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Friedrich der Große

Es war kein Wunder, daß er seinen Vater nicht liebte, daß er ihn zeitweise haßte. Friedrich Wilhelm war bäurisch in seinen Liebhabereien, grob in seinem Wesen, ganz und gar unköniglich. Seine Scherze waren roh und witzlos, wie wenn er die Leute mit kaltem Wasser begoß oder den Stuhl unter ihnen wegzog oder jemanden durch das unerwartete Erscheinen eines Bären zu Tode erschreckte. Er ging gern mit Menschen um, die ebenso roh waren wie er, die feineren, von denen er fühlte, daß sie ihn übersahen, verletzte und verfolgte er. Er stellte sich nicht nur fromm, sondern er war es, so einfältig und zurückgeblieben war er in den Augen seines Sohnes. Er war alles, was diesem als deutsch zuwider war. Und von diesem Vater mußte er sich schlagen, ja mit Füßen treten lassen vor Kreaturen, deren König er einst sein sollte. Geschlagen, getreten, bloßgestellt, mußte er mit Ausdrücken sklavischer Demut um die Gnade dieses Mannes werben.

Es ist ebenso begreiflich, daß der König seinen Sohn haßte, um so mehr, als er ihn liebte und von ihm geliebt sein wollte. Er hatte die Liebebedürftigkeit und Vertrauensseligkeit eines Kindes, aber weil er damit oft anstieß, war er mißtrauisch und empfindlich, und wenn er in seinem Allmachtsbewußtsein gereizt wurde, konnte er grausam sein. Daß Friedrich so ganz anders als er war und sein wollte, mißfiel ihm. Der Knabe hatte nichts Soldatisches, war geziert in seinem Auftreten, putzte sich gern, aß gern Leckereien und bildete sich ein, klüger und gebildeter zu sein als sein Vater. Wie ärgerlich das auch war, er hätte vielleicht darüber hinwegkommen können, hätte der Sohn ihn geliebt. Aber Friedrich liebte seinen Vater nicht und hatte die Kühnheit, es zu zeigen, in seinen Mienen malte sich die absprechende Kritik. Worauf steifte er sich? Er wußte, daß seine Mutter ihn beschützte; aber nicht nur das. Er war Kronprinz, er würde einst König sein, und vielleicht harrten schon viele sehnsüchtig auf den Augenblick, wo es so weit wäre. Denn seine Untertanen liebten ihn auch nicht, sie würden seinen Nachfolger lieben, der gelinder auftrat als er, um sie an sich zu ziehen. Dem weichlichen, weibischen, falschen, unsoliden Fant hingen sie an, in dem kein fester Grund war, der in einem Zirkel von Affenschwänzen eine Rolle spielen, aber kein Volk regieren könnte. Es gab Augenblicke, wo er auf den Sohn losschlug wie auf einen höhnischen Todfeind. Zugleich fühlte er sich unglücklich und beweinenswert, er, der sein ganzes Leben seinem Volk und seiner Familie opferte, denn davon war er überzeugt, und weder von seinem Volk noch von seiner Familie geliebt wurde.

In der Beurteilung seines Sohnes hatte der König nicht so ganz unrecht. Friedrich war eitel und in sich verliebt. Er sah auf alle anderen Menschen herab, außer wenn sie eine bestimmte Art von Geist hatten, das, was man esprit nennt. Er bewunderte Voltaire über alles und gewöhnte sich eine Art, geistreich zu sein, in Antithesen und ironischen Wendungen zu reden, an, die seinen Briefwechsel mit Voltaire, wenn man viel davon liest, so geschmacklos macht wie eine zu stark gewürzte Speise. Die Bürgerlichen verachtete er von vornherein, ohne sie zu kennen; er setzte als selbstverständlich voraus, daß nur der Adel Geist, Ehre und die erforderlichen Umgangsformen hätte. Wenn man nur bis zu einem gewissen Grade in die Tiefe geht, ist es mit einem guten Verstand nicht schwer, sich einen Überblick über die Welt zu verschaffen und ein ziemlich treffendes Urteil über alles und jedes zu äußern; wird es noch dazu von einer hohen Stellung herab gefällt, pflegt es zu blenden und zu überzeugen. Friedrich liebte es, mit seinem Urteil, das wie ein Scheinwerfer über Menschen und Ereignisse hinglitt, seine Umgebung zu verblüffen, mit spitzem Witz rasch erspähte Schwächen anzumerken. Vielleicht wußte er, daß ein König nicht auf Kosten seiner Untertanen, die sich nicht wehren dürfen, witzig sein darf; aber er konnte es nicht über sich gewinnen, einen Einfall zu unterdrücken, in dem er sich geistreich fühlte. Er legte mehr Wert darauf, ein genialer Mensch als ein König zu sein, wenn er auch die Unantastbarkeit seiner königlichen Stellung nie preisgegeben hätte. Die Elastizität seines Geistes ist bewundernswert, und wie er in jedem Augenblick gleichsam frisch geladen und wirkungsbereit war; aber erleuchtend und erhebend waren seine Gespräche selten.

