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Freimaurer

Als ein eigentümliches Zeichen der Sehnsucht nach einer universalen Ordnung kann man schließlich die Orden betrachten, die im 17. und 18. Jahrhundert entstanden. Der einzig bedeutende unter ihnen war der der Freimaurer, eine Verbrüderung jenseits der Schranken der Nationalität, des Bekenntnisses und des Standes. In England entstanden, trägt er das Gepräge des Deismus, ja man kann sagen, daß der Deismus in ihn mündete. Es haftete ihm aus dieser Herkunft das Dünne des Begriffsmäßigen an, aber der Gehalt an ewig wahren, menschenverbindenden Ideen erwirkte ihm doch eine rasche Verbreitung in einer Epoche, wo die gegenseitige Eifersucht der alten und der sich bildenden Großmächte und die Streitbarkeit der Bekenntnisse die abendländische Menschheit trennten. Die Brüderlichkeit, die auf Erden keine Stätte mehr zu haben schien, sollte unter den Freimaurern verwirklicht werden, ein Freimaurer sollte dem andern brüderlich verbunden sein, welcher Nation, welcher Kirche, welchem Stande er auch angehörte. Die Freimaurer ordnen sich den auf Erden herrschenden Vorurteilen unter, die sie nicht zerstören können, sie sind als Engländer Mitglieder der anglikanischen Kirche und weit entfernt, die Gesetze und Gebräuche ihres Landes mißachten oder gar bekämpfen zu wollen; aber sie wollen zugleich Bürger in der Sphäre der Menschheit sein und, soweit das möglich ist, den dort herrschenden Gesetzen gemäß handeln. Es war ein Geheimkult wie die Mysterien der Griechen, die helle Vernunftreligion führte unversehens in das Dunkel eines Allerheiligsten. Die Heimlichkeit war eine notwendige Vorsichtsmaßregel, denn dem Pöbel durfte man nicht sagen, daß es eine umfassendere Religion gebe als die, zu der er sich bekannte, und ein größeres Vaterland als das, in welches er hineingeboren war; aber es wirkte dabei der unwillkürliche Trieb mit, die Hülle des Übervernünftigen wiederzugewinnen, die der Verstand so hurtig zerstört hatte. Es fehlte der freimaurerischen Symbolik das Aroma, das den aus der Erde hervorwachsenden Pflanzen eigen ist, sie hat zum Teil das Frostige oder Abgeschmackte, das man nicht selten an den poetischen Ergüssen von Leuten beobachten kann, die viel Verstand und wenig Phantasie haben; grade deshalb aber entsprach sie dem Geschmack jenes Zeitalters.

Es ist wohl kaum zu bezweifeln, daß die Entstehung der Freimaurer mit den mittelalterlichen Bauhütten in Zusammenhang steht, die über das ganze Abendland verbreitet waren. In England gab es im 17. Jahrhundert Gesellschaften, sogenannte Logen von masons oder freemasons, die dadurch, daß Personen, die nicht vom Fach waren, Mitglieder werden konnten, ihren zunftmäßigen Charakter verloren hatten. Diese Bauleute, die nicht Bauleute von Beruf waren, gehörten meist der vornehmen Schicht an, die Träger der deistischen Religion war, und trugen ihre Ansichten in diesen Kreis hinein. Im Jahre 1707 schlossen sich mehrere sogenannte Werklogen zu einer Großloge zusammen, die als die erste Freimaurerloge im neuen Sinn betrachtet wird. Sie übernahmen die Symbole der alten Bauhütten, die mit der Baukunst zusammenhingen; so wurde der König Salomo, der den Tempel errichtete, als ältester Baumeister der Welt und Schutzpatron der Freimaurer verehrt, und die Bundeslade erscheint bedeutsam in der freimaurerischen Bildersprache. Auch an den Ritterorden der Tempelherren wurde angeknüpft, der im 14. Jahrhundert durch das französische Königtum ausgerottet wurde. Der König hatte damals die Anklage gotteslästerlicher Gebräuche zum Vorwand genommen, um die Güter des Ordens einziehen zu können; auch jetzt ärgerten sich die Außenstehenden an den Geheimnissen, mit denen die Brüder sich umgaben, und glaubten gern dem Gerücht von unerhörten Dingen, die sich hinter dem Vorhang versteckten.

Die ersten Großmeister waren adlige Herren, deren kirchliche Rechtgläubigkeit nicht mit Unrecht angezweifelt wurde; es hieß, die Freimaurer hielten die Menschen für Gevattern der Affen und glaubten nicht an die Auferstehung und das künftige Leben. Die atheistischen Auswüchse wurden indessen innerhalb der Loge selbst bekämpft, wie sie überhaupt im englischen Geistesleben keinen Bestand hatten. Der Orden verbreitete sich bald über ganz England. Die Freimaurer hielten öffentliche Umzüge, wobei dem Großmeister ein Schwert und die Verfassungsurkunde des Bundes vorangetragen wurden. Es kam vor, daß im Theater, es wurde eines der Königsdramen von Shakespeare aufgeführt, die anwesenden Brüder im Chore das Freimaurerlied anstimmten. Wie es der maurerischen Weltanschauung entsprach, wurden im Jahre 1732 zum ersten Male Juden in eine Loge aufgenommen; bald danach bekamen sie das Recht, Staatsbürger zu werden. Im Laufe des 18. Jahrhunderts nahm die Bewegung fortwährend zu, so daß gesagt werden konnte, der großartige Aufschwung Großbritanniens in dieser Zeit sei ein Werk der Freimaurer gewesen. Fast noch fruchtbarer für das Vaterland war der Orden in Nordamerika; von den 56 Stimmen, die die amerikanische Unabhängigkeitserklärung unterzeichneten, waren 53 Freimaurer.

