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Der Rheinbund

Der Kurfürst von Brandenburg war nicht der einzige, der als Haupt einer Allianz die Führung im Reiche an sich zu bringen dachte: ein katholischer Fürst war es, dem das gleiche Ziel vorschwebte, der Kurfürst Johann Philipp von Mainz. Schon durch seine Stellung als Erzkanzler des Reichs war Johann Philipp der bedeutendste unter den rheinischen Fürsten; aber er war es auch durch seine Person. Johann Philipp von Schönborn hatte im Dreißigjährigen Kriege als Offizier in kaiserlichem Dienst gestanden, war dann, 25jährig, Kapitular von Würzburg geworden und hatte als solcher den Einfluß des edlen und unglücklichen Spee erfahren. Was von dessen hochherziger Menschlichkeit auf ihn übergegangen sein mochte, gestaltete sich in ihm zur Duldsamkeit in religiösen Fragen und zu allgemeiner Friedensliebe, soweit beides nicht zu seinem fürstlichen Ansehen in Widerspruch stand. Den Hexenprozessen hat er in seinem Lande ein Ende gemacht. Es gab keinen Fürsten im Reich, für den das fürstliche Ansehen nicht ausschlaggebend gewesen wäre, alle beherrschte die Sucht, ihr Gebiet, sei es groß oder klein, zu vergrößern und möglichst ertragreich zu machen. Als Johann Philipp im Jahre 1647 Kurfürst von Mainz wurde, war sein Kurfürstentum noch zum großen Teil von französischen Truppen besetzt, und er glaubte, den König von Frankreich am ehesten durch Nachgiebigkeit in allen Dingen zur Räumung bewegen zu können. Die Politik des Anschlusses an Frankreich war ihm nicht neu, er hatte dem Kaiser schon früh widerstrebt, als derselbe energischeres Vorgehen gegen Frankreich forderte. Im Verein mit dem streng katholischen Maximilian von Bayern hatte er den Kaiser zur Abtretung des Elsaß an Frankreich gedrängt. Allerdings war seine Politik von der des bigotten, auf Österreich eifersüchtigen Bayern doch verschieden. Johann Philipp mißbilligte die protestantenfeindliche Haltung des Kaisers, er selbst war in seinem Lande milde gegen sie, hatte Protestanten in seinem Dienst und scheute sich sogar nicht, einem protestantischen Gottesdienst beizuwohnen. Vor allen Dingen hielt er dafür, daß der Friede für Deutschland notwendig sei und daß, da die gänzliche Unterwerfung der Protestanten, die der Kaiser wünschte, sich als unmöglich erwiesen habe, man sich mit ihnen vertragen müsse. Die Lage brachte den begabten, ehrgeizigen Johann Philipp auf den Gedanken, die Führung der Reichsangelegenheiten selbst in die Hand zu nehmen in der Weise, daß er zunächst die rheinischen Länder in einer Allianz zusammenfaßte, in die allmählich nach Möglichkeit auch andere Reichsfürsten ohne Unterschied der Konfession aufgenommen würden. Für jeden Reichsfürsten, ganz besonders aber für den Erzkanzler des Reiches, wäre es ordnungsgemäß gewesen, den Plan des Rheinbundes dem Kaiser zu unterbreiten und ihn zu bitten, sich an seine Spitze zu stellen. Nach Johann Philipps Meinung aber sollte der Bund in gewissem Sinne gegen den Kaiser gerichtet sein, insofern er etwaige kriegslustige oder herrschsüchtige Gelüste desselben in Schach halten sollte. War es schon eine Beleidigung des Kaisers, daß er nicht zum Eintritt in die Allianz eingeladen wurde, so war die Aufnahme des Königs von Frankreich vollends eine Herausforderung.