Am nächsten standen ihm seine Mutter und seine Schwester Friederike, die wie er unter der Plumpheit des Vaters gelitten hatte, die die Vertraute seiner Schmerzen und geheimen Freuden gewesen war. Es ergab sich daraus von selbst, daß er in der Politik sich den Ansichten seiner Mutter anschloß und eine engere Verbindung mit der Hannoverschen Dynastie wünschte. Vielleicht wäre das weniger der Fall gewesen, wenn es sich um den Kurfürsten von Hannover gehandelt hätte; aber sein Großvater, der Vater seiner Mutter, war zugleich König von England, und das bedeutete viel. England begann die erste Macht in Europa zu werden, mehr, eine Weltmacht. Was war dagegen der Kaiser mitsamt seinem Prinzen Eugen, die ohne Englands Hilfe auf allen Linien geworfen worden wären? Und vor diesem abgestandenen Plundergötzen kniete sein Vater wie ein treuer Vasall. Die Geschwister betrachteten die in Aussicht gestellte Ehe mit den britischen Königskindern als Befreiung und Erhöhung: Friederike würde Königin von England, Friedrich würde der Schwiegersohn und später der Schwager des Königs von England werden. Der so sehnlich verfolgte Plan mißglückte. Unter der harten Faust des wütenden Vaters und der unvermeidlichen Notwendigkeit beugte sich Friedrich, mit verzweifelter Entschlossenheit machte er sich zum Sklaven des Vaters, um einst König und frei zu sein. Vielleicht hätte die Prinzessin von Braunschweig-Bevern, die zu heiraten er sich nun bereit erklärte, wenn sie so schön und liebenswürdig gewesen wäre wie ihre Tante, die Kaiserin, ihn wider seinen Willen gefesselt; da sie nur sehr bescheidene Gaben hatte, blieb sie das Merkmal seiner Schmach, die Aufgedrängte, Unwillkommene, und wurde beiseite geschoben zugleich mit der vom Vater für gut befundenen Politik.

In Friedrichs Augen war die Politik des Anschlusses an den Kaiser falsch und unverzeihlich lächerlich. Sein Vater, sein Großvater und sein Urgroßvater, wie eifersüchtig sie auch ihre Souveränität wahrten, hatten doch noch ein Gefühl für die Hoheitsstellung des Kaisers und für ihre kurfürstlichen Pflichten gehabt. Für Friedrich war Kaiser und Reich eine Schimäre, ein Trödel, er war frei von den Wirkungen der Überlieferung. Es gab für ihn keine Vergangenheit, kein Hauch von dem, was früher einmal Recht und ehrwürdig und heilig gewesen war, rührte ihn an. Unabhängig und wohlgefällig stand er auf dem flachen Boden und in der dünnen Luft seiner Zeit. Das gab ihm eine außerordentliche Sicherheit und erfrischende Offenheit und Wahrhaftigkeit. Fühlte er sich nicht als Glied des Reiches, so noch viel weniger als Deutschland angehörig und verpflichtet. Es setzte ihn in Erstaunen, als er merkte, daß das deutsche Volk die Franzosen haßte. Warum? Woher diese Raserei? Das Elsaß und Straßburg waren ihm gleichgültig, er verpflichtete sich gern, Frankreich in ihrem Besitz zu schützen. Den Begriff Deutschland kannte er nicht, das Reich sah er als eine Republik von Staaten an, die sich bald ganz selbständig machen würden, Österreich stand ihm nicht näher als Frankreich oder England. Während des Siebenjährigen Krieges dachte er daran, sich im Verein mit Hannover aus dem Reichsverbande zu lösen und bemerkte später dazu: »Pedantische Staatsrechtslehrer würden diesen Plan zweifellos verdammt haben.« Während seines ganzen Lebens unterhielt er sich mit Säkularisationsplänen, durch die sich Preußen und Hannover beträchtlich vergrößert, das Reich sich aufgelöst hätte.

