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Tausend und eine Nacht. Band XVIII
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Die Geschichte des Königs Suleimân Schâh, seiner Söhne, seiner Nichte und ihrer Kinder.

»O König, es war einmal ein König, namens Suleimân Schâh, trefflich an Wandel und Einsicht, dessen Bruder bei seinem Tode eine Tochter hinterließ. Suleimân Schâh erzog sie aufs beste, und das Mädchen war ausgezeichnet durch Verstand und Vollkommenheit, so daß es in ihrer Zeit keine Schönere gab. Der König Suleimân Schâh hatte aber auch zwei Söhne, deren einem der König das Mädchen zur Frau bestimmt hatte, während der andere sie für sich selber nehmen wollte. Der Name des älteren Sohnes lautete Bahluwân, und der jüngere hieß Mâlik Schâh; des Mädchens Name aber war Schâh Chātûn. Eines Tages nun begab sich der König Suleimân Schâh zu seiner Nichte Schâh Chātûn, küßte ihr das Haupt und sprach zu ihr: »Du bist meine Tochter und mir um der Liebe zu deinem seligen Vater willen lieber als wie ein eigenes Kind; ich will dich daher mit einem meiner 100 Söhne vermählen und ihn zum Thronerben ernennen, daß er nach meinem Tode König wird. Schau' also zu, welchen meiner beiden Söhne du lieber haben möchtest, da du mit ihnen zusammen erzogen bist und sie kennst.« Da erhob sich das Mädchen, küßte ihm die Hand und sprach: »O mein Herr, ich bin deine Magd, und du hast über mich zu befehlen. Was dir beliebt, das thue, denn dein Wunsch ist höher und besser als der meinige, am liebsten aber wäre mir's dir mein ganzes Lebenlang zu dienen.« Der König billigte ihre Worte und schenkte ihr ein Kleid und machte ihr prachtvolle Geschenke. Dann fiel seine Wahl auf seinen jüngern Sohn Mâlik Schâh, und er vermählte ihn mit ihr und machte ihn zum Thronfolger und ließ ihm von allem Volk huldigen. Als dies seinem Bruder Bahluwân zu Ohren kam und er sah, daß sein jüngerer Bruder ihm vorgezogen war, ward ihm die Brust beklommen; die Sache bedrückte ihn schwer, und Neid und Haß zog in seine Seele ein; jedoch verbarg er dies in seinem Herzen, wiewohl in ihm in betreff des Mädchens und der Regierung Feuer tobte. Schâh Chātûn aber ging ein zum Prinzen und ward von ihm schwanger und gebar ein Knäblein gleich dem leuchtenden Mond. Als Bahluwân dies erfuhr, überwältigten ihn Eifersucht und Neid. Eines Nachts begab er sich in den Palast seines Vaters, und, als er an dem Gemach seines Bruders vorüberkam, während die Amme an der Thür des Gemaches neben dem Bett des Söhnchens seines Bruders schlief, das ebenfalls schlafend dalag, blieb er stehen und schaute in sein Gesicht, das wie der Mond glänzte. Da gab ihm der Satan den Gedanken ein: »Weshalb ist dies nicht mein Kind? Ich verdiente es eher als mein Bruder das Mädchen und das Reich.« Der Gedanke überkam ihn so stark, und der Zorn reizte ihn, daß er ein Messer hervorzog und ihm die Kehle durchschnitt, worauf er es für tot liegen ließ und in das Gemach seines Bruders trat. Als er dort seinen Bruder und neben ihm das Mädchen schlafen sah, wollte er ihr ebenfalls die Kehle abschneiden, 101 doch sprach er bei sich: »Ich will das Mädchen für mich am Leben lassen.« Alsdann trat er an seinen Bruder und schnitt ihm das Haupt vom Rumpf ab, worauf er hinausging. Da ihm nun aber die Welt eng ward und sein Leben ihm ein leichtes Ding deuchte, suchte er den Wohnraum seines Vaters Suleimân Schâh auf, um ihn ebenfalls zu ermorden; doch vermochte er nicht zu ihm zu gelangen, so daß er den Palast verließ und sich bis zum andern Tag in der Stadt verbarg. Hernach flüchtete er sich in eine der Burgen seines Vaters und befestigte sich in ihr.

