Anthony Graf Hamilton
Die Memoiren des Grafen Grammont
Anthony Graf Hamilton

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Vor den Folgen eines solchen Verhältnisses zurückschreckend, kämpfte die Herzogin mit Kraft und Festigkeit gegen die gefährliche Neigung; doch Miß Hobart stellte sich auf Seite der Leidenschaft, löste und überwand allmählich die Skrupel der Fürstin.

Sie hatte sich durch eine Neuigkeitschronik, die das ganze Jahr umfaßte, in ihre Gunst geschmeichelt. Hof und Stadt waren darin behandelt, im übrigen war es nicht ihre Sache, ob die Nachrichten immer echt waren, sie suchte sie eben dem Geschmack Ihrer Hoheit anzupassen, kannte auch ihren Sinn für Tafelfreuden und verstand ihre Lieblingsgerichte zuzubereiten oder zu verbessern. All das hatte sie fast unentbehrlich gemacht, aber um ganz fest zu stehen, beobachtete sie die Haltung Sidneys und las in ihrer Gebieterin Herzen deren Eindruck. Die geschickte Hobart hatte ihr gleich gesagt, der arme Mann vergehe aus Liebe zu ihr, es sei jammerschade, daß ein so vortrefflicher Mensch, der die ihr gebührende Achtung nur darum etwas aus den Augen verliere, weil er sich nicht mehr halten könne, sich vor den Blicken der Welt an ihrem Glanz wie ein Schmetterling versenge. Die Sache würde bald Aufsehen erregen, wenn man nicht beschwichtigend eingriffe; sie beschwöre Ihre Hoheit, auf die eine oder andere Weise mit seinem Zustand Mitleid zu haben. Die Herzogin fragte sie, was sie damit meine, und wie sie Mitleid haben solle. – »Ich meine, gnädige Frau,« sprach die Hobart, »daß Sie ihm, wenn sein Äußeres oder seine Neigung Ihnen mißfällt, den Abschied geben oder – ihn in ihrem Dienst behalten, wie alle Prinzessinnen der Welt es an ihrer Stelle täten; in diesem Falle erlauben Sie mir, ihm vorläufig Ihre Befehle über sein Benehmen, nebst einigen schwachen Aussichten zu eröffnen, damit er nicht wahnsinnig wird. Später dürften sich dann Wege für Ihro Hoheit finden, ihn selbst von Ihrer Willensmeinung in Kenntnis zu setzen ....«

»Wie!« rief die Herzogin, »Sie sind mir ergeben, Hobart, und können mir raten, mich auf Kosten meiner Ehre und unter tausend Gefahren in ein solches Verhältnis einzulassen? Wenn ähnliche Schwächen bisweilen zu entschuldigen sein mögen, so sind sie es doch nie in einer Stellung wie der meinen; es hieße die Gnade dessen, der mich zu ihr erhoben, schlecht erkennen, wollte ich ....«

»Gut,« sprach die Hobart, »weiß man etwa nicht, daß er sich mit Ihnen nur vermählte, weil er dazu gedrängt wurde? Als die Verbindung einmal geschlossen war, hat er sich da vielleicht den mindesten Zwang auferlegt, hat er Ihnen nicht durch tausendfache Untreue seinen beleidigenden Wankelmut bewiesen. Sind Sie geneigt, gleichgültig und demütig weiter mit anzusehen, wie der Herzog, nachdem er die Gunst aller Kokotten gesucht, gefunden oder verloren hat, Ihre eigenen Fräulein, eine nach der anderen, abgaloppiert und jetzt sogar seinen Ehrgeiz und sein Streben auf diese dürre Mähre, die Churchill richtet? Wie, gnädige Frau, Ihre beste Zeit wollen Sie wie eine Witwe, mit Klagen über Ihr Unglück zubringen, ohne sich gelegentlich Trost zu suchen? Dazu gehört eine Hiobsgeduld oder stumpfe Resignation. Ein Mann, der seine Gemahlin Tag und Nacht vernachlässigt und meint, sie brauche nur mit gutem Appetit zu essen, wie Ihro Hoheit es Gott sei Dank tut, und brauche weiter nichts, als gut zu schlafen, na, da dank' ich! Ich wiederhole es, keine Prinzessin auf Erden würde die Huldigung eines Sidney zurückweisen, wenn ihr Gemahl sich von ihr abwendet.«

Diese Ausführungen waren, wenn man will, nicht besonders moralisch, aber wären sie es noch weniger gewesen, sie hätten die Herzogin gewonnen, denn ihr Herz war mit der Hobart darüber einig, daß sie ihrer Zurückhaltung ein Ende machen müsse.