Das volkreiche und geldreiche, kräftestrotzende Frankreich mußte notwendigerweise einen Druck auf das verarmte, verödete Reich ausüben und gegen dasselbe vordringen. Seit der Zeit Richelieus war zu deutlichem Ausdruck gekommen, welches das Eroberungsziel des geeinigten Landes war. Im Jahre 1632 erschien ein Buch des königlichen Rats Jacques de Cassan unter dem Titel La recherche des droits du Roy et de la couronne de France; es war Richelieu gewidmet. In diesem Buche wurde festgestellt, daß ganz Deutschland mitsamt seinem Anhang eigentlich Frankreich gehöre, außerdem Portugal und große Teile von Spanien und Italien. Für den Drang Frankreichs, mindestens den Rhein zu erreichen und womöglich die Kaiserkrone zu erringen, schien jetzt die Stunde der Ausführung gekommen zu sein. An der Spitze des an Hilfsmitteln überreichen Landes stand ein junger, begabter, höchst ehrgeiziger und völlig skrupelloser König, der sich zur Herrschaft über Europa berufen fühlte. Zu der Anziehungskraft der Macht, die Frankreich ausübte, kam die einer Kultur, die innerhalb der Schranken französischer Eigenart einen hohen Grad von Vollkommenheit erreicht hatte. In der Ausbildung der Sprache, in Poesie und Wissenschaft war Frankreich Deutschland weit überlegen, eine Menge vorzüglicher Ingenieure, Diplomaten, Soldaten, Feldherren, Staatsmänner, Gewerbetreibender, Dichter und Gelehrter wetteiferten, Frankreich groß zu machen und den Monarchen zu verherrlichen. Über die Rechte seines Landes, über die Anschauungen und die Willensrichtung der Untertanen gebot der König unbeschränkt; mit dem Kaiser verglichen war er fast allmächtig.

Die rheinischen Fürsten, die sich nach dem verwüstenden Kriege in ihren Ländern wieder leidlich einzurichten suchten, erfüllte gegenüber dem gewaltigen Nachbarn Schrecken und Bewunderung. Da sie es für unmöglich hielten, ihm zu widerstehen, schien es das beste, sich gut mit ihm zu stellen. Indem er ein Glied des Bundes und ihr Freund und Beschützer wurde, war er zugleich unschädlich gemacht. Es war im Jahre 1655, als Johann Philipp einer schon bestehenden Allianz zwischen einigen rheinischen Fürsten beitrat, um sie zum Ausgangspunkt seines Planes zu machen. Als der einzige Staatsmann mit bestimmten Zielen war er bald der Leiter des Bundes und bemühte sich, ihn in seinem Sinne auszubauen. Mitten in die angeknüpften Verhandlungen fiel ein folgenschweres Ereignis, der Tod des Kaisers Ferdinand III. Er starb im Frühling 1657, nachdem er während der letzten Jahre infolge des Todes seines geliebten ältesten Sohnes in Schwermut versunken gewesen war. Nicht nur die Fürsten im Reich, ganz Europa wurde durch die bevorstehende Kaiserwahl in Aufregung versetzt. Mazarin, damals leitender Minister in Frankreich, hätte die Kaiserkrone am liebsten seinem König, dem jungen Ludwig XIV., zugewendet, allein er sah ein, daß das trotz aller Versprechungen, die die Kurfürsten ihm gelegentlich machten und die Karl Ludwig von der Pfalz vielleicht sogar ernst meinte, nicht durchzusetzen sein werde. Da die Politik der deutschen Fürsten von jeher bezweckte, die Macht des Kaisers zu schwächen, hätten sie sich den größten Tort angetan, wenn sie den mächtigsten Monarchen Europas sich zum Herrn gesetzt hätten. Gegen Karl V., so gewaltig er war, hatten sie Frankreich aufbieten können; wer sollte sie vor einem Kaiser schützen, der zugleich König von Frankreich war? Wenn der König von Frankreich aber für sich selbst verzichten mußte, sollte wenigstens ein von ihm abhängiger Kandidat die Krone erringen, und dazu ersah Mazarin den jungen Kurfürsten von Bayern, Ferdinand Maria. Ausnahmsweise aber verhielt sich Bayern ablehnend gegen Frankreich: unter dem Einfluß seiner Mutter, die eine österreichische Prinzessin war, und seiner Österreich freundlichen Räte verpflichtete sich der noch sehr junge Kurfürst, die Wahl nicht anzunehmen. Mochten auch hie und da Gedanken an ein protestantisches Kaisertum und an die Kurfürsten von Sachsen oder Brandenburg auftauchen, so waren das doch nur Träume ohne Folge. Es war wieder so, daß man aus Verlegenheit an dem verhaßten Hause Habsburg hängen blieb. Sehr wichtig war es, daß die Kaiserwahl grade in die Zeit fiel, wo der Kurfürst von Brandenburg sich mit dem Kaiser gegen Schweden verbinden wollte und deshalb dem in Österreich regierenden Herrn seine Stimme nicht entziehen konnte. Der Kurfürst von Köln, ein Wittelsbacher, der seinen bayrischen Verwandten gewählt hätte, ließ sich, da dieser ablehnte, mit einer mäßigen Bestechungssumme, wie die Habsburger sie aufzuwenden pflegten, gewinnen. Mainz war um so eher geneigt, sich für Österreich zu erklären, als es ein Mittel hatte, noch über die Wahlkapitulation hinaus den Kaiser in Schranken zu halten, nämlich den Rheinbund. Wenn der König von Frankreich ihm beitrat, so hatte man, meinte der Erzkanzler des Reiches, ein Gegengewicht, das den Kaiser an seine Verpflichtung, Spanien nicht gegen Frankreich zu unterstützen, fest binden und dadurch den Frieden sichern würde. Er glaubte, trotz des Königs von Frankreich, die leitende Macht im Bunde zu bleiben und dadurch die ausschlaggebende Macht im Reiche werden zu können, der Friedensbringer.