So stand es mit ihm; als nun aber die Amme erwachte und das Kind säugen wollte, sah sie das Bett von Blut triefen; da stieß sie einen Schrei aus, daß die Schläfer und auch der König davon erwachten und herbeigeeilt kamen, um nun den Knaben mit durchschnittenem Hals, die Wiege von Blut triefend und seinen Vater tot und mit abgeschnittenem Haupt in seinem Gemach vorzufinden. Als sie das Kind jedoch genauer untersuchten, fanden sie seine Luftröhre heil und noch Leben in ihm. Da nähten sie seine Wunde zu, worauf der König nach seinem Sohn Bahluwân suchte. Als er ihn nicht fand und sah, daß er geflohen war, wußte er, daß er diese That verübt hatte, und der König, das Volk seiner Residenz und Schâh Chātûn bekümmerten sich schwer hierüber. Alsdann machte der König seinen Sohn Mâlik Schâh zurecht und bestatteten ihn unter großer Feierlichkeit und Trauer. Hierauf widmete sich der König ganz der Erziehung des Kindes. Inzwischen aber wuchs Bahluwâns Macht gewaltig, so daß ihm weiter nichts fehlte, als seinen Vater zu bekriegen, der seine ganze Zärtlichkeit dem Kind zugewendet hatte und es auf seinen Knieen erzog, zu Gott um sein Leben flehend, daß er ihm einst die Regierung übertragen könnte. Als dann der Knabe sein fünftes Lebensjahr erreicht hatte, setzte er ihn aufs Pferd, und das Volk der Stadt freute sich seiner und erflehte ihm langes Leben, um das Blut seines Vaters und das Herz seines Großvaters 102 zu rächen. Inzwischen bezeugte der Rebell Bahluwân dem Kaiser, dem König von Rûm, seine Ergebung und bat ihn um Hilfe wider seinen Vater, und der Kaiser ward ihm geneigt und gab ihm ein zahlreiches Heer. Als sein Vater der König hiervon Kunde erhielt, ließ er dem Kaiser sagen: »O König glorreich an Macht, hilf nicht einem Missethäter. Dies ist mein Sohn, der das und das gethan und seinen Bruder und das Söhnchen seines Bruders in der Wiege ermordet hat.« Doch sagte er dem König von Rûm nicht, daß das Kind noch am Leben sei. Als nun der Kaiser, der König von Rûm, dies vernahm, bedrückte ihn die Sache aufs schwerste, und er schickte zu Suleimân Schâh und ließ ihm sagen: »So du es wünschest, o König, lasse ich ihn enthaupten und schicke dir seinen Kopf.« Der König Suleimân Schâh gab ihm jedoch zur Antwort: »Ich bedarf seiner nicht; die Strafe seiner That und seiner Verbrechen wird ihn schon ereilen; ist's nicht heute, so doch morgen.« Und von jenem Tage an begann er mit dem Kaiser Briefe und Geschenke zu wechseln. Nun hatte aber der König von Rûm von dem Mädchen und ihrer Schönheit und Anmut vernommen, und sein Herz hängte sich an sie, so daß er einen Boten schickte und beim König Suleimân Schâh um sie anhielt. Da der König sie ihm nicht versagen konnte, erhob er sich und ging zu Schâh Chātûn, zu der er sprach: »Meine Tochter, der König von Rûm bewirbt sich um dich. Was sagst du dazu?« Da weinte sie und sagte: »O König, wie kannst du es übers Herz bringen solche Worte zu mir zu reden? Wie ist mir nach dem Tode meines Vetters noch ein Gatte verblieben?« Er erwiderte ihr jedoch: »Meine Tochter, es ist so, wie du sagst; wir müssen aber auch den Ausgang der Dinge ins Auge fassen, und siehe, ich muß an den Tod denken, da ich ein alter Mann bin und allein für dich und dein Söhnchen fürchte. Auch schrieb ich an den König von Rûm und die andern Könige und teilte ihnen mit, daß sein Oheim den Knaben ermordet hätte. Wenn nun der König von Rûm sich jetzt um dich bewirbt, 103 so liegt kein Grund vor, ihn abzuweisen, und wir möchten auch unsern Rücken durch ihn stärken.« Da schwieg das Mädchen, während der König Suleimân Schâh dem Kaiser zur Antwort gab: »Ich höre und gehorche.« Dann erhob er sich und schickte sie zu ihm, und der Kaiser trat zu ihr ein, und, da er sah, daß sie noch schöner war, als man sie ihm beschrieben hatte, liebte er sie noch mehr und bevorzugte sie vor allen seinen Frauen und gewann Suleimân Schâh noch lieber, während ihr Herz an ihrem Knaben hing, ohne daß sie etwas sagen konnte.

Als der Rebell Bahluwân vernahm, daß Schâh Chātûn den König von Rûm geheiratet hatte, bekümmerte er sich schwer hierüber und gab die Hoffnung auf sie auf; sein Vater Suleimân Schâh aber pflegte den Knaben, den er nach seinem Vater Mâlik Schâh benannt hatte, aufs zärtlichste und ließ ihm, als er das zehnte Lebensjahr erreicht hatte, huldigen und ernannte ihn zum Thronfolger. Bald darauf nahte dann für Suleimân Schâh die Stunde des Hinscheidens und er starb. Ein Teil der Truppen aber hatte sich für Bahluwân verschworen, und so ließen sie ihn insgeheim holen und setzten ihn auf den Thron des Königreiches, während sie den kleinen Mâlik Schâh festnahmen und zu Bahluwân sprachen, indem ihm alle huldigten: »Wir begehren nach dir und übergeben dir den Thron des Königreiches; doch wünschen wir, daß du den Sohn deines Bruders nicht tötest, da wir uns durch Eid und Gelöbnis seinem Vater und Großvater gegenüber für ihn verpflichtet haben.