Unbekannte Autoren
Tausend und eine Nacht. Band XVIII
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Die Geschichte vom Kaufmann und seinen Söhnen.

»O König, es war einmal ein reicher Kaufmann, der in Geschäften gerade, als sein Weib schwanger war, verreisen mußte. Da sagte er zu ihr: »Ich verreise, doch kehre ich, so Gott will, der Erhabene, vor deiner Niederkunft wieder.« Alsdann nahm er von seiner Frau Abschied und verreiste, indem er von Land zu Land zog, bis er zu einem König kam, der gerade jemand zur Leitung seiner Geschäfte und der Staatsangelegenheiten bedurfte. Als er nun mit dem König zusammentraf und dieser in ihm einen gebildeten und verständigen Mann fand, nötigte er ihn bei ihm zu bleiben und zeichnete ihn aus. Nach einiger Zeit bat der Kaufmann den König um Erlaubnis heimzukehren; da es ihm der König jedoch nicht erlauben wollte, sagte er zu ihm: »O König, laß mich doch heimziehen, daß ich mir nur meine Kinder anschaue; 49 hernach will ich wieder zu dir heimkehren.« Da gewährte ihm der König die Erlaubnis und schenkte ihm, nachdem er ihn zur Rückkehr verpflichtet hatte, einen Beutel mit tausend Golddinaren. Hierauf bestieg der Kaufmann ein Schiff und zog nach seinem Land.

