kaltblütig, besonnen. Denn für die Franzosen gab Kunst, Geist und Schnelligkeit, nicht Macht und Wucht den Ausschlag, und ihre Pläne waren geheim, ihre Schläge nicht aufzufangen wie der Blitz, erst zu bemerken, wenn sie schon saßen. Die Führer Männer von Kopf, die Obersten und Hauptleute stramm im Dienst, alle der Belohnung sicher.« Dieses schneidende Urteil kann nur auf die Führung bezogen werden. Die deutschen Soldaten waren gut und sollten bald unter ausgezeichneten Führern ihre Leistungsfähigkeit beweisen.

Einen bedeutenden Erfolg errang die französische Diplomatie, als es ihr gelang, die Schweden zu einem Einfall in die Mark Brandenburg zu veranlassen. Der höfliche schwedische Anführer versicherte zwar, das solle keine Ruptur bedeuten; aber der Große Kurfürst nahm es für das, was es war, und kam ohne Zeitverlust seinem Lande zu Hilfe. In seinem eigenen Interesse verletzt, zeigte er, was er leisten konnte, wenn er wollte. In raschem Zuge führte er seine Truppen vom Rhein nach dem Osten, eroberte das von den Schweden besetzte Rathenow zurück, besiegte den Generallieutenant Wrangel in der Reiterschlacht bei Fehrbellin und jagte den Feind in der vielbewunderten Fahrt über die Eisfläche des Kurischen Haffs über die Grenze. Dann eroberte er Stettin und glaubte sich ein zweites Mal im Besitz von Pommern. Daß Ludwig XIV., dessen Absicht es durchaus nicht war, das Reich von den Schweden zu befreien, ihm die Beute entriß, erbitterte ihn nicht gegen den französischen König, sondern gegen den Kaiser, der ihn allerdings nach längerem Auf und Ab der Meinungen am Wiener Hofe preisgab. Der Friede von Nymwegen, der im Jahre 1679 den ersten Koalitionskrieg abschloß, war ein Triumph der französischen Diplomatie. Nachdem zuerst Holland, wo die Aristokratenpartei wieder zu Ansehen kam, sich durch einen vorteilhaften Handelsvertrag hatte gewinnen lassen, folgten Spanien und der Kaiser; da mußte auch Friedrich Wilhelm sich fügen. Von Groll gegen den Kaiser erfüllt, schloß er sich neuerdings eng an Frankreich. Ludwig XIV. konnte sorglos zu neuen Eroberungen schreiten.

Wenn er etwas rauben wollte, pflegte Ludwig vorher zu proklamieren, daß er nichts als den Frieden wünsche und nie etwas nähme, als was ihm gehöre. Was ihm gehöre, bestimmten die sogenannten Reunionskammern, deren Aufgabe es war, festzustellen, welche Gebiete von den Besitztümern Metz, Toul und Verdun jemals abhängig gewesen wären. Als die Kammern einmal, vom Eifer fortgerissen, auf diese Weise die Bistümer Straßburg, Speier, Worms, Trier und Mainz einforderten, soll selbst Louvois, der französische Kriegsminister, gelacht haben. Richelieu hatte diesen Weg vorgezeichnet, indem er im Jahre 1624 eine Kammer gründete, die den französischen Anspruch auf Lothringen zu begründen hatte, später galt er der Eroberung des Elsaß. Nach einer längeren Pause nahm die an das Parlament von Metz angeschlossene Reunionskammer im Jahre 1679 ihre Tätigkeit wieder auf, wobei angenommen wurde, daß die drei Bischöfe von Metz, Toul und Verdun als Kläger auftraten und die von ihnen abhängenden Vasallen zur Huldigung aufforderten, widrigenfalls ihre Gebiete ihnen aberkannt würden. Proteste wurden nicht beachtet. Als räumliche Grenze wurde der Rhein betrachtet, eine zeitliche Grenze gab es nicht, man ging bis auf Karl den Großen zurück. Er befürchte, sagte der österreichische Staatsmann von Hornigk, das um sich fressende Dependentienfeuer werde auch die rechtsrheinischen Lande ergreifen, und schließlich werde der König von Frankreich ganz Deutschland als abhängig vom Bistum Metz und als sein Eigentum erklären.

