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Tausend und eine Nacht. Band XVIII
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Zehnte Nacht.

Der König und der Zehntenempfänger.

»Wisse, o König, es regierte einmal ein König in einer blühenden, mit Gütern gesegneten Stadt, der seine Unterthanen bedrückte und sie schändlich behandelte, so daß er die Stadt verwüstete und nicht anders als der Tyrann, der Ungerechte genannt ward. So oft dieser König von einem tyrannischen Menschen in einer andern Stadt hörte, schickte er nach ihm und lockte ihn durch Geld an, zu ihm zu kommen. Nun lebte damals auch ein Zehntenerheber, der wie kein andrer die Leute bedrückte und mißhandelte, und, da der König von ihm vernahm, schickte er nach ihm und ließ ihn holen. Als er vor ihm stand und er einen stattlichen Mann in ihm fand, sagte er zu ihm: »Du bist mir beschrieben, doch sehe ich, daß du noch die Beschreibung übertriffst; gieb mir etwas von deinem Thun und Reden an, damit ich nicht nach deinem ganzen Verhalten zu fragen brauche.« Da versetzte der Zehntenerheber: »Freut mich und ehrt mich; wisse, o König, ich unterdrücke das Volk und bevölkere das Land, während andre verwüsten und nicht bebauen.« Der König, der zurückgelehnt dasaß, richtete sich bei diesen Worten auf und sagte: »Erkläre mir dies.« Der Zehntenerheber erwiderte: »Schön; wenn ich von einem Manne den Zehnten zu erheben habe, so gehe ich zu ihm und mache ihm etwas weiß und thue, als wenn ich Geschäfte hätte, so daß ich dadurch 167 den Leuten entzogen bin, während inzwischen die Steuern bis auf den letzten Heller herausgepreßt werden. Dann komme ich wieder zum Vorschein, und wenn sie nun bei mir eintreten und mich seinetwegen mit Fragen bestürmen, so spreche ich: »Mir ist noch Schlimmeres als dies befohlen, da ihn jemand, den Gott verfluchen möge, beim König angeschwärzt hat.« Hierauf gebe ich ihm die Hälfte seines Gutes vor den Augen der Leute zurück und schicke ihn mit dem zurückerstatteten Geld in Ehren noch Hause, während er und alle Leute, die bei ihm sind, mich segnen. So wird es in der Stadt ruchbar, daß ich ihm sein Gut wiedererstattet habe, und er spricht das gleiche zu den Leuten, damit ich ihm für die, die mich rühmen, zu Dank verpflichtet bin. In dieser Weise behalte ich die Hälfte seines Gutes. Dann thue ich, als ob ich ihn vergessen hätte, bis ein Jahr verstrichen ist, worauf ich ihn rufen lasse und ihn an etwas von dem, was ihm zuvor widerfuhr, erinnere, indem ich etwas Geld insgeheim von ihm verlange. Er thut's, und, schnell nach Hause eilend, holt er das von ihm Verlangte, und ist noch froh darüber. Hierauf schicke ich nach einem andern Mann, mit dem der erste in Feindschaft lebt, und lasse ihn festnehmen, indem ich thue, als hätte der erste ihn angeschwärzt und ihm die Hälfte seines Geldes genommen. Und so loben mich die Leute.« Der König verwunderte sich über seine Praktiken und Maßnahmen und setzte ihn über alle seine Geschäfte und sein Königreich, indem er zu ihm sprach: »Nimm und bevölkere.« Eines Tages nun ging der Zehntenerheber aus und sah einen alten Holzhauer mit einer Bürde Holz, worauf er zu ihm sprach: »Zahl' einen Dirhem als Zehnten für deine Last.« Der Scheich versetzte: »Du bringst mich und meine Familie um.« Da rief der Zehntenerheber: »Was? wer bringt die Leute um?« Der Scheich erwiderte: »Wenn du mich in die Stadt gehen lässest, so verkaufe ich dort das Holz für drei Dirhem und gebe dir einen, so daß ich noch für zwei Dirhem den Lebensunterhalt für meine Familie bestreiten 168 kann. Wenn du mir aber den Zehnten für die Last außerhalb der Stadt abpressest, so geht sie für einen Dirhem ab, den du nimmst, während ich und meine Familie ohne Brot dastehen. Du und ich wir gleichen in unserer Lage hier David und Salomon, – Frieden auf beide! Es führten nämlich einmal Ackersleute bei David Klage wider Herdenbesitzer, deren Herden des Nachts in ihre Saat gelaufen waren und sie abgeweidet hatten. Da befahl David – Frieden sei auf ihm! – die Saaten abzuschätzen; nun erhob sich jedoch Salomo – Frieden sei auf ihm! – und sprach: »Nein, vielmehr sollen die Herden den Ackersleuten ausgeliefert werden, damit sie ihre Milch und Wolle nehmen, bis sie den Wert für ihre Saat erhalten haben, worauf die Herden wieder ihren Besitzern zurückgegeben werden sollen.« So hob David sein Urteil auf und vollstreckte Salomos Spruch, wiewohl David kein Tyrann war, sondern Salomos Spruch war nur treffender und gemäßer dem Gesetz.«

