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Bauernbefreiung

Während der auf die Entscheidung der Ritterwaffen gestellten Verhältnisse des Mittelalters verschlechterte sich schon früh die Lage der ursprünglich freien Bauern; dadurch, daß der Landesherr landesherrliche Rechte an den ritterlichen Adel verlieh, wurden die Adligen zu Grundherren der Bauern, die, losgelöst von der Landesherrschaft, völlig von ihnen abhängig wurden. Nur in einigen Gegenden des Reiches, in den Niederlanden, in der Eidgenossenschaft, in Tirol, in Westfalen erhielten sich freie Bauern. Die Lage der untertänigen Bauern war verschieden, im allgemeinen erträglich, nicht selten gut; erst als der Adel aufhörte, dem Kaiser Waffendienst zu leisten, und auf seinen Gütern lebte, begann sie sich ernstlich zu verschlechtern. Die Gutsherren trachteten nun danach, ihre Güter zu vergrößern und zwecks kostenloser Bewirtschaftung derselben die Dienste der Bauern entsprechend zu vermehren. Je mehr seit dem Beginn der kapitalistischen Zeit die Güter in Großbetrieb genommen wurden, desto gefährdeter war der Bauer. Irgendein Vorwand fand sich für den Gutsherrn, ihn von Haus und Hof zu treiben und sein Gut einzuziehen, man nannte dies tückische Verfahren das Abstoßen der Bauern oder das Bauernlegen. Wie leicht konnte der Bauer durch Krankheit verhindert werden, die vorgeschriebenen Dienste abzuarbeiten oder die geforderten Abgaben zu leisten. Anfänglich waren die Dienste, je nach der Gegend Fronden, Scharwerk oder Robott benannt, auf ein erträgliches Maß beschränkt. Hatten die Bauern auch das Feld des Herrn unentgeltlich zu bestellen, so war doch der Herr gehalten, sie während dieser Tage reichlich zu ernähren, in der mittelalterlich menschlichen Weise war man bedacht, den Frondienst durch allerlei Erquickung leidlich zu machen. Es war dafür gesorgt, daß dem Bauer Zeit genug blieb, sein eigenes Gütchen zu bewirtschaften. Mehr und mehr, namentlich seit dem unglückseligen Bauernkriege, setzten die Gutsherren sich über die vertraglichen Bestimmungen hinweg und verwandelten die bemessenen Dienste in ungemessene. Hatten die Bauern anfangs noch einigen Rechtsschutz genossen, so hörte das in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts auf, als die Fürsten sich die Unterwerfung des Adels mit Preisgabe der Bauern erkauften.

Merkwürdigerweise hat man zuweilen den Absolutismus gelobt, weil er die ungerechten Standesunterschiede beseitigt und alle Untertanen gleichmäßig dem Staat unterworfen habe. Vielmehr gelang es den Fürsten gerade dadurch sich absolut zu machen, daß sie den Adel auf seinen Gütern so unbeschränkt schalten und walten ließen, wie sie selbst in ihrem Lande schalteten. Dadurch geriet der Bauer in eine Untertänigkeit, die der Sklaverei fast gleich war. Damit er seinem trostlosen Zustand nicht entweiche in der verzweifelten Hoffnung, es anderswo besser zu treffen oder wenigstens das Elend einmal zu wechseln, wurde die Freizügigkeit aufgehoben, und der Bauer an die Scholle gebunden. Nur der Tod konnte ihn frei machen. Damit der Herr auch im Hause eine billige und gefügige Dienerschaft habe, wurde der Gesindezwang eingeführt. Die Heirat war vom Willen des Herren abhängig. Das schlimmste war, daß der Gutsherr auch die Gerichtsbarkeit über seine Bauern hatte, daß es also kein Recht für ihn gab. Von der Wiege bis zum Grabe war er unter die Hand seines Herrn gebeugt. Die Hand konnte härter oder gelinder sein, der Druck wurde unablässig empfunden.