Das Verhältnis war gerade im Werden, als die Hobart der jungen Temple riet, die Lockungen Sidneys nicht zu beachten. Sobald er von der Hobart erfahren hatte, daß die Herzogin seine Huldigung annehme, dachte er nur noch an die nötige Vorsicht und an Mittel und Wege, die Welt irrezuführen; aber die Welt ist nicht so dumm, wie man glaubt.

Weil es nun an einem starkbesuchten Hofe inmitten einer großen Stadt viele Aufpasser, Neugierige, Kritiker gibt, so bewog die Herzogin, um nicht durch so viele Zeugen ihr teuerstes Glück zu gefährden, ihren Gatten, die schon erwähnte Reise zu machen, während der Hof der Königin zu Tunbridge war.

Dies Auskunftsmittel war gut gewählt, die Fürstin befand sich wohl dabei und ihr Hof nicht minder, mit Ausnahme von Miß Jennings. Jermyn war nicht unter der Reisegesellschaft; er war mit einem über seine Kräfte gehenden Unternehmen beschäftigt, er kämpfte nämlich die schon von Chevalier Grammont verlorene Wette aus. Er hatte um fünfhundert Guineen gewettet, daß er zwanzig englische Meilen mit einem Pferde in einer Stunde zurücklegen werde. Der Tag für diesen Wettkampf war derselbe, an dem Miß Jennings zum Wahrsager gegangen war.

Jermyn war in seinem Unternehmen glücklicher als sie; er blieb Sieger, doch da sein Mut seine Körperkraft überstieg, gewann er zwar die Wette, verlor aber seine Gesundheit. Er bekam das Fieber und dies brachte seine Stimmung sehr herunter. Die Jennings erkundigte sich nach seinem Befinden, wagte aber weiter nichts. In den Romanen braucht eine Prinzessin ihrem von den Ärzten schon aufgegebenen Helden nur einen Besuch zu machen und er ist in drei Tagen gerettet; da aber nicht Miß Jennings das Fieber erzeugt hatte, konnte sie es auch nicht vertreiben; wäre sie überzeugt gewesen, man werde an einem lästerungssüchtigen Hofe einen Mitleidsbesuch nicht bekritteln, so hätte sie ihn wenigstens besucht. Rücksichtslos für ihren Kummer reiste der Hof ohne Jermyn ab; doch sie hatte wenigstens die Genugtuung, ihr Mißfallen an allem, was anderen auf der Fahrt Freude machte, zu äußern.

Talbot war bei der Gesellschaft und schmeichelte sich, die Abwesenheit eines gefährlichen Rivalen könne eine Wendung zu seinen Gunsten herbeiführen; darum blickte er aufmerksam auf alle Bewegungen, Handlungen und auf die geringsten Züge von Miß Jennings, womit er freilich genug zu tun hatte. Denn für eine ernste Stimmung von längerer Dauer war sie nicht geschaffen; aus tiefster Träumerei riß ihr Temperament sie zu lebhaften Scherzen fort, und das gab ihm Hoffnung, sie werde Jermyn vergessen und sich seiner früheren Neigung erinnern. Doch hielt er seine Sehnsucht und Liebe im Hintergrunde, weil er es eines beleidigten Liebhabers nicht würdig erachtete, einer Undankbaren, die ihn im Stich gelassen, die kleinste Schwäche zu zeigen.

Weit entfernt, an seinen Groll zu denken, erinnerte sich Miß Jennings kaum seiner Liebe; sie dachte nur an den armen Kranken und behandelte Talbot, als wäre zwischen ihnen gar nichts vorgefallen. So gab sie ihm denn am häufigsten beim Einsteigen oder Heraushelfen aus dem Wagen den Arm, sprach lieber mit ihm als mit anderen und tat absichtslos alles, was sich tun ließ, den Hof zu der Ansicht zu verleiten, sie sei zugunsten des früheren Verehrers von ihrer Neigung zu Jermyn abgekommen.