Es wird erzählt, Karl V. habe einmal gesagt, wenn Straßburg und Wien gleichzeitig von Feinden bedroht werden sollten, würde er zuerst Straßburg entsetzen. Als der Fall eintrat, stand ein schwächerer Fürst an der Spitze des Reiches, aber schwächer nicht nur durch seinen Charakter, sondern auch durch nicht von ihm verschuldete Umstände. Das Elsaß hatte er verloren, die Aussicht, es wiederzugewinnen, war gering, das Schwergewicht Österreichs hatte sich nach dem Osten verlagert. Nachdem der unglückliche Friede von Nymwegen geschlossen war, in dem Leopold sogar die Stadt Freiburg im Breisgau, ein Kleinod seiner Krone, geopfert hatte, stand er wieder allein, mit dem militärisch wichtigen Kurfürsten von Brandenburg war er sogar verfeindet. Im Osten bereitete sich die Türkei zu einem großen Schlage vor.

Ludwig XIV. hätte die heißbegehrte Reichsstadt Straßburg am liebsten durch Schmeichelei und Bestechung gewonnen. Wohl gab es in Straßburg seit mehr als 100 Jahren eine französische Partei, aber ausschlaggebend war sie nicht. Die Einwohner waren deutsch und wollten deutsch, wollten vor allem Reichsstädter bleiben, was sie auch im letzten Kriege durch die Tat bewiesen hatten. Die Reichsfreiheit war das Fundament ihres Wohlstandes und Ansehens; wie hätten sie darauf verzichten sollen! Sodann waren sie durchaus protestantisch. Die Stadt, die unter Führung des Stättmeisters Sturm und des Pfarrers Martin Butzer eine Säule der Reformation gewesen war, mißtraute dem katholischen Frankreich. Als im Herbst des Jahres 1681 französische Truppen sich um Straßburg zusammenzogen und ihre Absicht nicht mehr zu verkennen war, verbreitete sich Schrecken. Eine Aussicht auf Entsatz zeigte sich von keiner Seite. Ludwig hatte mit der Möglichkeit gerechnet, daß die evangelischen Orte der Eidgenossenschaft sich um der alten Bundesgenossin willen rühren würden; aber auch sie blieben still. Das Reich war wie gelähmt. Wohl brachte der Kaiser auf dem Reichstage eben damals eine neue Reichskriegsverfassung zustande; aber sie kam der bedrängten Reichsstadt nicht zugute. Der Magistrat war in großer Sorge, wie sich der notwendige Übergang an Frankreich vollziehen sollte, ohne daß es zu einem Aufruhr im Volke käme. Denn notwendig schien es, sich zu fügen, heroischer Untergang kam nicht in Betracht. Nicht einmal zu einem Tumult kam es; nach der Überlieferung verlangte ein einziges Männlein von 70 Jahren, ein Schneider, daß bis zum Tode für die Freiheit gekämpft werde. Er fand jedenfalls keinen Widerhall in der Bevölkerung: man ließ, wenn auch ungern, das Unvermeidliche geschehen. Daß tapferer Widerstand, wie Bremen ihn gegen Schweden gewagt hatte, wirksame Hilfe herbeigezogen hätte, ist nicht anzunehmen.

Am 30. September zog Louvois an der Spitze seiner Truppen in die gefallene Stadt ein. Nach den Bedingungen der Kapitulation blieb ihr die innere Verfassung erhalten; aber der Dom wurde dem katholischen Kultus zurückgegeben. Einige Tage später traf der berühmte Vauban ein, um die Grenzstadt zu einer uneinnehmbaren Festung zu machen. Im Oktober erfolgte der triumphale Einzug des Königs mit der ganzen königlichen Familie. An der Pforte des Münsters empfing den unblutigen Eroberer der Bischof von Straßburg, Egon von Fürstenberg, unter Ludwigs Kreaturen eine der verächtlichsten. Am selben Tage besetzten französische Truppen in Italien die Mantua gehörende Festung Casale.

Man kann wohl das Schuldverhältnis bei diesem traurigen Ereignis nicht richtiger beurteilen, als es Leibniz in einem lateinischen Gedicht getan hat: Deutschland an Straßburg: Schandfleck welchen der Rhein mit all seinen Wogen nicht abwäscht, daß du schweigend verdirbst, daß du das Reich mit verdirbst! Straßburg an Deutschland: Schandfleck welchen der Rhein mit all seinen Wogen nicht abwäscht, daß daliegen im Schlaf allzumal Kaiser und Reich.