Auch der despotischste Herrscher muß sich auf irgendeine Schicht des Volkes stützen, die ein Interesse daran hat, seine Herrschaft zu erhalten. Die absoluten Fürsten des 17. und 18. Jahrhunderts stützten sich auf den Adel. Der Adel bequemte sich dazu, auf seine ständischen Rechte dem Fürsten gegenüber zu verzichten, dem Landesherrn als Beamte und Offiziere zu dienen, dafür wurde er der unanfechtbare Herr seiner Bauern. Allmählich zeigte sich, daß der Adel, wie unterwürfig er sich auch gab und wie schmiegsam er sich auch mancher Gewalttätigkeit fügte, doch unversehens ein Netz um den Despoten geknüpft hatte, das ihm viel von seiner Willensfreiheit nahm.

Die Nützlichkeit der Bauern war zu auffallend, als daß die Landesherren nicht hätten wünschen sollen, den Nutzen ganz auf ihre Seite zu ziehen. Sie sahen das Bauernlegen ungern, durch welches steuerbare Bauern verelendet wurden. Das persönliche Schicksal der so tief unter ihnen stehenden Leute bekümmerte sie nicht; aber alle Untertanen interessierten sie als Einnahmequelle. Die Hoffnung auf Steigerung der Einnahmen lenkte gelegentlich den Blick Friedrichs des ersten Königs von Preußen, auf die Bauern. Ein Mann namens Lüben von Wulffen machte den Vorschlag, die königlichen Domänen zu zerschlagen und die gewonnenen kleinen Stellen Bauern in Erbpacht zu geben. Die Kommission, die eingesetzt wurde, den Vorschlag zu begutachten, empfahl ihn in der Meinung, es würden dadurch große Summen in die königliche Kasse fließen, vorausgesetzt, daß viele Bauern die Pacht erkaufen wollten. Im Stile und in der Denkungsart des 17. Jahrhunderts unterstützten sie das Projekt auch deshalb, »weil die Leibeigenschaft unter Christen billig nicht stattfinden solle«. Das Unternehmen scheiterte an der Unzuverlässigkeit der Beamten, vielleicht auch daran, daß das ersehnte Geld nicht sofort herzuströmte und man nicht Geduld hatte zu warten. Lüben fiel in Ungnade und wurde, da er klüglich aus den preußischen Grenzen entflohen war, als Vagabund verfolgt.

Für Friedrich Wilhelm I. kamen die Bauern als Soldaten in Betracht. Wie andere Fürsten Gemälde oder Edelsteine sammelten, so sammelte er großgewachsene Leute, meist waren es Bauern, wog sie, maß sie, verglich ihr Maß mit dem der Soldaten anderer Fürsten, uniformierte sie und ließ sie paradieren. Am meisten freuten sie ihn, wenn es Landeskinder waren, dann konnte er eher hoffen, daß sie nicht desertierten. Wie gedrückt die Lage der Bauern auch war, freiwillig wurden sie nicht Soldaten; es scheint, daß sie die Szylla der Leibeigenschaft der Charybdis der Soldatenknechtschaft vorzogen. Daß die Soldaten bei den Bauern einquartiert wurden, bedeutete eine vermehrte Belastung, die ohnehin fast unerträglich war. Wenn in Preußen der Adel auch nicht völlig steuerfrei war, so zahlte der Bauer doch erheblich mehr, erheblich mehr auch als der Bürger. In Cleve zum Beispiel steuerte ein armer Bauer dreimal mehr als der reichste Bürger. In Hinsicht auf den Adel kam noch dazu, daß ihm möglichste Erleichterung, wenn nötig sogar Unterstützung gewährt wurde, während vom Bauer die Steuer mit unnachsichtiger Härte eingetrieben wurde. Weichherzig war Friedrich Wilhelm I. nicht. Wenn er wünschte, daß es dem Bauer in seinem Lande gut gehe, daß er Fleisch und Speck zu essen habe, so war das so wie ein Bauer sein Vieh gut versorgt und mit Behagen den glatten Bauch seiner Kuh streichelt, die ihn ernährt. Immerhin vereinte sich sein Interesse als Kriegsherr mit seinem Verantwortungsbewußtsein als Herrscher für sein Volk und mit seinem Streben nach Vereinheitlichung. So wie er die Staatsgewalt auffaßte, mußte er wünschen, daß alle Untertanen nur von ihm abhingen. Er hätte gern die Verhältnisse der Bauern auf denselben Fuß gebracht, wie sie in der Mark waren; sie waren besonders schlimm in Hinterpommern und da, wo es eine überwiegend slawische Bevölkerung gab; am allerliebsten aber hätte er die Leibeigenschaft ganz aufgehoben, und dem gab er auch in der ihm eigentümlichen Art Ausdruck.

