Unbekannte Autoren
Tausend und eine Nacht. Band XVIII
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Die Geschichte vom Gefangenen, dem Gott Trost brachte.

»O König, man erzählt, daß einmal ein König lebte, der ein hohes Schloß besaß, welches ein Gefängnis des Königs überragte. In jeder Nacht hörte er jemand beten: »O du naher Tröster! O du, dessen Trost nahe ist, tröste mich!« Eines Tages ergrimmte der König darüber und sagte: »Dieser Dummkopf hofft auf Vergebung seiner Schuld.« Dann fragte er: »Wer ist in diesem Gefängnis?« Sie erwiderten: »Leute, an denen eine Blutschuld erfunden ist.« Da befahl der König den Mann herbeizuführen und sprach zu ihm: »Du Thor, wie willst du aus diesem Gefängnis entrinnen, wo deine Schuld so groß ist?« Hierauf schickte er ihn mit einem Trupp fort und befahl der Wache: »Nehmt ihn und kreuzigt ihn außerhalb der Stadt.« Es war aber Nachtzeit. Wie ihn nun die Soldaten hinausführten und vor der Stadt kreuzigen wollten, wurden sie von bewaffneten Räubern überfallen, so daß sie den Delinquenten losließen und flüchteten, während er gleichfalls tief in eine der Steppen floh und nicht eher zur Besinnung kam, als bis er sich in einem Dickicht befand. Da aber brach mit einem Male ein Löwe von fürchterlicher Gestalt hervor und packte ihn und warf ihn unter sich, worauf er einen Baum entwurzelte und über ihn legte. Dann eilte er ins Dickicht, um die Löwin zu holen. Bei alledem aber vertraute der Mann auf Gottes, des Erhabenen, Hilfe und sprach bei sich: »Was ist das für eine Geschichte!« Hierauf entfernte er die Blätter von sich und gewahrte, als er sich erhob, einen Haufen menschlicher Gebeine von den Leuten, die der Löwe zerrissen hatte. Bei weiterem Zusehen fand er auch einen Haufen Gold, das neben einem Geldgurt der Länge nach lag. Verwundert hierüber las er das Gold auf und steckte es in seinen Busen, worauf er aufs Geratewohl 119 aus dem Wald herauswanderte, ohne sich in seiner Furcht vor dem Löwen nach rechts und links zu kehren, bis er zu einem Dorf gelangte, wo er sich niederwarf und wie ein Toter bis zum Tagesanbruch liegen blieb. Nachdem er sich von seiner Erschöpfung ausgeruht hatte, erhob er sich, vergrub das Gold und begab sich ins Dorf. Und so errettete ihn Gott und gab ihm außerdem das Gold.«

Da sagte der König zum Jüngling: »Wie lange willst du mich noch mit deinem Geschwätz hintergehen, Bursche? Deine Todesstunde ist genaht.« Alsdann befahl der König ihn an dem Holz zu kreuzigen, und schon waren sie daran ihn hinaufzuziehen, als mit einem Male der Räuberhauptmann, der ihn gefunden und erzogen hatte, ankam und fragte: »Was ist das für eine Menschenmenge und ein Gedränge, das sich hier versammelt hat?« Als sie ihm mitteilten, daß der König einen Pagen, der sich schwer gegen ihn vergangen hätte, hinrichten wollte, trat der Räuberhauptmann vor, und, ihn anschauend erkannte er ihn, worauf er sich an ihn herandrängte, ihn an die Brust zog und umarmte und auf seinen Mund küßte. Dann sagte er: »Diesen Knaben fand ich am Fuße des und des Gebirges, eingewickelt in einen brokatenen Rock, und ich erzog ihn, und er trieb mit uns Wegelagerei, bis wir eines Tages eine Karawane überfielen, die uns in die Flucht schlug, nachdem sie die Mehrzahl von uns verwundet hatte und mit dem Knaben als Gefangenen abzog. Seit jenem Tage zog ich rings in den Landen nach ihm suchend umher, bis ich ihn hier finde.« Als der König dies vernahm, war er überzeugt, daß es sein eigener Sohn war und stürzte sich mit einem lauten Aufschrei auf ihn und umarmte und küßte ihn weinend, indem er rief: »Ich wollte dich umbringen und wäre vor Reue darüber gestorben!« Alsdann zerschnitt er seine Fesseln, und, die Krone von seinem Haupte reißend, setzte er sie seinem Sohn aufs Haupt. Dann wurde die frohe Nachricht mit Hörnern und Trommeln verkündet, die Freude ward groß, die Stadt wurde geschmückt, und es war ein 120 herrlicher Tag, so daß selbst die Vögel in der Luft bei dem Freudengeschrei und dem Lärm anhielten. In stolzer Prozession führte Heer und Volk den Prinzen in die Stadt und die Kunde von ihm kam auch seiner Mutter Bahrdschaur zu Ohren, worauf sie ihm entgegenzog und sich ihm an die Brust warf. Dann befahl der König die Gefängnisse zu öffnen und alle Gefangenen freizulassen, und sie feierten das Freudenfest sieben Tage und Nächte.

