Unbekannte Autoren
Tausend und eine Nacht. Band XVIII
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Die Geschichte vom Kaufmann, wider den sich sein Glück kehrte.

Es war einmal ein Kaufmann, der großes Glück in seinen Geschäften hatte, so daß er zu einer Zeit auf einen Dirhem fünfzig gewann. Sein Glück kehrte sich jedoch wider ihn, ohne daß er es wußte, und so sprach er bei sich: »Ich habe großes Gut und placke mich doch, indem ich von Land zu Land ziehe. Das rechte ist daher, ich bleibe daheim, ruhe mich von dieser Plackerei und Drangsal aus und kaufe und 43 verkaufe in meinem Hause.« Hierauf teilte er sein Geld in zwei Teile und kaufte für die eine Hälfte zur Sommerszeit Weizen, indem er bei sich sprach: »Wenn der Winter kommt, werde ich den Weizen für großen Profit verkaufen.« Als aber der Winter kam, fiel der Weizen auf die Hälfte des Preises, für den er ihn gekauft hatte, so daß sich der Kaufmann schwer bekümmerte. Er ließ ihn nun bis zum nächsten Jahre liegen, jedoch fiel der Preis noch mehr, und einer seiner Freunde sagte zu ihm: »Du hast mit diesem Weizen kein Glück; verkauf' ihn zu irgend einem Preise.« Der Kaufmann versetzte jedoch: »Bah, ich habe lange Zeit verdient; es schadet daher nichts, wenn ich diesmal auch verliere. Gott ist allwissend, und, wenn ich den Weizen auch zehn Jahre bei mir behalten sollte, ich verkaufe ihn nur mit Profit.« Hierauf vermauerte er zornig die Thür zum Weizenspeicher mit Lehm. Nach Gottes des Erhabenen Fügung kam jedoch ein gewaltiger Regen nieder und drang durch die Dächer in den Weizenspeicher ein, so daß er stinkend ward, und der Kaufmann aus seinem Beutel fünfhundert Dirhem den Lastträgern dafür, daß sie den Weizen fortschafften und vor die Stadt warfen, zahlen mußte. Da sagte der betreffende Freund zu ihm: »Wie oft sagte ich dir nicht, du hättest mit dem Weizen kein Glück? Du aber wolltest nicht auf meine Worte hören. Du mußt nun zum Sterngucker gehen und ihn nach deinem Gestirn fragen.« Hierauf begab sich der Kaufmann zum Sterngucker und fragte ihn nach seinem Gestirn, und der Sterngucker gab ihm zur Auskunft: »Dein Gestirn ist unheilvoll; leg' deine Hand an kein Geschäft, denn du hast kein Glück darin.« Der Kaufmann kehrte sich jedoch nicht an die Worte des Sternguckers, sondern sprach bei sich: »Wenn ich mein Geschäft betreibe, so fürchte ich mich vor nichts.« Hierauf nahm er die zweite Hälfte seines Geldes, nachdem er drei Jahre lang von ihr gelebt hatte, und baute sich ein Schiff, das er mit allem, was ihm gefiel, und was er besaß, befrachtete, worauf er sich einschiffte, um abzureisen. Er 44 säumte jedoch einige Tage, um zu überlegen, was er thun sollte, und sprach: »Ich will mich bei den Kaufleuten erkundigen, welche Ware am meisten Profit einbringt, in welchem Lande sie fehlt, und wieviel man daran verdienen kann.« Die Kaufleute wiesen ihn zu einem fernen Land, wo er für einen Dirhem hundert verdienen könne, und so stach er mit seinem Schiff in See in der Richtung nach jenem Land. Unterwegs blies ihm jedoch ein Sturm entgegen, so daß das Schiff versank, während sich der Kaufmann auf eine Holzplanke rettete und vom Wind nackend an den Strand getrieben wurde, in dessen Nähe sich eine Stadt befand. Er lobte Gott und dankte ihm für seine Rettung, und, als er dort ein großes Dorf sah, ging er darauf zu. In dem Dorf stieß er auf einen alten Scheich, der dort saß, und erzählte ihm seine Geschichte und sein Mißgeschick; der Scheich betrübte sich schwer über sein Unglück und brachte ihm etwas zu essen. Als dann der Kaufmann gegessen hatte, sagte der Scheich zu ihm: »Bleib' hier bei mir; ich will dich zum Aufseher und Verwalter über ein Landgut machen, das ich hier besitze, und will dir einen Tageslohn von fünf Dirhem geben.« Der Kaufmann versetzte: »Gott gebe dir schönen Lohn und vergelte es dir mit seiner Huld!« Hierauf verweilte er an jenem Ort und säete, erntete, drasch und worfelte und hatte freie Hand, und der Scheich ernannte weder einen Verwalter noch Rechnungsführer, sondern verließ sich gänzlich auf ihn. Da dachte der Kaufmann bei sich nach und sprach: »Ich glaube nicht, daß mir der Herr dieser Ernte meinen Lohn auszahlen wird; das beste ist daher, ich nehme mir hiervon soviel, als mein Lohn beträgt, und, wenn er mir meinen Anteil giebt, so erstatte ich ihm das Genommene wieder.« Hierauf nahm der Kaufmann soviel, als ihm zukam, und versteckte es an einem verborgenen Ort; dann schaffte er den Rest zum Scheich und maß es ihm ab, worauf der Scheich zu ihm sagte: »Komm und nimm deinen ausbedungenen Lohn; verkauf' das Korn und kaufe dir Kleidungsstücke und 45 andere Sachen dafür. Solltest du auch zehn Jahre bei mir bleiben, sollst du doch diesen Lohn haben, und ich will ihn dir auf diese Weise abstatten.« Da sprach der Kaufmann bei sich: »Fürwahr, ich habe eine Gemeinheit begangen, indem ich es ohne seine Erlaubnis nahm.« Hierauf ging der Kaufmann fort, um den Ertrag, den er versteckt hatte, zu holen; doch fand er ihn nicht und kehrte deshalb niedergeschlagen und bekümmert zurück. Der Scheich fragte ihn: »Weshalb bist du bekümmert?