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Wien

Die seit der Mitte des 17. Jahrhunderts herrschende Schicht, der Adel, dessen größte Leistungen Waffentaten waren, hat nirgends so rühmlich gewirkt wie in Österreich; denn die Kriege Österreichs waren Befreiungskriege, die das Reich vor den Eroberungsplänen Frankreichs und der Türkei retteten. Nirgends auch hat sich der Adel ein so großartiges Denkmal gesetzt wie in Österreich: das Wien der Barockzeit.

Wien war im Anfang des 18. Jahrhunderts mit etwa 200 000 Einwohnern die größte Stadt im Reiche, die Hauptstadt des Reiches, die Kaiserstadt. Seit dem Regierungsantritt Leopolds I. und vollends seit dem großen Türkenkrieg im Jahre 1683, als durch die Belagerung vieles zertrümmert war und die völlig zerstörten Vorstädte in die Linie einbezogen worden waren, gestaltete sich die Stadt ihrer Würde gemäß. Im Stil des frühen Barock baute sich der Adel weiträumige Häuser, die geeignet waren, viele Gäste zu empfangen, Damen in bauschigen, langschleppigen Brokatkleidern, Herren in löwenmähniger Perücke, den Degen an der Seite. Es entstanden die Paläste Starhemberg, Lobkowitz, Caprera, Trautson, Schwarzenberg, das Stadt- und das Sommerhaus Liechtenstein, das Haus des Prinzen Eugen an der Himmelpfortgasse und sein Sommerpalast, der später Belvedere genannt wurde. Diese Paläste sind wuchtig und grandios; aber es fehlt ihnen nicht ganz an Gemütlichkeit. Waren die früheren zurückhaltend, so entlud sich in den späteren die Lust an hochgeschwungenen Formen und an prächtiger, bildhafter Verzierung ungehemmt. Der natürlich quellende Fluß der Phantasie ließ ihr Werk nie als aufdringlich erscheinen, das Übermaß selbst diente der Erhöhung des Ganzen. Wie es die Gotik vermocht hatte, löste das Barock die Härte des Steins auf, ließ den undurchdringlichen Stoff biegsam und fast durchsichtig erscheinen. Der mächtige Umriß des Belvedere verschmilzt so zart in die Landschaft, daß man meinen kann, er werde, während man die Augen schließt und wieder öffnet, wie ein Traumbild verschwinden. Doch ist Kraft und männliche Leistung überall gegenwärtig. An den Portalen und Treppen strafft sich wohl der muskulöse Körper des Herkules, neben Allegorien und Emblemen des Ruhmes bilden seine Taten und seine Aufnahme in den Göttersaal den Gegenstand der Deckengemälde. Im Belvedere waren die Siege des Prinzen Eugen in einer Reihe von Gemälden dargestellt.

Unter den Architekten waren die größten der in Graz geborene Johann Bernhard Fischer von Erlach und sein Sohn und Lukas Hildebrandt. Gleichzeitig mit ihnen arbeiteten unzählige andere, meistens Italiener, dazu Stukkisten, Gipser, Freskanten, Maler. Auch von diesen war die Mehrzahl Italiener, doch gab es daneben Deutsche, wie zum Beispiel die drei Brüder Strudel, die mit Apelles, Praxiteles und Phidias verglichen wurden. In derselben Zeit, wo die Paläste entstanden, wurden auch viele alte Kirchen dem neuen Geschmack entsprechend umgebaut und neue errichtet. Die bedeutendste unter den neuen ist die Karlskirche, ein Meisterwerk des älteren Fischer von Erlach, für Kaiser Karl gebaut, dem heiligen Carlo Borromeo geweiht. Mit genialer Kraft ist die barocke Kuppel mit dem tempelartigen Vorbau zu einer Einheit zusammengefaßt. Die beiden Säulen weisen im Andenken an Karls Aufenthalt in Spanien und seine dortigen Taten auf die Säulen des Herkules, die einst ein Nonplusultra bedeuteten, das von Karl V. in ein Plusultra verwandelt wurde. Die Kirche ist gravitätisch ernst und prunkvoll, und es umweht sie nicht, wie einst die gotischen, der Schauer des Heiligen; dennoch fügt sich die ganze barocke Herrlichkeit wohllautend zu einem feierlich rauschenden Akkord unter dem tiefen Grundton des alten gebietenden Doms von Sankt Stephan.