So stand es mit dem Jüngling, während die Wesire von Schrecken, Schweigen, Scham und Furcht befallen wurden und ihres Todes gewiß waren. Alsdann setzte sich der König mit seinem Sohn ihm zur Seite und den Wesiren vor ihm und ließ die Vornehmen und das Volk der Stadt zu sich entbieten, worauf sich der Jüngling zu den Wesiren wendete und zu ihnen sprach: »Schaut nun, ihr schurkischen Wesire, Gottes Werk und seinen nahen Trost.« Die Wesire vermochten kein Wort zu entgegnen, während der König nun zu ihnen sprach: »Alle bis auf die Vögel unter dem Himmel freuen sich heute mit mir, und nur eure Brust ist beklommen. Das ist Feindschaft von euch wider mich, wie es keine größere giebt, und, hätte ich auf euch gehört, so wäre meine Reue lang gewesen, und ich wäre vor Kummer dem Tode entgegengesiecht.« Da sagte der Prinz: »Mein Vater, ohne deinen Hochsinn, deine Einsicht, Bedächtigkeit und Überlegung wäre dir diese große Freude nicht widerfahren. Hättest du mich in Übereilung hinrichten lassen, so hätten dich Reue und langwährender Gram niedergedrückt; denn wer sich überstürzt, bereut.«

Hierauf ließ der König den Räuberhauptmann vor sich kommen und ihn in ein Ehrenkleid kleiden, indem er zugleich befahl, daß alle, die ihn, den König, liebten, ihm Ehrenkleider schenken sollten. Da fielen so lange Ehrenkleider über ihn, bis es ihm zu viel ward, worauf der König ihn zum Polizeihauptmann seiner Stadt ernannte. Alsdann befahl der König neun Hölzer neben dem ersten zu errichten und 121 sprach zu seinem Sohn: »Du hast keine Schuld, nur diese schurkischen Wesire trachteten nach deinem Tod.« Der Prinz versetzte: »Mein Vater, ich hatte keine andre Schuld als daß ich dir ein treuer Ratgeber war, indem ich deinen Reichtum hütete und ihre Hände von deinen Schatzkammern fernhielt. Sie waren deshalb eifersüchtig auf mich und beneideten mich und suchten meinen Tod.«

Der König entgegnete: »Ihre Stunde ist nun gekommen, mein Sohn; wie aber sollen wir ihnen lohnen, was sie dir anthaten? Sie trachteten nach deinem Tod und brachten dich in öffentliche Schande und stellten meine Ehre unter den Königen bloß.« Hierauf wendete er sich zu den Wesiren und sprach zu ihnen: »Wehe euch, was seid ihr für Erzlügner! Was für eine Entschuldigung ist euch verblieben?« Sie erwiderten: »O König, wir haben keine Entschuldigung, sondern sind durch die böse That, die wir gegen ihn planten, gelähmt. Wir hatten mit diesem Jüngling Übles vor, doch kehrte es sich gegen uns; wir planten ihm Schlimmes, doch traf es uns; wir gruben ihm eine Grube und fielen selbst hinein.« Da befahl der König die Wesire ans Holz zu heben und sie daran zu kreuzigen; denn Gott ist gerecht und richtet nach Gebühr.

Hierauf setzten sich der König, sein Sohn und seine Gemahlin und lebten in Freude und Fröhlichkeit, bis der Zerstörer der Freuden sie heimsuchte und sie allzumal starben. Preis dem Lebendigen, der nicht stirbt; Ihm sei das Lob und uns seine Barmherzigkeit ewig und immerdar! Amen.

 


 


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