« Der Kaufmann versetzte: »Ich glaubte, du würdest mir nicht meinen Lohn geben, und da nahm ich von der Ernte soviel, als mein Lohn beträgt; jetzt aber, wo du mir alles, was mir zukam, auszahltest, ging ich fort, um dir das, was ich vor dir verbarg, wiederzugeben; jedoch fand ich es nicht, da die Leute, die es fanden, stahlen.« Als der Scheich diese Worte vernahm, ward er zornig und sprach zu ihm: »Gegen das Mißgeschick giebt's kein Mittel; ich hätte dir dies gegeben, jedoch hast du diese That in deinem Unheil und Mißgeschick verübt, o du Vergewaltiger deiner selbst! Du glaubtest, ich würde dir deinen Lohn nicht auszahlen, und nun bei Gott, gebe ich dir nichts mehr.« Hierauf verstieß er den Kaufmann, der bekümmert, betrübt und weinend fortging, bis er an einer Schar Taucher vorüber kam, die im Meere nach Perlen tauchten. Als sie ihn weinend und bekümmert sahen, fragten sie ihn: »Was fehlt dir? Warum weinst du?« Da erzählte er ihnen seine Geschichte von Anfang bis zu Ende, und nun erkannten ihn die Taucher und fragten ihn: »Bist du nicht der Sohn des und des?« Er versetzte: »Jawohl.« Da weinten sie aus Mitleid über ihn und sagten zu ihm: »Bleib' hier, wir wollen dieses Mal auf dein Glück tauchen, und, was herauskommt, wollen wir miteinander teilen.« Hierauf tauchten sie und holten zehn Muscheln heraus, in jeder von denen sich zwei große Perlen befanden. Da staunten sie und sagten erfreut zu ihm: »Bei Gott, dein Glück ist wiedergekehrt, und dein Gestirn ist im Aufgang.« Alsdann gaben sie ihm zehn Perlen und sagten zu ihm: 46 »Verkaufe zwei von den Perlen und mache den Erlös zu deinem Betriebskapital; den Rest verbirg' für die Zeit der Not.« Da nahm er fröhlich und vergnügt die Perlen und nähte acht derselben in seine Joppe ein, während er die andern zwei in seinen Mund steckte. Ein Dieb beobachtete ihn jedoch hierbei und teilte es seinen Gefährten mit, worauf dieselben ihn überfielen, ihm die Joppe auszogen und dann ihres Weges gingen. Als sie fort waren, sprach er: »Ich habe noch an den beiden Perlen genug.« Dann ging er zur Stadt und holte die beiden Perlen hervor, um sie zu verkaufen. Nach dem Verhängnis traf es sich jedoch, daß dem Juwelier der Stadt zehn Perlen gleich den Perlen, die der Kaufmann hatte, gestohlen waren; und, als nun der Juwelier die beiden Perlen in der Hand des Mäklers sah, fragte er ihn: »Wem gehören diese Perlen?« Der Mäkler erwiderte: »Jenem Mann.« Sobald der Juwelier jedoch den elenden und zerlumpten Menschen sah, schöpfte er Verdacht gegen ihn und fragte ihn, um ihn zum Geständnis zu bringen: »Wo sind die andern acht Perlen?« Da glaubte der Kaufmann, er fragte ihn nach den Perlen in seiner Joppe, und erwiderte: »Die Diebe haben sie mir gestohlen.« Als er dies vernahm, war er überzeugt, daß er seine Perlen gestohlen hätte, und packte ihn und schleppte ihn vor den Wâlī, zu dem er sagte: »Der da hat meine Perlen gestohlen; zwei fand ich bei ihm, und in betreff der acht andern gestand er auch ein.« Der Wâlī, der von dem Diebstahl der Perlen wußte, befahl infolgedessen ihn einzusperren, und sie thaten es und peitschten ihn durch. Der Kaufmann blieb ein ganzes Jahr lang im Kerker, bis der Wâlī nach Gottes, des Erhabenen, Fügung einen der Taucher festnahm und ihn in demselben Kerker, in dem sich der Kaufmann befand, einsperren ließ. Als der Taucher ihn sah, erkannte er ihn und fragte ihn, wie es ihm ergangen sei, worauf er ihm seine Geschichte erzählte. Der Taucher verwunderte sich über sein Mißgeschick und machte, als er aus dem Gefängnis kam, dem Sultan Mitteilung vom 47 Kaufmann und sagte ihm, daß er selber ihm die Perlen geschenkt hätte. Da befahl der Sultan, den Kaufmann aus dem Gefängnis zu entlassen, und fragte ihn nach seiner Geschichte, worauf der Kaufmann ihm seine ganzen Erlebnisse erzählte. Der Sultan bemitleidete ihn und gab ihm eine Wohnung neben dem königlichen Palast und setzte ihm einen Sold fest. Während sich aber der Kaufmann hierüber freute und bei sich sprach: »Endlich ist mein Glück wiedergekehrt, und nun werde ich den Rest meines Lebens unter dem Schatten dieses Königs verbringen,« gewahrte er in seiner Wohnung ein mit Lehm und Steinen verstopftes Gitterfenster. Da brach er es auf, um zu sehen, was sich dahinter befände, und siehe, da ging es auf den Frauenpalast des Sultans. Als er dies sah, erschrak er und erhob sich in seiner Furcht eiligst und holte Lehm, es wieder zu verstopfen. Einer der Eunuchen hatte ihn jedoch gesehen und Verdacht geschöpft, so daß er zum Sultan ging und es ihm mitteilte. Da kam der Sultan und, als er die Steine herausgenommen sah, ergrimmte er wider den Kaufmann und sagte zu ihm: »Ist dies mein Lohn von dir, daß du meinen Harem zu entschleiern suchst?« Alsdann befahl er ihm beide Augen auszureißen. Als sie den Befehl des Sultans ausgeführt hatten, nahm der Kaufmann seine Augen in die Hand und rief: »Unseliges Gestirn, wie lange noch plagst du mich? Zuerst war's mein Gut und nun geht's an mein Leben!« Und er beklagte sich und sagte: »Gegen das Mißgeschick nützt es nicht anzukämpfen; der Erbarmer half mir nicht, und mein Bemühen war nur Sünde.« Ebenso aber, o König, ergeht es mir; als mir das Glück noch gewogen war, gelang mir alles, und jetzt, wo sich das Glück gewendet hat, mißlingt mir alles.«

