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Tausend und eine Nacht. Band XVIII
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Fünfte Nacht.

Der Weise und seine drei Söhne.

»Wisse, o König, ein Weiser hatte drei Söhne und Kindeskinder, und, als sie sich mehrten und ihr Same zahlreich ward, entstand Zwietracht zwischen ihnen. Da versammelte er sie und sprach zu ihnen: »Seid eine Hand gegen alle andern und verachtet euch nicht untereinander, damit ihr nicht von den Leuten verachtet werdet. Wisset, ihr gleicht dem Mann, der ein einzelnes Seil zerriß, es aber nicht zu zerreißen vermochte, als er es verdoppelte; und ganz ebenso steht's mit der Trennung und Vereinigung. Hütet euch ferner andere wider euch zu Hilfe zu nehmen, damit ihr nicht ins Verderben geratet, denn dessen Wort, durch dessen Hilfe ihr obsiegtet, wird höher stehen als euer Wort. Und seht, ich habe Geld, das ich an einem Ort vergraben will, damit es euch als ein Schatz in der Not dient.« Hierauf verließen sie ihn und zerstreuten sich. Einer der Söhne aber belauschte seinen Vater und sah, daß er das Geld außerhalb der Stadt vergrub und dann wieder heimkehrte. Er machte sich deshalb am andern Morgen auf und grub an der Stelle nach, bis er das Geld fand, worauf er es nahm und fortging. Wie nun die Sterbestunde des Scheichs nahte, versammelte er seine Söhne bei sich und gab ihnen den Ort an, wo er das Geld vergraben hatte. Nach seinem Tode gingen seine Söhne an die Stelle und gruben und fanden eine Menge Geld, das sie unter sich verteilten; das Geld nämlich, das der eine Sohn für sich allein genommen hatte, befand sich 152 an der Oberfläche, ohne daß er wußte, daß unter ihm noch anderes Geld vergraben war. Der erste Sohn nahm nun seinen Teil mit seinen Brüdern und legte das Geld zu dem andern Geld, das er zuvor hinter dem Rücken seines Vaters und seiner Brüder entwendet hatte. Alsdann heiratete er seine Base und erhielt von ihr einen Sohn, welcher der Schönste seiner Zeit war. Als der Knabe herangewachsen war, fürchtete sein Vater, er könnte in Armut und Not geraten und sagte zu ihm: »Mein Sohn, in meiner Jugend betrog ich meine Brüder um meines Vaters Gut, und ich sehe, daß es dir wohlergeht. Wenn du nun in Dürftigkeit gerätst, so wende dich an keinen von ihnen und auch an keinen andern. Ich habe für dich in jenem Raum einen Schatz verborgen, öffne ihn jedoch nicht eher, als bis dir dein täglich Brot fehlt.« Hierauf starb der Mann, und sein reiches Gut fiel an seinen Sohn, der sich jedoch nicht gedulden konnte, bis das Geld, das er geerbt hatte, verthan war, sondern sich erhob und das Gemach öffnete; und siehe, es war geweißt, und mitten in ihm hing ein Seil herunter, und zehn Ziegelsteine lagen übereinander geschichtet, und auf ihnen ein Blatt, auf dem geschrieben stand: »Dem Tod kann man nicht entrinnen; hänge dich auf, ohne sie oder andre anzubetteln, und stoß die Ziegelsteine mit deinem Fuß fort, damit du nicht am Leben bleibst und vor der Schadenfreude deiner Feinde und Neider und der Bitterkeit der Armut Ruhe findest.« Der Jüngling verwunderte sich über seines Vaters Thun und sprach: »Das ist ein schlechter Schatz.« Dann ging er hinaus und schmauste und zechte mit den Leuten, bis er nichts mehr besaß. Nachdem er zwei Tage lang ohne Speise und Trank dagesessen hatte, nahm er ein Tuch und verkaufte es für zwei Dirhem, für die er Brot und Milch kaufte. Er stellte beides auf den Sims und ging fort, doch da kam ein Hund und nahm das Brot und besudelte die Milch. Als er nun wieder zurückkehrte und dies sah, schlug er sich vors Gesicht und lief verstört hinaus. Einem Freund, an dem er vorüberkam, erzählte 153 er sein Leid, doch versetzte derselbe: »Schämst du dich nicht solche Worte zu reden? Wie hast du all dieses Geld durchgebracht und kommst nun und sprichst solche Lügen und sagst, der Hund sei auf den Sims gestiegen?« Dann jagte er ihn fort, worauf der Jüngling heimkehrte, indem er bei sich sprach, während die Welt in seinen Augen und seinem Angesicht schwarz geworden war: »Mein Vater hat recht.« Alsdann öffnete er das Gemach, packte die Steine unter seine Füße und legte das Seil um seinen Hals; dann stieß er die Steine um und schnellte sich fort, als mit einem Male das Seil mit ihm auf die Erde fiel, die Decke einstürzte und ein Haufen Geld auf ihn niederregnete. Da erkannte er, daß sein Vater ihm hierdurch eine Lehre hatte geben wollen, und erflehte für ihn Gottes Barmherzigkeit. Dann kaufte er die Grundstücke und Besitzungen, die er verkauft hatte, wieder und ward wieder ein wohlhabender Mann; ebenso kamen auch seine Freunde wieder zu ihm, und er bewirtete sie einige Tage, bis er einmal zu ihnen sagte: »Wir hatten hier Brot, das die Heuschrecken fraßen, weshalb wir an seine Stelle einen Stein von der Länge und Breite einer Elle legten. Die Heuschrecken aber, die noch das Brot rochen, zernagten ihn.« Da sagte derjenige seiner Freunde, der ihn in betreff des Brotes und der Milch der Lüge geziehen hatte: »Wundere dich nicht hierüber, denn Mäuse thun noch mehr als dies.« Da sagte er zu ihnen: »Geht nach Hause; in den Tagen meiner Armut war ich ein Lügner, als ich sagte, daß ein Hund auf den Sims gestiegen wäre und das Brot gefressen und die Milch besudelt hätte; heute aber, wo ich wieder reich bin, spreche ich die Wahrheit, wenn ich sage, daß die Heuschrecken einen Stein von der Länge und Breite einer Elle zerfressen haben.« Beschämt über seine Worte, verließen sie ihn, während des Jünglings Gut zunahm und seine Lage gedieh.

Diese Geschichte ist jedoch nicht wunderbarer und merkwürdiger als die Geschichte von dem Prinzen, der sich in ein Bild verliebte.« Da sprach der König Schâh Bacht bei sich: 154 »Wenn ich diese Geschichte höre, so gewinne ich vielleicht Weisheit aus ihr; ich will daher den Tod des Wesirs nicht übereilen und ihn nicht eher als nach Verlauf der dreißig Tage hinrichten.« Hierauf erlaubte er ihm nach Hause zu gehen, und der Wesir verblieb in seiner Wohnung, bis der Tag sich neigte und der Abend anbrach. Der König setzte sich nun wieder in sein Privatgemach und ließ den Wesir zu sich rufen, worauf er die Geschichte von ihm verlangte. Und so hob der Wesir an und erzählte:

 


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