So stand es mit dem Kaufmann; was nun aber seine Frau anlangt, so war ihr zu Ohren gekommen, daß ihr Gatte bei dem und dem König Dienste genommen hatte; sie erhob sich deshalb und zog mit ihren beiden Knaben, die sie während der Abwesenheit ihres Mannes an einem Tage geboren hatte, nach jenem Land aus. Es traf sich aber, daß sie bei einer Insel Halt machten, bei der in derselben Nacht ihr Gatte gelandet war, und die Mutter sagte zu ihren Knaben: »Dieses Schiff ist aus demselben Land, in dem sich euer Vater befindet, eingetroffen; geht deshalb an den Strand und erkundigt euch nach ihm.« Da gingen sie an den Strand und begannen auf dem Schiff zu spielen, bis der Abend hereinbrach, während ihr Vater der Kaufmann im Schiff schlief. Das Geschrei der Kinder störte ihn im Schlaf, und er erhob sich, um den Kindern Schweigen zu gebieten; hierbei fiel ihm sein Beutel zwischen die Ballen, und, da er ihn trotz allem Suchen nicht zu finden vermochte, schlug er sich vors Haupt und packte die Kinder und sagte zu ihnen: »Kein anderer als ihr hat den Beutel gestohlen; ihr habt nur neben den Lasten gespielt, um etwas stehlen zu können, und es ist weiter niemand hier.« Alsdann nahm er einen Stock und packte sie, worauf er sie durchprügelte und verbläute, während sie zu weinen anhoben und die Schiffer sich um sie versammelten und sagten: »Alle Buben dieser Inseln sind Diebe und Schelme.« In seinem großen Zorn verschwur sich der Kaufmann sie im Meer zu ersäufen, falls sie nicht den Beutel herausgeben würden; und, da er durch den Eid gebunden war, nahm er die Knaben, band sie an ein Rohrbündel und warf sie ins Meer. Wie nun die Knaben ihrer Mutter zu lange ausblieben, ging sie aus sie zu suchen, bis sie zum Schiff 50 kam und zu fragen anhob: »Wer hat hier meine beiden Knaben gesehen? So und so sehen sie aus, und das und das ist ihr Alter.« Als die Schiffer ihre Worte vernahmen, sagten sie: »Das sind die beiden Knaben, die soeben im Meer ertranken.« Da rief ihre Mutter nach ihnen und schrie: »Ach, mein Jammer über eure Pracht! Ach, meine Kinder, wo ist heute eures Vaters Aug', daß es euch geschaut hätte!« Nun fragte sie einer der Schiffer: »Wessen Frau bist du?« Sie erwiderte: »Ich bin die Frau des und des Kaufmanns. Ich war unterwegs ihn zu suchen, und nun widerfuhr mir dies Unglück.« Als der Kaufmann ihre Worte vernahm, fiel er ihr um den Hals; dann aber erhob er sich, zerriß seine Kleider und sagte zu seiner Frau, indem er sich vors Haupt schlug: »Bei Gott, ich habe meine Kinder mit eigener Hand umgebracht, und dies ist der Ausgang eines, der nicht die Folgen der Dinge bedenkt und nicht mit Überlegung und Vorbedacht handelt.« Hierauf jammerten er und sein Weib auf dem Schiff über ihre Kinder, und er rief: »Bei Gott, ich habe keine Freude mehr am Leben, bis ich nicht Kunde von ihnen erhalte.« Dann suchte er das Meer rings nach ihnen ab, ohne sie zu finden. Inzwischen trieb aber der Wind die Knaben ans Land und warf sie an den Strand. Auf einen von ihnen stieß ein Trupp von der Umgebung des Königs jenes Landes, und sie brachten ihn vor den König, der sich höchlichst über ihn verwunderte und ihn an Sohnes Statt annahm, indem er dem Volk angab, es wäre sein eigen Kind, das er aus Liebe zu ihm bisher verborgen hätte. Die Leute freuten sich ihres Königs wegen mächtig über ihn, und der König machte ihn zum Thronfolger und Reichserben. Dann strich die Zeit darüber hin, bis der König starb, worauf seine Unterthanen den Knaben an seiner Statt zum König einsetzten. Und so nahm der Jüngling den Thron des Königreiches ein, und es erging ihm wohl, und alles war in guter Ordnung. Inzwischen hatten seine Eltern nach ihm und seinem Bruder ringsum alle Inseln abgesucht, in der 51 Hoffnung, das Meer möchte sie ans Land geworfen haben; doch fanden sie keine Spur von ihnen, so daß sie schließlich an ihrer Rettung verzweifelten und sich auf einer der Inseln niederließen. Während sich aber der Kaufmann eines Tages auf dem Bazar befand, gewahrte er einen Mäkler, der an seiner Hand einen Knaben zum Verkauf hielt. Da sprach er bei sich: »Ich will diesen Knaben kaufen und mich an ihm über meine Kinder trösten.« Alsdann kaufte er ihn und nahm ihn mit nach Hause. Sobald ihn aber seine Frau erblickte, schrie sie auf und rief: »Bei Gott, dies ist mein Sohn.« Da freuten sich seine Eltern mächtig über ihn und fragten ihn nach seinem Bruder, worauf er sagte: »Das Meer hat uns voneinander gerissen, und ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist.« Seine Eltern trösteten sich nun an ihm, und in dieser Weise verstrich eine Reihe von Jahren. Der Kaufmann und seine Frau bewohnten aber eine Stadt des Landes, in dem ihr andrer Sohn als König herrschte; und, als ihr Knabe groß geworden war, machte ihm sein Vater Waren zurecht, damit er mit ihnen auf Reisen ginge. Und so gelangte er auch in jene Stadt, in welcher sein Bruder als König residierte. Als dem König die Kunde hinterbracht wurde, daß ein Kaufmann mit Waren, wie sie Königen anstünden, in seine Stadt gekommen wäre, ließ er ihn vor sich entbieten, worauf sein Bruder zu ihm kam und sich vor ihm niedersetzte, ohne daß einer den andern erkannte. Zwischen beiden regte sich jedoch das Blut, so daß der König zum Kaufmann sagte: »Ich wünsche, daß du bei mir bleibst, und ich will deinen Rang erhöhen und dir alles, was du nur wünschen und begehren magst, geben.