Nachdem der Schlag gefallen war, fehlte es nicht an Bemühungen im Reich, Kräfte zum Widerstand gegen die Vergewaltigung zu sammeln; sie scheiterten hauptsächlich an der Weigerung des Kurfürsten von Brandenburg, der am Tage nach dem Fall Straßburgs dem französischen Gesandten einen mit Diamanten besetzten Degen schenkte und das Bündnis mit Frankreich erneuerte. Vergebens bestürmte der kaiserliche Gesandte, der von dem bereits abgeschlossenen Geheimbund nichts ahnte, das Gewissen Friedrich Wilhelms; dieser befürwortete eifrig den Verzicht auf die von Frankreich geraubten deutschen Gebiete. Von Brandenburg verlassen, von türkischer Übermacht bedroht, entschloß sich Leopold zu einem 20jährigen Waffenstillstand mit Frankreich, in welchem er für diese Zeitspanne den Verlust der von den Reunionskammern beanspruchten und eingezogenen Gebiete mit Einschluß Straßburgs anerkannte.

Viele geschichtliche Ereignisse sind durch den Willen handelnder Menschen bestimmt, andere führt eine Verkettung von Umständen herbei, die oft lange Zeit im Dunkeln verlaufen, bis im Augenblick der Reife sie ans Licht treten und sich entfalten. Aber das Unberechenbare hat auch seine Stelle. Der Dämon Zufall wirbelt festes Menschenwerk durcheinander, auf unentwirrbare Knäuel legt sich die lösende Hand des Todes. Daß sich zwei Augen schließen, kann das politische Bild der Erde verändern, auch daß zwei Hände sich zum Ehebunde vereinigen, konnte damals entscheidende Folgen haben. Im Jahre 1677 heiratete Wilhelm von Oranien die protestantische Tochter des katholischen Jakob Stuart, des Bruders König Karls II. von England, der, da Karl kinderlos war, sein Nachfolger sein würde. Noch war es eine ziemlich belanglose Verbindung; aber Ludwig XIV. erkannte die Gefahr, die daraus für ihn entstehen konnte, und empfand sie als Verlust inmitten seiner Siege. Seinem zähesten Feinde hatte sich ein Zugang zum englischen Thron eröffnet. Im Jahre 1679 starb der Kurfürst Ferdinand Maria von Bayern, der ein Vasall Frankreichs gewesen war; sein Sohn und Nachfolger wurde Kaiser Leopolds Schwiegersohn, Anhänger und siegreicher Feldherr. Die Politik des Anschlusses an Österreich am Anfang der Regierung Ferdinand Marias hatte bald der herkömmlichen Gegnerschaft weichen müssen. Sie wurde unterstützt durch des Kurfürsten Heirat mit Adelaide von Savoyen, einer Prinzessin, die Frankreich liebte und Österreich haßte und diese Richtung mit dem Feuer ihrer Natur und der Energie ihres Charakters am Hofe durchsetzte. In einem Punkte zwar bestand ein Gegensatz zwischen Frankreich und Bayern, insofern beide ein Anrecht auf die Krone behaupteten; doch hatte Ludwig so wenig Aussicht, sie zu erlangen, daß er davon absehen konnte; den bayrischen Anspruch auf Böhmen und einen Teil der Erblande erkannte er gern an. Ein merkwürdiger Umschwung erfolgte, als Adelaide die Heirat ihres Sohnes Max Emanuel mit einer Tochter des Kaisers ins Auge zu fassen begann. Sie erwartete so viel von dieser verheißungsvollen Verbindung, daß sie sie sterbend ihrem Sohne empfahl, während ihr ganzes Leben hindurch die Bekämpfung Österreichs und der Anschluß an Frankreich ihr Ziel gewesen war. Auch der Tod des Kurfürsten von Sachsen, der die Subsidien Frankreichs empfangen hatte, brachte einen Anhänger des Kaisers auf den Thron. Wunderbar mutet es ferner an, daß durch die Rücksichtslosigkeit Ludwigs XIV. im Leben und in der Politik zwei Männer, welche durch ihre Nationalität eher zu Frankreich gehörten, von dort nach Wien gedrängt wurden und als österreichische Feldherren dem Kaiser herrliche Siege erkämpfen sollten: Herzog Karl von Lothringen und Prinz Eugen von Savoyen. Wenn die bedeutungsvolle Stunde herannaht, strömt es von allen Seiten, wo vorher sich nichts regte, um das große Ereignis, sei es Sieg oder Untergang, ans Licht zu treiben.


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