« Bahluwân willigte hierin ein und ließ ihn in ein unterirdisches Verließ einsperren, wo er ihn in enger Haft hielt. Als diese schlimme Nachricht seiner Mutter zu Ohren kam, ward sie tief bekümmert und vertraute ihre Sache Gott, dem Erhabenen, an, da sie dem Kaiser nichts hiervon zu sagen wagte, um nicht ihren Oheim Suleimân Schâh Lügen zu strafen. Der Rebell Bahluwân aber regierte an seines Vaters Statt, und alles war in bester Ordnung, während der junge Mâlik Schâh volle vier Jahre 104 in seinem Verließ lag, bis sich sein Aussehen gänzlich entstellt hatte. Als nun Gott – Preis Ihm, dem Erhabenen! – ihm Trost bringen und aus dem Gefängnis befreien wollte, traf es sich, daß Bahluwân eines Tages mit seinen Höflingen und den Großen des Reiches dasaß und mit ihnen über seinen Vater Suleimân Schâh plauderte, als einige rechtschaffene Wesire sprachen: »O König, siehe, Gott hat dir die Erfüllung deines Wunsches gegeben, und du herrschest nun an deines Vaters Statt und besitzest, was du begehrtest. Dieser Knabe aber hat keine Schuld, da er von dem Tag, da er das Licht der Welt erblickte, weder Ruhe noch Freude erschaute. Sein Aussehen ist nun gänzlich entstellt, und welche Schuld beging er denn, daß er solche Strafe verdiente? Die Schuld trifft andere, die Gott dir deshalb in deine Gewalt gab, jener Arme aber ist schuldlos.« Da versetzte Bahluwân: »Es ist so, wie ihr sagt; jedoch fürchte ich mich vor seiner Arglist und bin nicht sicher vor seinem Übel, da sich die Mehrzahl des Volks ihm zuneigen könnte.« Sie erwiderten ihm hierauf: »O König, was kann denn dieser Knabe thun und was für Kraft besitzt er? Wenn du ihn fürchtest, so schicke ihn zu einer der Grenzen.« Da sagte er: »Ihr habt recht, wir wollen ihn als Kriegshauptmann an eine der Grenzen schicken.« Jener Ort ward aber von einer Schar trotziger Feinde bedräut und er beabsichtigte hierdurch nur seinen Tod. Alsdann befahl er ihn aus seinem Verließ zu holen, und, als sie ihn vor ihn führten und er seinen Zustand sah, schenkte er ihm zur Freude des Volks ein Ehrenkleid, knüpfte ihm Banner und entsandte ihn mit einem großen Heer in jene Gegend, wo bisher jeder, der dorthin gezogen war, entweder gefallen oder gefangen genommen war. Wie nun Mâlik Schâh mit seinem Heer dorthin gezogen war, überfielen ihn die Feinde des Nachts und schlugen den einen Teil seiner Streiter in die Flucht, während sie die andern zugleich mit ihm gefangen nahmen und ihn mit einem Teil seiner Schar in eine Grube warfen. Seine Gefährten 105 beweinten seine Schönheit und Anmut, und er blieb ein volles Jahr lang in übelster Lage in seinem Gefängnis. Es war aber die Gewohnheit der Feinde zu Anfang eines jeden Jahres die Gefangenen herauszuholen und sie von der Zinne der Burg in die Tiefe zu stürzen; und so stießen sie auch Mâlik Schâh mit den andern hinunter, jedoch fiel er auf die Füße, ohne am Boden Schaden zu nehmen, da sein Leben in Gottes Hut war, während die andern, die herabgestürzt wurden, sich zu Tode fielen und dort so lange lagen, bis sie von den wilden Tieren gefressen und ihre Gebeine von den Winden verstreut wurden. Er lag den Tag und die Nacht über bewußtlos am Boden, und als er dann wieder zu sich kam und sah, daß er unverletzt war, dankte er Gott, dem Erhabenen, für seine Rettung, und wanderte in einem fort aufs Geratewohl los, indem er sich von Baumblättern nährte und während des Tages einen Versteck aufsuchte. Nach einer Reihe von Tagen gelangte er wieder in eine bewohnte Gegend, wo er die Leute aufsuchte und ihnen erzählte, daß er, in einer Burg eingeschlossen, in die Tiefe gestürzt wäre, daß Gott, der Erhabene, ihn aber errettet hätte. Die Leute hatten Mitleid mit ihm und gaben ihm zu essen und trinken. Nachdem er einige Tage bei ihnen verweilt hatte, fragte er sie nach dem Weg, der zum Land seines Oheims Bahluwân führte, doch sagte er ihnen nicht, daß es sein Oheim war. Sie zeigten ihm den Weg und er wanderte barfuß fürbaß, bis er sich nackend, hungrig, abgemagert und blaß der Stadt näherte. Am Stadtthor setzte er sich nieder, als sich mit einem Male eine Anzahl der Günstlinge des Königs Bahluwân näherte, die auf einem Jagdausflug begriffen waren und ihre Pferde tränken wollten. Als sie abgestiegen waren, um der Rast zu pflegen, trat der Jüngling an sie heran und sprach zu ihnen: »Ich möchte euch um Auskunft wonach fragen.« Sie versetzten: »Sprich, was du willst.« Da fragte er sie: »Ist der König Bahluwân wohlauf?« Lachend erwiderten sie ihm: »Was für ein Thor bist du, Bursche! Du bist ein fremder 106 Bettler, wie kommst du also dazu nach Königen zu fragen?