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Leviathan

»Meinst du«, heißt es im Buch Hiob, »daß der Leviathan einen Bund mit dir machen werde, daß du ihn immer zum Knecht habest? Auf Erden ist ihm niemand zu gleichen und ist gemacht ohne Furcht zu sein.«

Diesem Leviathan der Bibel, dem Ungetüm, das dem Menschen seine Ohnmacht zum Bewußtsein bringen soll, wird der Staat als höchste Macht unter der Sonne gleichgesetzt. Es war ein Engländer, Thomas Hobbes, der das Bild in einem im Jahre 1650 erschienenen Buche gebrauchte. Er vergleicht den Leviathan Staat einem Menschen, einem riesenhaften, und folgert daraus, daß der Staat wie der Mensch nur eine Seele, einen Willen haben könne. Jede Existenz im Staate muß ihm untergeordnet sein.

Die Auffassung des Staates als einer einheitlichen Gewalt war nicht neu. Schon im 16. Jahrhundert hatten der französische Gelehrte Jean Bodin und im 17. Jahrhundert der französische Staatsrat Lebret gelehrt, die Staatsgewalt sei so wenig teilbar wie der geometrische Punkt. Der deutsche Staatsrechtslehrer Althusius, Professor in Herborn und Syndikus der Stadt Emden, gab etwa 40 Jahre vor Hobbes ein bedeutendes Werk heraus, in dem er gleichfalls die Staatsgewalt, von ihm Majestas genannt, als einheitlich und unteilbar auffaßte. Sie gehörte nach ihm dem Volke, welches sie auf eine regierende Person, sei es ein einzelner oder eine Mehrheit, überträgt. Dem Regierenden gegenüber behält das Volk, der eigentliche Inhaber der Majestas, das Recht des Widerstandes, wenn er zum Tyrannen wird. Ein einzelner allerdings darf ihn nicht angreifen, absetzen oder sonst zwingen, wohl aber diejenige Behörde, welche, das Volk vertretend, sein Recht ausüben kann.

Den Deutschen war die Theorie von der unteilbaren Staatsgewalt fremd. Das vornehmste Staatsgebilde des Abendlandes, das Römische Reich Deutscher Nation, war ein Wahlreich, in dem die Regierungsgewalt oder Majestas zwischen dem Kaiser und den Fürsten, dem Reich im engeren Sinne oder den Reichsständen, geteilt war. Ähnlich war es in den einzelnen Ländern, die das Reich bildeten. Gelangten die Fürsten auch nicht durch Wahl, sondern durch Erbfolge zur Herrschaft, so war doch immer noch kenntlich, daß sie ursprünglich nur Inhaber einzelner Regierungsrechte gewesen waren. Sie teilten die Gewalt mit den Ständen, die ihnen meistens erst dann huldigten, wenn sie ihnen ihre Rechte eidlich gewährleistet hatten. Die Stände, fast immer aus Vertretern des Adels, der Geistlichkeit und der Städte, sehr selten auch aus solchen der Bauern bestehend, setzten sich für ihre eigenen Interessen ein, aber auch für die der Teile des Volkes, die nicht unmittelbar vertreten waren. Man nannte die Art des Staates, in dem die Regierungsgewalt zwischen Fürst und Ständen geteilt war, den Ständestaat. In den geistlichen Ländern des Reiches nahm die geistliche Körperschaft, welche den Bischof, Abt oder was für einen Herrn immer wählte, die Stelle der Stände ein. Auch das Haupt der Kirche, der Papst, wurde von den Kardinälen gewählt; das Konstanzer Konzil hatte die Absetzbarkeit der Päpste erklärt und selbst einen Papst abgesetzt.

Wenn die Germanen sich rühmten, die Freiheit in das zusammenbrechende Römische Reich eingeführt zu haben, so durften sie das insofern tun, als sie keine Macht gelten ließen, die nicht durch das Recht veredelt gewesen wäre. Auch der mächtigsten Macht setzten sie die Schranke des Rechts. Die gewaltige Pyramide des mittelalterlichen Reiches war durch das Spiel miteinander ringender und sich ausgleichender Kräfte beseelt und dadurch als lebendiger Organismus gekennzeichnet. Kant sah das Wesen des Organismus darin, daß alle seine Glieder sowohl Wirkung erleiden wie Wirkung ausüben, zugleich Mittel und Zweck sind. Im Leviathan des Hobbes wirkt nur das Zentrum, die Staatsgewalt, auf untergeordnete Teile, ohne von ihnen Wirkung zu empfangen, er war also eine Maschine, wie auch Hobbes selbst ihn einen künstlichen Menschen nannte. Insofern manche seiner Zeitgenossen den Menschen überhaupt als Maschine betrachteten, kam diese Unterscheidung nicht in Betracht.