Eine ganz uneigennützige Friedensliebe war von allen diesen Herren, auch von Johann Philipp von Schönborn, nicht zu erwarten. Den unersättlichen Geldhunger der deutschen Fürsten in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts konnte nur Frankreich befriedigen. Ist es immer schwer, die ineinander verschlungenen Fäden des Guten und Bösen zu entwirren, so läßt sich auch nicht leicht beurteilen, wieweit Geldgier und wieweit vernünftige politische Gründe für die Handlungen der Fürsten maßgebend waren. Point d'argent point de Mayence pflegte man in Frankreich zu sagen. Alle fanden es selbstverständlich, daß sie für ihre Dienste gut bezahlt wurden. Die Kaiser wandten viel weniger auf Bestechung als die französischen Könige, teils weil sie kein Geld hatten, teils weil sie zu stolz waren, um sich die Anhängerschaft der Reichsstände zu erkaufen.

In den Jahren 1658 bis 1666 traten dem Bunde nacheinander bei: Frankreich, Kur-Mainz, Kur-Köln, Schweden, Pfalz-Neuburg, Braunschweig, beide Hessen, Württemberg, Zweibrücken, der Bischof von Basel, der Bischof von Straßburg, Kur-Brandenburg, der Markgraf von Brandenburg. Der Kurfürst von Brandenburg war einer der letzten, der sich anschloß; nicht die Mitgliedschaft Frankreichs schreckte ihn ab, mit dem er ohnehin verbündet war, wohl aber die Mitgliedschaft Schwedens, dem er das fast schon eroberte Pommern wieder hatte herausgeben müssen.

Es wäre ein Wunder gewesen, wenn so viele deutsche Fürsten sich längere Zeit miteinander vertragen hätten. Der Gegensatz zwischen Kurfürsten und Fürsten, zwischen Katholiken und Protestanten machte sich bald bemerkbar. Daß der Kurfürst von Mainz sich mit Hilfe französischer Truppen der protestantischen Stadt Erfurt bemächtigte, auf die er Ansprüche hatte, gab den Protestanten gerechten Anlaß zum Unwillen. Es zeigte sich bei dieser Gelegenheit, welches eigennützige Interesse der Kurfürst an der Verbindung mit Frankreich hatte: er, der Friedensstifter, der so eifrig daran gearbeitet hatte zu verhindern, daß spanische Truppen den Reichsboden beträten, erlaubte sich, mit französischen Truppen den Frieden zu brechen.

Übrigens war die Sorge, der Kaiser möchte trotz eingegangener Verpflichtungen Spanien gegen Frankreich unterstützen und dadurch das Reich in Krieg verwickeln, schon hinfällig geworden, als im Jahre 1659 der Pyrenäische Friede zustande kam und einen Krieg abschloß, der 24 Jahre gedauert hatte. Er entschied das Übergewicht Frankreichs in Europa und das endgültige Abgleiten Spaniens von der gebietenden Stellung, die es zur Zeit Karls V. und Philipps II. eingenommen hatte.


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