Als der Jüngling seine Erzählung beendet hatte, legte sich der Zorn des Königs ein wenig, und er sprach: »Führt ihn wieder ins Gefängnis zurück, denn der Tag ist zu Ende; morgen wollen wir Einsicht in seine Sache nehmen und ihn für seine Missethat strafen. 48

Zweiter Tag.
Die Folgen der Dinge sind zu erwägen.

Am zweiten Tag erschien der zweite Wesir des Königs, dessen Name Baharûn war, und sprach: »Gott stärke den König! Des Jünglings That ist ein großes, gemeines und schändliches Verbrechen wider das Haus des Königs.« Da befahl der König, den Jüngling vor sich zu bringen und sprach zu ihm, als er vor ihm erschien: »Wehe dir, Bursche, du mußt des schlimmsten Todes sterben, denn du hast ein schweres Verbrechen begangen, und ich will dich zum Exempel für alle Welt machen.« Der Jüngling versetzte: »O König, übereile nichts, denn die Erwägung des Ausgangs der Dinge ist eine Stütze für den König und sichert den Bestand und die Festigkeit des Reiches. Wer die Folgen nicht bedenkt, dem ergeht es wie dem Kaufmann; wer sie aber erwägt, dem wird so große Freude zu teil wie dem Sohn des Kaufmanns.« Da fragte der König: »Wie ist die Geschichte des Kaufmanns und seines Sohnes.« Und der Jüngling erzählte:

 


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