»Soll Leibeigenschaft aufgehoben werden«, verordnete er eigenhändig. »Wer Hofwehr bezahlen kann, soll bezahlen, doch nit der Untertanen Ruin. Wer nit bezahlen kann, soll nit bezahlen und doch nit mehr leibeigen sein.« Man sollte denken, das sei kurz und bündig, ein klarer, unmißverständlicher Befehl, dem die gehorsame Ausführung zu folgen habe. Dem war nicht so. Der pommersche Adel sagte, die Leibeigenschaft gehöre zur Landesverfassung, zum Loskaufen habe der arme Untertan kein Geld. In Preußen sagte der Adel, von der Freiheit, Bauerngüter einzuziehen, hänge der Wohlstand der Gutsherren ab. Die Beamten, die ja auch zum Adel gehörten, sagten, es gebe in Preußen keine Leibeigenschaft, deren Kennzeichen sei, daß der Bauer verkauft werden dürfe und kein Eigentum besitzen und vererben könne. Allerdings war die eigentliche Leibeigenschaft in diesem Sinne selten; im allgemeinen gab es Erbpächter oder Pächter, die gemäß dem Vertrage gekündigt werden konnten. In den Jahren 1709 bis 1714 erließ der König Edikte zum Bauernschutz, in denen das Bauernlegen verboten wurde; aber sie hatten so wenig Wirkung wie jener Befehl. Wenigstens auf seinen Domänen, wo er der Herr war, wollte der König keine Leibeigenschaft leiden, aber hier trat ihm die Rücksicht auf den eigenen Nutzen entgegen: Abwanderung wollte er doch nicht dulden und gewährte deshalb keine Freizügigkeit.

Friedrich II. setzte die Bemühungen seines Vaters mit ebenso geringer Wirkung fort. Es erinnert an Friedrich Wilhelm I., wenn er im Jahre 1763 den Befehl erließ: »Soll absolut und ohne alles Resonnieren alle Leibeigenschaft von Stund an gänzlich abgeschafft werden.« Wahrscheinlich wurde insgeheim viel resonniert, gehorcht wurde überall nicht. Wenn die Frondienste aufhörten, sagte der Adel, würde der Gutsherr von freien Arbeitern abhängig werden, und das würde zum Umsturz der monarchischen Verfassung und schließlich zum Umsturz der Welt führen. In Ostpreußen wurde der Gesindezwang, wo er schon aufgehoben war, wieder eingeführt. Da das Befehlen nicht half, versprach Friedrich dem pommerschen Adel eine Geldentschädigung, wenn er die Leibeigenschaft abschaffe, worauf sie wiederum sagten, es gebe keine Leibeigenschaft, es gebe nur Gutspflichtigkeit, und die dürfe nicht aufgehoben werden, wenn nicht Verödung und Verminderung des Bauernlandes entstehen solle. Soviel setzte der König doch durch, daß das Edikt, welches das Bauernlegen verbot, strenger als bisher gehandhabt wurde; in Ostpreußen freilich kehrte man sich nicht daran. Gegen das Ende der Regierung Friedrichs wurde der erbliche Besitz von Bauerngütern, der schon vorher üblich gewesen war, gesetzlich. Auf des Königs eigenes Betreiben wurde bestimmt, daß auch Bauerntöchter Bauernhöfe erben könnten.