« Nun entgegnete er: »Er ist mein Oheim.« Da verwunderten sie sich und sagten: »Erst war's ein Rätsel und nun sind's ihrer zwei. Du bist wohl verrückt, Gesell! Woher solltest du mit Königen verwandt sein? Wir wissen nur von einem Neffen des Königs, den er bei sich gefangen hielt und in den Krieg gegen die Ungläubigen ausschickte, damit sie ihn erschlügen.« Er versetzte: »Ich bin's; sie erschlugen mich jedoch nicht, sondern es erging mir so und so.« Nun erkannten sie ihn auf der Stelle, und, sich vor ihm erhebend, küßten sie ihm erfreut die Hände und sprachen zu ihm: »O unser Herr, du bist in Wahrheit ein König und eines Königs Sohn, und wir wünschen dir nichts als Gutes und beten für dein Leben. Schau', wie dich Gott vor diesem deinem gewaltthätigen Oheim errettet hat, der dich an einen Ort schickte, von wo noch niemand entkam; er bezweckte hierdurch nur deinen Untergang, und du stürztest in den Tod, aus dem dich Gott errettete. Wie, willst du dich nun wieder in die Hand deines Feindes stürzen! Um Gott, rette dich und kehre nie wieder zu ihm zurück, damit du, so Gott will, noch länger auf der Erde lebst. Kehrst du noch einmal zu ihm zurück, so läßt er dich keine Stunde mehr leben.« Mâlik Schâh dankte ihnen und sprach: »Gott lohne es euch mit allem Guten! Ihr gabt mir guten Rat, wohin aber soll ich gehen?« Sie versetzten: »Zum Lande Rûm, wo deine Mutter wohnt.« Er entgegnete: »Als der König von Rûm an meinen Großvater Suleimân Schâh schrieb und sich um meine Mutter bewarb, verhehlte sie ihm meine Sache und verbarg mein Geheimnis vor ihm; wie also könnte ich sie Lügen strafen?« Sie erwiderten: »Du hast recht; jedoch meinen wir es gut mit dir, und selbst, wenn du den Leuten dientest, so diente es mehr deinem Leben als hier zu bleiben.« Hierauf gaben ihm alle etwas Geld und kleideten und speisten ihn, worauf sie ihm eine Parasange weit das Geleit gaben, bis sie ihn von der Stadt entfernt hatten. Dann teilten sie ihm mit, 107 daß er nunmehr sicher wäre und verließen ihn, während der Jüngling unverdrossen weiterzog, bis er aus dem Gebiet seines Oheims ins Land Rûm gelangte, wo er in ein Dorf einkehrte und einem der Bewohner daselbst beim Pflügen und Säen und dergleichen diente.

Was aber seine Mutter Schâh Chātûn anlangt, so ward ihre Sehnsucht nach ihrem Sohn immer stärker, und stets dachte sie an ihn; da ihr aber alle Nachrichten von ihm abgeschnitten waren, ward ihr das Leben verdüstert, und der Schlaf floh sie, ohne daß sie zu ihrem Gatten, dem Kaiser, von ihm reden konnte. Es hatte sie aber auch ein Eunuch ihres Vaters Suleimân Schâh begleitet, ein verständiger, einsichtsvoller und kluger Mann, und so nahm sie ihn eines Tages beiseite und sprach weinend zu ihm: »Du bist seit meiner Kindheit bis auf den heutigen Tag mein Diener: kannst du mir deshalb nicht Nachricht von meinem Sohn bringen, wo ich nicht von ihm sprechen darf?« Er versetzte: »O meine Herrin, dies ist eine Sache, die du von Anfang an verheimlicht hast, und, wäre dein Sohn hier, so dürftest du auch dann nichts von ihm eingestehen, um nicht vor dem König entehrt dazustehen. Denn nimmer würde er dir glauben, nachdem es hieß, daß dein Sohn von seinem Oheim ermordet ward.« Sie versetzte: »Die Sache ist so wie du sagst, und deine Worte sind wahr; wenn ich jedoch wüßte, daß mein Sohn noch am Leben ist, so mag er hier Schafe hüten, wenn wir uns auch beide nicht zu Gesicht bekommen.« Nun fragte der Eunuch: »Wie sollen wir es anstellen?« Sie erwiderte: »Hier ist mein Geld und meine Schatzkammer; nimm dir soviel du willst und bringe mir ihn oder wenigstens eine Nachricht von ihm.« Hierauf machten sie sich einen Plan zurecht, nach dem sie Geld seit der Zeit ihres Gatten Mâlik Schâh vergraben hätte, von dem niemand als der Eunuch etwas wüßte, der deshalb fortreisen und es holen sollte. Sie teilte dies dem König mit und bat ihn für den Eunuchen um Erlaubnis, und der König erteilte sie ihm und 108 legte ihm ans Herz, vorsichtig zu Werke zu gehen, damit es niemand erführe. Hierauf zog der Eunuch in der Tracht eines Kaufmanns ab, bis er Bahluwâns Residenz betrat, wo er auf Nachrichten von dem Jüngling horchte; und die Leute erzählten ihm, er wäre in einem unterirdischen Verließ eingesperrt gewesen, doch hätte ihn sein Oheim befreit und ihn nach dem und dem Ort geschickt, wo er im Kampf gefallen wäre. Als der Eunuch dies vernahm, fiel es ihm schwer aufs Herz, so daß er nicht wußte, was er thun sollte. Da traf es sich eines Tages, daß einer jener Ritter, die den jungen Mâlik Schâh bei dem Wasser angetroffen und ihn gekleidet und mit Geld versehen hatten, den Eunuchen in der Stadt sah und ihn trotz seiner Verkleidung erkannte. Er fragte ihn, wie es ihm ginge und was ihn hierhergeführt hätte, worauf der Eunuch erwiderte, er sei gekommen, um Waren zu verkaufen. Da sagte der Ritter zu ihm: »Ich will dir etwas mitteilen, wenn du imstande bist, es bei dir zu behalten.