Unbekannte Autoren
Tausend und eine Nacht. Band XVIII
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Fünfzehnte Nacht.

Die Geschichte von dem Mann, der mit seiner Wohnung und Speise gegen einen Unbekannten freigebig war.

»Wisse, o König, es war einmal ein Araber von schönem Äußern und vornehmer Erscheinung, der sowohl hochherzig als freigebig war. Derselbige hatte Brüder, mit denen er zechte und verkehrte, und die abwechselnd in einem Haus nach dem andern zusammenkamen. Als ihn die Reihe traf, besorgte er allerlei köstliche und delektierliche Gerichte und seine Weine, prächtige Blumen und schöne Früchte, sowie allerlei Musikinstrumente und versorgte sich auch mit Schätzen an Wahrsprüchen, merkwürdigen Geschichten, hübschen Belehrungen, Anekdoten und Schwänken, Versen und dergleichen, da alle in der Gesellschaft, mit der er verkehrte, an jeglichem hübschen von diesen Dingen Gefallen fanden; kurz, er hatte alles Erforderliche beschafft. Hierauf machte er bei seinen Brüdern in der Stadt die Runde, um sie zu versammeln, doch traf er keinen zu Hause an. Nun aber weilte in jener Stadt ein Elegant, ein hübscher, junger Kaufmann von 180 strahlendem Antlitz und hoher Großmut, der mit reicher Ware und großem Gut in jene Stadt gekommen war. Der Aufenthalt in jener Stadt gefiel ihm, und er gab sein Geld mit vollen Händen aus, bis er nichts mehr besaß als die Kleider, die er an seinem Leibe trug. Er hatte bereits die Wohnung, in der er in den Tagen seines Glückes gelebt hatte, aufgeben müssen, nachdem er ihre ganze Einrichtung versilbert hatte, und suchte von einer Nacht zur andern in den Wohnungen der Leute Unterschlupf, als er eines Tages, während er die Stadt durchstreifte, ein Mädchen von höchster Schönheit und Anmut gewahrte. Ihr Anblick verwirrte ihn und machte ihn seine elende Lage vergessen; sie aber kam auf ihn zu und scherzte mit ihm und willigte ein, sich mit ihm zu vergnügen, indem sie zu ihm sagte: »Laß uns in deine Wohnung gehen.« Da bereute er es und bekümmerte sich, da er nicht wußte, was er machen sollte, und ihm das Vergnügen wegen seiner bedrängten Lage und Mittellosigkeit entgehen mußte. Er schämte sich jedoch Nein zu sagen, nachdem er sie angesprochen hatte, und schritt ihr voraus in Gedanken versunken, wie er von ihr loskommen oder ihr einen plausibeln Grund vorbringen sollte. So schritt er von Gasse zu Gasse, bis er zu einer Sackgasse gelangte, an deren Ende er eine Thür mit einem Vorlegeschloß erblickte. Da sagte er zu ihr: »Entschuldige mich, mein Bursche hat die Thür verschlossen; was sollen wir mit ihr thun und wer wird sie öffnen?« Sie versetzte: »Mein Herr, das Schloß dieses Hauses ist doch nur zehn Dirhem wert.« Hierauf entblößte sie zwei Unterarme wie Krystall und nahm einen Stein, mit dem sie das Schloß zerschlug. Dann öffnete sie die Thür und sagte zu ihm: »Tritt ein, mein Herr.« Da trat er im Vertrauen auf Gott, den Mächtigen und Herrlichen, ein, während sie ihm folgte und die Thür von innen verschloß. Und siehe, da befanden sie sich in einem hübschen Haus, das alles Gute und Schöne enthielt. Der Jüngling stieg nun zum Wohnzimmer hinauf, das aufs schönste eingerichtet war, wie oben 181 beschrieben, und lehnte sich gegen ein Kissen, während das Mädchen den Schleier abnahm und sich ihrer Oberkleider entledigte, so daß ihre Reize sichtbar wurden. Dann umarmte sie der junge Mann und küßte sie, worauf sie sich wuschen und wieder an ihren Platz zurückkehrten. Alsdann sagte er zu ihr: »Wisse, ich kümmere mich wenig um meine Wohnung, da ich meinem Burschen vertraue; steh' daher auf und sieh' zu, was der Bursche in der Küche gemacht hat.