Von England flutete das Maurerwesen bald nach dem Festland hinüber, und zwar wurde die erste Loge im Jahre 1728 in Madrid gegründet. Die erste deutsche Loge gab es in Hamburg, das naturgemäß für englischen Einfluß besonders empfänglich war; dort ließ sich Friedrich der Große, damals Kronprinz, aufnehmen. Nach seiner Thronbesteigung gründete er die erste Loge in Berlin und nannte sie Aux trois Globes; er selbst war Großmeister. Was er an religiöser Überzeugung besaß, stimmte mit dem Deismus überein.

Es wird uns berichtet, daß der junge König Friedrich von Preußen, wenn er im Kreise vertrauter Freunde in Charlottenburg speiste, die erste Gesundheit den anwesenden Freimaurern brachte, indem er den Hut abnahm und sagte: à votre santé, mes frères et compagnons, worauf die Freimaurer sich erhoben und tranken. In späterer Zeit kam der König von seiner Begeisterung für den Orden etwas zurück, nicht etwa weil er ihn für gefährlich hielt, man möchte eher sagen im Gegenteil, weil er fand, daß wenig Sprengstoff hinter der anspruchsvollen Geheimnistuerei verborgen war. Mann ohne Vorurteile, ein Titel, den sich die Freimaurer gern beilegten, war Friedrich ohnehin; aber diese Vorurteilslosigkeit wirkte sich nicht in großartiger Weise aus. Zweigte sich doch am Ende des 18. Jahrhunderts in Bayern der Illuminatenorden von den Freimaurern ab, weil diese zu untätig waren, zu wenig gegen den Despotismus in Staat und Kirche ausrichteten.

Soweit man über eine Gesellschaft urteilen kann, die sich manches Geheime vorbehielt, gingen die Taten der deutschen Freimaurer nicht weit über die Wohltätigkeit hinaus, die sie untereinander und gegen alle Menschen auszuüben verpflichtet waren. Wie die Gelehrten aller Länder untereinander verbunden waren, so auch die Freimaurer; aber die trennenden Dämonen zu überwinden, hatten sie keine Gewalt. Zu den höheren Graden wurden in Deutschland nur Fürsten, Adelige oder angesehene Personen zugelassen, soweit Leute in untergeordneter Stellung überhaupt Mitglieder waren, blieben sie eine stumme Gefolgschaft. Die mittlere und untere Volksschicht wurde kaum berührt. Die bedeutendsten Geister Deutschlands traten wohl in die Logen ein, Genüge fanden sie aber nicht darin. Hatte man ein Vergnügen an geheimen Zeichen, die man sich einprägen mußte, war man selbst stolz darauf, zu wissen und zu handhaben, woran viele vergebens rätselten, Eingeweihter zu sein, so ging doch von diesen Geheimnissen nicht die unnennbare Kraft aus wie von den Mysterien der Kirche, die Jahrhunderte hindurch vielen Völkern das Höchste bedeutet und Kraft gegeben haben. Die freimaurerischen Geheimnisse hätten als atheistische, etwa auf dem Boden stoischer Philosophie, eine gewisse Großartigkeit haben können; aber sie hatten mehr das Dünne und Verwaschene des Deismus.

Bedenkt man, wie die Freimaurer in England, Amerika, Italien und Deutschland am Aufstieg ihres Landes mitarbeiteten, ja wie sie grade zur Befreiung ihres Vaterlandes von ausländischem Druck an erster Stelle beitrugen, so könnte man sich fragen, wie weit sie noch an ihren ursprünglichen Grundsätzen festhielten. Indessen war es ja niemals die Meinung gewesen, das eigene Volkstum zu verleugnen, man wollte nur über die Nation hinaus Mensch sein. Überhaupt brachte es die Natur der Sache mit sich, daß der Orden nur von Mensch zu Mensch wirken, sich nicht an die Völker wenden konnte; und insofern konnte Lessings Ernst in den Gesprächen über die Freimaurer wohl die Frage aufwerfen: Worin unterscheidet sich denn der Freimaurer von jedem guten Bürger, der sich bestrebt, gerecht, hilfreich und wohltätig zu sein? Wie unterscheidet er sich, könnte man vollends fragen, von dem Christen, der das Gebot der Nächstenliebe befolgt, der sich bemüht, den Feind zu lieben?

Die tiefe Wehmut und Entsagung in Lessings Freimaurergesprächen macht sie so überaus anziehend. Jede Vereinigung von Menschen ist zugleich trennend. Sind diese Trennungen unvermeidlich? Kann es immer nur eine Unsichtbare Kirche sein, die alle Menschen guten Willens vereinigt? Haften der, die sich organisiert, immer die Gebrechen der armen Menschheit an?


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