« Der Eunuch versetzte: »Schön; was ist's?« Nun sagte er: »Wir, das heißt, ich und einige Araber, die bei mir waren, trafen den jungen Mâlik Schâh an dem und dem Wasser und schickten ihn, nachdem wir ihn mit etwas Geld versehen hatten, nach dem Lande Rûm in die Nähe seiner Mutter, da wir fürchteten, sein Oheim Bahluwân könnte ihn umbringen.« Alsdann erzählte er ihm alles, was sich zwischen ihnen zugetragen hatte, worauf der Eunuch die Farbe wechselte und rief: »Gnade!« Der Ritter versetzte: »Du bist sicher, auch wenn du gekommen wärest, nach ihm zu suchen.« Der Eunuch erwiderte: »Das ist in der That mein Zweck; seine Mutter, die keine Ruhe mehr findet und weder zu liegen noch zu stehen vermag, schickte mich aus Nachrichten von ihm einzuholen.« Der Ritter entgegnete: »Zieh' getrost heim, denn er befindet sich im Lande Rûm, so wie ich es dir gesagt habe.« Da dankte ihm der Eunuch und segnete ihn, worauf er wieder heimwärts ritt, begleitet von dem Ritter, bis dieser an einem Wege zu ihm sagte: »An diesem Ort 109 verließen wir ihn. Während dann der Ritter wieder umkehrte, ritt der Eunuch weiter und fragte in jedem Dorf, in das er gelangte, nach dem Jüngling, ihn den Leuten so, wie er es vom Ritter vernommen hatte, beschreibend. In dieser Weise zog er weiter, bis er zu dem Dorf gelangte, in dem sich der Jüngling befand. Als er hier eingekehrt war, erkundigte er sich wieder nach ihm, doch vermochte ihm niemand Auskunft zu geben, so daß er niedergeschlagen wieder sein Pferd bestieg und weiter zog. Als er durch das Dorf ritt, sah er ein Stück Vieh an einem Strick angebunden, den ein neben ihm schlafender Jüngling in der Hand hielt. Er schaute ihn an und ritt dann weiter, ohne sich um ihn weiter zu bekümmern; plötzlich aber hielt er an und sprach bei sich: »Wenn der Jüngling, den ich suche, so wie jener schlafende Bursche, an dem ich vorüberzog, geworden ist, wie soll ich ihn denn erkennen? Ach, meine lange Mühe und Drangsal! Wie suche ich nach einem, den ich nicht kenne, überall umher, und den ich auch, wenn er vor mir stünde, nicht erkennen würde!« Hierauf kehrte er, in Gedanken mit dem schlafenden Jüngling beschäftigt, zu ihm zurück und setzte sich neben ihn. Der Jüngling schlief immer noch, und, wie er ihn nun genau betrachtete und ihm ins Gesicht blickte, sprach er bei sich: »Wer weiß, ob dieser Jüngling nicht Mâlik Schâh ist.« Dann summte er und rief: »Heda, Bursche!« Als der Jüngling nun erwachte und sich aufrichtete, fragte er ihn: »Wer ist dein Vater in diesem Dorf, und wo wohnst du?« Da seufzte der Jüngling und sagte: »Ich bin ein Fremdling.« Nun fragte ihn der Eunuch: »Aus welchem Lande bist du, und wer ist dein Vater?« Er versetzte: »Ich bin aus dem und dem Land.« Und so fragte ihn der Eunuch immer weiter aus, und der Jüngling antwortete ihm, bis er ihn erkannte und seiner Sache gewiß war, worauf er sich erhob, ihn umarmte und küßte und über seine Lage weinte. Dann erzählte er ihm, daß er ihn überall gesucht hätte und ohne Wissen des Gatten seiner Mutter gekommen wäre, und daß 110 sie zufrieden wäre, ihn gesund zu wissen, wenn sie ihn auch nicht sähe.« Alsdann kehrte der Eunuch ins Dorf zurück und kaufte ihm ein Pferd, worauf beide weiter ritten, bis sie zu den Grenzen ihres Landes gelangten. Hier wurden sie jedoch von Räubern überfallen, die ihnen alle ihre Habe nahmen und sie fesselten und in eine Grube neben dem Weg warfen; dann zogen die Räuber weiter und ließen beide in der Grube liegen, damit sie dort umkämen, gleich so vielen andern, die sie in die Grube geworfen hatten. Wie nun der Eunuch in der Grube zu weinen anhob, sagte der Jüngling zu ihm: »Was soll dies Weinen, und was nutzt es hier?« Der Eunuch erwiderte: »Ich weine nicht aus Furcht vor dem Tod, sondern aus Kummer über dich und deine schlimme Lage sowie über das Herz deiner Mutter und all die Schrecknisse, die du erduldest, und daß du nun nach allen Drangsalen eines so elenden Todes sterben mußt.« Der Jüngling entgegnete ihm: »Alles, was geschieht, steht geschrieben, und niemand vermag das, was einem geschrieben steht, auszulöschen. Wenn mein Termin genaht ist, so vermag ihn niemand aufzuschieben.«