Der germanischen Auffassung wirkte von jeher die des antiken Staates entgegen und tat es mit größerem Nachdruck seit der Wiedergeburt des klassischen Altertums in Italien. Sie unterstützte die natürliche Neigung der Fürsten, ihre Macht zu vergrößern, wie sie denn schon im 15. Jahrhundert mit Hilfe ihrer juristisch gebildeten Räte den Grundsatz ins Feld zu führen wußten, jedem Landesherrn stehe es zu, die Herrschaft über seine Untertanen so zu handhaben, daß der Gehorsam ungespalten sei. Mit solchen Behauptungen hatte der Herzog von Tirol den Bischof von Brixen angegriffen, und die mächtige Kirche, der geistesgewaltige Nikolaus von Cusa, hatten schließlich den kürzeren gezogen. Darauf, die Kirche, die bisher so furchtbare Nebenbuhlerin des Staates, unschädlich zu machen, kam es Hobbes hauptsächlich an.

Kaum war nach der Reformation der alte Drache Kirche schwer verwundet in seine Höhle zurückgekrochen, so streckte der Leviathan Staat seinen züngelnden Kopf hervor. Wenn er besorgt vor Feinden war, so war er es am meisten vor jenem Drachen, dessen schweren Atem er noch spürte. Nie wieder durfte er ausbrechen, er mußte als verderblicher Giftwurm in der Erinnerung der Menschen fortleben, die Religion, in deren Namen er geherrscht hatte, mußte entwertet werden. Hobbes, der die Lehre von der Unteilbarkeit der Staatsgewalt so zum Äußersten geführt hat wie kein Staatsrechtslehrer vor ihm, bemühte sich denn auch, seinen Leviathan vor allen Ansprüchen der Kirche sicherzustellen. Die Kirche, sagt er, hat, da der Staat unteilbar ist, kein Dasein, das vom Dasein des Staates gesondert wäre, und kein eigenes Recht. Sie ist eine Einrichtung, die der Gesetzgeber nach dem Gesichtspunkt des Staatswohls gestalten und verändern kann. Staat und Kirche sind ihrem Wesen nach eins und müssen durch einen und denselben unteilbaren Willen dargestellt werden. Namentlich muß der Einfluß der Kirche auf den Unterricht gebrochen werden. Die Universitäten, die unter der Aufsicht des Papstes standen und eigentlich kirchliche Anstalten waren, müssen, verlangt Hobbes, dem Staate unterstellt werden. Ohne Religion soll das Volk nicht sein, aber der Staat bestimmt den Glauben, der ohne die Bestätigung des Staates Aberglauben wäre; der Staat legt die Bibel aus. Ketzer nannte man bisher diejenigen, die von den Lehren der Kirche abwichen, Ketzer ist nach Hobbes, wer eine andere Meinung hat als der Souverän. Wie alle Gelehrten seiner Zeit, ließ auch Hobbes den Staat durch Vertrag entstehen, aber mit dem Unterschied von anderen, daß er annahm, das Volk habe sich beim Vertrage aller seiner Rechte vollkommen entäußert, so daß den Untertanen in keinem Falle ein Recht auf Widerstand geblieben sei. Sie waren in seinen Augen keine juristische Person mehr, die ein Recht haben könne, sondern ein Haufe, eine Volksmenge. Der Leviathan allein ist im Besitze von Macht und Recht; er ist, nach Hobbes, wenn dieser auch zu vorsichtig war, um sich geradezu als Gottesleugner zu bekennen, der Gott auf Erden.

Es ist merkwürdig, daß der Verfasser des Leviathan ein Engländer war, ein Sohn des Landes, das bald das freieste, das einzig freie in Europa gepriesen werden sollte. Auch wurden der Leviathan und andere Werke des Hobbes im Jahre 1683, vier Jahre nach seinem Tode, von der Universität Oxford verbrannt, während sie die deutsche Wissenschaft stark beeinflußten; Hobbes gilt neben Spinoza und mit mehr Recht als dieser als der Vater des Atheismus. Das gotterfüllte Geisterreich, an das der mittelalterliche Mensch geglaubt hatte, war in seinen Augen ein von listigen Priestern vorgetäuschtes Blendwerk. Für die moderne Wissenschaft war das Weltall ein Uhrwerk, das menschliche Herz eine Feder, alles Geschehen ein berechenbarer Ablauf.


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