Zur Architektur gesellte sich die Musik als Muse Wiens, und in dieser Hinsicht mag die Kultur Sachsens mit der Österreichs verglichen werden. Der große Unterschied hängt mit dem Unterschied des Glaubensbekenntnisses zusammen, der wiederum mit der Eigenart von Land und Leuten zusammenhängen mag. Das wesentliche Merkmal des Protestantismus, der den Gläubigen in unmittelbare Beziehung zu Gott setzt ohne die Vermittelung der Kirche, die für den Katholiken eins ist mit dem Christentum, kommt in den monumentalen Musikschöpfungen der Schütz, Bach, Händel zu gültigem Ausdruck: Gott, die Liebe, wird Fleisch, wirkt in der Welt und wird von der Welt gekreuzigt, die Urtragödie der Menschheit offenbarte sich in Tönen durch das protestantische Genie. Das katholische Genie Österreichs hat ihm die Komödie gegenübergestellt, wenn man diesen Begriff im höchsten Sinne faßt. Die katholische Kirche steht zwischen Gott und dem Menschen, die ewige Glut mildernd, den Strom der himmlischen Gnade verteilend, einen heiteren Glanz gleichmäßig verbreitend. Das Himmlische steht dort nicht dem Menschlichen in einem Gegensatz gegenüber, der vernichtend sein kann, sondern mischt sich ihm vertraulich. Die Mischung des Überirdischen und Irdischen läßt das Leben als Komödie erscheinen, als ein Gewebe von Verwickelungen und Lösungen, von Verfehlung und Versöhnung, von Gutem und Bösem, das trotz seines Widerstandes in das allbeseligende göttliche Licht aufgenommen wird. Der Gegensatz der menschlichen Wirrsale zu der hohen göttlichen Ordnung stellt sich in Abstufungen des Komischen, Humoristischen, Wehmütigen bis zum Komisch-Tragischen dar, welches letztere in dem Durcheinander der Elemente nur ein Anklang sein kann. Den Sieg behält das göttlich-gütige Lächeln, das menschliche Torheit und Bosheit mit unerschöpflicher Gnadenfülle auszugleichen verheißt. In diesem Sinne war das mittelalterliche Mysterienspiel Komödie, wo der Teufel als komische Person in die Passion des Herrn hineingrinsen durfte. Von diesem Geist erhielt sich etwas in den katholischen Ländern, namentlich in Österreich, sowohl durch Volksgebräuche wie durch die dramatischen Aufführungen an den Jesuitenschulen. Sie waren durch Hinzufügung von Musik und durch die Wirkung künstlicher Maschinen nicht selten großartig und erhielten den Sinn für das Ineinanderspielen von Himmel, Hölle und Erde, für das Verzaubernde der Musik, für die Aufgabe der Kunst, die Alltäglichkeit des Lebens mit dem Schein des Wunderbaren zu durchleuchten. Die musikalische Begabung der Dynastie Habsburg und die ihnen eigentümliche leidenschaftliche Liebe zur Musik vereinigte sich mit der Natur der Österreicher, um die Musik in Wien heimisch zu machen; Wien war von jeher eine melodische Stadt. Leopold komponierte selbst: im Jahre 1683 wurde seine Musik zu der deutschen Komödie »Die thörichte Schäferin« gespielt; auch zu einer anderen Komödie mit dem Titel »Die Ergetzungsstunden der Schlavinen auf Samia«, die bei Gelegenheit der Hochzeit Max Emanuels von Bayern mit Leopolds Tochter eigens für die Hofdamen bestimmt war, hatte der Kaiser die Musik gemacht. Noch nach seinem Tode wurde bei gewissen kirchlichen Feierlichkeiten ein von ihm komponiertes Salve regina gesungen. Joseph I., der ebenso wie sein Vater eine gute musikalische Bildung besaß, ließ ein neues Theater bauen, das sowohl für die große Festoper wie für das italienische Schauspiel bestimmt war. Oper und Schauspiel bezogen sich in der Maske antiker oder biblischer, zuweilen auch altgermanischer Stoffe auf die großen Ereignisse der Gegenwart, wie es die Titel andeuten: Die Rückkehr des Julius Caesar als Sieger über Mauretanien; die ruhmvollen Vorbedeutungen des Scipio Africanus; Herkules Besieger Indiens; der besänftigte Mars; das wiedereroberte Kapitol. Unter Leopold komponierte der Italiener Bononcini Opern, die im ganzen Abendlande bewundert wurden, zur Zeit Karls VI. ließ Caldara über achtzig Opern in Wien aufführen. Auch Opern von Scarlatti, Porpora, Lotti und Hasse waren beliebt. Der Steiermärker Johann Joseph Fux wurde 1696 Organist bei den Schotten, später Hofkapellmeister Leopolds und Karls. Er widmete Karl ein berühmtes Lehrbuch der Komposition: Gradus ad Parnassum.