Alsdann brachten sie die Nacht und den zweiten und dritten Tag in der Grube zu, bis sie vor Hunger schwach geworden und unter leisem Wimmern dem Tode nahe waren. Da traf es sich nach dem Ratschluß und der Allmacht Gottes, des Erhabenen, daß der König von Rûm, der Gatte Schâh Chātûns, der Mutter des Jünglings, mit seinem Gefolge auf die Jagd auszog und ein Wild verfolgte, bis sie es in der Nähe jener Grube eingeholt hatten, worauf einer von ihnen abstieg, um das Wild an der Öffnung der Grube zu schlachten. Als er hier jedoch ein leises Seufzen aus der Grube vernahm, setzte er sich wieder aufs Pferd und wartete, bis der Trupp herbeikam, worauf er es dem König mitteilte. Da befahl der König einem der Diener hinunterzusteigen, worauf der Diener den Jüngling und den Eunuchen, die beide bewußtlos waren, aus der Grube herausholte. Dann zerschnitten sie ihre Fesseln und gossen ihnen Wein in den Hals, 111 bis sie aus ihrer Ohnmacht wieder zu sich kamen. Als der König nun den Eunuchen anschaute, erkannte er ihn und rief: »He, du da!« Der Eunuch erwiderte: »Ja, mein Herr und König,« und warf sich vor ihm nieder. Aufs höchste verwundert, fragte ihn dann der König: »Wie bist du hierher gekommen, und wie erging es dir?« Der Eunuch antwortete: »Ich zog fort und schaffte das Geld heraus, das ich bis hierher brachte; das böse Auge war jedoch hinter mir, ohne daß ich es wußte, und so überfielen sie uns hier, während wir allein waren, und nahmen das Geld und warfen uns in die Grube, damit wir eines langsamen Todes stürben wie so viele andre, mit denen sie das Gleiche gethan hatten. Da aber schickte dich Gott, der Erhabene, aus Mitleid zu uns hierher.« Der König und sein Gefolge verwunderten sich und lobten Gott, den Erhabenen, dafür, daß er den König zu ihrer Rettung hierher geschickt hatte. Dann aber wendete sich der König zum Eunuchen und fragte ihn: »Was ist das für ein Bursche bei dir?« Der Eunuch erwiderte ihm: »O König, dies ist der Sohn unserer Amme, den wir als Kind verließen. Als ich ihn jetzt wiedersah, sagte seine Mutter: »Nimm ihn mit.« Und so nahm ich ihn mit, damit er dem König diente, da er ein heller und schlauer Bursche ist.« Alsdann brachen der König und sein Gefolge mit dem Eunuchen und dem Jüngling auf, und der König erkundigte sich bei dem Eunuchen nach Bahluwân und seinem Verhalten seinen Unterthanen gegenüber, worauf der Eunuch sagte: »Bei deines Hauptes Leben, mein Herr, die Leute haben schwer unter ihm zu leiden, und keiner von ihnen, sei es Vornehm oder Gering, wünscht ihn zu sehen.« Hierauf trat der König bei seiner Gemahlin Schâh Chātûn ein und sprach zu ihr: »Ich bringe dir die frohe Botschaft, daß dein Eunuch eingetroffen ist.« Dann erzählte er ihr von dem Geschehenen und dem Jüngling, den er bei sich hatte. Als sie dies vernahm, flog ihr der Verstand fort, und sie war nahe daran aufzuschreien, doch besann sie sich noch wieder. Der König aber fragte sie: »Was 112 bedeutet das? Grämst du dich über das Geld oder den Eunuchen?« Sie versetzte: »Bei deines Hauptes Leben, o König, die Frauen haben ein schwaches Herz.« Hierauf kam der Eunuch zu ihr und gab ihr über alle seine Erlebnisse und ihren Sohn und alle Drangsale, die er erlitten hatte, Auskunft; wie sein Oheim ihn dem Tod ausgesetzt hatte, wie er gefangen genommen und in die Grube geworfen, und von der Zinne der Burg herabgestürzt war, wie ihn Gott jedoch aus allen diesen Drangsalen errettet hatte. Sie weinte bei seiner Erzählung und sagte zu ihm: »Als der König ihn sah und dich nach ihm fragte, was sagtest du da zu ihm?« Der Eunuch erwiderte ihr: »Ich sagte ihm, es sei der Sohn einer Amme von uns, den wir als kleinen Knaben verlassen hätten, und den ich, nachdem er nunmehr herangewachsen wäre, mitgebracht hätte, damit er dem König diente.« Sie entgegnete: »Das hast du gut gemacht.« Hierauf legte sie dem Eunuchen ans Herz, ihren Sohn treu zu bedienen. Was dagegen den König anlangt, so behandelte er den Eunuchen mit vermehrter Huld und bestimmte für den Jüngling reichlichen Unterhalt; und der Jüngling ging im Königspalast ein und aus und diente dem König, der ihn von Tag zu Tag höher schätzte, während seine Mutter sich in den Fenstern und auf den Balkon aufstellte, um ihn zu schauen, und um seinetwillen wie auf Kohlen war, da sie nicht mit ihm reden konnte. In dieser Weise verstrich lange Zeit, während sie vor Sehnsucht fast starb, bis sie eines Tages auf ihn an der Thür ihres Gemaches lauerte und ihn an ihre Brust zog und auf Wange und Brust küßte. In diesem Augenblick kam jedoch der Schloßmeister heraus und sah sie den Jüngling umarmen, so daß er betroffen fragte, wer in jenem Zimmer wohne. Als man ihm sagte, es sei das Zimmer Schâh Chātûns, der Gattin des Königs, kehrte er zitternd wie vom Blitz getroffen um. Der König, der ihn beben sah, fragte ihn: »Wehe, was giebt's?« Der Schloßmeister erwiderte: »O König, was könnte es wohl Schlimmeres geben als was ich gesehen habe!« 113 Da fragte der König: »Und was sahst du?« Er versetzte: »Ich sah, daß der Eunuch jenen Burschen, den er bei sich hatte, nur um Schâh Chātûns willen brachte; soeben kam ich an der Thür ihres Gemaches vorüber und sah sie dort auf der Lauer stehen; als dann der Jüngling ankam, umarmte sie ihn und küßte ihn auf die Wange.