« Da blieb er einige Zeit bei ihm, ohne sich von ihm zu trennen, und als er sah, daß der König ihn nicht fortlassen würde, schickte er zu seinen Eltern und forderte sie auf zu ihm überzusiedeln worauf sie sich entschlossen, nach jener Insel zu ziehen, während inzwischen ihr Sohn beim König an Ehren erhöht wurde, ohne daß der König wußte, daß es sein Bruder war. Eines Nachts nun 52 traf es sich, daß der König zur Stadt hinauszog und trank; und der Wein übermochte ihn, so daß er trunken ward. Da sprach der Jüngling in seiner Besorgnis um den König bei sich: »Ich will heute Nacht selber den König hüten, da dies nach all der Huld, die er mir erwiesen hat, meine Pflicht ist.« Alsdann sprang er unverzüglich auf, zog sein Schwert und stellte sich selber an die Thür des Königszeltes. Einer der Pagen des Königs, der zu seinen Neidern gehörte, sah ihn jedoch mit dem gezückten Schwert in der Hand dastehen und fragte ihn: »Warum thust du dies zu dieser Zeit und an diesem Ort?« Er erwiderte ihm: »Ich hüte den König, um ihm seine mir erwiesene Huld zu vergelten.« Da schwieg der Page; am nächsten Morgen erzählte er dieses jedoch mehreren andern Pagen des Königs, worauf dieselben sagten: »Das ist eine günstige Gelegenheit für uns. Kommt, wir wollen uns zusammenthun und es dem König sagen, daß er ihm aus den Augen gerissen wird und der König uns von ihm befreit, so daß wir Ruhe vor ihm haben.« Hierauf thaten sie sich zusammen und begaben sich zum König, zu dem sie sprachen: »Wir haben dir einen Rat zu erteilen.« Der König fragte: »Was ist euer Rat?« Sie versetzten: »Jenen Bursche, den Kaufmann, den du in deine Nähe zogst und über die Vornehmsten deines Reiches erhöhtest, sahen wir gestern mit gezücktem Schwert gerade als er sich auf dich stürzen wollte, um dich zu ermorden.« Als der König dies vernahm, wechselte er die Farbe und fragte sie: »Habt ihr hierfür einen Beweis?« Sie erwiderten: »Was für einen Beweis willst du haben? Wenn du dich überzeugen willst, so stelle dich zur Nacht trunken und lege dich nieder, als ob du schliefest; gieb dann acht auf ihn, und du wirst mit deinen eigenen Augen sehen, was wir dir erzählt haben.« Alsdann gingen sie zu dem Jüngling und sagten zu ihm: »Wisse, der König dankt dir für dein gestriges Thun und ist dir nur noch um so gewogener;« dann redeten sie ihm zu, es weiter zu thun. In der folgenden Nacht blieb nun der König wach, 53 um den Jüngling zu beobachten, während dieser zur Thür des Zeltes kam, sein Schwert zog und sich an die Thür stellte. Als der König dies sah, ward er von großer Unruhe erfaßt und ließ ihn festnehmen. Dann sprach er zu ihm: »Ist das mein Lohn von dir? Ich zog dich allen andern vor, und du willst mir diese schändliche That anthun?« Da erhoben sich zwei der Pagen des Königs und sagten zu ihm: »O unser Herr, wir wollen ihm auf dein Geheiß den Kopf abhauen.« Der König versetzte jedoch: »Das übereilte Töten eines Menschen ist ein leichtes aber großes Ding; einen Lebendigen können wir wohl töten, jedoch vermögen wir keinen Toten mehr lebendig zu machen. Man muß stets den Ausgang einer Sache bedenken. Dieser da entgeht uns nicht« Hierauf befahl er ihn einzukerkern und kehrte in sein Reich zurück, wo er die Geschäfte erledigte, um dann wieder auf die Jagd auszuziehen. Als er wieder in die Stadt zurückkehrte, hatte er den Jüngling vergessen, doch traten nun die Pagen wieder bei ihm ein und sprachen: »O König, wenn du in betreff des Burschen, der dich ermorden wollte, schweigst, so werden alle Pagen nach der Herrschaft trachten, und, in der That, schon redet das Volk darüber.« Da ergrimmte der König und befahl: »Führt ihn vor mich.« Dann befahl er dem Schwertmeister, ihm den Kopf abzuschlagen, und schon hatten sie ihm die Augen verbunden, und der Schwertmeister trat ihm zu Häupten und sprach zum König: »Mit deiner Erlaubnis, mein Herr, will ich ihm den Kopf abschlagen,« – als der König sagte: »Warte, bis ich in seine Sache Einsicht genommen habe. Er muß unbedingt hingerichtet werden, doch entgeht mir dies nicht.« Hierauf ließ ihn der König wieder einsperren, und der Jüngling blieb im Kerker, bis der König seine Hinrichtung beschlösse. Inzwischen hatten jedoch seine Eltern von der Sache vernommen, und sein Vater trat deshalb beim König ein und überreichte ihm ein Blatt, auf dem der König folgendes geschrieben fand: »Erbarme dich, auf daß sich Gott deiner 54 erbarmt; übereile nicht seinen Tod, denn, siehe, ich übereilte mich auch und ertränkte seinen Bruder im Meer und bejammere ihn bis auf den heutigen Tag. Willst du ihn jedoch töten, so töte mich an seiner Statt.« Dann warf er sich vor dem König nieder und weinte. Der König aber sprach zu ihm: »Erzähle mir deine Geschichte.« Da hob er an und sprach: »Mein Herr, dieser Jüngling hatte einen Bruder, und beide warf ich ins Meer.« Und so erzählte er ihm die ganze Begebenheit, als der König mir einem Male einen lauten Schrei ausstieß und sich vom Thron an den Hals seines Vaters warf, worauf er seinen Bruder umarmte und zu ihm sprach: »Du bist, bei Gott, mein Vater, dies ist mein Bruder und deine Frau ist unsre Mutter.« Dann weinten sie miteinander, worauf der König seinem Volk die Begebenheit mitteilte und zu ihnen sprach: Ihr Leute, was sagt ihr dazu, daß ich den Ausgang der Dinge erwog?« Und alle verwunderten sich über des Königs Weisheit und Einsicht. Hierauf wendete sich der König zu seinem Vater und sprach zu ihm: »Hättest du den Ausgang deiner Sache bedacht und mit reiflicher Überlegung gehandelt, so wäre dir diese Reue und dieser Kummer in all dieser Zeit nicht zu teil geworden.«