Das Hoftheater wurde auf Kosten des Kaisers geführt und erforderte große Summen; es war nur dem Hof und geladenen Gästen zugänglich. Ein italienischer Textdichter machte darauf aufmerksam, welchen Vorteil ein Theater haben würde, das sich durch ein zahlendes Publikum erhielte. Joseph I. ging auf den Vorschlag nicht ein, aber die Stadt ergriff den Gedanken und baute im Jahre 1708 ein am Kärntnertor gelegenes Theater, das eine Heimstätte für die Wiener Komödie und insbesondere für die Hanswurstkomödie werden sollte. Zunächst wurden sogenannte Haupt- und Staatsaktionen gegeben, die irgendein historisches Ereignis, meist aus dem Altertum, ziemlich langatmig und trocken abhandelten. Der Steiermärker Johann Anton Stranitzky, der das Haupt einer deutschen Truppe war, kam auf den glücklichen Einfall, diese gravitätischen Ungetüme durch Einführung einer lustigen Person, des Hanswurst, kurzweiliger zu machen. Die komische Person, die er selbst spielte, trat in verschiedenen Rollen auf, wie das Stück es eben erlaubte, als Soldat, als Doktor, als geprellter Bräutigam, als Wirt, immer einfältig-schlau und die zündende Macht über das Gelächter des Publikums. Eins der beliebtesten Stücke Stranitzkys war das Leben und der Tod des Doktor Faust, worin der Hanswurst den Dämon besiegt, während er der bösen Frau nicht Meister wird; Stranitzky, der im Leben ernsthaft und bieder gewesen sein soll und nebenbei Hof-Zahn- und -Mundarzt war, starb im Jahre 1726 als reicher Mann. Sein Nachfolger, der junge Gottfried Prehauser, trat zuerst in dem Volksstück Don Juan sowohl als Einsiedler wie als Hanswurst auf. Er schaffte die herkömmliche Haupt- und Staatsaktion ab und machte den Hanswurst, der früher Gegenspieler des Helden gewesen war, zur Hauptperson. Eine Abart des Hanswurst schuf Johann Felix von Kurz in der Figur des Bernardon. Die Hanswurstiaden und die Bernardoniaden waren Stegreifkomödien, für die nur eine Art Gerüst, ein Szenarium, entworfen wurde. Sie stellten hohe Ansprüche an die Geistesgegenwart, den Witz und Einfallsreichtum der Schauspieler.

Wenn auch Kaiser Franz I. und manche Herren seiner Umgebung Geschmack an den Hanswurstiaden hatten, so bestand doch ein Gegensatz zwischen dem höfischen Theater und der städtischen Komödie, der dem Publikum desto deutlicher bewußt wurde, je mehr das Klassische aufkam. Graf Kaunitz führte als Franzosenfreund eine französische Truppe ein, deren Darbietungen, wie alles Französische, vom Volk abgelehnt wurden. Auch das Theater der Neuberin, die ein Gastspiel gab, fand das Wiener Publikum steif und manieriert. Dennoch siegte das Klassische bis zu dem Grade, daß Kurz Wien verlassen mußte und andere Städte aufsuchte. Als er nach einigen Jahren zurückkehrte, wurde er mit Jubel empfangen. Sein besonderes Verdienst war es, daß er das Element des Zaubermärchens in die Bernardoniade mischte. Dadurch wurde die Komödie völlig von der Wirklichkeit losgelöst und eine Sphäre geschaffen, in der das Wunderbare lachend über das Verständige triumphierte. Mögliches und Unmögliches, Plattes und Erhabenes, Traum und Wirklichkeit gaukelten durcheinander unter dem Szepter von Musik und Poesie.

Nach dem Siebenjährigen Kriege schickte sich die Aufklärung, die nun erst recht in Wien eindrang, in der Person des Professors Sonnenfels zum Kampf gegen die Burleske an. Einer ihrer Verteidiger ließ ihn als Herr Langwitz in einem satirischen Lustspiel auftreten, und es entstand ein jahrelang andauernder Streit, der der Hanswurstkrieg genannt wurde. In einem anderen Lustspiel hielt Apollo eine Lobrede auf Prehauser-Hanswurst und setzte sich zum Schluß dessen grünen Hut auf sein Götterhaupt. Bald darauf starb Prehauser, 77 Jahre alt, man muß an den Ausspruch Montesquieus denken: In Wien stirbt man, aber man altert nicht. Sonnenfels jubelte: er ist gefallen, der große Pan! Die Stütze der Burleske ist gefallen, ihr Reich zerstört! Aber der große Pan war nicht tot; im Jahre 1781 eröffnete Marinelli ein Theater in der Leopoldstadt, wo die Zauberposse auferstand. Johann Laroche trat in zahlreichen Stücken als Kasperl auf: Kasperl unter den Menschenfressern, Kasperl in der Narrengasse, Kasperl als Mahomet. Hasenhut schuf die komische Rolle des Thaddädl, der junge Kapellmeister Wenzel Müller begann die lange Reihe seiner Kompositionen mit dem Sonnenfest der Brahminen und dem König auf der grünen Wiese. Im Jahre 1786 wurde das Theater auf der Wieden, 1788 das Theater in der Josephstadt eröffnet.