Als der Zehntenerheber seine Worte vernommen hatte, empfand er Mitleid mit ihm und sagte zu ihm: »O Scheich, ich schenke dir, was du zu zahlen hast, und bitte dich, mir zu folgen und mich nicht mehr zu verlassen, auf daß ich von dir profitiere, was meine Sünde tilgt und mich auf den Pfad der Rechtschaffenheit weist.« Da folgte ihm der Scheich, und, als sie nun einen andern Holzfäller mit einer Last Holz antrafen, sagte der Zehntenerheber zu ihm: »Zahle mir deine Steuer.« Der Holzfäller versetzte: »Gieb mir Aufschub bis morgen, denn ich muß Hausmiete zahlen. Morgen will ich eine andre Last Holz verkaufen und dir den Zehnten für zwei Tage zahlen.« Der Zehntenerheber wollte jedoch darauf nicht eingehen, als der Scheich zu ihm sagte: »Wenn du ihn hierzu zwingst, so treibst du ihn dazu das Land zu verlassen, da er ein Fremder ohne Aufenthalt ist; und, wenn er seines Dirhems wegen auswandert, so gehen im Jahr dreihundertundsechzig Dirhem verloren, und du verlierst viel um wenig zu gewinnen.« Da sagte der Zehntenerheber: »Ich will ihm 169 jeden Monat einen Dirhem als Hauszins schenken.« Hierauf zogen sie weiter, bis sie einem dritten Holzhauer begegneten, zu dem der Zehntenerheber wiederum sagte: »Zahle deine Steuer.« Der Holzhauer versetzte: »Ich will dir einen Dirhem zahlen, wenn ich in die Stadt gelangt bin, oder nimm jetzt vier DânikSechs Dânik machen einen Dirhem aus. von mir.« Als der Zehntenerheber dies ablehnte, sagte der Scheich zu ihm: »Nimm die vier Dânik hier, denn es ist leicht zu nehmen und schwer zu geben.« Da rief der Zehntenerheber: »Bei Gott, es ist gut!« Dann erhob er sich und ging fort, indem er so laut, als er es vermochte, rief: »Heute bin ich machtlos.« Hierauf legte er seine Sachen ab und pilgerte aufs Geratewohl als Büßer durchs Land.

Doch ist diese Geschichte nicht wunderbarer als die Geschichte des Diebes, welcher der Frau Glauben schenkte und infolge ihrer schlauen List eine Zuflucht zu Gott vor ihresgleichen nahm. Da sprach der König bei sich: »Wenn der Zehntenerheber auf Grund der Erhebungen bereute, so geziemt es mir diesen Wesir am Leben zu lassen, bis ich seine Geschichte vom Dieb vernommen habe.« Hierauf entließ er den Wesir in seine Wohnung und ließ ihn am nächsten Abend wieder zu sich entbieten, worauf er von ihm die Geschichte vom Dieb und der Frau verlangte. Und so hob der Wesir an und erzählte:

 


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