« Als der König dies vernahm, ließ er das Haupt betroffen und verstört niederhängen und sank in einen Stuhl, sich an den Bart fassend und ihn zerrend, daß er ihn fast ausgerissen hätte. Dann erhob er sich und ließ sofort den Jüngling und den Eunuchen festnehmen und beide in ein unterirdisches Verließ im Palast einsperren. Hierauf begab er sich zu Schâh Chātûn und sagte zu ihr: »Bravo, bei Gott, o Tochter der Edeln, um die sich Könige wegen ihres guten Rufes bewarben! Wie schön ist dein Aussehen! Gott verfluche die, deren Wesen dem äußern Schein widerspricht, wie dein schändliches Bild, das von Außen hübsch und innen gemein ist, – hübsch an Gesicht und gemein an Thun! Doch will ich dich und jenen Galgenvogel zu einem Exempel unter den Menschen machen, da du deinen Eunuchen nur um seinetwillen ausschicktest, damit du ihn in meinem Palast hättest und mich entehrtest. Das ist eine unerhörte Frechheit, jedoch sollst du sehen, was ich mit euch thun werde.« Hierauf spie er ihr ins Gesicht und ging hinaus, während sie kein Wort redete, da sie wußte, daß, wenn sie jetzt gesprochen hätte, er ihren Worten doch nicht glauben würde. Hernach aber demütigte sie sich vor Gott, dem Erhabenen, und sprach: »O großer Gott, du kennst die verborgenen Dinge und weißt, was Wesen und Schein ist. Wenn mein Termin genaht ist, so werde er nicht aufgeschoben, und, wenn er aufgeschoben ist, so sei er nicht beschleunigt!«

In dieser Weise verstrichen einige Tage, während welcher Zeit der König ratlos dasaß und weder aß und trank noch schlief und nicht wußte, was er thun sollte. »Töte ich,« so sprach er bei sich, »den Jüngling und den Eunuchen, so 114 bringe ich meine Seele nicht in Frieden, da sie keine Schuld haben, dieweil sie es war, die ihn holen ließ; alle drei hinzurichten aber bringe ich nicht übers Herz: ich will mich daher nicht mit ihrem Tod übereilen, um es nachher nicht zu bereuen.« Und so ließ er sie zufrieden, um die Sache zu überlegen.

Nun aber hatte er eine Amme, eine kluge Frau, die ihn auf ihren Knieen erzogen hatte. Sie sah wohl seinen veränderten Zustand, da sie es jedoch nicht wagte vor ihn zu treten, begab sie sich zu Schâh Chātûn, die sie in noch üblerer Verfassung antraf. Auf ihre Frage, was ihr fehle, gab sie ausweichende Antwort, doch redete sie ihr so lange zu und fragte sie, bis Schâh Chātûn sie beschwor ihr Geheimnis bei sich zu behalten. Die Alte schwor es ihr, und nun erzählte sie ihr ihre Geschichte von Anfang bis zu Ende und sagte ihr, daß der Jüngling ihr Sohn sei. Da warf sich die Alte vor ihr nieder und sagte zu ihr: »Das ist ein leichtes Ding.« Die Königin versetzte jedoch: »Bei Gott, o meine Mutter, ich ziehe lieber meinen und meines Sohnes Tod vor, als etwas zu sagen, was man mir doch nicht glauben würde; es würde doch nur heißen: »Sie sagt dies nur, um die Schande von sich abzuwehren. Mir hilft nichts als Ergebung.« Die Alte war von ihren Worten und ihrem Verstand eingenommen und entgegnete ihr: »Meine Tochter, es ist so, wie du sagst, doch hoffe ich zu Gott, daß er die Wahrheit an den Tag bringen wird; bleibe nur standhaft, ich will mich sofort zum König aufmachen, um zu hören, was er sagt, und dann etwas in dieser Angelegenheit ersinnen.« Hierauf erhob sich die Alte und begab sich zum König, den sie mit vor Schmerz zwischen die Kniee gesunkenem Haupt antraf. Sie setzte sich zu ihm und sagte zu ihm, nachdem sie ihm eine Weile Trost zugesprochen hatte: »Mein Sohn, du verbrennst mir das Herz, da du seit geraumer Zeit vor Kummer nicht ausgeritten bist, und ich nicht weiß, was dir fehlt.« Er versetzte: »O meine Mutter, das hat jene Verruchte 115 zuwege gebracht, von der ich so gut dachte und die mir das und das angethan hat.« Alsdann erzählte er alles von Anfang bis zu Ende, worauf die Alte zu ihm sagte: »Dein Kummer ist um ein wertloses Weib.« Der König erwiderte: »Ich denke nur über die Todesart nach, die ich ihr geben soll, daß das Volk es sich zu Herzen nimmt.« Nun sagte die Amme: »Mein Sohn, hüte dich vor Übereilung, denn Eile schafft Reue; ihr Tod entgeht dir ja nicht. Wenn du dich von der Sache überzeugt hast, dann thu' nach deinem Belieben.« Der König entgegnete: »O meine Mutter, es bedarf keiner Vergewisserung über den, den sie durch ihren Eunuchen holen ließ.« Die Alte versetzte: »Ich weiß ein Mittel, durch das du sie zum Geständnis bringen kannst, und das dir alle Gedanken ihres Herzens enthüllt.« Da fragte der König: »Was ist's?« Die Alte erwiderte: »Ich werde dir das Herz eines Wiedehopfs bringen, das du ihr, wenn sie schläft, auf die Brust legst. Wenn du sie dann nach allem, was du begehrst, fragst, so wird sie es dir angeben, und du wirst die Wahrheit erschauen.