Talbot wurde dadurch wie die übrigen getäuscht und hielt es für gut, seine Rolle zu ändern. Um ihr zu beweisen, daß sein Gefühl für sie keine Änderung erfahren, war er entschlossen, ihr mit ergreifenden Worten seine Liebe zu erklären. Das Glück schien alles zugunsten einer solchen Erklärung zu fügen; denn er war auf ihrem Zimmer mit ihr allein und sie foppte ihn fast herausfordernd mit seiner Neigung zu Miß Boynton. Sie sagte, man müsse ihm für die Teilnahme an der Reise Dank wissen, während das arme Geschöpf zu Tunbridge um seinetwillen täglich dreimal in Ohnmacht fiele. Bei dieser Wendung hielt Talbot es für richtig, von seinen Leiden und seiner Treue anzufangen, als Miß Temple, ein Blatt Papier in der Hand, plötzlich in das Zimmer der Jennings trat. Es war ein Brief in Versen, den Lord Rochester einige Zeit zuvor über die Abenteuer an beiden Höfen verfaßt hatte. Mit Hinsicht auf Miß Hennings sagte er darin, Talbot habe durch seine große Gestalt Schrecken unter dem Volke Gottes verbreitet, aber Jermyn, ein kleiner David, habe den gewaltigen Goliath besiegt. Von dieser Anspielung entzückt, las Miß Jennings die Stelle zwei- bis dreimal; fand sie reizender als Talbots Gespräch und lachte anfangs aus vollem Herzen; doch bald verfiel sie in eine gefühlvolle Stimmung und sprach mit einem tiefen Seufzer: »Armer kleiner David!« Ihr Köpfchen senkte sich träumend zur Seite und einige Tränen, die gewiß nicht der Niederlage des Riesen galten, brachen aus ihren Augen. Das traf Talbot schmerzlich; so beschämend aus seinen Himmeln gestürzt, ging er rasch hinaus, fest entschlossen, sein Herz nie wieder einer kleinen Törin zuzuwenden, in deren Benehmen weder Sinn noch Verstand liege; aber er blieb seinem Entschluß nicht treu.

Den anderen Liebesleuten am Hofe ging es nicht so schlecht; es wimmelte von Verliebten und die Reise schien für sie wie geschaffen. Unterwegs gab es nichts als Bälle und Feste, bei längerem Aufenthalt Jagden und Spazierfahrten. Die zärtlichen Anbeter schmeichelten sich, auf der Fahrt gelegentlich erhört zu werden, und die Schönen raubten ihnen nicht alle Hoffnung. Sidney machte der Herzogin auffallend den Hof. Die Fürstin lenkte die Aufmerksamkeit ihres Gemahls darauf, wie sehr er seit einiger Zeit seine Nähe suche. Seine Hoheit merkte sich das und erwiderte, man müsse sich ihm bei der nächsten Gelegenheit dafür erkenntlich zeigen. Diese fand sich bald.

Der früher erwähnte Montague war Stallmeister der Herzogin. Er besaß Geist, einen klaren Blick und war ein wenig satirisch. Wie konnte man einen Mann dieses Charakters bei der Wendung, die die Herzensangelegenheit der Fürstin genommen, in ihrer Nähe behalten? Man wußte keinen Rat; doch fand gerade dessen älterer Bruder zu gelegener Zeit seinen Tod an einem Ort, an dem er ihn nicht gesucht; so erhielt der Herzog für den jüngeren den Posten eines Stallmeisters der Königin, den der Verstorbene bekleidet hatte. Der schöne Sidney kam bei der Herzogin an seine Stelle. Das machte sich alles trefflich und der Herzog freute sich über die gleichzeitige Beförderung beider Herren, ohne daß es ihm selbst etwas kostete. Miß Hobart billigte diese Beförderungen aus voller Seele; sie hatte mit Sidney häufig lange Zusammenkünfte; man bemerkte es und einige erwiesen ihr die Ehre, das auf ihre Rechnung zu setzen. Sie nahm dies Kompliment gerne entgegen. Der Herzog glaubte es ebenfalls und machte die Herzogin auf den seltsamen Geschmack gewisser Leute aufmerksam: wie sonderbar es sei, daß der schönste Mann von ganz England sich in ein so abschreckendes Gesicht vergaffen könne.

Die Herzogin meinte, der Geschmack sei unberechenbar und er habe gut reden, da er sich die schöne Helena zur Geliebten erkoren. Ich weiß nicht, ob dieser Scherz ihn zum Nachdenken brachte, aber soviel ist gewiß, er zeigte für die Churchill nicht mehr denselben Eifer und vielleicht hätte er sie ganz aufgegeben, wenn nicht ein Vorfall seine Neigung zu ihr von neuem belebt hätte.

Man hielt gerade in einer offenen, ebenen Landschaft an. Wohin man sich in England wendet, überall sieht man grüne, glatte Rasenflächen. Die Herzogin wünschte, die Jagdhunde laufen zu sehen. Sie war zu Wagen und alle Damen zu Pferd, jede von ihrem Stallmeister begleitet. Es war ganz in der Ordnung, daß die Fürstin auch den ihrigen zur Seite hatte. Er war am Wagenschlag, und wenn er zur Unterhaltung auch nicht besonders beitrug, bot seine Erscheinung dafür reichen Ersatz.

