Unbekannte Autoren
Tausend und eine Nacht. Band XVIII
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Geschichte des Königs Bihkard.

»O König, es war einmal ein König, Namens Bihkard, der viel Geld und ein großes Heer besaß; seine Thaten waren jedoch übel; und er strafte das kleinste Vergehen und verzieh keinem. Als er eines Tages auf die Jagd auszog, entsendete einer seiner Pagen einen Pfeil, der sein Ohr traf und es abschoß. Da fragte der König: »Wer schoß diesen Pfeil!« Sofort schleppten sie den Pagen, dessen Name Jātrū war, vor ihn, und der Jüngling sank vor Furcht ohnmächtig zu 79 Boden, während der König befahl: »Richtet ihn hin.« Da rief Jātrū: »O König, ich that es nicht absichtlich und mit Wissen, vergieb mir deshalb bei deiner Macht über mich, denn Vergebung ist eine der schönsten Tugenden, und vielleicht ist's ein aufgespeichert Gut und eine schöne That zum Frommen für einen spätern Tag und ein Schatz bei Gott fürs Jenseits. Vergieb mir daher und wende das Übel von mir ab, damit Gott das gleiche Übel von dir abwendet.« Dem König gefielen diese Worte und er vergab dem Jüngling zum erstenmale in seinem Leben. Dieser Jüngling aber war ein Prinz, der von seinem Vater um eines Vergehens willen zum König Bihkard geflohen war und ihm diente, bis sich der oben erwähnte Vorfall mit ihm zutrug. Da traf es sich, daß ihn ein Mann erkannte, worauf er zu seinem Vater ging und es ihm mitteilte; und sein Vater schickte einen Brief an ihn, in dem er ihm gut zuredete und ihn zur Rückkehr aufforderte. Infolgedessen kehrte er zu seinem Vater zurück, der ihn erfreut empfing und sich mit ihm wieder aussöhnte. Eines Tages traf es sich nun, daß der König Bihkard auf ein Schiff stieg und aufs Meer fuhr, um zu fischen; es erhob sich jedoch ein Sturm wider sie, daß das Schiff unterging, während der König eine Planke erklomm und, ohne daß ihn jemand erkannte, nackend an den Strand des Landes, über das der Vater jenes Jünglings als König herrschte, geworfen ward. Er ging des Nachts zum Thor der Stadt und blieb daselbst auf einem Friedhof. Als nun die Leute am andern Morgen in die Stadt wollten, fanden sie neben dem Friedhof einen Ermordeten liegen, der in der verflossenen Nacht erschlagen war. Im Glauben, daß der Mann, der sich auf dem Friedhof befand, ihn erschlagen hätte, packten sie ihn und führten ihn vor den König, zu dem sie sprachen: »Siehe, dieser Mann hat einen Mord begangen.« Da befahl der König ihn in den Kerker zu werfen, wo der König Bihkard bei sich sprach: »Alles, was mir widerfahren ist, ist der Lohn für meine vielen Sünden und meine 80 Tyrannei; ich habe viele Leute ungerechterweise hinrichten lassen, und dies ist nun die Vergeltung meiner Thaten und meiner Tyrannei. Während er aber noch solchen Gedanken nachhing, kam ein Vogel hergeflogen und setzte sich auf die Zinne des Kerkers, worauf der König Bihkard in seiner Jagdleidenschaft einen Stein nahm und nach dem Vogel warf, gerade als der Prinz auf der Rennbahn Polo spielte; und der Stein traf ihn ans Ohr und riß es ab, so daß er bewußtlos zu Boden stürzte. Da suchten sie nach dem, der den Stein geworfen hatte, und packten ihn und führten ihn vor den Prinzen, der ihn hinzurichten befahl. Schon hatten sie ihm den Turban vom Haupt gerissen und wollten ihm die Augen verbinden, da schaute ihn der Prinz an und sah, daß ihm ein Ohr fehlte, worauf er zu ihm sagte: »Nur um deiner Missethaten willen ist dir das Ohr abgeschnitten.« Der König Bihkard versetzte: »Nein, bei Gott, vielmehr verhält es sich mit meinem Ohr so und so, und ich vergab dem, der es mir mit einem Pfeile abschoß. Da schaute ihm der Prinz ins Gesicht und, ihn erkennend, stieß er einen Schrei aus und rief: »Du bist der König Bihkard.« Er erwiderte: »Jawohl.« Nun fragte ihn der Prinz: »Und was trieb dich hierher?« Da erzählte er ihm seine Geschichte, und die Leute verwunderten sich und priesen Gott, den Erhabenen, während der Prinz zu ihm ging, ihn umarmte und küßte und ihn auszeichnete, ihn auf einem Stuhl sitzen ließ und ihm ein Ehrenkleid verlieh. Dann wendete er sich zu seinem Vater und sagte zu ihm: »Dies ist der König, dem ich das Ohr mit einem Pfeil abschoß, und der mir verzieh; er verdient Gnade, dieweil er mich begnadete.« Dann sagte er zu Bihkard: »Siehe, deine Gnade ist dir ein aufgespeichert Gut gewesen.« Hierauf behandelten sie ihn mit ausnehmender Güte und schickten ihn geehrt in sein Land zurück.