Was Friedrich der Große für den Bauernschutz getan hat und zu tun versuchte, geschah hauptsächlich auf Anregung des Ernst Wilhelm von Schlabrendorff, eines im Jahre 1719 geborenen Märkers, der Präsident der Provinz Pommern und dann der Provinz Schlesien war. Durchdrungen von der Ungerechtigkeit der Hörigkeitsverhältnisse und überzeugt, daß der Bauer viel besser wirtschaften würde, wenn er sein Gütchen zu eigen besäße, trat er mit Energie für Erleichterung seiner Lage ein. Er duldete das Bauernlegen nicht, suchte die Frondienste auf ein erträgliches Maß zu beschränken und zwang den Adel, wüste Stellen zu besetzen. Je größer die Widerspenstigkeit des Adels war, desto strenger griff er durch. Diese Haltung zog ihm die Feindschaft seiner Standesgenossen zu, und der König, der anfänglich auf Schlabrendorffs Absichten verständnisvoll eingegangen war, ließ sich gegen ihn einnehmen. Trotz der großen Verdienste, die sich der Präsident während des Krieges um Friedrich erworben hatte, entzog er ihm seine Gnade. Schlabrendorff starb 1769. Sein Nachfolger, Johann Karl von Carmer, erhielt den Auftrag, den schlesischen Adel zu schonen und zu beschützen, ein Auftrag, der seiner eigenen Neigung entsprach. Er unterstützte den Adel nicht nur in seinen Herrschaftsrechten gegenüber den Bauern, sondern ließ zu, daß sie sie über Gebühr ausnützten. Die Bevorzugung des Adels, die scharfe Trennung der Stände, die Beschränkung der Bauern auf das geringste Maß von Kenntnissen, das gehörte zu sehr zu Friedrichs Regierungsgrundsätzen, als daß er sich zu einer Hebung des Bauernstandes auf Kosten des Adels hätte entschließen können.

In Österreich war die Lage der Bauern in jedem der verschiedenen Länder anders. In den Erblanden war sie erträglich, in Kärnten saßen achthundert freie Bauern wie Edelleute auf ihren Gütern, wenn auch die Mehrzahl untertänig war. Am schlimmsten waren die Verhältnisse in Böhmen, dort herrschte die eigentliche, der Sklaverei ähnliche Leibeigenschaft. Maria Theresia litt unter dem Bewußtsein der Ungerechtigkeit dieser Zustände und hätte die Leibeigenschaft gern ganz abgeschafft; aber sie vermochte es ebensowenig wie die preußischen Könige. Besonders gegen die ungarischen Magnaten, mit denen sie dauernd in guten Beziehungen gestanden hatte, war sie rücksichtsvoll; sie glaubte die Anhänglichkeit der einstigen Rebellen nicht aufs Spiel setzen zu dürfen. Im Jahre 1766 begann sie mit einigen Reformen, die sie nicht befriedigten, weil sie sie als Halbheit empfand. Da, wo sie nach Gutdünken schalten konnte, auf ihren eigenen Gütern, beseitigte sie die Untertänigkeit so gut wie ganz. Am nachdrücklichsten war der Widerstand der böhmischen Herren. Es kam zu einem Aufstand der Bauern, die von der Absicht der Regierung wußten und sich deshalb berechtigt glaubten, die Aufhebung des Robotts zu erzwingen; aber die Selbsthilfe der Unglücklichen wurde mit Strenge niedergeschlagen. Erst nach dem Tode Maria Theresias erließ Joseph II. im Jahre 1781 das berühmte Bauernbefreiungsedikt. Nur in den slawischen Ländern ließ er eine gemäßigte Untertänigkeit fortbestehen.

Im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts wirkte zugunsten der Bauern, daß die Anschauungen der Gebildeten humaner geworden waren; führte das doch in Frankreich zu einem freiwilligen Verzicht des Adels auf seine Vorrechte. Das Naturrecht, das auf allen Universitäten gelesen wurde, lehrte, daß das Recht auf Freiheit und Eigentum allen Menschen angeboren und zustehend sei, und wenn auch bei den meisten diese Lehre nicht bis an ihre Selbstsucht rührte, so wurden doch Edlere von ihr ergriffen. Mehr aber als die Ideale der Freiheit und Gerechtigkeit wirkte vielleicht ein verstecktes Materielles, eine Umwälzung weltlicher Kräfte in der Welt. Die Arbeitssklaven wurden an einer anderen Stelle gebraucht, an einer Stelle, wo mehr Geld als bisher mit ihnen verdient werden konnte. Der Moloch der Industrie hatte Hände nötig; er wartete, wartete, bis sie kamen und sich verschlingen ließen; das konnte erst geschehen, wenn die Bande, die sie fesselten, abfielen. Magische Kräfte gingen in seiner Verborgenheit von ihm aus und lösten die Gebundenen, so daß sie einen Beruf wählen konnten, bei dem sie sich sicher besser zu stehen hofften. Ein sehr feines Ohr hätte die neuen Ketten klirren hören können, die ihrer warteten. Dann, wenn das arbeitende Volk in den Dienst einer anderen Schicht getreten war, konnte der Regent sich auf diese stützen und bedurfte des Adels nicht mehr so ausschließlich.


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