Dem Kronprinzen aber lag die Politik noch fern. Nachdem Friedrich Wilhelm seinen Sohn hinreichend gezüchtigt und gedemütigt hatte, als er ihn widerstandslos zu seinen Füßen sah, erwachte sein väterliches Gefühl wieder. Er war noch nicht alt an Jahren, aber er war alt, insofern er dem Tode nahe war. Unter des Todes unentrinnbare Herrscherhand gebeugt, wurde er weicher, und auch Friedrich wurde es dem Leidenden gegenüber. Hatte er nun doch alles, was er sich wünschte: Muße, zu lesen, zu musizieren, Briefe zu schreiben, zu studieren. Er interessierte sich für Philosophie, Geschichte, alles was den Menschen und seine Welt angeht; für die mathematischen Wissenschaften hatte er keinen Sinn. In seiner Umgebung stand er wie eine Sonne, Licht und Wärme spendend, bewundert, vergöttert. Er hatte Freunde, die auf das blitzende Spiel seines Geistes eingehen oder wenigstens es schätzen konnten; er war sicher, daß sie ihm nicht nur als seine Untertanen, sondern auch als die vom Strahl seiner blauen Augen und von der Macht seines Geistes Bezwungenen ergeben waren.

Man hatte Ursache, zu glauben, daß Friedrichs Regierung friedlich sein werde, friedlicher noch als die seines Vaters, der wenigstens seine Hauptstadt mit Waffenlärm erfüllt und einer Kaserne ähnlich gemacht hatte. Friedrich hatte sich, das wußte man, nur pflichtmäßig den soldatischen Übungen unterzogen. Was ihn beglückte, waren Musik und Literatur, und zwar französische Literatur; einen geistreichen französischen Brief schreiben oder gar eine tadellose französische Ode dichten zu können, war sein Ehrgeiz. Der merkwürdige Widerspruch, der durch sein Wesen ging, trat auch in seiner religiösen Haltung hervor. Wie viele seiner gebildeten Zeitgenossen war er Deist, das heißt er glaubte an ein höchstes Wesen, das die letzte Ursache, ein nicht mehr Teilbares, mehr eine mathematische Größe als ein lebendiger Gott war, und von dem er nicht annahm, daß er sich zu der menschlichen Erbärmlichkeit herablasse. Trotz seiner Vorliebe für die durchaus irreligiöse französische Philosophie wollte er vom Atheismus nichts wissen. Den Verkleinerern des Christentums gegenüber konnte er plötzlich für die Herrlichkeit der Bergpredigt und die Heiligkeit des Erlösers sich erwärmen. Er war zu geistvoll, um die Größe der christlichen Lehre und die Hoheit der Person Christi zu verkennen. Andererseits wollte er sich doch auch nicht auf Aberglauben und Selbstbetrug ertappen lassen, und einen frivolen Scherz Voltaires wußte er mit einem ebensolchen zu erwidern. Gelegentlich erklärte er den Menschen für ein Maschinenwerk, welches den Gewichten und Rädern, von denen es geleitet sei, notwendig folgen müsse.