Kurz-Bernardon starb im Jahre 1783; aber er war schon vorher tödlich getroffen, da die Stegreifkomödie verboten wurde. Maria Theresia hielt große Stücke auf Sonnenfels; auch war sie seit dem Tode ihres lebenslustigen Gatten so verdüsterten Gemütes, daß es leicht war, sie gegen die Burleske einzunehmen, der man Unanständigkeiten mit Recht vorwerfen konnte. Die Muse der Musik indessen, die an der Donau wandelte, ließ sich durch die Aufklärung nicht gebieten, sondern begnadete die Tollheiten und Phantasien des Volkes ebenso wie den Ernst und die Feierlichkeit des Hofes. Komponierte doch Haydn die Musik zum krummen Teufel, einer besonders beliebten Bernardoniade von Johann Felix von Kurz.

Im Todesjahr des Prinzen Eugen, 1736, erschien der junge Christoph Willibald Gluck zum erstenmal in Wien, Gast im Hause Lobkowitz, wo er mit Fux und Caldara verkehrte. Zwölf Jahre später komponierte er zur Eröffnung des Burgtheaters mit Beziehung auf Maria Theresia »Die wiedererkannte Semiramis«. Eine seiner frühen Opern, »Die Chinesen«, wurde weit berühmt. Gegen Ende des Siebenjährigen Krieges fand die erste Aufführung des Orpheus statt, einer Oper, die nicht ohne Verwandtschaft mit dem phantastischen Zauberstück ist. Den Text hatte ein Italiener geschrieben, der als juristischer Beamter in Wien lebte. Im selben Jahre wurde der kleine Mozart von der kaiserlichen Familie bewundert und gehätschelt.

Wenn ein Festsaal mit Trauben aus buntem Glase geschmückt wäre, würde es niemandem auffallen, wenn zwischen die gläsernen Beeren ein Edelstein geraten wäre. Nur einem Kenner verriete vielleicht das schönere Feuer den kostbaren Fremdling. Die meisten freuen sich an dem reizenden Tand, der den Saal mit festlichem Glanz erfüllt, wie es seine Bestimmung ist, und was ihnen zumeist ins Auge fällt, loben sie am lautesten. So wurde in Wien dem großen Genie, das die Kaiserstadt mit unvergänglicher Glorie krönte, nicht die einhellige Verehrung zuteil, die wir ihm dargebracht sehen möchten. Er war eine Stimme in einem Chor, der wie einst die Nachtigallen in den Gärten Wien mit Wohllaut erfüllte, einem Chor, in dem es viele Italiener gab, die man gewöhnt war, als unübertreffliche und beispielgebende Musiker und Dichter zu betrachten. Immerhin wurde Mozart von Kaiser Joseph gewürdigt und geschützt, wenn auch nicht seiner Bedeutung entsprechend.

Unter Joseph verschwanden allmählich, je mehr Fabriken entstanden, die vielen Gärten. Zum Ersatz eröffnete er dem Volk den Prater und den Augarten, der die alte Favorite umgab. Über das Portal, das zum Augarten führte, ließ er die Inschrift setzen: »Allen Menschen gewidmeter Erholungsort von ihrem Schätzer.« Neben der wohlwollenden Absicht spricht sich die etwas knöcherne Korrektheit des gekrönten Menschenfreundes in diesen Worten aus. Einen anderen Charakter als diese Gärten, wo zwischen den Karossen der Vornehmen und den Konzerten für Kenner die einfachen und kindlichen Belustigungen des Volkes sich auftaten, hatte der Park von Schönbrunn, der einen Palast Maria Theresias umgab. Die marmornen Brunnen und Götterbilder, die durch die Gebüsche schimmerten, krönte die im Jahre 1775 von dem Baumeister Hetzendorf von Hohenberg erbaute Gloriette. Getragen von anmutigen Arkaden breitet der Kaiseradler seine Flügel über Helme und Waffen aus, die Denkzeichen kriegerischer Taten. Das Majestätische war in Wien mit dem Lieblichen verschwistert, eine Mischung, die auch Maria Theresia verkörperte. So vereinigte sich die Majestät der Kirche mit dem volkstümlichen Glauben und Aberglauben. Joseph konnte weder die Anhänglichkeit an den Papst noch die Gewohnheit des Wetterläutens ausrotten.


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