Der Herzog war neben Miß Churchill, nicht um ihr Schmeichelreden zu sagen, sondern um sie wegen ihres schlechten Reitens zu tadeln. Sie war ein sehr träges Geschöpf, und während sonst die Hoffräulein im Zuge die schlechtesten Pferde reiten, wollte man sie ihrer Stellung halber auszeichnen und hatte ihr ein sehr hübsches, etwas wildes Tier gegeben. Auf diesen Vorzug hätte sie gern verzichtet.

Durch ihre Verlegenheit und Angst wurde ihre natürliche Blässe noch erhöht und in diesem Zustande begann sie dem Herzog schon zu mißfallen, als ihr Pferd, den andern folgend, sich trotz ihrem Sträuben in Galopp setzte. Je mehr sie sich anstrengte, es zu halten, desto wilder wurde es und flog endlich in vollem Lauf dahin, als ob es mit dem Pferde des Herzogs um die Wette renne.

Miß Churchill wankte, tat einen Schrei und stürzte. Der Sturz war heftig, aber ihr in jeder Hinsicht günstig; denn ohne Schaden zu nehmen, strafte sie alles, was ihr Gesicht zu ihrem Nachteil gesagt, durch den Rest Lügen. Der Herzog sprang ab, um ihr zu Hilfe zu eilen. Sie war so betäubt, daß sie an Anstand gar nicht denken konnte, und alle, die zu ihrem Beistand kamen, fanden sie noch in sehr verfänglicher Lage. Niemand hätte geglaubt, daß zum Gesicht der Miß Churchill ein so herrlich schöner Körper gehören könne. Seit jenem Vorfall zeigte sich die Aufmerksamkeit und Leidenschaft des Herzogs nur um so eifriger, und zu Ende des Winters zeigte es sich, daß sie seine Wünsche nicht auf die Folter gespannt und ihn nicht habe vergebens schmachten lassen.

Beide Höfe kehrten fast gleichzeitig zurück und waren einstimmig mit ihren Reisen zufrieden; die Königin jedoch erwartete vergeblich jenen Erfolg, den sie erhofft hatte.

Um jene Zeit etwa erhielt der Chevalier Grammont von seiner Schwester, der Marquise von Saint-Chaumont, ein Schreiben, durch das sie ihm meldete, seine Rückkehr hänge nur von ihm selbst ab, der König habe nichts mehr gegen sie. Auch er hätte zu einer andern Zeit nichts gegen sie gehabt, wie reizend der Hof von England ihm auch erschien, konnte sich aber bei seiner damaligen Herzensstimmung nicht zu einer Abreise entschließen.

Von Tunbridge war er tausendmal verliebter zurückgekehrt als zuvor. Auf dieser angenehmen Fahrt hatte er Miß Hamilton täglich gesehen, bald in dem sumpfigen, öden Peckham, bald auf den herrlichen Spaziergängen des lachenden Summerhill oder bei den ständigen Festen der Königin. Mochte er sie nun zu Pferd, beim Tanz erblickt oder ihre Unterhaltung genossen haben, genug, der Himmel schien ihm kein vollkommeneres, dem Geschmack eines feinfühligen Mannes mehr zusagendes Wesen geschaffen zu haben. Wie konnte er also daran denken, sich von ihr zu trennen! Das schien ihm ganz unmöglich. Weil er sich aber bei ihr Ehre damit einlegen wollte, daß er sich von ihr entfernen könne, ohne nach ihren Reizen zu schmachten, zeigte er ihr den Brief seiner Schwester; aber sein Manöver hatte nicht die erwartete Wirkung.

Zunächst gratulierte ihm Miß Hamilton zu seiner Rückberufung und dankte ihm verbindlichst für das Opfer, das er ihr bringen wolle; da jedoch ein solcher Beweis von Hingebung die Grenzen gewöhnlicher Galanterie überschreite, so dürfe sie, wie sehr sie diese auch anerkenne, seine Bereitwilligkeit nicht mißbrauchen. Es half ihm nichts, daß er beteuerte, lieber sterben zu wollen, als sich aus ihrem Zauberkreise zu entfernen; ihr Zauber protestierte dagegen und sie bedeutete ihm, er würde sie sein lebelang nicht wiedersehen, wenn er nicht sofort abreise. Da blieb freilich nichts übrig, als zu gehorchen. Man gewährte ihm den Trost, sich einzubilden, daß diese bestimmten Weisungen nicht der Gleichgültigkeit entstammten, wie hart sie auch scheinen mochten. Sie werde sich über seine Rückkehr gewiß mehr freuen als über seine nötige Abreise. Nachdem Miß Hamilton ihm gern die in ihrer Macht stehende Erklärung gegeben, er würde bei seiner Rückkunft ihre Gesinnung unverändert finden, packte der Chevalier seine Sachen und dachte bei den Abschiedsbesuchen an nichts als an Wiederkehr.


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