Wisse daher, o König, daß nichts schöner als Gnade ist, und alles, was du aus Gnade thust, wirst du vor dir als ein aufgespeichert Gut finden.« 81

Als der König dies vernahm, legte sich sein Zorn, und er befahl: »Führt ihn bis morgen ins Gefängnis zurück, wo wir Einsicht in seine Sache nehmen wollen.«

Achter Tag.
Über Neid und Haß.

Am achten Tage versammelten sich alle Wesire um Rates miteinander zu pflegen und sprachen: »Was sollen wir mit diesem Burschen thun, der uns durch sein langes Geschwätz überkommt? Wir fürchten, er entgeht der Strafe und wir stürzen uns ins Verderben. Laßt uns daher alle zusammen zum König gehen und uns seiner bemächtigen, ehe er schuldlos ausgeht und uns überwindet.« Hierauf traten sie alle zusammen beim König ein und sprachen zu ihm, sich vor ihm niederwerfend: »O König, hüte dich, daß dich dieser Bursche mit seiner Zauberei nicht überlistet und mit seinen Schlichen fängt. Wenn du hörtest, was wir hörten, du würdest ihn nicht einen einzigen Tag leben lassen. Höre deshalb nicht auf seine Worte, denn wir sind deine Wesire, die für dein Leben Sorge tragen, und, so du nicht auf unsre Worte hörst, auf wessen Worte wolltest du denn hören? Wir zehn Wesire bezeugen, daß dieser Bursche schuldig ist und nur in übler Absicht das Gemach des Königs betrat, um des Königs Ehre zu schänden und seinen Harem zu entehren; und, wenn der König ihn nicht hinrichten mag, so verbanne er ihn wenigstens aus seinem Königreich, damit den Leuten der Mund gestopft wird.«

Als der König die Worte der Wesire vernahm, entbrannte er in mächtigem Grimm und befahl den Jüngling vorzuführen. Sobald er dann beim König eintrat, schrieen alle Wesire wie aus einem Mund: »Du Thor, willst du dich durch Lug und Trug vor dem Tode retten und den König durch dein Geschwätz fangen und hoffst auf Vergebung eines so großen Verbrechens?« Alsdann befahl der König den Schwertmeister zu holen und ihm den Kopf abzuschlagen, während sich alle Wesire auf ihn stürzten und riefen: »Ich will's 82 thun.« Da sagte der Jüngling: »O König, schau und bedenk' den Eifer dieser Wesire; ist dieses Neid oder nicht? Sie wollen uns beide trennen, damit sie dich wieder wie zuvor ausplündern können.« Der König versetzte: »Schau ihr Zeugnis wider dich.« Der Jüngling entgegnete jedoch: »O König, wie können sie bezeugen, was sie nicht gesehen haben? Dies ist weiter nichts als Neid und Haß. Wenn du mich hinrichten lässest, so wirst du es bereuen, und ich fürchte, dieselbe Reue trifft dich dann wie Eilân Schâh infolge des Neids seiner Wesire.« Da fragte der König: »Wer war Eilân Schâh, und wie ist seine Geschichte?« Und der Jüngling erzählte:

 


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