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Brandenburg

Ganz in der Atmosphäre des Buches von Chemnitz, hatte er es nun gelesen oder nicht, lebte der junge Graf Georg Friedrich von Waldeck. Seinem Tatendrange genügte sein Ländchen nicht, es wurde ihm eng und dumpf zumute, wenn er sich dort aufhalten und mit den Nöten seines durch den Krieg ausgesogenen, verarmten Gebietes herumschlagen mußte. Er hatte in Holland Kriegsdienst getan; das war die hohe Schule für diejenigen jungen Fürsten und Adligen, die einst selbst Armeen anzuführen hofften. Als der junge Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg, der im Jahre 1640 die Regierung angetreten hatte, ihn in seinen Dienst zu ziehen wünschte, griff er zu. Wie so manches Mal staatsmännisch begabte Männer ihre Kraft im Namen eines Teilhabers ausüben, der den Titel und die Macht hat, und den sie mit ihrem Genie beseelen, ahnte er in Brandenburg die Möglichkeit, Taten zu tun, wie sie ihm vorschwebten. Man kann es merkwürdig finden, daß er Hoffnungen auf einen Staat setzte, der sich im Dreißigjährigen Kriege besonders unkräftig gezeigt hatte und durch Preußen Vasall Polens war, der Pommern mit dem Seehafen Stettin an Schweden hatte abtreten müssen und dessen Bewohner arm und roh waren. Die Umstände waren es, die Brandenburg darauf hinwiesen, protestantische Vormacht zu werden. Pfalz und Sachsen, die die Führung der Protestanten vor dem großen Kriege gehabt hatten, waren zurückgegangen, Pfalz war ein notdürftig zusammengeflicktes Ländchen geworden, das nur eben seine Selbständigkeit behauptete, Sachsen hatte durch seine zum Kaiser hinneigende unentschlossene Politik an Ansehen eingebüßt; so wurden die Blicke der Protestanten auf Hannover und Brandenburg gelenkt. Der junge Friedrich Wilhelm, Kurfürst von Brandenburg, ließ sofort merken, daß er die Absicht hatte, die Macht seines Landes zu erhöhen. Der kaiserliche Gesandte Lisola, ein scharfsichtiger Beobachter, sagte von ihm, er sei nicht bedeutenden Geistes, habe aber den Wunsch, als ein großmütiger Fürst dazustehen; auf einen so gearteten Herrn konnte Waldeck Wirkung ausüben zu können hoffen. Sie waren gleichaltrig, es gelang Waldeck bald, des Kurfürsten Gunst, ja seine Neigung zu gewinnen.

Die Anfänge von Friedrich Wilhelms Politik waren ein vollständiger Fehlschlag. Zwei Aufgaben waren es, die er sich gestellt hatte: das rheinische Fürstentum Jülich-Berg und das schlesische Fürstentum Jägerndorf sich anzueignen, auf die er Ansprüche zu haben glaubte. In das Herzogtum Cleve hatten sich beim Aussterben des Cleveschen Hauses der Kurfürst von Brandenburg und der Herzog von Neuburg geteilt, so daß der erstere Cleve, Mark und Ravensberg, der andere Jülich-Berg erhielt; jeder von beiden behielt sich aber im stillen vor, das Ganze sich anzueignen, wenn sich Gelegenheit böte. Jägerndorf, wozu noch einige andere schlesische Landesteile kamen, war im Besitz des Kaisers, der den brandenburgischen Anspruch nicht anerkannte und nicht im Sinne hatte, auf die ihm besonders wertvolle Provinz zu verzichten; aber die Brandenburger rückten unermüdlich damit auf, wie es die Fürsten zu tun pflegten, um einen einmal erhobenen Anspruch nicht erlöschen zu lassen. So sehr erfüllten diese Pläne namentlich des Kurfürsten Herz, daß er es unternahm, nicht lange nachdem unter unsäglichen Mühen der Westfälische Friede zustande gekommen war, Jülich-Berg mit Waffengewalt dem Herzog von Neuburg zu entreißen. Dieser mit unzureichenden Mitteln und im unglücklichsten Augenblick gewagte Friedensbruch hatte zur Folge, daß Friedrich Wilhelm einen beschämenden Rückzug antreten mußte und in den Ruf unbezähmbarer Ländergier geriet.