Im Jahre 1739 kündigte er Voltaire an, daß er eine Widerlegung des Principe von Machiavelli zu schreiben gedenke, dieses verwerflichen, die Sitten der Menschen verderbenden Buches. Voltaire, der große Hochachtung vor Machiavelli hatte, konnte sich in Friedrichs Entrüstung nicht recht finden; aber die Beredsamkeit und der hohe sittliche Schwung seines fürstlichen Freundes überzeugten ihn. Wer lehre, schrieb Friedrich, man dürfe sein Wort brechen und Ungerechtigkeiten begehen, der möge noch so sehr durch Talente hervorragen, nie dürfe er den Platz einnehmen, der nur der Tugend und löblichen Gaben gebühre. Er ereiferte sich über die Machtgier und den zügellosen Ehrgeiz der Fürsten, die Vernachlässigung ihrer Pflicht, die darin bestehe, ihre Völker glücklich zu machen. Er dichtete eine Ode, in der er die Fürsten vor der Entfesselung mutwilliger Kriege warnte: die Erde sei das gemeinsame Vaterland aller Menschen, denen die Gottheit Herzen gegeben habe, sich zu lieben, nicht sich zu hassen. Im Jahre seiner Thronbesteigung, es war das Jahr 1740, erschien der Anti-Machiavell anonym in Holland; aber von der Autorschaft Friedrichs sickerte doch etwas hindurch. »Wenn der Verfasser ein Fürst ist«, sagte der Kardinal Fleury, der empfinden mochte, daß das Buch eine Spitze gegen ihn und seine Politik erhielt, »übernimmt er eine feierliche Verpflichtung gegenüber der Öffentlichkeit.« In der Tat stellte das Buch strenge Vorschriften für die Regenten auf. Sie sind dem Volke verantwortlich, ihre einzige Pflicht ist, die Völker glücklich zu machen. Die wahre Politik erfordert Gerechtigkeit und Güte. Weit entfernt, die Herren ihrer Völker zu sein, sind die Fürsten selbst die ersten Diener des Staates. Machiavelli muß dadurch überwunden werden, daß die Fürsten der Welt das Beispiel der Tugend geben. Auch in der äußeren Politik anderen Völkern gegenüber muß Gerechtigkeit gewahrt werden. Der Ruhm ist ein Trugbild. Große Taten sind nur bewundernswert, wenn sie sich in den Grenzen des Rechts halten.

Allerdings folgte ein Nachspiel; als kenne er die Theorie der Scholastiker vom gerechten Kriege, zählte er mehrere solcher auf: Verteidigungskriege und Kriege zur Aufrechterhaltung gewisser Rechte und Ansprüche. Sogar Offensivkriege können gerecht sein, wenn sie die Aufrichtung einer Universalmonarchie verhindern sollen. Damit hatte Friedrich den Eroberern so viel Lücken offengelassen, wie sie immer wünschen konnten; allein im Vergleich mit den vorangehenden Ergüssen über Gerechtigkeit und Humanität nahm dies Zugeständnis an die Wirklichkeit nur einen geringen Platz ein und konnte leicht übersehen werden. Voltaire übersah es und war entzückt. Daß es einen solchen Fürsten gibt, welch ein Glück für die Welt! Friedrich ist Titus, die Wonne des Menschengeschlechts, der Welt geschenkt, um ein goldenes Zeitalter herbeizuführen.

Da, am 20. Oktober 1740, starb Karl VI. Am 26. Oktober schrieb Friedrich an Voltaire: »Der Kaiser ist tot. Dieser Todesfall bringt alle meine politischen Ideen in Unordnung. Es ist der Augenblick vollständiger Veränderung des politischen Systems, es ist der Felsen, der sich loslöst und den Nebukadnezar auf das Bild aus vier Metallen stürzen sah.« In der Tat, es war der Augenblick vollständiger Veränderung. Von seinem idyllischen Schreibtisch fort lockt den jungen König ein neuer, ein hinreißender Klang: das Sirenenrauschen des Ruhms. Er legt die Feder aus der Hand und greift nach dem Schwert. Kämpfen, Siegen, Eroberungen und Ruhm. Ruhm ist kein Trugbild, Ruhm ist ewiggrüner, heiliger Lorbeer. Gute und schlechte Mittel verzehrt das Feuer des Ruhmes. Wie durch den unvorhergesehenen Einschlag eines Blitzes wurde der junge König auf die kriegerische Bahn geschleudert. Aber war es wirklich so? Hatte er nicht alles auf das genaueste für den Überfall Österreichs vorbereitet? Wartete er nicht, während er von der Pflicht des Regenten, den Völkern den Frieden zu erhalten, schwärmte, voll Spannung auf die Gelegenheit zum Kriege?


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