« Da erhob sie sich und begab sich in die Küche, wo sie die Kessel auf dem Feuer stehen sah, in denen sich allerlei leckere Speisen befanden, sowie Feinbrot und frische Mandelkuchen. Sie legte daher etwas Brot auf einen Präsentierteller und schöpfte aus den Töpfen; dann trug sie die Speisen auf, und sie aßen und tranken und scherzten und waren eine Weile fröhlich. Während sie aber so dasaßen, trat plötzlich der Hausherr mit seinen Freunden herein, um wie üblich beisammen zu sein. Als er die Hausthür offen sah, klopfte er leise an, indem er zu seinen Freunden sagte: »Wartet, denn einige meiner Angehörigen haben mich besucht; die Entschuldigung kommt deshalb zuerst Gott, dem Erhabenen, und dann euch zu.« Infolgedessen verabschiedeten sie sich von ihm und gingen auseinander, worauf er noch einmal leise an die Thür pochte. Als nun der Jüngling dies hörte, wechselte er die Farbe; das Mädchen aber sagte zu ihm: »Ich glaube dein Bursche ist jetzt gekommen.« Er erwiderte: »Ja.« Da erhob sie sich und öffnete die Thür, worauf sie zum Hausherrn sagte: »Wo bist du gewesen? Dein Herr ist schon böse auf dich.« Der vermeintliche Bursche versetzte: »Meine Herrin, ich war allein in seinen Geschäften fort.« Hierauf band er sich ein Tuch um den Leib und trat ein und begrüßte den jungen Mann, der ihn fragte: »Wo bist du gewesen?« Er erwiderte: »Ich habe deine Geschäfte besorgt.« Hierauf sagte der junge Mann: »Geh' und iß und komm' dann her und trinke.« Da ging er fort und aß, wie ihm geheißen war, worauf er sich wusch und sich zu ihnen auf den Teppich setzte und mit ihnen 182 plauderte, so daß sich des Jünglings Herz beruhigte und seine Brust froh ausdehnte. So verbrachten sie die Zeit aufs beste und angenehmste, bis ein Drittel der Nacht verstrichen war, worauf sich der Hausherr erhob, ihnen ein Bett zurecht machte und sie zum Schlafen einlud. Und so legten sie sich nieder, während der junge Mann die ganze Nacht über wach blieb und sich über ihren Fall Gedanken machte, bis das Mädchen bei Anbruch der Morgenröte erwachte und sagte: »Ich möchte jetzt gehen.« Da nahm er von ihr Abschied, und sie ging fort, worauf der vermeintliche Bursche ihr folgte und ihr eine Börse mit Geld überreichte, indem er seinen Hausherrn entschuldigte und zu ihr sagte: »Nimm's meinem Herrn nicht übel.« Alsdann kehrte er zu dem jungen Mann zurück und sprach zu ihm: »Steh' auf und komm ins Bad.« Dann knetete er ihm die Hände und Füße, so daß der Jüngling ihn segnete und zu ihm sagte: »Mein Herr, wer bist du? Ich glaube, daß es in der ganzen Welt keinen giebt, der so höflich wie du bist.« Alsdann erzählten sie einander ihre Geschichte und gingen ins Bad, und der Hausherr beschwor den Jüngling zu ihm zurückzukehren und lud seine Freunde ein, worauf sie schmausten und zechten. Der Hausherr erzählte ihnen den Vorfall, und sie dankten ihm und lobten ihn. Ihre Freundschaft war vollkommen, so lange der Jüngling in der Stadt lebte, bis Gott ihm die Reise ermöglichte, worauf sie voneinander Abschied nahmen und er fortzog. Das ist das Ende ihrer Geschichte, doch ist sie nicht wunderbarer, o König der Zeit als die Geschichte von dem Reichen, der sein Geld und seinen Verstand verlor.«

Dem König gefiel diese Geschichte, und er sagte zum Wesir: »Geh' nach Hause.« Am andern Abend setzte der König sich wieder in sein Zimmer und ließ den Wesir zu sich entbieten, worauf er ihm befahl die versprochene Geschichte zu erzählen. Und so hob der Wesir an: 183

 


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