In Waldecks Augen war die kurfürstliche Politik altfränkisch, unfruchtbar, einseitig; er hatte höhere, umfassendere Ziele. Im Grunde kam es ihm auf Vernichtung des Hauses Habsburg und Erhöhung des Hauses Hohenzollern an. Des Reichsgrafen Gedanken waren auf das Wohl und Wehe des Reiches, die des Kurfürsten nur auf sein eigenes Territorium gerichtet. Wie Chemnitz sah Waldeck im Hause Habsburg den allgemeinen Feind. Die Leidenschaften des großen Krieges brannten noch in ihm, er war überzeugt, daß der Kaiser, wenn er könnte, die Protestanten ganz unterdrücken würde. Grade wie es bei Chemnitz ausgeführt wurde, sah er die Rettung in der Verbindung aller Reichsstände, der protestantischen und der katholischen, gegen das verderbliche Haus Österreich. Die Kombination des großen Krieges, daß die anti-österreichische Partei Schutz bei Frankreich, namentlich aber bei Schweden suchte, war ihm selbstverständlich. Eine möglichst starke Allianz im Reiche zustande zu bringen, deren Spitze gegen den Kaiser gerichtet wäre, wenn das auch nicht ausgesprochen werden durfte, das war sein nächstes Bestreben; das Haupt der Allianz sollte der Kurfürst von Brandenburg sein. Der Kurfürst, das war er selbst. Er fühlte die Kraft in sich, Führer im Reich zu werden, an die Stelle des tyrannischen Hauses Österreich zu treten, vielleicht tyrannischer als dieses. Ein jeder, hatte Chemnitz geschrieben, behauptete für das Gleichgewicht der Kräfte zu arbeiten, während er danach trachtete, sich selbst zu erheben und die andern zu unterdrücken. Das würde sich Waldeck kaum eingestanden haben; in Brandenburg sah er einen entwicklungsfähigen Staat, einen nach Großem strebenden Fürsten, hier konnten gewandte, nervige Hände mit Erfolg das Steuer ergreifen. Es gab freilich viel Arbeit, kleinliche, mühsame Arbeit, bevor das Ziel erreicht werden konnte. Zuerst mußte er des Kurfürsten Seele gewinnen und seine bisherigen Räte entweder auf seine Seite bringen oder stürzen, dann die Fürsten und Räte der andern Staaten zum Abschluß der Allianz bewegen, wobei er darauf achten mußte, daß sie die Absicht des Kurfürsten auf eine beherrschende Stellung nicht merkten. Alles das getraute Waldeck sich zu erreichen. Wirklich gelang es ihm, diejenigen Räte, auf die Friedrich Wilhelm bisher gehört hatte, zu überstimmen. Sie waren gut protestantisch; aber sie standen auf dem Boden der alten Reichsverfassung. Ein Staat wie Brandenburg, meinten sie, könne nur in Verbindung mit anderen, mächtigeren sich erhalten, entweder im Bunde mit dem Auslande oder mit dem Kaiser, das letztere sei das natürliche, empfehlenswerte. Die einstige Kraft und Herrlichkeit des Reiches komme nicht wieder; aber man könne doch die jetzige Verfassung erhalten. Danach müsse man streben, daß Kaiser und Kurfürsten miteinander das alte Gebäude im Stande hielten. Waldeck hoffte im Gegenteil, der Kaiser werde, obwohl ihm das durch den Westfälischen Frieden und durch die letzte Wahlkapitulation verboten war, Spanien gegen Frankreich unterstützen; denn der Krieg zwischen diesen beiden Mächten dauerte noch fort; das würde Brandenburg einen Vorwand liefern, seinerseits in den Krieg einzutreten, und er faßte bereits ins Auge, daß die Spanischen Niederlande an Frankreich abgetreten würden, wogegen Frankreich das vielbegehrte Jülich-Berg an Brandenburg zu bringen hätte. Das war eine Lockspeise für den Kurfürsten. Über eine solche Politik der Hinterhältigkeit und Zügellosigkeit waren die kurfürstlichen Räte entsetzt; Waldeck ließ sie zetern und die Hände ringen, wenn nur das Ziel erreicht würde. Aber die Verhandlungen mit den Fürsten wegen der Allianz machten nur langsame Fortschritte, wenig wurde erreicht, weil der Argwohn gegen Brandenburgs Ehrgeiz allgemein und schwer zu beschwichtigen war; doch ließ sich Waldeck keine Mühe verdrießen. Da traten Ereignisse ein, die nicht vorauszusehen gewesen waren und die seiner nach Westen gerichteten Politik eine andere Richtung gaben.


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