« Erfreut hierüber, sagte der König zu ihr: »Beeile dich und laß niemand etwas von dir wissen.« Da erhob sich die Alte und begab sich wieder zu Schâh Chātûn zu der sie sagte: »Ich habe dein Geschäft erledigt; heute Nacht wird der König zu dir kommen; stelle dich, als ob du schliefest, und beantworte ihm alle seine Fragen.« Die Königin dankte der Alten, worauf diese fortging und das Herz eines Wiedehopfs besorgte, das sie dem König gab. Kaum war die Nacht angebrochen, da begab sich der König auch schon in seiner Unruhe zu ihr und setzte sich an ihre Seite, während sie zurückgelehnt dalag, als ob sie schliefe. Nachdem er ihr das Herz des Wiedehopfs auf die Brust gelegt hatte, wartete er noch eine Weile, um sich zu vergewissern, daß sie schliefe; dann rief er: »Schâh Chātûn! Schâh Chātûn! Ist dies mein Lohn von dir?« Da fragte sie: »Und was ist denn meine Schuld?« Er versetzte: »Welche Schuld ist denn größer als diese? Du ließest 116 diesen Jüngling in deines Herzens Gelüsten hierherbringen, um mit ihm zu thun, wonach du begehrtest.« Sie entgegnete: »Ich weiß von keinem Gelüst; unter deinen Pagen giebt es hübschere und schönere als ihn, und doch begehrte ich nach keinem von ihnen.« Hierauf fragte er: »Weshalb hingst du dich denn an ihn und küßtest ihn?« Sie erwiderte: »Es ist mein Sohn und ein Stück von meinem Herzen; in meiner Sehnsucht und Liebe konnte ich nicht mehr an mich halten, so daß ich ihm um den Hals fiel und ihn küßte.« Als der König dies vernahm, ward er betroffen und verwirrt und sagte: »Hast du einen Beweis dafür, daß dies dein Sohn ist? Ich besitze von deinem Oheim Suleimân Schâh ein Handschreiben, daß sein Oheim Bahluwân ihm den Hals abschnitt.« Sie erwiderte: »Jawohl, er that es, doch schnitt er ihm nicht die Luftröhre durch; mein Oheim nähte den Schnitt wieder zu und zog ihn auf, da sein Termin noch nicht genaht war.« Als der König dies vernahm, sagte er: »Dieser Beweis genügt mir.« Hierauf erhob er sich unverzüglich und ließ in der Nacht den Jüngling und den Eunuchen vor sich führen. Dann untersuchte er beim Schein einer Kerze den Hals des Jünglings und fand, daß sich eine Narbe über ihn wie ein Faden von einem Ohr bis zum andern darüber hinzog. Da warf sich der König vor Gott nieder, daß er diesen Knaben aus allen Schrecken und Drangsalen errettet hatte und freute sich unendlich darüber, daß er seine Hinrichtung nicht übereilt hatte und so der bittersten Reue entgangen war.

Der Jüngling aber ward nur dadurch gerettet, daß sein Termin noch nicht gekommen war, und so, o König, habe auch ich einen aufgeschobenen Termin, den ich erreichen, und eine Zeit, die ich erfüllen werde; und ich hoffe zu Gott daß er mir über diese schurkischen Wesire den Sieg verleihen wird.«

Als der Jüngling seine Erzählung beendet hatte, sagte der König: »Führt ihn ins Gefängnis zurück.« Dann wendete 117 er sich zu den Wesiren und sagte zu ihnen: »Dieses Jünglings Zunge ist lang wider euch, doch kenne ich eure Fürsorge für mein Reich und weiß, daß euer Rat gut gemeint ist; seid daher guter Dinge, denn, alles, was ihr mir ratet, werde ich an ihm vollstrecken.«

Da freuten sich alle über seine Worte, und jeder von ihnen brachte seine Meinung vor, worauf der König sagte: »Ich verschob seine Hinrichtung nur, damit des langen und breiten geredet würde. Er soll nun aber ganz bestimmt sein Leben lassen, und ich wünsche, daß ihr für ihn am Ende der Stadt ein Holz errichtet, und daß ein Herold unter dem Volk ankündigt, sich zu versammeln und ihn zu nehmen und in Prozession zum Holz zu geleiten. Und der Herold soll rufen: »Dies ist der Lohn für den, den der König mit seiner Huld begnadet, und der ihn verrät.« Erfreut hierüber ließen die Wesire den Befehl des Königs ausrufen und das Holz errichten und vermochten die ganze Nacht über vor Freude nicht zu schlafen.

Elfter Tag.
Gottes Trost ist nahe.

Am Morgen des elften Tages begaben sich die Wesire zum Thor des Königs und sprachen zu ihm: »O König, das Volk ist bereits vom Thor des Königs an bis zum Holz versammelt, um die Vollstreckung des Befehls des Königs an dem Jüngling zu schauen. Da befahl der König den Jüngling zu holen, und, als er herbeigeführt ward, wendeten sich die Wesire zu ihm und sprachen: »Du gemeine Brut, ist dir noch Gelüst nach dem Leben verblieben, und hoffst du noch heute auf Trost?« Der Jüngling versetzte: »Ihr schurkischen Wesire, wird ein Verständiger die Hoffnung auf Gott, den Erhabenen, fahren lassen? Mag auch ein Mensch vergewaltigt werden, mitten in seiner Drangsal naht ihm doch der Trost und mitten im Tod das Leben, wie es die Geschichte des Gefangenen, den Gott befreite, beweist.« Da 118 fragte der König: »Wie ist die Geschichte?« Und der Jüngling erzählte:

 


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