Dann ließ er seine Mutter kommen, und sie hatten ihre Freude aneinander und lebten alle Tage in Freude und Fröhlichkeit.

Was also ist schlimmer als Mangel an Einsicht in die Folgen? Übereile demnach nicht meinen Tod, damit du es nicht zu bereuen und dich schwer darüber zu bekümmern hast.«

Als der König dies vernahm, sprach er: »Führt ihn bis Morgen ins Gefängnis zurück, wo wir seine Sache prüfen wollen. Denn Einsichtnahme in die Dinge ist das ratsamste, und der Tod dieses da entgeht uns nicht.« 55

Dritter Tag.
Wer ausharrt, wird gekrönt.

Am dritten Tage erschien der dritte Wesir vor dem König und sprach zu ihm: »O König, schiebe nicht die Sache dieses Jünglings auf, da seine That uns bereits in den Mund der Leute gebracht hat; du mußt ihn schleunigst hinrichten lassen, damit dem Gerede über uns ein Ende gemacht wird, und es nicht heißt: »Der König hat jemand mit seiner Gemahlin auf seinem Bett gesehen und ihm verziehen.« Diese Worte reizten den König, so daß er befahl den Jüngling zu holen. Sie führten ihn in Ketten herbei, und der König, dessen Zorn durch die Worte des Wesirs entflammt war, fuhr ihn erregt an: »Du gemeine Brut, du hast uns geschändet und unsern Namen entehrt; ich muß daher dein Leben aus der Welt tilgen.« Der Jüngling versetzte: »O König, gedulde dich in allen deinen Geschäften, daß du deinen Wunsch erreichst; denn Gott, der Erhabene, krönt alle Geduld mit einem guten Ende, wie denn auch Abū Sâbir aus der Grube auf den Königsthron stieg.« Nun fragte der König: »Wer war Abū Sâbir, und wie ist seine Geschichte?« Da erzählte der Jüngling:

 


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